Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

24. In der Gefangenschaft.

Schulze und Lord Flitmore waren, wie wir wissen, nebst Johann Rieger, Achmed und zwei Askaris in einer höchst ungemütlichen und lebensgefährlichen Lage, da ihnen mit scharfen Speeren um die Nase gefuchtelt wurde und auf gespannten Bogen Pfeile auf sie gerichtet waren.

Es wäre ihnen wohl auch bald an den Kragen gegangen, wenn nicht Antari »der Löwe,« der König von Utongwe, in Person erschienen wäre und Befehle in bezug auf die Gefangenen gegeben hätte.

Danach wurden ihnen zunächst die Arme auf den Rücken gebunden mit zähen Baststricken, die schmerzhaft die Handgelenke einschnürten.

»Wozu seid ihr gekommen?« fragte Antari seine Gefangenen.

Schulze erwiderte: »Großmächtiger Löwe aller schurkischen Watongwe, wir sind an deinen räuberischen Küsten nur aus Not an Land gegangen, weil unsere Ruderer ermüdet waren, und wir hätten euer ungastliches Gebiet sofort wieder verlassen, hättet ihr uns nicht unsere Kanus geraubt.«

»Eure Boote nahmen wir als Pfand, um den Hongo zu erhalten, den ihr mir schuldet. Nun sind deine Begleiter entwichen, ohne Hongo zu zahlen. Sobald der Sturm sich gelegt hat, werden wir ihnen nachsetzen und sie vernichten und uns die Abgabe selber holen, alles was ihr besitzt, falls nicht der Wind und die Wellen eure Boote zuvor verschlungen haben.«

Damit wandte er sich ab und ließ die Gefangenen ins Dorf schleppen, wo sie in einer elenden Hütte untergebracht wurden.

Um die Hütte herum erhob sich bald ein Höllenlärm: die Wilden verteilten die im Boote gefundene Beute. Nur die Gewehre legten sie ängstlich in die Hütte, nachdem eines derselben durch die leichtfertige Handhabung eines Negers losgegangen war, und die Kugel einem anderen die Hand durchlöchert hatte.

Dann kamen Weiber in die Hütte, darunter einige ganz hübsche; die begannen die Gefesselten regelrecht zu verhöhnen, indem sie sagten: »Jetzt brauchen wir nicht mehr Wasser zu tragen, Holz zu hacken und Korn zu stampfen: das ist nun euer Geschäft!« und dergleichen Spottreden mehr.

Als die Weiber genug gehöhnt und die Hütte verlassen hatten, kamen wieder einige Männer und sahen, was es bei den Weißen etwa weiter zu rauben gebe.

Einem der Wilden stachen Flitmores feine Schnürstiefel in die Augen, und er zog ihm die Stiefel einfach aus.

Damit war es für heute genug und die Gefangenen konnten sich, nachdem man ihnen etwas Speise in den Mund geschoben hatte, um nicht ihre Arme zu entfesseln, sich einer, wenn auch nicht ungestörten Nachtruhe hingeben.

Am nächsten Morgen ging ein furchtbares Gewitter mit Hagel nieder, und Schulze dachte mit Besorgnis daran, wie es wohl den Freunden auf dem See bei dem rasenden Orkan ergehen möchte, falls sie keine sichere Zuflucht gefunden hätten?

Dann kamen einige Wilde und befahlen den Gefangenen, aufzustehen: sie müßten vor dem König erscheinen.

Während die anderen folgten, blieb Flitmore ruhig sitzen.

»Wie soll ich aufstehen und gehen? Ihr habt mir ja gestern die Haut von den Füßen gezogen: wir Weiße können nicht gehen ohne die Haut an unseren Füßen,« behauptete der edle Lord.

Die Wilden rissen die Augen weit auf, als sie erfuhren, daß die Weißen eine Abziehhaut an den Füßen besaßen. Sie befühlten des Engländers Strümpfe und mochten meinen, das sei allerdings das bloßgelegte Fleisch der Weißen, wenn auch ein höchst sonderbares Fleisch.

