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11. Abenteuer im Vulkangebiet.

Von den Zwergen erfuhren die Forschungsreisenden die Namen der acht Virungavulkane, die sie nunmehr genauer erforschen wollten. Sie bilden drei Gruppen: die östlichste besteht aus dem Muhawura, dem Mgahinga und dem Sabinjo. Südwestlich davon befindet sich die Mittelgruppe mit dem Wissoke, Karissimbi und Mikeno. Die Vulkane dieser beiden Gruppen können als erloschen gelten. Die Westgruppe besteht aus dem Ninagongo, der vor kurzem noch in Tätigkeit war und jederzeit wieder ausbrechen kann, und dem zur Zeit tätigen Namlagira, nordwestlich vom Ninagongo.

Der Professor erwähnte, daß Stuhlmann, der freilich die Kette nur von fern sah und ihr, wie alle früheren Reisenden, den Gesamtnamen »Mfumbiro« beilegte, auf seiner Karte nur vier Berge verzeichnet, die er folgendermaßen benennt, nachdem er die Namen von den nördlicher wohnenden Eingeborenen erkundet hatte: Mfumbiro oder Virungo, Nahango, Kisigali und Virungo-nya-gongo. Den Kisigali schätzt er auf viertausend Meter und den Virungo-nya-gongo bezeichnet er als tätig.

»Man sieht hieraus,« sagte Schulze, »wie schon ein wenig weiter nördlich die Namen in Verwirrung geraten. Der Name Virungo, statt Virunga, der die ganze Kette bezeichnet, tritt dort beim ersten und letzten der Kegel auf; aus dem Anhängsel des letzteren ›nya-gongo‹ läßt sich unschwer der Ninagongo erkennen; doch ist dies erst der vorletzte und ein zurzeit nicht tätiger Vulkan.«

Die Zwerge berichteten, seit etwa zehn Jahren seien die Vulkane erloschen bis auf den letzten, der noch in Tätigkeit war.

»Das fasse ich so auf,« sagte Schulze: »Zu Zeiten brauchten die unterirdischen Lavamassen acht Kamine, heutzutage genügt ihnen eines zum Ausbruch, zuweilen zwei; die sechs andern sind nun durch erkaltete und verhärtete Lava verstopft. Kommt wieder ein Zeitraum stärkerer Tätigkeit, so werden sie schon wieder ausgesprengt werden, wenn sich die Lava nicht anderswo einen leichteren Ausweg sucht und einen neunten Vulkan entstehen läßt.«

»Wo, wie hier, die vulkanische Tätigkeit noch in vollem Gange ist, kann man eigentlich, meines Erachtens, von erloschenen Vulkanen nicht reden, sondern bloß von vorerst untätigen.«

»Eine andre Möglichkeit,« wandte Lord Flitmore ein, »wäre folgende: In dem Maße wie einzelne Kamine sich verstopften, hat sich die vulkanische Glut neue Auswege geschaffen und damit neue Vulkankegel gebildet; auch mag sich mit der Zeit der Schwerpunkt der vulkanischen Tätigkeit im Erdinnern von Osten nach Westen verschoben haben. Übrigens ist nach meinen Beobachtungen der östlichste Kegel, der Muhawura, durchaus nicht derjenige, der seine Tätigkeit am frühesten einstellte; vielmehr weist der Grad der Verwitterung nebst andern geologischen Merkmalen darauf hin, daß der Sabinjo und der Mikeno am längsten keinen Ausbruch mehr hatten.«

»Die ganze Vulkangruppe scheint verhältnismäßig jung zu sein und erst ihre Entstehung trennte den Kiwusee vom Albert-Edward; ist doch das ganze Zwischengebiet unverkennbar alter Seeboden. Diese Erhebung des Erdbodens beim Kiwusee mag auch veranlaßt haben, daß der Russissi aus einem Abfluß des Tanganjika in den Kiwu in einen Zufluß aus diesem in jenen verwandelt wurde.«

Heute sah man die ganze Vulkankette deutlich vor Augen; kühn reckten die massigen Berge ihre finstern Riesenleiber in den blauen Himmel hinein und ihre höchsten Häupter erglänzten in blendendem Neuschnee.

Am Fuße des Muhawura wurde ein Lager errichtet und der Lord nebst Schulze unternahmen den Aufstieg in Begleitung von drei Trägern.

Mühsam war der Marsch über die erstarrte zackige Lava, welche weithin den Boden bedeckte. Überall, wo dieser vulkanische Boden in völlige Verwitterung übergegangen war, bildete er dagegen ungemein fruchtbares Land, das von den Eingeborenen fleißig ausgenützt wurde.

Der Professor erkannte bei der Besteigung des Vulkans, daß er noch nicht lange erloschen sein konnte, da er verhältnismäßig junge Lavaergüsse auf der Ost- und Nordostseite aufwies; hier wuchs auch kein Baum, sondern nur ein Gewirr von Krautmassen und hie und da junges Bambusrohr.

Die Stellen jedoch, welche von den jüngsten Lavaergüssen verschont geblieben waren, zeigten sich mit einem wahren Urwald von Senecio Johnstonii bewachsen; diese merkwürdigen Bäume standen so dicht, daß man sich nur mit Mühe durcharbeiten konnte und häufig bis zur Brust in überwachsene Spalten und Löcher einsank, zumal ein Wirrsal durcheinandergestürzter Stämme voll triefender Moospolster den Weg versperrte.

So kamen die Bergsteiger erst am dritten Tage zurück, ohne den viertausendeinhundertfünfundsechzig Meter hohen Gipfel dieses dritthöchsten der Virungavulkane ganz erreicht zu haben.

Als der Professor über seine Beobachtungen berichtete, meinte Lord Flitmore: »Ich sagte es ja! Der Muhawura hat noch in neuerer Zeit seine Ausbrüche gehabt, heißt doch gerade die Landschaft nordöstlich von ihm bezeichnenderweise ›Usfimbiro‹ oder ›Msumbiro‹, das heißt ›die Rauchende‹.«

Die Karawane zog nun durch die prachtvollen Laubwälder an den Hängen des Mgahinga dahin, deren lang herabhängende Schlinggewächse sich im Urbusch verloren, der den Boden bedeckte.

Diese Wälder waren reich an Bergelefanten, die sich überhaupt in der Vulkangegend, zumeist auf den Höhen, fanden.

