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31. Eine Elefantenjagd.

Flitmore konnte auf der Reise feststellen, daß der Moerosumpf oder Itawa, der nun erreicht wurde, tatsächlich einen Abfluß in den Tanganjika besaß.

Der papyrusreiche Sumpf dehnte sich so weit ins Land hinein, daß er ein ernstliches Hindernis für das Weiterkommen bildete.

Riedböcke und Wasserböcke tummelten sich in großen Rudeln an seinen Ufern, Marabus stolzierten ernsthaft einher, Reiher, Silberreiher, Ibisse, Flamingos und Pelikane nebst zahlreichen anderen Sumpfvögeln gewährten ein lebendiges und anziehendes Bild.

Schulze hatte kranke Beine und mußte in einem Tragstuhl getragen werden, den Hendrik für ihn anfertigen ließ; es war ein aus Rohr geflochtener Sitz, der mit Baststricken an einer Stange aufgehängt war, die zwei Träger auf ihre Schultern luden. Der Professor saß rittlings auf dem Rohrboden, die Beine zu beiden Seiten hinabhängend.

Es war dies ein bequemes und sanftes Beförderungsmittel, während Schulze das Sitzen und Auf- und Abgestoßenwerden im Sattel des Reitstiers mit seiner wunden und mit Blasen bedeckten Haut nicht mehr ausgehalten hatte.

Er beklagte sich jedoch, so oft es durch ein Dornendickicht ging, daß nun seine Füße den Dornen und Stacheln noch mehr ausgesetzt seien als bisher.

Die kluge Sannah wußte hierfür sofort eine wirksame Abhilfe; sie riet ihm, in den Tragboden zwei Löcher für die Füße zu schneiden, statt sie außen herabzuhängen.

Der Professor befolgte den so einfachen Rat, auf den doch sonst niemand gekommen war, und nun waren seine Füße keinen scharfen Angriffen mehr ausgesetzt.

Da ein Sumpfarm des Itawa sich unabsehbar nach Osten dehnte, so daß seine Umgehung ausgeschlossen erschien, mußte er durchwatet werden. Das war keine Kleinigkeit; denn er war ziemlich tief und es galt, über die geknickten und niedergetretenen Papyrusstengel zu turnen, die keinen sichern Halt für die Füße boten.

Als nun das Rohr sich lichtete, zeigte es sich, daß ein Fluß hier strömte. So mußte die ganze Karawane den beschwerlichen, nassen Weg wieder zurückmachen und aus massigen Papyrusbündeln, die neben- und übereinander geschnürt wurden, ein Floß bauen, das nach und nach Leute und Lasten über den Fluß und seine sumpfigen Ufer beförderte.

Schulze fand es ratsam, im nächsten Negerdorfe einen Führer mitzunehmen, der ihnen den Weg zum Moerosee weisen könnte; denn nun eröffnete sich eine öde Steppe, die rechts und links von Urwäldern eingesäumt wurde, und es schien äußerst schwierig, sich hier zurechtfinden zu können, namentlich auch einen Weg zu entdecken, der durch angebaute Gegenden führte, so daß die Karawane nicht befürchten mußte, Mangel zu leiden.

»Der Führer ist für uns eine so kostbare Person,« sagte Hendrik zu Schulze, »daß wir nicht versäumen sollten, ihn mit den stärksten Banden an uns zu fesseln.«

»Wie meinen Sie das?« fragte der Professor.

»Nun,« gab Hendrik lachend zurück, »der Kerl scheint mir hinreichend verdächtig. Geben Sie acht, bei der nächsten Gelegenheit entweicht er und läßt uns in der pfadlosen Wüste im Stich, und das könnte unser aller Verderben sein. Lassen Sie ihm einen Halsring anlegen und ihn am Strick führen. Nachts wird er mit gefesselten Händen festgebunden.«

»Das ist aber doch eine etwas scharfe Maßregel, auf einen bloßen Verdacht hin,« wendete Schulze ein.

»Es ist eine hochnötige Vorsicht,« widersprach der junge Bure. »Passen Sie auf, der Mann sieht das selbst ein.«

Der Professor beschloß, Hendriks Rat zu folgen.

Der Führer machte zwar zunächst ein erstauntes Gesicht, als ihm der Halsring angelegt wurde; dann aber lachte er und sagte, unter diesen Umständen müsse er wohl darauf verzichten, heute nacht wieder nach Hause zu eilen, wie er im Sinne gehabt habe.

Hieraus erkannten alle, wie richtig Hendrik geraten hatte.

Der Führer nahm den Mund sehr voll; er werde sie, sagte er, einen Weg führen, der durch blühende angebaute Länder hindurchgehe, wo jede halbe Stunde ein reiches Dorf zu finden sei.