Hierauf beschafften sie die Schnürstiefel und mühten sich vergeblich ab, sie dem Lord an die Füße zu ziehen, denn er erschwerte es ihnen mit Absicht.

»Ihr könnt mir meine Haut nicht wieder anziehen: bindet mir die Arme los!« befahl Flitmore.

Die Schwarzen gehorchten und wunderten sich, mit welcher Leichtigkeit und Eleganz der Engländer seine Haut wieder über die Füße brachte.

Gedankenlos und leichtsinnig, wie die Neger sind, vergaßen sie es, dem Gefangenen die Hände wieder zu fesseln.

Vor den König gebracht, beantworteten die Europäer noch einige müßige Fragen desselben, worauf dieser kaltblütig Befehl gab, die Gefangenen zu verbrennen.

Die Hütten der Eingeborenen waren meist auf hohen Pfählen angelegt und Leitern führten zu ihnen hinauf.

Vor einer Hütte auf solch einem Pfahlgerüst standen Antaris Frauen, um von oben herab dem grausamen Schauspiel zuzusehen. Denn auf den Pfählen befand sich zunächst eine breite Plattform aus Bambusstäben, in deren Mitte die Hütte errichtet war, so daß rings herum ein freier Platz verblieb.

Als nun die Wilden mit brennenden Fackeln herbeikamen, die sie unter tollen Sprüngen hin- und herschwangen, kam einer der Leiter des erwähnten Baus zu nahe und sie ging in Flammen auf.

Das Feuer ergriff die Bambusplattform und die Weiber, drei an der Zahl, rannten sinnlos vor Angst und mit gellenden Hilferufen am Rande derselben hin.

Sie wagten nicht, aus der bedeutenden Höhe herabzuspringen und wären wohl auch kaum lebend unten angekommen.

Da das Feuer rasch um sich griff, war kein Zweifel, daß sie nun selber das Schauspiel des lebendig Verbranntwerdens bieten würden, an dem sie sich in grausamer Lust zu weiden gedacht hatten.

Niemand kam der Gedanke, einen lebensgefährlichen Rettungsversuch zu machen, außer dem weißen Lord.

Er war ja ungefesselt und so eilte er, sobald das Unglück geschehen war, auf die Hütte zu, kletterte mit unglaublicher Gewandtheit an einem der äußeren Stützpfähle empor, erfaßte eine der Frauen und trug sie herab.

Noch ein zweites und drittesmal klomm er hinauf und brachte auch die beiden anderen in Sicherheit.

Das drittemal freilich stand schon der ganze dürre Bau in Flammen und er trug mehrere Brandwunden davon, als er das schwarze, vor Schmerz und Todesangst brüllende Weib den Flammen entriß.

Zwei waren gerettet, die dritte aber war schon so verbrannt, daß sie nach zwei Stunden unter gräßlichen Schmerzen und ununterbrochenem Schreien den Geist aufgab.

Die Wilden waren völlig starr, als sie sahen, daß ein von ihnen einem martervollen Tode geweihter Weißer den Frauen seines Todfeindes unter eigener Lebensgefahr zu Hilfe kam.

Antari war durch diesen Vorfall derart aus der Fassung geraten, daß er Befehl gab, die Gefangenen vorläufig wieder in die zu ebener Erde gelegene Hütte zurückzubringen, in der sie die Nacht verbracht hatten.

Vor Tagesanbruch zog die Flotte der Watongwe aus, da ein auf Kundschaft ausgesandtes Kanu die Nachricht vom Landen der Weißen auf der Insel gebracht hatte.

Antari, ob er gleich der »Löwe« hieß, ging nicht mit in den Kampf, sondern zog es vor, sich einen tüchtigen Rausch zu trinken in der Vorfreude über den zweifellosen Sieg.

