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4. Hungersnot.

Auch auf der Südseite des Flusses hatte der Steppenbrand gewütet und so weit das Auge sah, dehnte sich hier eine ausgebrannte Wüste.

Schulze wäre gerne geradenwegs auf die Virungavulkankette zumarschiert; aber da sich auch mit dem Fernrohr nichts als eine öde Steppe sehen ließ, die sich unabsehbar nach Süden erstreckte, sagte er sich, daß er das Leben so vieler Menschen, die seiner Fürsorge anvertraut waren, nicht mutwillig aufs Spiel setzen dürfe und wandte sich nach Osten, wo eine gebirgige und bewaldete Gegend auf fruchtbares Land hinwies.

Lord Flitmore jedoch erklärte, ihm liege viel daran, festzustellen, ob der Albert-Edward-See mit dem Kiwu-See durch den Rutschurru in Verbindung stehe. Er bat sich daher zehn Träger aus, um westlich das Ufer des Flusses zu gewinnen.

»Verhungern werden wir nicht,« erklärte er, »da weiß ich mir zu helfen.«

Es wurde ausgemacht, daß die Karawane am Fuße der Virungavulkane mit Flitmore wieder zusammentreffen solle; denn Schulze beabsichtigte, auf günstigerem Wege dorthin zu gelangen und für den Notfall sich zuvor in fruchtbareren Gegenden reichlich mit Lebensmitteln zu versorgen.

So trennte man sich: Flitmore zog mit Johann, zehn Trägern und vier Askaris nach Westen, der Professor mit dem großen Heere südostwärts.

Aber das östliche Gebirgsland war noch weit entfernt; den ganzen Tag marschierte man durch die ausgebrannte Prärie; hie und da kam man durch einen Wald von Raphiapalmen, die ihre vom Feuer versengten Blätter traurig über die angekohlten Stämme herabhängen ließen.

Lebhaft bereute nun Schulze, daß er nicht in der Nähe des in der Frühe durchquerten Flusses geblieben war, wo sie wenigstens Wasser, Fische und Perlhühner in Hülle und Fülle gehabt hätten.

Zwei Tage mußte von Konserven gelebt werden; aber merkwürdigerweise enthielten Flitmores Lasten deren nur wenige, und bei der großen Zahl der Leute stellte sich am dritten Tage Hungersnot ein.

Gegen Abend zeigte sich ein Termitenhügel.

»Ein einziger nützt uns nicht viel,« sagte Leusohn bedauernd. »Wenn sie zahlreicher wären, könnten wir alle unsern Hunger an Termiten stillen.«

»Puh!« rief Helene. »Du würdest wirklich weiße Ameisen verzehren, Otto? Das ist nicht dein Ernst!«

»Liebe Schwester, wenn man Hunger hat, gewöhnt man sich an alles. Übrigens müssen sie gar nicht übel schmecken; die Neger sind Feinschmecker, und Termiten gelten ihnen als Leckerbissen. Es ist immer gut, sich an die einheimischen Speisen zu gewöhnen und alle Vorurteile abzulegen; dadurch kann man in der Not so weit kommen, mit gutem Appetit da zuzugreifen, wo man sich früher mit Abscheu abgewendet hätte.«

»Und um Vorurteile handelt es sich bei derartigem, um nichts als um Vorurteile,« bemerkte Schulze. »Wo würde ein Neger Schnepfendreck essen, der bei uns als vorzügliche Speise gilt? Dem Chinesen ekelt es vor Schweinefleisch, wogegen ihm nichts höher steht als Rattenbraten.«

»Rattenbraten? Pfui! schweigen Sie, da wird einem ja übel, wenn man nur daran denkt,« sagte Helene und schüttelte sich.