Der Sabinjo, um den alsdann herumgeschwenkt wurde, war ein kuppelartiger, kraterloser Lavaberg: er bestand aus einem einzigen gewaltigen Lavaerguß, der den Krater, aus dem er hervorgegangen war, bedeckte.

Flitmore erwähnte, daß hier Gorillas hausen sollten; der Professor wollte jedoch nicht an das Vorhandensein dieses schrecklichsten aller Affen, ja vielleicht gefährlichsten aller Tiere überhaupt, glauben. Erst später am Tanganjika sollte er durch eine unheimliche Begegnung zur Überzeugung gebracht werden, daß auch Mittelafrika den echten Gorilla beherbergt.

Auf dem Marsche nach Südwesten, der nunmehr erfolgte, wurde abends der Fuß des Wissoke erreicht.

Hier hausten wieder Batwazwerge, die sich jedoch im Walde verborgen hielten und nur mit größter Mühe zur Annäherung bewogen werden konnten.

Hendrik gelang es endlich, vom Häuptling Sebulose zwei Führer zu erhalten, die ihn auf eine Elefantenjagd begleiteten.

Die Gewandtheit und Schnelligkeit, mit der die Batwa sich durch das Dickicht und Lianengewirr wanden, setzte den Buren in Erstaunen. Der Schurz aus Rindenstoff, mit dem sie bekleidet waren, bot freilich den Dornen keinen Angriffspunkt, und ihre Haut schien sich auch nichts aus dem scharfen Gedörn zu machen, während Hendrik mit seinen Kleidern überall hängen blieb.

Der Rindenstoff, aus dem sich die Neger vielfach Lendenschürze und Kleidungsstücke bereiten, sitzt bei einem Dutzend Arten von Feigenbäumen zwischen Holz und Rinde. Man schält den Baum gewöhnlich in acht bis zehn Meter Länge und einem Meter Breite ab und wickelt dann Bananenblätter, Tücher oder alten Rindenstoff um den geschälten Stamm, bis dieser neuen Bast bildet. Die Feigenbäume lassen sich auf die einfachste Weise vermehren: man braucht nur in der Regenzeit einen armstarken Ast in den Boden zu stecken, so schlägt er Wurzel und wächst zu einem neuen Baum heran.

Der Bast besteht aus kreuzweise ineinander verflochtenen und verfilzten Fasern, die in der Längsrichtung sehr fest, in der Querrichtung aber elastisch sind; je weicher und schmiegsamer, desto wertvoller ist der Stoff. In Europa wird er hauptsächlich zu Kunstleder, Stofftapeten und Polsterbezügen verarbeitet. Seine Farbe ist hellbraun bis weiß, doch wird er von den Negern mittels des Saftes der Fikusbäume selber meist braun gefärbt; er liefert ihnen unübertreffliche Bekleidungsstücke.

Als Hendrik, von den Dornen zerfetzt, den Wald verließ, um besser vorwärts zu kommen, erklärten die kleinen Führer, ihm hierhinaus nicht folgen zu können und verschwanden im Busch.

Der Bure gab für diesmal die Elefantenjagd auf und übergab seine übelzugerichteten Kleider seiner Schwester Sannah zum Ausbessern.

Schulze nahm an einigen Batwa Körpermessungen vor; sie mußten aber mit Gewalt dazu herbeigeschleppt werden und zitterten, als ob es zur Schlachtbank ginge. Wirklich glaubten die abergläubischen Geschöpfe nicht anders, als dieser schreckliche Zauber müsse sie das Leben kosten.

Sie brachten hernach ihrer Gottheit wochenlang Opfer dar, um die schrecklichen Folgen des Zaubers abzuwenden.

Neben Elefanten beherbergte das Vulkangebiet namentlich Meerkatzen, unter denen der schön rot und graugrün gefärbte Cercopithekus Kandti am häufigsten vorkam. Außer diesen Affen bekamen unsre Freunde noch zwei Leopardenarten zu sehen und eine ganz neue Art des Buschbocks, sowie auch Wildkatzen und Löwen.

Vom Wissoke wandte sich die Reisegesellschaft dem benachbarten Mikeno zu, den die ganze Karawane bis zu einer Höhe von dreitausend Metern erstieg.

Vom Lager aus, das hier oben errichtet wurde, hatte man eine prächtige Aussicht auf den schönen Gipfel des Ninagongo, der sich über ein wogendes Wolkenmeer emporhob. Die untergehende Sonne tauchte den Tropenhimmel in die wunderbarsten Farbentöne: man glaubte ein Nordlicht zu sehen. Und von diesem leuchtenden Himmel zeichneten sich die Umrisse des rauchenden Gipfels ab, ein märchenschönes Bild!

Die Nacht war eisig kalt und dichte Nebelschwaden wehten gespenstisch über das Lager.

Am frühen Morgen machte sich Schulze mit Leusohn, Hendrik und Helene auf, um den Gipfel vollends zu ersteigen.

Der Bambuswald, der bis zum Lagerplatz reichte, hörte auf und hochgewachsene, knorrige Erikabäume, von deren dicht verzweigten Ästen Bartflechten herabhingen, erhoben sich bis zu fünf Meter Höhe.

Auf dem nassen Moosteppich des Abhangs geriet man alle Augenblicke ins Gleiten und rutschte oft wieder hinab, bis man sich an einer Erika festhalten konnte; dann wurde die Böschung stellenweise so steil, daß man sie nur mit Hilfe der Hände erklettern konnte.

Senecio Johnstonii, Lobelien und Strohblumen schmückten die Hänge des Gipfels und vierhundert Meter unter demselben eröffnete sich eine entzückende Aussicht auf den Kiwusee.

Der letzte Aufstieg war äußerst beschwerlich: man glitt auf dem Moose aus, und wollte man sich an einer Seneciostaude halten, so wurde diese entwurzelt. Schluchten mit eiskalten Bächen galt es zu durchklettern und schließlich kam hartgefrorener Schnee.

Und all diese Anstrengungen wurden erst nicht gekrönt, denn plötzlich boten schroff ansteigende Felswände dem weiteren Vordringen halt und nötigten zur Umkehr, ohne daß der höchste Gipfel hätte erreicht werden können.