Dagegen waren fast alle Männer des Dorfes fort und Flitmore erwog den Gedanken der Flucht.

Die Fesseln seiner Mitgefangenen hatte er bereits gelöst, und da sämtliche Gewehre noch in der Hütte lagen, durften sie wohl sicher sein, mit Leichtigkeit zu entkommen: denn den Abzug der Männer hatten sie wohl beobachtet und die Weiber würden sie nicht zurückhalten können, nachdem sie die paar Wächter an der Hütte überwältigt haben würden.

Aber die Frage war, wo ein Kanu finden? Denn nur mit einem solchen konnten sie wirklich Rettung finden und hoffen, sich mit den Freunden zu vereinigen, während sie, auf sich selber angewiesen und von allen Mitteln entblößt, sich zu Lande niemals durch die Wildnis hätten schlagen können.

Da war guter Rat teuer.

Auf einmal zur Mittagszeit trat eine weibliche Gestalt in das Zelt.

Es war eine der von Flitmore dem Flammentode entrissenen Frauen.

Sie wandte sich an den Lord und sagte mit gedämpfter Stimme: »Gestern hatte ich mich gefreut, zuzusehen, wie ihr verbrannt würdet; aber als das Feuer mich bedrohte, da war es aus mit meiner Freude und ich dachte: es ist ein schrecklicher Tod. Die Weißen sind gut, sie hätten sich auch freuen können, die Weiber ihrer Feinde brennen zu sehen, aber sie haben ein schönes Herz, das am Schrecklichen keine Freude hat, auch wenn es ihren Feinden widerfährt.

»Da hat mir mein Herz gesagt: du bist schlecht, aber der weiße Mann ist gut, du darfst ihn und seine Freunde nicht töten lassen. Antari hat Pombe getrunken, viel Pombe; er ist wie ein toter Löwe. Den Wächtern habe ich Pombe gebracht, sehr große Krüge: es hat sie alle besiegt; die Frauen und Kinder halten ihr Mahl, folget mir schnell und leise, es ist die beste Zeit.«

Das war unverhoffte Schicksalsgunst: wer von ihnen hätte an die Dankbarkeit einer Wilden gedacht?

Die junge Frau führte sie unbemerkt zum Dorf hinaus in das nicht ferne Papyrusdickicht, wo sie ihnen ein Boot am Flußufer zeigte.

Nun verloren die Geretteten keine Zeit, ruderten den Fluß hinab und dann auf den See hinaus, der Insel zu, die schon vorgestern ihr Ziel gewesen war und von der ihnen die junge Häuptlingsfrau berichtet hatte, ihre Freunde seien dort an Land gegangen, und die ganze Utongweflotte sei ausgelaufen, sie dort zu vernichten.

Das Weib hatte dies als Warnung erzählt, damit sie ja die gefährliche Insel meiden sollten. Sie aber dachten natürlich nur, die Freunde aufzusuchen, vielleicht ihnen zu Hilfe zu kommen.

Sehr verdächtig war es ihnen, daß sie von der großen Flotte nichts sahen und auch kein Schießen mehr vernahmen, nachdem sie anfangs ferne Gewehrsalven gehört hatten.

Sollte der Kampf zu Ende sein und gar einen schlimmen Ausgang für ihre Genossen genommen haben?

Voll banger Ahnungen beschlossen sie, vorsichtig die Insel zu umrudern, um auszuspähen, ob sie irgendwo von der Sachlage etwas zu entdecken vermöchten.

Ein Glück war es, daß sie sich zunächst zur Linken wandten, der Südseite des Eilandes zu; denn nun erblickten sie alsbald die soeben dort auslaufende Flotte.

Im ersten Augenblick erschraken sie zwar bei dem Anblick der zahlreichen Boote und glaubten, die Feinde vor sich zu haben.