Inzwischen führte er sie durch die öde Steppe den Urwald entlang, der auch keine eßbaren Früchte zu bergen schien.

Um die Mittagszeit sahen unsere Freunde zwei Elefanten am Saum des Waldes; sie schienen eifrig damit beschäftigt, von einem Baume Früchte zu pflücken, die sie mit Behagen verschlangen.

»Das werden Mokorongafrüchte sein,« erklärte Schulze, »die bei den Elefanten sehr beliebt sind; sie beschäftigen sich oft stundenlang mit dem Pflücken und Verzehren dieser ausgezeichneten Beeren, von denen natürlich ganze Bäume voll nötig sind, um einen Elefantenmagen zu sättigen.«

Bei der Annäherung der Karawane schlugen sich die Elefanten seitwärts in den Urwald.

Flitmore sagte nun zum Professor: »Es wäre gut, wenn wir einen Elefantenbraten bekämen; so ein Dickhäuter gibt aus. Ich will mit John der Spur folgen und Ihnen die Tiere zutreiben, womöglich auch selber einen erlegen; der Wald wird nicht bloß diese zwei beherbergen.« Damit ging er mit Johann ostwärts in den Wald.

Inzwischen war der Baum erreicht, an dem sich die Elefanten soeben noch gütlich getan hatten.

Mit dem Ruf »Mokoronga!« stürzten sich die Schwarzen auf ihn und plünderten ihn, ganze Äste abreißend.

»Ah!« riefen sie, die kirschengroßen, schwarzen Beeren verzehrend. »Es ist das reinste Fett!« Denn Fett ist ihnen der Inbegriff aller wohlschmeckenden und nahrhaften Speisen.

Die Europäer erhielten nur wenig mehr von den Früchten zu kosten, die einen violetten Saft enthielten und einen übertrieben großen Stein, wie die meisten wilden Früchte.

Hendrik und Leusohn horchten scharf auf, ob nicht Flitmore ihnen die versprochene Beute zutreibe; aber im Walde blieb es totenstill.

Auch die Steppe zeigte keine Spur von Wild, nicht einmal Antilopen. Letzteres war übrigens nicht auffallend, da diese selten zu finden sind, wo sich Elefanten in der Nähe aufhalten.

Auf einmal vernahm man ein fernes Stampfen und Krachen im Walde.

»Aha! Da treibt uns der Lord Elefanten zu!« rief Hendrik aufspringend.

Auch Schulze und Leusohn griffen zu den Gewehren.

Es dauerte nicht lange, so brach ein Rudel von sieben ungeheuren Elefanten aus dem Walde.

Die Jäger hatten Sorge getragen, sich der Stelle zu nähern, wo sie dem Geräusch nach vermuten durften, daß die Dickhäuter erscheinen würden.

Sie hatten die Stelle nur zu genau erraten; denn die Elefanten kamen geradenwegs auf sie zu. Und zwar erfolgte ihr Erscheinen so plötzlich, daß die Weißen nur Not hatten, rasch Deckung zu suchen, wenn sie nicht zerstampft werden wollten.

Leusohn erhielt auf der Flucht einen so wuchtigen Rüsselhieb zwischen die Schultern, daß ihm das Blut aus der Nase stürzte und er ins Gras flog.

An ihm vorbei donnerten die schwerfälligen und doch so raschen Tritte, und um ein Haar, so wäre er zu Brei zermalmt worden.

Schulze war es gelungen, sich hinter einen Baum zu bergen. Hendrik aber wurde von den Tieren verfolgt, die aus den hocherhobenen Rüsseln kriegerische Trompetentöne ausstießen.

Es blieb ihm keine Zeit, sich umzuwenden, um zu zielen und zu schießen; denn die grimmen Feinde waren ihm dicht auf den Fersen.

Juku, der den Weißen aus Neugier gefolgt war, sprang in anderer Richtung leichtfüßig durch das hohe Gras davon.

Der Professor hinter seinem Baum war übrigens nicht gesonnen, Freund Hendrik im Stich zu lassen; er zielte auf den vordersten Bullen und traf ihn hinter das hochgestellte Ohr, der beste Schuß, der ihm überhaupt möglich war, da ihm der Elefant den Rücken kehrte.

In diesem Augenblick aber hatte das nun nur noch mehr gereizte Tier Hendrik mit dem Rüssel am Arm gepackt und emporgerissen, um ihn alsbald zu Boden zu schleudern.

Im Sturze streifte Hendrik mit dem Rücken den einen Stoßzahn des Elefanten, so daß er mit dem Rock eine Sekunde hängen blieb, bis dieser zerriß und der Jüngling vollends zu Boden sank.