Erschöpft langten unsre Freunde im Lager an, um andern Tags mit der ganzen Karawane auf dem Südhang des Mikeno den Abstieg zu unternehmen, dem Karissimbi zu, dessen gewaltige Masse vor ihnen zum Himmel aufragte.

Der viertausendfünfhundert Meter hohe Vulkan mit seinem Schneegipfel ist der höchste von den acht Virungabergen und wohl einer der gewaltigsten Vulkane der Erde überhaupt.

Am Aufstieg auf diesen Riesen wollten alle Weißen teilnehmen: zwanzig Träger und fünf Askaris sollten sie begleiten, darunter der starke Juku, der Sulu Parker, Hassan und Hamissi. Auch Amina und Tipekitanga beteiligten sich selbstverständlich an der Unternehmung, als treue Begleiterinnen ihrer Herrinnen.

Der größere Teil der Karawane sollte unterdessen unter Achmeds Führung ein Lager zwischen dem Karissimbi und dem Ninagongo beziehen.

Am ersten Tage des Aufstiegs durchschritten unsre Freunde den großen Bambusurwald, der den Karissimbi bis zu einer Höhe von dreitausend Metern bedeckt.

Das Fremdartige dieses eigentümlichen Waldes, das auf den Neuling einen ganz besonderen Reiz ausübt, ließ die Wanderer anfangs die Beschwerlichkeiten des Marsches kaum merken: bis zu siebzehn Meter Höhe treibt das Riesenrohr seine armsdicken Halme empor. Außer kleinen Farnen, einer Brennesselart und sonstigem krautartigen Niederwuchs wächst nichts auf dem tiefschwarzen Humusboden.

Die Bambushalme sind von der Wurzel an mit langen, lanzettförmigen Blättern bewachsen, die an der Krone so dicht stehen, daß kaum ein Sonnenstrahl hindurch dringen kann. So bleibt der Boden feucht und schlüpfrig, und es ist schwierig, darauf vorwärts zu kommen.

Das einförmige Bambusgehölz wurde bald allen so langweilig, daß sie aufatmeten, als sie gegen Abend sein Ende erreicht hatten.

Sie traten hinaus in einen lichten Wald, der seinesgleichen vielleicht nirgends anders hat, und auf die staunenden Bergsteiger einen ganz seltsamen Eindruck machte.

Dieser Wald bestand aus uralten Hagenien mit Stämmen von vier bis sechs Meter Umfang, Felsblöcken gleich, die in geringer Höhe weitausladende Riesenäste ausstreckten. Diese waren mit dicken Moospolstern bedeckt und lösten sich in lichtes Zweigwerk mit silbergrauhaarigen Fiederblättern auf. Das Unterholz bildeten hübsche Sträucher, namentlich eine Brombeerart mit Blüten gleich Heiderosen; der Niederwuchs aber bestand aus saftiggrünen weichkrautigen Stauden, die eine wahre Wildnis bildeten und von fern wie üppige Matten im frischesten Grün zwischen dem lichten Baumbestand durchschimmerten.

Nach mehrstündiger Nachtruhe wurde der Aufstieg durch diesen Hagenienwald fortgesetzt.

In einer Höhe von dreitausendvierhundert Metern gelangte man in die Senecioregion. Die Senecio Jonstonii erreichte hier die Höhe von zehn Metern und nahm die Form eines kandelaberartig reich verzweigten Baumes an; dazwischen mischten sich die Lobelien mit ihren Riesenschäften, gewaltigen Kanonenwischern gleich. Diese Schäfte waren bis zu fünfeinhalb Meter lang; hiervon entfiel beinahe die Hälfte auf die Blütenähre.

In den graugrünen Teppich der Alchemilla cinerea, die lückenlos fast den ganzen Bergkegel in dieser Gegend bedeckte, sank man bis an die Knie ein, so daß die Steigung sich äußerst anstrengend gestaltete.

So ging es noch tausend Meter hinauf, wobei die Bäume und Pflanzen immer kleiner wurden, bis schließlich nur noch Flechten und Moose zwischen Lavatrümmern, Schnee und Eiskristallen den Gipfel bedeckten.

Der Gipfel selber fand sich kraterlos: ein nackter Fels voll Schnee und Eis; der Krater befand sich südwärts unter dem Hauptkegel. Er heißt »Hans-Meyer-Krater« und ist mit Erikabäumen bewachsen.

Das Lager wurde am Brancakrater aufgeschlagen, der sich anderthalb Kilometer breit in die weite Hochebene einsenkt, die sich als langgestreckter Bergrücken an die Ostflanke des Karissimbi anlegt.

Am folgenden Tag marschierten die Bergsteiger quer durch die breite aber flache Mulde des Brancakraters. Keiner ahnte, wie bald ihnen hier ein schrecklicher Tod entgegengrinsen sollte!

Schulze wählte diesen Weg, um nicht den großen Umweg um den Spalt herum machen zu müssen.

Der Boden des Kraters ist ein einziges großes Moor, aus dessen Mitte ein kleiner Vulkankegel sich erhebt, dessen Wände nach innen steil abfallen und einen prächtigen, klaren Kratersee umschließen.

Es fanden sich noch einige, von niederen Hügeln eingefaßte Kraterseen im sonst völlig ebenen, schlammigen Boden der Riesenmulde.

Die Karawane befand sich in der Mitte des Moores, als sich urplötzlich der heitere Himmel verfinsterte; ein dichter Nebel erfüllte die Kratermulde und ein unerhörter Hagelschauer prasselte nieder. Die Temperatur sank in wenigen Augenblicken auf den Gefrierpunkt, und nun brach ein Schneesturm los, wie er selbst im hohen Norden nicht heftiger sein kann.

Kaum sahen die Träger den Schnee, als sie die Lasten abwarfen, sich auf den Boden legten und jammerten, sie müßten sterben!

Schulze, Leusohn und Hendrik erklärten ihnen vergebens, das Liegen im eisigen Sumpfwasser, ohne den Schutz von Bäumen, noch die Möglichkeit, ein Feuer zu entzünden, sei allein ihr sicheres Verderben. Stumpfsinnig erwiderten sie mit dem Fatalismus der Mohammedaner: » Amri ya mungu, es ist göttliche Fügung: wir müssen sterben!«

Nur die Askaris, sowie Juku, Parker und Hamissi erhoben sich, bereit, den Weißen zu folgen; namentlich der Mut der weißen Damen, sowie Aminas und der Zwergprinzessin beschämte sie.

