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38. Der wiedergefundene Bruder.

Als die Reisegesellschaft am nächsten Morgen weiterwanderte, sangen die Träger ein neues Lied, das etwa folgendermaßen lautete:

»Wir sind den Watongwe entgangen, ha, ha!
Antari wird keinen mehr fangen, he, he!
Tschitambo kriegt von uns nicht Perlen noch Tuch, hi, hi!
Und Bwana Keleles prophetischer Fluch
Hat Mohamed Hrei Verderben gebracht,
Wer läuft noch über zu ihm in der Nacht? Ho, ho!«

Dank der Freigebigkeit Tschitambos, die durch Hendriks weise Einschüchterungspolitik veranlaßt worden war, besaßen jetzt Schulze und Leusohn wieder Reitstiere und Uledi eine kleine Herde von Ziegen und Fettschwanzschafen, über die er sich königlich freute.

Eine der Ziegen jedoch hatte sich Hamissi angeschlossen und folgte ihm auf Schritt und Tritt. Ach! sie ahnte nicht, daß sie ihrem Todfeinde sich anvertraute, dem Koch und Ziegenmörder, dem schon einmal Uledis ganze Herde zum Opfer gefallen war.

Der Suaheli hatte übrigens eine Freude an dem anhänglichen Tier und empfand eine zärtliche Zuneigung für dasselbe, so daß er es schonte, bis alle andern geschlachtet waren.

Die Untertanen eines Häuptlings, der den üblichen Hongo erhielt, haben nach afrikanischen Sitten die Verpflichtung, die Reisenden, die diese Abgabe zahlten, zu schützen und ihnen jede Erleichterung des Durchzugs zu gewähren. Noch weit größer sind ihre Verpflichtungen, wenn ein Blutbund den Häuptling mit den Durchziehenden verbindet.

Die Blutsfreundschaft mit Tschitambo brachte daher unseren Freunden die größten Vorteile beim Durchmarsch durch sein ganzes Gebiet.

Sie hatten vom Häuptling einen Führer erhalten und gaben ihren gefesselten Führer frei, der sie so schlecht geführt hatte und nun gewiß einen besseren Weg nach seinem Dorfe zurück erfragte.

Durch den neuen Führer wurde überall kund, in welch enges Verhältnis die Weißen zum Fürsten des Landes getreten waren, und das ersparte ihnen nicht nur alle Feindseligkeiten, die ihnen in diesem verrufenen Lande sonst gedroht hätten, sondern es trug ihnen auch Lebensmittel in Hülle und Fülle ein, die den Freunden des Landesherrn unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden, und Uledis Herde wuchs rasch an.

Manchmal freilich drängten sich die Leute gar zu frech auf und gingen so weit, – aus lauter Freundschaft natürlich, – die merkwürdigen weißen Männer mit Händen zu betasten. In solchen Fällen wurde dann unversehens der Revolver gezogen und in die Luft abgefeuert, was jedesmal die Folge hatte, die Zudringlichen in wilde Flucht zu jagen.

»Ich weiß nicht, was das ist, Hendrik,« sagte Leusohn einstmals: »Schauen Sie doch einmal nach Uledis Herde. Mir ist, als ob seine Fettschwanzhämmel eine Art Geflügel sind und ihm nach und nach durch die Lüfte entfliegen; immer wieder höre ich so ein klägliches Geblök über mir.« Und wieder schaute er aus nach dem fliegenden Hammel, der ihm über seinem Haupte zu schweben schien.

Hendrik lachte: »Das ist ein Schreiadler, Herr Doktor; er schreit allerdings einem Schafe ganz täuschend ähnlich.«

»So, so! Das ist also das ganze Wunder der fliegenden Hämmel,« lachte nun auch Leusohn. »Es findet sich doch für jedes Rätsel eine ganz natürliche Erklärung.«

»Allerdings,« stimmte Flitmore bei, »denn das Natürliche selber ist rätselhaft und wunderbar, sobald es mit Verstand und nicht bloß oberflächlich betrachtet wird, und aus diesem Grunde finden Rätsel und Wunder ihre natürliche Erklärung, die freilich nur der großen Menge als Lösung des Rätsels und Auflösung des Wunders erscheint.«

Als die Grenze von Tschitambos Gebiet überschritten war und der Führer entlassen, bemächtigte sich des starken Juku eine gewaltige Aufregung, die mit jeder Wegstunde wuchs. Er trat zu Schulze.