»Ich meinesteils,« nahm Leusohn wieder das Wort, »will von nun an alle Negergerichte kosten, so sehr mich manche davon abstoßen. Ich will mich auch ohne Not an eine Kost gewöhnen, die mir im Falle der Not willkommen sein kann.«

»Geh weg!« erwiderte Helene, die sich mit solchen Gedanken nicht vertraut machen konnte. »Da müßtest du auch noch getrocknete Raupen, Käferlarven und fette Maden verzehren, Heuschrecken und Skorpione und wer weiß was alles.«

»O!« mischte sich Sannah in das appetitliche Gespräch. »Termiten habe ich auch schon versucht, als Brei und gedörrt, ebenso Heuschrecken; ich kann dich versichern, das sind ganz schmackhafte Speisen. Sogar gebratene Rohrratten aß ich einmal, freilich ohne zuvor zu wissen, was es war; aber selten hat mir ein Braten so köstlich gemundet.«

»Hör auf, hör auf!« eiferte Helene und hielt sich die Ohren zu. »Mich werdet ihr doch nie zu solchen afrikanischen Genüssen bekehren.«

Aber sie war eine schlechte Prophetin: wenn sie auch heute schon quälenden Hunger verspürte, so wußte sie doch noch nicht, wie das Begehren des Magens nach Nahrung so stark werden kann, daß ihm keine Speise mehr zuwider scheint.

Heute aber mußten alle mit leerem Magen nächtigen; denn als die Neger den festen Bau des Termitenhügels mit Beilen zertrümmert hatten, fanden sie ihn zu ihrer großen Enttäuschung verlassen.

Am andern Vormittag schlich die Karawane nur noch dahin. Beinahe alle Träger waren so entkräftet, daß es Mühe kostete, sie davon abzuhalten, ihre Lasten von sich zu werfen; dazu mußten die meisten Kinder getragen werden und es war jederzeit zu gewärtigen, daß die schwächsten der Neger vor Erschöpfung umstürzen und liegen bleiben würden.

Die Weißen hatten wenigstens ihre Reittiere, sonst wären sie wohl auch nicht mehr mitgekommen. Die Zwergprinzessin, die sich übrigens merkwürdig tapfer hielt, durfte mit Sannah reiten: sie beschwerte den Esel nicht zu sehr, da auch das Burenmädchen kein großes Gewicht hatte.

Hendrik, der kein Reittier besaß, schritt immer noch rüstig aus, er konnte viel ertragen, ohne gleich schlapp zu werden.

Endlich, gegen Mittag, stießen die Neger ein Freudengeschrei aus und nun eilten sie mit frischen Kräften nach Osten, wo sich eine weitausgedehnte Termitenkolonie aus der Ebene erhob.

Sie glich einem ganzen Gebirgszuge im kleinen, mit weitverzweigten Berg- und Hügelketten.

Viele der Termitenbauten erreichten eine Höhe von vier bis fünf Metern und stellten so nicht bloß die Zwergendörfer der Wambutti, sondern auch die stattlichsten Negerhütten in Schatten.

Die Neger machten sich nach Abwerfen ihrer Lasten sofort über die Termitenhügel her, hieben Stücke davon ab, gruben nach und sammelten die dicken weißlichen Insekten.

Die fettreichen weiblichen Tiere wurden zu Brei zerdrückt und so zu Tausenden verzehrt, denn die Gier nach Nahrung ließ niemand an ein vorheriges Kochen oder Braten denken. Und siehe da! Der rasende Hunger hatte selbst Helene Leusohn so mürbe gemacht, daß sie von dem dicken Termitenbrei aß, anfangs zwar mit Widerstreben, dann jedoch mit sichtlichem Genuß. Da bewahrheitete sich im vollsten Sinne das Sprichwort: »Hunger ist der beste Koch.«

Nachdem die Schwarzen gesättigt waren, sammelten sie Zweige von vereinzelten angekohlten Sträuchern, die hier zahlreich zwischen den Ameisenhügeln standen und zündeten Feuer an. Nun wurde Termitenbrei in Massen gekocht und in leeren Konservenbüchsen untergebracht, als Vorrat für morgen.

Auch Tausende von geflügelten Männchen wurden über dem Feuer gedörrt, wobei die Flügel alsbald abfielen und knisternd verbrannten.