Nun wurden zehn der verblendeten Träger mit Gewalt emporgerissen und von den Männern mit festem Griff gehalten, wenn nötig mit Püffen und Schlägen weiter getrieben.

So gelangte man, bis zu den Knien in Sumpf- und Schneewasser watend, an den Kraterrand, obgleich die vom Sturm gepeitschten Flocken die Richtung nicht erkennen ließen.

Im Schutz der Bäume, die sich hier fanden, errichtete man ein Lager und zündete mächtige Feuer an, während John und Hendrik mit Juku, Parker, Hassan und den übrigen Askaris sich noch einmal in den Krater zurückkämpften, um die sieben halberstarrten Unglücklichen zu holen, die zurückgeblieben waren.

Es war ein schweres Stück Arbeit, denn die Leute waren schon fast erfroren und mußten getragen oder geschleift werden, wobei den erschöpften Rettern öfters die Kräfte zu versagen drohten.

Endlich waren alle um die wärmenden Lagerfeuer gebettet, und ein Trank aus gewärmtem Schneewasser mit etwas Schnaps weckte vollends die Lebensgeister.

Dann wurde ein stärkendes Mahl bereitet, und als nach drei Stunden die Sonne wieder vom wolkenlosen Himmel schien, konnten auch die vom Schnee begrabenen Lasten aus dem unseligen Brancakrater geholt werden.

An einen Weitermarsch dachte jedoch für heute niemand mehr: man war froh, dem eisigen Tode entronnen zu sein und ein geschütztes Lager für die Nacht zu haben.

Am andern Tag konnte der Abstieg vollendet werden; er ging sehr rasch vonstatten, dank dem schlüpfrigen Erdreich im Bambuswalde, das beim Aufstieg so hinderlich war. Nun schnitt sich jeder einen Bergstock aus Bambusrohr und sauste gleich einem Skifahrer mit unheimlicher Geschwindigkeit die Berglehne hinab. Verlor dabei auch einer oder der andre der Träger seinen Ballen, so rollte dieser ihm doch selbständig nach, den steilen Abhang hinunter.

In der Ebene war es aber wieder der Lavaboden mit seinen scharfen Kanten und Spitzen, der dem Vormarsch verhängnisvoll wurde. Die Träger mit ihren nackten Füßen verwundeten sich vielfach an den Fußsohlen und blieben zum Teil weit zurück, so daß die Karawane sich ziemlich auseinanderzog und es Abend wurde, bis der letzte der Ermatteten das Lager erreichte, in dem Achmed und die Hauptkarawane seit den letzten Tagen auf die weißen Herren mit ihren Begleitern warteten.

Achmed, der wohl wußte, wie sehr sich der Professor für alle auffälligen oder seltenen Naturerscheinungen interessierte, namentlich wenn sie nach des Arabers Meinung völlig wertlos waren, kam gleich auf Schulze zu und sagte: »Oh, Abu Arba, fünf Schritte vom Lager ist eine merkwürdige Quelle: sie siedet und ist doch eiskalt!«

»Unsinn!« erklärte der Professor. »Wenn sie siedet, so hat sie eine Temperatur von hundert Grad, wenigstens annähernd so viel, wenn wir das Sieden richtigerweise als das Vorstadium des Kochens ansehen; dann aber ist sie so heiß, daß man sich die Finger darin verbrennt; ist sie aber eiskalt, wie du sagst, so kann sie unmöglich sieden. Mancher kann aber Siedhitze und Eiskälte nicht voneinander unterscheiden, weil beide ein ähnliches Gefühl auf der Haut erregen.«

»Die Rede des Weisen ist wie ein frischer Trunk für den Dürstenden,« sagte Achmed; »aber Allah ist groß und seine Allmacht schafft Wunder, die dem Weisesten verborgen sind: komm und siehe, so wirst du erkennen, daß ich wahr gesprochen habe.«

»Na, denn man zu!« sagte Schulze lachend und folgte dem Führer.

»Oho! Ein richtiger Sprudel, eine kohlensaure Quelle!« rief er entzückt, als er das Wasser mit den aufsteigenden Bläschen entdeckte. »He! Hamissi! Einen Krug und ein Glas!« schrie er ins Lager zurück und suchte inzwischen dem Araber zu erklären, wieso dies keine siedende Quelle sei, sondern eine kohlensaure.

Achmed aber beharrte darauf, daß ein Wasser, in dem solche Bläschen aufsteigen, bei allen Gläubigen »siedend« genannt werde. Wenn die Franken es »kohlensauer« hießen, so sei das ihr Recht; »denn,« sagte er, »die Schwalbe hat eine andre Sprache als die Nachtigall.«

Als jedoch Hamissi den Krug brachte und der Professor ihn aus der Quelle füllte, das Glas vollgoß und sich anschickte, das Wasser zu versuchen, warnte ihn Achmed ernstlich. »Allah schuf vieles zur Freude, zum Nutzen und Genuß der Menschen; aber Iblis, der Teufel, vergiftet das Gute zum Schaden und Verderben des Unkundigen. O Herr, trinke nicht von diesem Wasser, es scheint mir vom Teufel zu sein.«

Schulze lachte und nippte am Glas.

»Herrlich, köstlich, ausgezeichnet!« rief er und trank es nach dieser ersten Probe auf einen Zug aus, um gleich ein zweites folgen zu lassen. »Oh, wie schmeckt dieses quellfrische Labsal, nachdem ich seit Wochen nur gekochtes Flußwasser zu kosten bekam!«

Alsbald sandte er Hamissi ins nahe Lager, die übrigen Weißen herbeizurufen, und bald lagerten alle um die Quelle und ließen sich das kostbare Naß schmecken, das sie nicht gegen Sekt eingetauscht hätten.

Es dauerte lange, bis Achmed und die Neger sich entschlossen, ihr Mißtrauen gegen das verzauberte Wasser zu überwinden.

Hamissi als Koch war der erste, der sich herbeiließ, den Versuch zu wagen. Der Trunk mundete ihm so sehr, daß er laut jubelnd die Güte der Quelle lobte. Nach und nach kosteten auch die andern, und der Erfolg war, daß schließlich alle mit leeren Krügen und Flaschen herbeirannten, um aus der paradiesischen Quelle zu schöpfen.