Ohne diesen Zufall, der den Sturz wesentlich milderte, hätte der gewaltige Schwung ihn wohl am Boden zerschmettert. Immerhin fiel er noch unsanft genug, um das Bewußtsein zu verlieren.

Der Elefant blieb nun neben dem Regungslosen stehen; hätte er sich im mindesten bewegt, so hätte ihn das Tier sicher zerstampft, da der mächtige Fuß die Hauptwaffe des Elefanten bildet.

Im Lager waren diese Vorgänge nicht unbemerkt geblieben, da sie sich in nächster Nähe abspielten.

Die Neger und besonders die Weiber erhoben ein hundertstimmiges Geschrei, das die sechs andern Elefanten in die Flucht trieb, während der bei Hendrik stehende sich begnügte, ein drohendes Trompeten aus dem ausgestreckten Rüssel ertönen zu lassen.

Helene und Sannah, gefolgt von der allezeit furchtlosen kleinen Jägerin Tipekitanga, eilten auf das gefährliche Tier zu. Sobald sie die furchtbare Gefahr erkannt hatten, die Hendriks Leben bedrohte, waren sie nach ihren Büchsen gestürzt; doch hatte sich alles so rasch vollzogen, daß sie Hendriks Unglück nicht abzuwenden vermochten.

Nun wußten sie nicht, ob er noch lebte oder tot war; auf alle Fälle aber waren sie gewillt, den mörderischen Dickhäuter zu züchtigen, sollte dies auch sie selber in Lebensgefahr bringen.

Schulze war ebenfalls kühn herbeigeeilt und richtete nun seine Büchse von der Seite her auf das Ohr des Elefanten; doch die Niefehlende traf diesmal trotz der größeren Nähe leider vorbei.

Mit seinen kranken Beinen wurde dem Professor das feste Stehen überhaupt sauer und das beeinträchtigte auch die Sicherheit seiner Hand, die übrigens nie hervorragend gewesen war.

Schulzes Kugel hatte nur den äußersten Rand des Ohres durchbohrt; nun aber wandte sich der Koloß dem neuen Gegner zu, wobei er Hendrik unfehlbar zertreten haben würde, wenn nicht Helene sich blitzschnell zu Boden geworfen und mit einem kräftigen Ruck den immer noch regungslosen, blutüberströmten Körper aus dem Bereich der alles zermalmenden Füße gerissen hätte.

Sannah zielte nach dem kleinen Auge des Elefanten, das sie jedoch verfehlte, so daß ihre Kugel am Schädelknochen wirkungslos abprallte.

Tipekitangas Pfeil dagegen saß fest im Ohre, so daß das getroffene Tier furchtbar aufbrüllte, den Professor Professor sein ließ und sich den gefährlicheren Gegnerinnen zukehrte.

Die kleine Prinzessin war aber die reinste Kunstschützin, sie verfehlte kein erreichbares Ziel. Sie hatte es in der Gewohnheit, gefährliche Tiere womöglich zu blenden, zumal ein Schuß ins Auge am ehesten tödlich wirkt; kaum hatte daher der wütende Dickhäuter das Riesenhaupt gewendet, so stak ihm auch schon ein zweiter Pfeil im linken Auge und diesmal war auch Sannahs Kugel glücklicher und bohrte sich hart neben dem gleichen Auge in den gewaltigen Kopf, während der Professor die große Ohrmuschel, die ihm zugekehrt war, offenbar in ein Sieb zu verwandeln beabsichtigte, da seine Kugeln sie unaufhörlich durchlöcherten.

Aber der Pfeil im Auge und die Kugel daneben waren tödlich; noch einmal hob sich der Elefant auf die Hinterfüße, als wollte er vorwärts stürzen, dann krachte er zusammen.

Leusohn kam etwas schwankenden Schrittes eben herzu, um diesen letzten Auftritt des Trauerspiels noch zu sehen.

Er fühlte heftige Schmerzen im Rücken und ihm war etwas schwindelig, im übrigen aber war er unverletzt und seine Kräfte kehrten rasch zurück.

»Es hat's scheinbar auf sich mit mir,« meinte er, lächelnd herzutretend. »Die gefährlichsten Tiere der Wildnis behandeln mich verächtlich, wie einen Gegner, der nicht recht ernst zu nehmen ist. Der Soko hat mich geohrfeigt, daß mir Hören und Sehen verging, und nun macht es der Elefant ähnlich.«

»Oh, bitte, sehen Sie nach meinem Bruder, Herr Doktor!« bat Sannah.