Neben den Termitenhügeln quoll überall eine weißgelbliche, breiige Masse aus dem Erdboden, wie Quarkkäse anzusehen, jedoch mit festen, weißen Körnchen, dem Tapioka ähnlich, durchsetzt. Diese Körnchen schienen Termiteneier zu sein.

Die Neger umsteckten jene kleinen Maulwurfshügel mit Stöckchen und deckten Zweige darüber. Schon nach wenigen Stunden wuchsen aus der Masse weiße Pilze auf zierlichen Stielen empor, die am andern Tag eine stattliche Größe erreicht hatten, während der Brei, aus dem sie wuchsen, schon zusammengefallen und eingetrocknet war.

Diese Termitenpilze zeigten sich als ein wahrer Leckerbissen, den sich die Weißen so gut wie die Neger nicht entgehen ließen.

Den ganzen Tag bildeten die gestern gesammelten Termiten, gedörrt oder als Brei, die Nahrung; doch ging der Vorrat bald aus und abends stellte sich wieder der Hunger ein.

Gefahr zu verhungern war freilich nicht mehr zu befürchten, da man binnen weniger Stunden die östlichen Waldungen erreichen konnte.

Ein breites, ausgetrocknetes Flußbett, das jetzt durchschritten wurde, hatte dem Steppenbrande ein Ziel gesetzt; auf der andern Seite stand wieder trockenes Gras und dazwischen fanden sich sumpfige Tümpel.

»O, Bwana Bawessa!« jubelte Hamissi. »Hier müssen sein Rohrratten,« und er schnalzte mit der Zunge, im Vorgeschmack des köstlichen Bratens.

Die Träger griffen zu ihren Speeren, die Askaris zu den Flinten; wer keine Waffe bei sich hatte, namentlich Frauen und Kinder, bewehrte sich mit Knütteln und großen Steinen. Dann wurde eine Grasinsel umstellt und das Gras in Brand gesetzt.

Ihrer Gewohnheit gemäß verharrten die Ratten regungslos in ihren Verstecken, bis sie stark angesengt waren. Erst wenn die Hitze unerträglich wird, ergreifen sie halbverbrannt die Flucht.

Als sich so lange nichts regte, glaubten die Weißen schon, es befinde sich kein Getier zur Stelle. Die Neger aber, denen die Verhaltungsweise der betreffenden Nager wohlbekannt war, warteten mit gespannter Aufmerksamkeit. Und siehe da! Auf einmal regte es sich und eine um die andere sprangen die dreißig bis vierzig Zentimeter langen Ratten aus dem Bereich der Flammen heraus und suchten den Kreis der Jäger zu durchbrechen. Aber es war ein drei- bis vierfacher Kreis, und was nicht gleich anfangs den Kugeln und Speerwürfen erlag, wurde ein paar Schritt weiter hinten von Steinen und Knütteln getroffen. Nur wenige entgingen ihrem Schicksal. Da die ganze Jagd höchstens eine Viertelstunde gewährt hatte, wurden noch mehrere mit Gras und Rohr bewachsene Plätze in der gleichen Weise umstellt, angezündet und ihres Wildes beraubt.

So mangelte es den hungrigen Jägern nicht an Braten.

An Kehle, Schnauze, Brust und Bauch sahen die Ratten hellgrau aus, auf dem Rücken jedoch braun, weil hier die Borstenhaare lederbraune Spitzen hatten. Das mehr als einen halben Zentimeter dicke, doch sehr zarte und leicht zerreißbare Fell wurde sorgfältig von der damit verwachsenen starken Fettlage getrennt und dann wurden die Tiere am Spieße oder in der Glut gebraten.

Diesmal zeigte sich Helene nicht mehr zimperlich; denn die Rattenbraten strömten einen verlockenden Duft aus und gaben denn auch einem Kalbsbraten an Güte nichts nach. Auf die Zukost von Skorpionen und Käferlarven, die sich die Neger dazu schmecken ließen, glaubte das weiße Fräulein jedoch verzichten zu dürfen.


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