Gleich darauf aber erkannten sie, daß es die Ihrigen waren und mit lauten Rufen der Freude steuerten sie auf Leusohns Kanu zu.

Brausender Jubel empfing die Totgeglaubten, nicht nur von seiten der Weißen, nein, auch die Schwarzen freuten sich wie die Kinder, sie wieder lebend vor sich zu sehen.

Schulze stieg zu Leusohn und Helene hinüber, Flitmore mit Johann zu Hendrik und Sannah, denn es drängte sie, zu hören, was die Gefährten inzwischen erlebt hatten, so wie es diese verlangte, von den Abenteuern der Wiedergefundenen zu vernehmen.

Die beiden Boote der Weißen hielten dicht nebeneinander, so daß man sich auch vom einen zum anderen hinüber verständigen konnte.

Als Schulze von Hendriks Taten vernahm, rief er diesem erstaunt zu: »Wie? Das soll wahr sein? Diese ganze Flotte haben Sie erobert und den Feind seiner sämtlichen Fahrzeuge beraubt?«

Hendrik inzwischen erzählte dem Lord von Leusohns Taten und dieser geriet darüber ebenfalls in so hohe Verwunderung und Bewunderung, daß er seine gewöhnliche Einsilbigkeit vergaß und hinüberrief: »Was? Mit so verschwindenden Verlusten haben Sie sechs Stunden lang einer so gewaltigen Übermacht die Stirne geboten? Sie sind ein Feldherr, Doktor! Meine Hochachtung!«

Schulze seinerseits berichtete von des Lords edler Handlung, der sie zunächst ihre Rettung verdankten.

»Lord Flitmore,« rief nun Leusohn diesem zu: »Sie sind ein Christ!«

»Ich wünsche es zu sein,« erwiderte der Engländer; »denn mit Recht so genannt werden zu können, halte ich allerdings für den höchsten Ehrentitel, der einem zuteil werden kann.«

Da unsere Freunde von der Ostküste des Tanganjika vorerst genug hatten, fuhren sie nun nach Westen dem wunderlichen Felsenufer zu mit seinen so seltsamen Gebilden.

Ihr Nachtquartier suchten sie auf der kleinen Insel Kasenge, in deren Mitte sich ein grasbewachsener Bergkegel erhebt.

Dort fanden sich zahlreiche Melonenbäume, Granatäpfel, Zitronen- und Limonenbäume, die seinerzeit von den Arabern hier gepflanzt worden sind.

Unter den Trägern und Askaris waren bald auch die Schicksale der Gefangenen bekannt geworden: die beiden Somalis, die mitgefangen gewesen waren, wußten Wunderdinge von Lord Flitmores Schnürstiefeln und seiner aufopfernden Tat zu erzählen.

So kam es, daß die Bootsleute am anderen Morgen schon einen Gesang anzustimmen wußten auf die Gefangenschaft Schulzes und Flitmores, der also anhub:

»Die Watongwe sind wahrhaft frech:
Sie nahmen gefangen Lor Litmor,
Dazu den Bwana Bawessa
Und fesselten ihnen die Arme
Ganz nach europäischer Sitte.«

Vor allem aber besangen sie in begeisterten Versen die Taten Bwana Hendriks, der eine feindliche Flotte durch List eroberte.

»Sie fluchten uns: ›Geht und ertrinkt im See,‹
Nun sind sie im Njansa gefangen,
Sie schimpfen und fluchen: ›O weh uns, o weh!‹
Und kriechen am Boden wie Schlangen.
Bwana Hendrik hat ihre Boote versenkt,
Bwana Hendrik hat uns zum Sieg gelenkt:
Jetzt lachen wir, wenn sie fluchen:
Sie werden's nicht wieder versuchen!«

Und der Chor der Schwarzen sang jubelnd die zweite Hälfte des Verses mit, die sich als Kehrreim bei jedem Verse wiederholte.


 << zurück weiter >>