»Bwana Bawessa,« sagte er mit ungewohntem Zittern in der Stimme: »Ich hier kennen das Land, erkennen die Berge, erkennen die Wälder; dort drüben über dem Fluß müssen sein mein Heimatdorf.«

»Wie? Bist du nicht ein Suaheli aus Sansibar?«

»Ich nicht sein in Sansibar geboren; ich hier geboren, aber als ich acht Jahre alt, Araber mich haben fortgeschleppt nach Sansibar und verkauft. Dort ich habe Pocken bekommen und mein Herr mich haben in Spital geschickt und freigelassen; so ich Träger und Askari geworden sein.«

»Warum kehrtest du nicht in deine Heimat zurück?«

»Ich nicht wissen den Weg und das Land, nur wissen, daß sehr weit, sehr weit; aber den Namen von meinem Dorf noch wissen und von meinem Vater und Mutter und großen Bruder, und noch sehen vor mir, wie sie ausgesehen. Und jetzt auch wieder kennen Berge und alles.«

»Das ist merkwürdig!« sagte Leusohn, der das Gespräch mit anhörte, kopfschüttelnd.

Als der Fluß erreicht war, sah man drüben ein Dorf. Die Einwohner, besonders stark gebaute Gestalten, standen am Ufer oder ruderten in Kanus auf dem Fluß.

Achmed rief hinüber, sie sollten ihre Kanus herüberführen und die Karawane übersetzen.

Die Antwort klang schroff und drohend: »Die Fremden sollen bleiben, wo sie sind, wir lassen keinen lebendig unsern Strand betreten!«

Die Leute hatten, wie sich später herausstellte, Grund zu ihrer scharfen Zurückweisung, hatten doch schon öfters hier Araber, die mit geheuchelten friedlichen Absichten eindrangen, Männer, Weiber und Kinder aus der Gegend als Sklaven mit sich fortgeschleppt.

Auf einmal schrie Juku einen etwa dreißigjährigen Burschen in einem Kanu an: »Baruti!«

Überrascht wandte sich der Ruderer dem Ufer zu: »Wie kannst du meinen Namen wissen?«

»Du bist mein Bruder.«

»Was ist das für eine Torheit!«

Juku nannte dem jungen Manne nun den Namen des Dorfes und seiner Eltern.

Sichtlich verblüfft ruderte Baruti näher heran.

»Wie kannst du mein Bruder sein?«

»Vor achtzehn Jahren haben mich die Araber geraubt.«

Nun zeigte Baruti ein aufmerksames Interesse für den, der ihn in seiner Muttersprache so fließend anredete und der so auffallende Tatsachen anzuführen wußte.

»Wenn du mein Bruder wirklich bist, so nenne mir etwas, was du von mir weißt.«

»Hinten an deinem rechten Bein hast du eine große Narbe; denkst du noch an das Krokodil?«

Da stieß Baruti einen Freudenschrei aus, seine letzten Zweifel waren geschwunden. Er rief den Leuten am Ufer seine Entdeckung zu und ruderte heran, seinen Bruder aufs zärtlichste zu begrüßen.

Zum ersten Male standen dem starken Juku Tränen in den Augen und auch Barutis Augen glänzten feucht.

»Diese Wilden haben doch ein Gemüt!« rief Leusohn gerührt.

»Haben Sie das jemals bezweifelt?« fragte Flitmore.

Nun ruderten auch die Leute des Dorfes herbei und freuten sich des Wiedersehens; Jukus Eltern freilich konnten an der Freude nicht teilnehmen, sie waren schon beide gestorben.

Bereitwillig führten nun die Eingeborenen die ganze Karawane über den Fluß und kamen ihr in jeder Weise entgegen, denn Jukus Zeugnis machte sie der friedlichen Absichten der Weißen gewiß.

Schulze stellte es Juku frei, ob er in seiner Heimat bleiben wolle oder ihm weiter folgen. Juku wählte ohne langes Besinnen das letztere; denn so sehr ihn das Wiedersehen des Heimatdorfes und des Bruders gefreut und so freundliche Aufnahme er bei allen gefunden hatte, er war nun doch nicht mehr so recht heimisch hier, nachdem er achtzehn Jahre an der Küste gelebt hatte.


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