Bei Einbruch der Nacht bot sich dem ganzen Lager ein Schauspiel von schauerlicher und doch erhabener Pracht.

Es wurde angekündigt durch ein seltsames Getöse, wie das Wogen einer entlegenen Meeresbrandung und das Grollen eines fernen Gewitters. Bald schwoll das Brausen an und ein klingendes Surren ließ sich dazwischen vernehmen.

Schwarze und Weiße traten vor die Zelte und Bambushütten des Lagers, um Ausschau zu halten, was diese niegehörten Töne bedeuteten.

Dort kamen sie her, wo im Nordwesten der Namlagira sein Riesenhaupt erhob; dichte weiße Dampfwolken entquollen dem Krater des Vulkans, gleich ungeheuren Blumenkohlköpfen ballten sie sich in der Höhe zusammen, um sich dann zu einer Pinie fächerförmig auszubreiten. Immer höher und höher wuchs die Rauchgarbe und bräunliche, düstere Dämpfe schossen von unten in die weißleuchtenden Wolken hinein.

Plötzlich blitzte es auf; eine rotgelbe Feuersäule, ein Strom von Glut brach aus dem Gipfel und stieg im Augenblick zu schwindelnder Höhe empor, glühende Schlacken vor sich her schleudernd, die bald nach allen Seiten hinausspritzten, als ob ein Strauß von vielen tausend Raketen losgelassen worden wäre.

Gleich darauf ging aus der Ausbruchwolke ein schwarzer Regen von Steinen und Asche nieder, von denen der Wind die feinsten Teile bis in das Lager der ehrfürchtig staunenden Beobachter wehte. Schulze schätzte die Höhe der Pinie auf neun Kilometer, die Breite ihrer Krone auf deren neunzehn.

Noch drei Feuerströme schossen nach kurzen Pausen mit donnerndem Krachen empor; ein furchtbares Getöse erschütterte die Luft, als wollte der Berg auseinanderbersten, zersprengt durch die Gewalt der Explosion.

Die hochgetürmten Dampfwolken glühten in ihren unteren Teilen in düsterem Rot, während sie oben, gleich gewaltigen Baumwolleballen, in schneeigem Weiß leuchteten, gemischt mit tiefschwarzen, wirbelnden Nebeln von Rauch und Asche.

Und immer wieder brach ein Goldfunkenregen aus diesen geheimnisvollen Schleiern; ein Anblick von schauriger Schönheit!

Nach einer Stunde nahm die Kraft der Ausbrüche ab, die Rauchwolke verblaßte und wurde immer kleiner, bläuliche und schwefelgelbe Glutdämpfe zuckten und züngelten gespensterhaft aus dem Krater empor, ein dumpfes, pochendes Geräusch, wie von tausend Hämmern in der Schmiede Vulkans, tönte aus der Tiefe.

Dann vernahm man nur noch ein fernes, gleichmäßiges Rauschen, wie das Wehen des Windes durch die Kronen der Pinienwälder, und endlich lag alles stumm und tot, den Namlagira verhüllten die undurchdringlichen Schleier der Nacht und friedlich funkelten die Sterne vom klaren Himmelszelt hernieder.

»Die Rinder des bösen Geistes brüllen im Berg und er schießt mit seiner Flinte aus der Tiefe heraus,« meinten die zitternden Schwarzen während des Ausbruchs; das war ihre Erklärung für das großartige Naturwunder, eine Erklärung, die sie den Watwazwergen verdankten.

Während der Hauptausbrüche war die Landschaft weithin derart erhellt, daß man die Instrumente und Chronometer ohne Laterne abzulesen vermochte; um so tiefer erschien nun die Schwärze der Nacht.

Hassan, der stolze Somali, der Blasiertheit heuchelte, auch wenn er von ganz neuen Wundern überrascht und erschreckt wurde, ging in das Lager zurück mit seiner gewöhnlichen, aber durchaus nicht angebrachten Redensart: »Gerade so, wie im Somalilande!« Und die Suaheli staunten den Mann an, der einem Lande entstammte, in dem die seltsamsten Schauspiele alltäglich zu sein schienen.

Der Ninagongo, der sich dem Lager im Westen zunächst befand, sollte nunmehr erstiegen werden.

Schulze und Hendrik wollten diese Leistung vollbringen und Helene und Sannah, die unermüdlich unternehmungslustigen Mädchen, schlossen sich ihnen an. Amina blieb diesmal zurück, aber Tipekitanga fand es selbstverständlich, daß sie die weißen Damen begleitete; denn was konnte ihnen nicht zustoßen, wenn die treue Zwergprinzessin mit ihrer besonnenen Umsicht und ihren unfehlbaren Pfeilen nicht über ihr Leben wachte!

Diesmal bat Achmed, mitgehen zu dürfen; er wollte als Befehlshaber der Askaris nicht weniger Mut zeigen als seine Untergebenen. Außerdem wurden noch fünf Träger mitgenommen, unter denen der starke Juku nicht fehlen durfte noch wollte.

Das Land um den Ninagongo herum und selbst der fruchtbare Lavaboden seiner untersten Hänge war ganz mit Feldern angebaut, dann aber begann ein dichtes Gebüsch, das beinahe undurchdringlich schien und nur langsames Vorwärtskommen gestattete.

Es folgte die Region des Knieholzes mit Sträuchern und Stauden; nur wenige Erikabäume ragten dazwischen etwas höher empor.

Hier wurde das erste Nachtlager gehalten.

Weiter oben begannen die üblichen Bestände von Senecio Johnstonii; während jedoch diese baumartige Pflanze anderwärts bis zu sechs Meter Höhe erreicht, begnügte sie sich hier mit zwei Metern.

Die zwanzig Zentimeter dicken Stämme dieses eigentümlichen Gewächses waren mehrfach gegabelt und in drei geteilt, so daß eine kandelaberartige, das heißt armleuchterförmige Krone entstand. An den Enden der kräftigen Zweige sproßten Büschel üppiger, frischgrüner, unten zottig behaarter Blätter, gleich Tabaksblättern. Die abgestorbenen, gebräunten Blätter hingen an den Zweigen herab und umhüllten sie wie ein dichtes Polster. Aus den Blattbüscheln schossen reiche, pyramidenförmige Rispen gelber Blütenköpfe meterhoch auf.