»Wie? Was? Ist Hendrik etwas zugestoßen? Ich will nicht hoffen!« rief Leusohn erschreckt und sah sich um.

Nun erst entdeckte er Helene, die sich am Waldsaum, von Schulze unterstützt, um den jungen Buren bemühte, während Sannah in der Sorge, der Elefant möchte sich noch einmal erheben, diesen noch nicht aus dem Auge hatte lassen wollen.

Leusohn untersuchte alsbald den Ohnmächtigen und fand nur eine lange Fleischwunde auf dem Rücken, die glücklicherweise nicht tief ging und bereits durch geronnenes Blut geschlossen war.

»Eine Betäubung infolge der Erschütterung,« erklärte er. »Der Blutverlust ist unbedeutend.«

Damit wollte er die andern beruhigen, denn die Möglichkeit einer inneren Verletzung oder einer Gehirnerschütterung war nicht ausgeschlossen.

Da Schulze mit seinen kranken Beinen und Leusohn in seiner noch nicht völlig gehobenen Schwäche unfähig waren, den Bewußtlosen zu tragen, wurden aus dem nahen Lager zwei Schwarze herbeigerufen, die ihn hinüberschafften.

Hier kam Hendrik bald wieder zu sich und es erwies sich, daß er, abgesehen von der ungefährlichen Wunde und einigen Quetschungen, keinen Schaden genommen hatte.

Die Rückenwunde, die von dem Vorbeistreifen an dem scharfen Fangzahn des Elefanten herrührte, wurde nun ausgewaschen, antiseptisch behandelt und überpflastert und der junge Bure war bald wieder munter.

Das Zerlegen des Elefanten besorgten unterdessen die Neger, und als es Nacht wurde, war die Arbeit geschehen.

Außer Elefantenbraten gab es zum Nachtessen auch Elefantenfleischklöße, die aus den letzten Maismehlvorräten und gehacktem Elefantenfleisch bereitet wurden.

»Ein herrlicher Bissen!« schmunzelte Schulze. »Geschieht Flitmore ganz recht, wenn er um dieses Festmahl kommt; was läßt er sich auch von seinem Jagdeifer so weit fortreißen, daß er nicht zur Zeit zurückkehrt.«

So scherzte der Professor und ahnte nicht, in welch schlimmer Lage sich der Engländer und sein Diener befanden, und wie verhängnisvoll ihr Ausbleiben der Reisegesellschaft selber werden sollte.

Durch die Stille der Nacht erschollen plötzlich mächtige, fremdartige Töne, die wohl geeignet waren, die stärksten Nerven zu erschüttern.

Unheimlicher als das widerliche Geheul der Hyäne, das dem Gelächter eines Blödsinnigen gleicht, mark- und beindurchdringender als das grollende Brüllen des Löwen, klang die tieftraurige, wunderbar ergreifende Klage, welche die Elefanten um ihren gefallenen Gefährten anstimmten, dessen Schweiß sie bei ihrer Rückkehr witterten.

Die dröhnenden und doch so schwermütigen Töne durchzitterten die Luft und die Weißen, die noch um das Feuer versammelt waren, auf Flitmores Rückkehr wartend, fühlten sich ganz erschüttert.

»Es ist wahr,« sagte Schulze endlich, als stimme er der Anklage der Tiere zu, »ein so gescheites und brauchbares, von Natur gutmütiges Tier wie den Elefanten sollte man nicht jagen, man sollte es pflegen und zähmen. Warum sollten wir nicht in unseren afrikanischen Kolonien ein ebenso unschätzbares Haustier aus ihm machen können, wie die Engländer in Indien es dort schon vorfanden?«

»Man sagt aber, der afrikanische Elefant lasse sich nicht zähmen, wie der indische,« warf Leusohn ein.

»Unsinn! Man muß die Sache nur verstehen. Die Alten haben es fertig gebracht, denken Sie doch an die karthagischen Kriegselefanten. Nun, was den Alten möglich war, sollten wir selbstbewußten Kinder der Neuzeit auch vollbringen können, wenn wir auch in so mancher Beziehung hinter den Leistungen vergangener Geschlechter zurückbleiben.«

»Der Lord scheint heute im Walde übernachten zu wollen,« meinte der Doktor nach einer Pause. »Wir wollen uns jetzt doch zur Ruhe begeben, es wird spät. Übrigens, Professor, da habe ich noch etwas Palmöl; salben Sie damit Ihre kranken Gestelle ein, es soll ein vorzügliches Heilmittel sein.«

Schulze befolgte den Rat mit dem glänzenden Erfolg, daß schon nach wenigen Tagen seine Beine geheilt waren.


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