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7. Im Lande der Riesen.

So wurde denn von Katschuri abmaschiert, dem Süden zu. Es war ein landschaftlich wunderschönes Gebiet, aber beschwerlich zu durchwandern; erreichten doch seine Gebirge die Höhe von dreitausend Metern und waren durch Flüsse, tiefe Täler und Seen reichlich durchschnitten.

Als die ersten grasigen Berge erklommen wurden, sagte Schulze: »So sind wir denn eingedrungen in das rätselhafte Königreich, das Fabelland, in welchem weiße Menschen leben sollen!«

»Dort sind ja die Riesen!« rief Helene aus, die wieder einmal voranritt.

Wirklich zeigten sich auf einem Weidegrund wahrhaft hünenhafte Gestalten. Es waren Jünglinge, die große Rinderherden hüteten.

Um die Hüften trugen sie einen schmalen Schurz aus weichgegerbter Haut, von der zehn bis zwölf Schnüre bis zu den Knien herabhingen.

Es war dies die Nationaltracht der Ruandaleute. Reiche und Vornehme trugen außerdem, wie unsere Freunde es später sahen, lose Stoffe um die Schultern geschlagen.

Die Knaben waren von auffallend heller Hautfarbe und hatten durchaus keinen Negertypus, vielmehr feingeschnittene, schöne Züge von semitisch-hamitischer Bildung, so daß Schulze sofort erklärte, die Bevölkerung müsse ursprünglich aus Ägypten eingewandert sein.

Ohne gerade fett zu erscheinen, strotzten die jungen Hirten von Gesundheit, ihre Haut glänzte, als sei sie mit Öl eingerieben, und es waren so prachtvoll gebaute Gestalten darunter, daß sie jedem Bildhauer als Modell zu einem Antinous hätten dienen können.

Am auffallendsten aber fiel die wahre Riesengröße dieser jungen Leute in die Augen. Die meisten waren über zwei Meter hoch, viele aber erreichten die außerordentliche Höhe von zwei Metern und zwanzig Zentimetern und darüber.

Und diese Stärke, Gesundheit und Größe erzielte ein Volk, das sich, wie unsere Freunde sich im Laufe der Reise durch dieses merkwürdige Reich überzeugten, nicht von Fleisch, sondern fast ausschließlich von Milch und Honig ernährte.

Eine solche Kost befördert keinerlei wilde Triebe, so erfuhren denn auch die Ankömmlinge, daß man ihnen ohne Grund vor den Wanjaruanda hatte Furcht machen wollen.

Schon die außerordentliche Milde, die aus den großen Augen und friedlichen Gesichtszügen sprach, machte einen äußerst günstigen und auf die Schwarzen sehr beruhigenden Eindruck.

Schulze bot den sanften Riesen Geschenke an; sie waren aber nicht dazu zu bewegen, irgend etwas anzunehmen, so sehr die Bewunderung und Lust an den niegesehenen Herrlichkeiten ihnen aus den Augen leuchtete.

»Wir haben keine Erlaubnis von unserem König, Geschenke anzunehmen,« sagten sie und beharrten standhaft auf ihrer Weigerung.

»Ein solches Verhalten ist für Afrika unerhört!« rief Hendrik aus.

»Es beweist überdies,« erklärte der Professor, »was für eine stramme Zucht unter den Leuten herrscht, und wie der Sultan seine Untertanen in der Gewalt hat.«

»Diese Gewalt,« fügte Helene bei, »scheint er zu äußerst edlen Zwecken zu gebrauchen; denn seine Untertanen zu verhindern, Geschenke anzunehmen, heißt sie doch zu hoher Gesinnung erziehen.«

Die Hirten wiesen in zuvorkommendster Weise den Weißen den Weg zur nächsten Niederlassung, in der ein Unterhäuptling des Sultans seinen Sitz hatte. Ja, sie ließen es sich nicht nehmen, ihnen einen Führer mitzugeben, da man sich im nahen Walde leicht verirren könne.

Gegen Abend war das Dorf oder vielmehr die Stadt erreicht, in deren Nähe das Lager aufgeschlagen wurde.

Auch hier stellten sich die Riesen, wie man sie mit Fug und Recht heißen durfte, äußerst freundlich zu den Besuchern ihres Landes.

Schulze erkundete bald, daß die Wahutus die Urbevölkerung von Ruanda bildeten. Sie sind ein ackerbautreibender Stamm aus der großen afrikanischen Völkerfamilie der Bantus.

Die Beherrscher des Landes sind die viehzüchtenden Watussi, die vor Zeiten aus dem Norden einwanderten, ein prächtiger Menschenschlag von Riesengröße, da Gestalten von zwei Meter zwanzig Zentimeter, wie gesagt, keine Seltenheit sind. Sie sind durch schönen Körperbau, edle Gesichtsbildung und den bronzefarbenen Ton der Haut ausgezeichnet. Die hohe Stirn, die feingeschwungene Nase und das anmutige Oval des Gesichtes kennzeichnen sie besonders.

Die Bevölkerung des großen Reiches umfaßt etwa anderthalb Millionen Einwohner.

Ferner wurde noch berichtet, daß Ruanda Zwergvölker beherberge, die Batwa oder Batua, auch Watua oder Butte-Butte genannt, die bei den Vulkanen der Msumbirolandschaft und an den Ufern des großen Kiwusees lebten, wo sie sich hauptsächlich vom Fischfang nährten.

»Also Riesen und Zwerge beieinander,« bemerkte der Doktor. »Genau wie in den alten Sagen.«

Was Schulze ganz besonders interessierte und kaum glaublich erschien, war die Behauptung, auch eine Niederlassung von Weißen befinde sich im Nordwesten; aber diese seien erst vor wenigen Jahrzehnten eingewandert.

Die Watussi zeigten sich als ein äußerst gescheiter Menschenschlag, was man ihren einnehmenden Gesichtszügen gleich ansah.

Sie verehren heilige Tiere, und zwar jeder Stamm sein besonderes Tier, dem er huldigt und nach dem er sich nennt. Sie kennen aber auch einen obersten Gott, Imana, den Schöpfer der Welt.

Das Land zeigte sich überall äußerst fruchtbar und sein Klima hervorragend gesund.

An Wild, namentlich Elefanten, Löwen, Büffeln und Antilopen war es ungemein reich.

Die hellfarbigen, schöngewachsenen und wohlgebildeten Frauen Ruandas sind als Sklavinnen sehr gesucht, was unsere Freunde nicht wundernahm. Sie erzielen Preise bis zu viertausendfünfhundert Mark, während für eine gewöhnliche Sklavin nicht mehr als zwanzig bis vierzig Mark bezahlt werden.

Sie sind aber äußerst selten; denn die arabischen Sklavenjäger wagen es glücklicherweise nicht, die Grenzen Ruandas zu überschreiten; das Volk ist ihnen zu stark und mächtig.


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