Zwischen diesen Bäumen schmückten kleine Strohblumen und reizende Erdorchideen mit dunkelrosenroten Blüten den Boden.

Der Gipfel selber bestand aus nackter, eisenharter Lava und Asche, die zu Tuffstein erhärtet war. Nur einige Flechten, Moose und Lebermoose wuchsen noch in den Spalten und Rissen.

Nördlich und südlich vom Hauptkegel fanden unsre Freunde zwei ältere, längst erloschene und bis oben überwachsene Krater.

Als unsre Bergsteiger vor dem letzten Aufstieg rasteten, wogte plötzlich ein dichter Nebel daher und hüllte sie mitsamt dem Berggipfel ein. Ein furchtbarer Hagelschlag prasselte nieder, so daß rasch die Zelttücher und Decken ausgepackt wurden und sich alle darunter verkrochen. Dann kam ein Schneesturm und zauberte die schönste Winterlandschaft hervor.

Nach einer halben Stunde jedoch strahlte der Himmel wieder in wolkenlosem Blau und die Sonne erwärmte die erstarrten Glieder.

Ein Imbiß wurde eingenommen und dann der Gipfel vollends erstiegen.

Die Dünne der Luft und die Steilheit der glatten Wände erschwerte diese letzte Anstrengung, und mit keuchendem Atem und starkem Herzklopfen langte die kleine Gesellschaft endlich oben an.

Aber hier fand sie alle Mühe reichlich gelohnt: die Riesenarena eines gigantischen Amphitheaters öffnete sich vor ihren staunenden Blicken, ein nahezu kreisrunder Krater mit steil abfallenden Innenwänden, der den ganzen Gipfel des Berges einnahm und einen überwältigenden Eindruck machte.

»Das ist der Graf-Götzen-Krater,« erklärte der Professor. »Er ist seinem Entdecker zu Ehren so genannt worden. Sein Durchmesser beträgt nicht weniger als eintausendzweihunderteinundfünfzig Meter und seine Tiefe deren hundertfünfundfünfzig. Graf Götzen sah hier ein herrliches Schauspiel rotschimmernder Dämpfe dem Boden entquellen. Seither ist aber die Glut erloschen.«

Der Grund des Kraters bestand aus völlig ebenem Lavaboden, in dessen Mitte zwei große, steilwandige Ausbruchsschlote gähnten, die nach Schulzes Angaben vierhundertneunundfünfzig und dreihundertsechsunddreißig Meter im Durchmesser hatten. Sie lagen dicht beieinander, durch eine kleine Scharte verbunden, und bildeten so einen ungeheuren, etwas plattgedrückten Achter.

Hier haust nach Aussage der Batwa der Berggeist Gongo, der oberste aller Geister, zu dem die Seelen der Verstorbenen gehen. Er weist ihnen ihren dauernden Wohnsitz in einem der Vulkane an.

Neben ihm wohnt der Geist Liangombe mit seiner Mutter Nina Liangombe, seinem Vater Bawinga und seinem Großvater Njundo. Liangombe beaufsichtigt die Seelen der Bösen, fesselt und prügelt sie. Namlagira und Mikeno sind Söhne des Gongo.

Hendrik wollte sein Gewehr abfeuern; doch Achmed warnte ihn ernstlich, die Rache des Berggeistes nicht herauszufordern.

Die Weißen lachten den abergläubischen Araber aus und schossen ihre vier Büchsen gleichzeitig ab. Das Echo war großartig: der Knall brach sich tausendfach an den Felswänden und schien ohne Unterbrechung die Kraterwand entlang zu rasen, ohne einen Ausweg finden zu können.

In der Folge aber sagte Achmed bei jedem Unfall, der die Karawane betraf, mit düsterer Miene: »Das ist die Rache des Berggeists Gongo!«

In der Nähe des erloschenen Nordkraters wurde die zweite Nacht verbracht; dann wurde der Abstieg nach Nordosten ausgeführt und abends der Kana Maharege erreicht, bei dem die Karawane lagerte.

Der Kana Maharege ist ein kleiner Vulkankegel, der sich infolge eines Ausbruchs des Namlagira im Jahre 1905 gebildet hat.

Schulze erklärte den sonderbaren Namen seinen Gefährten, indem er sagte: »Kana Maharege bedeutet: ›Der Herr, der Bohnen liebt‹; denn die Wanjaruanda sagen statt Bwana oder Bana ›Kana‹. ›Herr Bohne‹, so nannten die Eingeborenen den Leutnant Pfeiffer, der später bei einer Elefantenjagd verunglückte. Nun behaupten die Batwa, der Geist des Toten sei in den Hügel gefahren, der plötzlich unter dem Donner und Feuer der Tiefe aus dem ebenen Erdboden emporwuchs.«

Zahllose große Lavablöcke, zertrümmertes, scharfkantiges Gestein und ein mächtiger erstarrter Lavastrom voll umgestürzter und verkohlter Baumstämme gaben der Gegend ein wildes Aussehen. Der Boden dampfte noch an vielen Stellen und einen seltsamen Anblick gewährte die Buntfärbung zahlreicher Lavatrümmer, die aus Verwitterungsvorgängen zu erklären ist; da waren kreideweiße, ziegelrote und braune Brocken, als sei die schwarzgraue Lava aus einem Tuschkasten überkleckst worden.

Den Abschluß und die Krone der Erforschung des Vulkangebietes sollte die Besteigung des noch tätigen Namlagira bilden.

An ihr wollten sich noch einmal alle Weißen beteiligen; doch machte es Schwierigkeiten, schwarze Träger für das Wagnis zu finden; die Neger scheuten diesen feuerspeienden Berg ganz besonders, nachdem sie jüngst die Gewalt seines Ausbruchs geschaut hatten.

Nur die Mutigsten ließen sich mit Mühe zum Aufstieg bewegen. Amina und Tipekitanga freilich waren sofort bereit; auch Hassan und Hamissi, Juku und Parker entschlossen sich bald. Im übrigen aber mußten zehn Träger ausgewählt und mit aller Strenge zur Begleitung befohlen werden.

Voller Furcht und banger Ahnungen ergaben sie sich in ihr Schicksal. Hätten sie aber gewußt, was ihrer droben wartete, keine Macht der Welt hätte sie hinaufgebracht!

Zunächst ging es über ein Lavatrümmerfeld. Alle waren mit langen Bambusbergstöcken versehen, und oft mußten kühne Sprünge von einer Scholle zur andern über breite Spalten hinweg gewagt werden. Dann warfen die Träger allemal ihre Ballen voraus auf den nächsten Block.

Im allgemeinen zeigten sie sich sehr geschickt bei diesen Würfen; manchmal freilich kollerte ein Gepäckstück hinab und mußte dann in mühsamer Kletterei aus der Tiefe geholt werden.

Beim weiteren Aufstieg zeigte die Lava oft messerscharfe Kanten, die das Leder der Schuhe durchschnitten; zuweilen war sie im Gegenteil so löcherig, und bröckelig, daß sie einbrach und Stürze verursachte.

Eine weißliche Flechtenart gab dem Berghang das Ansehen eines Gletschers. Eine Kette von achtzehn dicht aneinandergereihten Schlackenkratern stieg gleich einer Perlenschnur an der Südflanke hinauf.

Aus einem jungen, steilwandigen Ausbruchsschlot stiegen scharfe, schweflige, weiße Dämpfe aus und wurden von den Trägern mit großem Mißtrauen beobachtet.

Es folgte eine Buschregion, durch die mit der Axt ein Weg gebahnt werden mußte. Viele Elefantenfährten zeigten sich bis zur Höhe von zweitausendsiebenhundert Metern, wo der Pflanzenwuchs nackter Lava Platz machte.

Die Steigung war mäßig und dieser letzte Teil wurde in zwei Stunden bewältigt.

Auch diejenigen unsrer Freunde, die schon den überwältigenden Anblick des Graf-Götzen-Kraters genossen hatten, waren überrascht, als sie die ungeheuren Größenverhältnisse des Namlagirakraters zu Gesicht bekamen.

»Nein! Ist das ein Loch!« rief Helene, als sie in die zwei Kilometer weite Öffnung mit ihren steilen Wandungen hinabblickte.

Rundherum im Krater lief eine Art Terrasse, von der aus ein Vorsprung von Osten nach der Mitte zu lief. Die Terrasse wiederum fiel in schroffen Wänden zum eigentlichen Kraterboden ab. Dieser war so eben wie der Grund des Graf-Götzen-Kraters, dampfte aber aus vielen schwefelgelb und kreideweiß gefärbten Spalten und Ritzen.

Asche und Schlacken bedeckten zum Teil die Terrasse und den Kratergrund.

Unsre Freunde faßten den kühnen Entschluß, einen Abstieg in den Krater zu wagen, um einen Blick in seine tiefsten Tiefen zu tun, eine Tollkühnheit, die ihnen verhängnisvoll werden sollte.

Die Träger, die bis auf einige mitgenommene Lebensmittel das Gepäck auf dem letzten Lagerplatz zurückgelassen hatten, waren nicht zu bewegen, an dem waghalsigen Unternehmen sich zu beteiligen.

»Laßt sie doch!« rief die Zwergprinzessin. »Ihr seht doch, es sind keine Männer darunter; lauter Weiber und Kinder sind es! Die Frauen der Msungi haben Mut, aber die Suaheli und Somali sind furchtsame Ziegen und wagen sich nicht an den Rand eines Mauslochs, aus Angst, es könnte ein Leopard darin verborgen sein.«

»Ja, der Rauch einer Pfeife könnte sie in die Flucht jagen,« spottete Amina ihrerseits, »denn sie ist ein kleiner Vulkan und wirft Asche und Funken aus wie der Namlagira.«

Dieser Hohn der schwarzen Mädchen weckte den Trotz der Neger. »Furcht?« rief Juku. »Nein! Furcht kennen wir nicht. Nur die Sorge um unsre weißen Herren und die Fräulein ließ uns von dem Wagnis abmahnen; aber wenn sie dennoch hinabsteigen, wer will dahinten bleiben? Sprecht, Pagasi und Askaris, wer hat Angst?«

Es meldete sich keiner, und somit folgten alle mit heimlichem Beben den Weißen an der einzigen zugänglichen Stelle in die gefährliche Tiefe. Diese Stelle war eine Scharte, die den steilen Kraterrand durchschnitt: im übrigen war die Felsmauer ringsumher so hoch und schroff, daß sie keine Abstiegsmöglichkeit gewährte.

Als sich die Gesellschaft mitten im Krater befand, nur noch wenige Schritte von einem der dampfenden Schlünde entfernt, senkte sich plötzlich ein dichter Nebel auf sie herab, so daß nichts mehr zu sehen war, und ein feiner Sprühregen begann, sie zu durchnässen.

Das war eine schlimme Sache! Die Träger wollten sich schleunigst zur Flucht wenden, da donnerte ihnen Flitmores Stimme entgegen. »Halt!« rief der Lord, »keinen Schritt weiter! Hier müssen wir lagern und warten, bis das Wetter sich aufhellt, und wenn es zwei Tage dauern sollte.«

»Der Lord hat recht,« sagte Schulze. »Ein einziger Fehltritt kann jeden von uns in die grundlosen Schlünde stürzen lassen. Dann sind wir verloren und verbrennen in den Gluten der Tiefe zu Asche.«

»Und gelänge es allen, die unheimlich gähnenden Abgründe zu vermeiden,« fügte Hendrik hinzu, »so würden wir uns doch verirren und im dichten Nebel auseinandergeraten; darum müssen wir hier beieinander bleiben. Wer vermöchte in blindem Umherirren jemals die Scharte der Kraterwand zu finden, die den einzigen Ausweg bietet?«

Alle lagerten sich auf dem heißen Boden und verharrten eine Stunde lang in dumpfem Schweigen.

Da! Was war das?

Ein fernes Rollen ließ sich unter dem Boden vernehmen, ein leises unterirdisches Donnern.

»Gott sei uns gnädig!« rief Schulze, dem der kalte Angstschweiß aus die Stirne trat. »Ein Ausbruch bereitet sich vor! Jetzt gilt es zu fliehen auf Tod und Leben!«

Immer gewaltiger schwoll das Donnergrollen an; der Boden begann zu schlittern und zu schwanken.

»Es halte sich einer am andern!« rief Leusohn. »Ich gehe voran!«

Die Schwarzen hatten den Kopf völlig verloren; sie heulten vor Angst und schrien: »Warum habt ihr den Scheitan im Berg beleidigt, da ihr seine Behausung betratet? Das ist die Rache des Gongo! O weh! Wir müssen alle sterben!«

Sie waren bereit, sich wieder zu Boden zu legen und das unabwendbare gräßliche Schicksal abzuwarten; nur Hassan, Hamissi, Juku und Parker zeigten sich vernünftig, wie vornweg Amina und die kleine Prinzessin.

So gelang es, die verstörten Träger in die Reihe zu nehmen, und einer hinter dem andern folgte die ganze Gesellschaft dem voranschreitenden Doktor.

Es war die höchste Zeit, wenn es nicht schon zu spät war, denn bereits stürzte ein Hagel von Lapillis herab, die zum Teil glühten und Löcher in die Kleider der Europäer brannten, den Schwarzen aber die Haut versengten.

Die herniederregnende Asche vermehrte noch die herrschende Finsternis, und es war unmöglich, sich zurechtzufinden; das Schlimmste aber waren die aufsteigenden vulkanischen Dämpfe, die den Atem benahmen und sich schwer auf die Brust legten. Keuchend und mit stürmischem Herzklopfen, nach Atem ringend und nach Lust schnappend, stürzten die Ärmsten Leusohn nach.

Es war gewiß edel vom Doktor, daß er die Führung übernommen harte; denn er wagte dabei als erster sein Leben; wie leicht konnte er in einen Spalt, in ein offenes Höllenloch stürzen. Verhängnisvoll aber für alle mußte es werden, daß Leusohn, der mit hämmernden Schläfen dahinstürmte, seine klare Überlegung vollständig verloren hatte unter dem Einfluß des Schreckens und der giftigen Dünste.

Planlos irrte er umher; immer wieder stieß er an die unersteiglichen Kraterwände und schlug dann wieder eine andre Richtung ein, sich schließlich im Kreise bewegend.

Flitmore erkannte bald die Sachlage.

»Doktor!« rief er. »Ich will vorangehen.« Und alsbald begab er sich an die Spitze.

Kaltblütig tastete sich der Lord an der Kraterwand hin; nur so konnte mit Sicherheit die Scharte gefunden werden, die den einzigen Ausgang aus der Mausefalle bildete.

Aber wer konnte wissen, wo sie lag? Vielleicht bewegte man sich gerade von ihr weg und mußte den ganzen Krater umwandern, bis man zu ihr gelangte: sechs Kilometer vielleicht hatte man dann zurückzulegen, und doch konnte man kaum mehr einen Kilometer machen, ehe man erstickte oder vom brodelnden Verderben ereilt wurde!

Schon lohten rote Feuergarben auf, und nun ließ sich ein entsetzliches Wallen und Kochen vernehmen: zischend entquoll die flüssige Lava den Schlünden; feurige Gluten, auf denen bläuliche und gelbliche Flammen züngelten, wälzten sich heran; bald würden sie den ganzen Kraterkessel erfüllen und in wenigen Sekunden die armseligen Menschlein verschlingen und zu nichts verbrennen!

»Hier ist der Ausgang!« sagte Flitmore ruhig.

Wahrhaftig! Zur Eile brauchte er nicht zu mahnen; mit der letzten Kraft stürzten alle hinaus und rannten noch einige Schritte zur Seite, dann brachen sie zusammen.

Nur der Lord hatte noch Atem; seine Seelenruhe hatte keine Kraftvergeudung aufkommen lassen wie die verzehrende Erregung der andern. Er setzte sich zu den erschöpft Umherliegenden und Tipekitanga, die noch weniger angegriffen erschien als der Engländer, stand da, auf ihren Bogen gestützt, und schaute der Lava zu, die nun verheerend aus der Scharte brach, die soeben noch den Bedrängten den letzten Rettungsweg geboten hatte.

Ein glühender Strom ergoß sich an den Flanken des Namlagira hinab, alles verzehrend, was ihm im Wege stand. Schon flammten weiter unten die Bäume und Büsche auf, wie Riesenfackeln.

Bald wurde die Hitze unerträglich für die Menschen, die sich noch in allzu großer Nähe des zähen Glutstroms befanden, und es bedurfte kaum der Mahnung des Lords, um sie wieder auf die Beine zu bringen.

In kurzer Zeit war der Lagerplatz erreicht, wo man sich rasch durch ein kleines Mahl stärkte. Dann nahmen die Träger ihr Gepäck auf, und im Sturmschritt ging es den Berg hinab; denn wer konnte wissen, was der heimtückische Vulkan noch im Sinne hatte?

Die zurückgebliebene Karawane war inzwischen südwärts marschiert und lagerte im Westen des Ninagongo, wie Schulze es angeordnet hatte. Hier drohte keine unmittelbare Gefahr.

Es war tiefe Nacht, als unsre geheitzten Freunde das Lager erreichten. Sie hatten mit diesem Gewaltmarsch nach all den Schrecken und Anstrengungen wahrhaft Übermenschliches geleistet, und doch ließ sie jetzt die große Nervenüberreizung die Erschöpfung nicht spüren; ja, die Schwarzen lachten und tanzten gar in der kindlichen Freude über die überstandene Lebensgefahr. Sie verspotteten einander gegenseitig mit ihrer Furcht vor dem Scheitan und dem Gongo, dem Teufel und dem Berggeist.

Jetzt wollte keiner es gewesen sein, der die mindeste Angst gehabt hätte; aber die andern, ja die andern!

Hassan, der Somali, sagte mit Würde: »Dazu sind wir doch viel zu ›amende‹, das heißt ›aufgeklärt‹«, und fügte hinzu: »Es war ganz wie im Somaliland!«

Der Namlagira entfaltete inzwischen eine gesteigerte Tätigkeit; es erfolgte jetzt ein Ausbruch, den wohl keiner lebendig überstanden haben würde, der sich noch in seinem unmittelbaren Bereiche befunden hätte.

Weithin war der Nachthimmel in rote Glut getaucht; ein gewaltiger Donner erscholl vom tobenden Krater her, und mächtige Garben glühenden Gesteins sprühten in die Luft.

Viele Kilometer weit wurden die rasch erkaltenden Steinbrocken geschleudert und manch einer erreichte das Lager, glücklicherweise ohne Schaden anzurichten.


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