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20. Die geraubten Kanus.

Negerstämme an der Ostküste des Tanganjika, zum Teil noch dem Kannibalismus ergeben, nahmen oft eine drohende Haltung ein und näherten sich mit ihren Kanus in bedenklicher Weise der kleinen Flotte.

Da verhältnismäßige Windstille herrschte, wurde wieder bei Tag gefahren; als nun unsre Freunde gegen Abend an der Küste anlegen wollten, zeigte es sich, daß diese hier von Flußpferden wimmelte, die ebenfalls äußerst angriffslustig waren.

Es war umsonst, daß einige der Dickhäuter durch wohlgezielte Schüsse schwer verwundet und getötet wurden, sie stürzten sich geradezu auf die Boote, die einem solchen Angriff nicht gewachsen waren, und schleunigst die Flucht ergreifen mußten.

Es half nichts, es mußte noch weiter nordwärts gerudert werden, und bei einbrechender Dunkelheit erreichten die Kanus eine Bucht, in der sich keine Flußpferde aufhielten.

Der Professor wäre gern an dieser Küste vorbeigefahren, denn er wußte, wie verrufen gerade der Strand von Utongwe, zu dem die Bucht gehörte, wegen der Raublust seiner Bewohner war. Aber die Leute waren zu sehr ermüdet, um weiterrudern zu können, und so mußte er notgedrungen die Landung anordnen.

Sehr überrascht war Schulze, als sich bald zahlreiche Eingeborene, anscheinend ganz friedlich, näherten und viele Lebensmittel zum Verkauf anboten. Er glaubte schon, die deutsche Schutzherrschaft habe diese Wilden gebändigt und ahnte nicht, welche Hinterlist sich hinter dem harmlosen Gebaren versteckte.

Die Watongwe brachten vor allem viel süßen Maramba, das ist Bananenwein, zum Verkauf und forderten Träger und Askaris auf, mit ihnen auf gute Freundschaft zu trinken, was diese sich nicht zweimal sagen ließen.

Flitmore warnte Schulze, die Leute so viel trinken zu lassen; aber dieser erwiderte sorglos: »Ach was! gönnen wir ihnen das Vergnügen; da die Eingeborenen sich so überraschend freundlich zeigen, droht keine Gefahr, und morgen haben die Zecher ihre Räusche ausgeschlafen.«

Allein dieses gute Zutrauen sollte zum Verhängnis werden, am andern Morgen fand es sich, daß sämtliche Kanus verschwunden waren, und die beiden Wächter, die zweifellos infolge des reichlichen Weingenusses eingeschlafen waren, lagen, von Lanzenstichen durchbohrt, tot im Schilf.

Nun war guter Rat teuer: ohne Fahrzeug an eine feindliche Küste gebannt, das war bedenklich!

Es galt vor allem, den Versuch zu machen, sich der Fahrzeuge wieder zu bemächtigen, und dazu war es notwendig, auszukundschaften, wo sie sich befanden.

Hendrik erklärte, das Wagnis ausführen zu wollen, und nahm Juku und Hassan mit sich.

Da die Watongwe gestern von Süden her gekommen waren, mußte ihre Niederlassung in dieser Himmelsrichtung liegen.

So ging denn der junge Bure mit den beiden Schwarzen das Ufer hinauf nach Süden, überall spähend, ob irgendwo sich Spuren fänden, daß Boote ans Ufer gezogen worden seien.

So kamen sie an die Mündung eines breiten Flusses, der ziemlich tief war und den Weitermarsch hemmte.

Sie folgten nun dem Flußlaufe landeinwärts nach Osten.

Plötzlich flüsterte Hendrik: »Dort!« und wies auf das gegenüberliegende Ufer.

Nicht umsonst war Hendrik von den Trägern »Bwana Angadir« getauft worden, »Herr Geier«, oder, wie die Indianer sagen würden, »Falkenauge«. Die Schwarzen bemerkten erst nach einer Weile am entfernten Ufer, dort, wo Hendrik hinzeigte, im Röhricht die Spuren, daß hier Kanus an Land gebracht oder im Schilf verborgen worden waren.

Die Räuber hatten offenbar ihre Beute den Fluß hinaufgerudert bis in die Nähe ihres Dorfes und dort in Sicherheit gebracht.

Nun kehrten die Kundschafter auf dem nächsten Wege zum Lager zurück, um über ihre Entdeckung Meldung zu erstatten.

Alsbald hielten die Weißen Kriegsrat, und Hendrik, der sich als geborener Feldherr erwies, entwickelte einen Plan, der allgemeinen Beifall fand.

Es war anzunehmen, daß die Watongwe die Kanus bewachten, und darin lag eben die Schwierigkeit und Gefahr des Unternehmens.

Nun schlug Hendrik vor, er selber wolle mit zehn Mann zunächst eine Strecke nach Osten wandern und von dort südwärts das Flußufer erreichen, ein gutes Stück oberhalb der Stelle, wo die Boote sich zu befinden schienen.

Auf diese Weise konnte die kleine Truppe, unbemerkt von den Wächtern, die sich am andern Ufer befanden, den Fluß durchschwimmen und dann, mit aller Vorsicht flußabwärts sich schleichend, jenen in den Rücken fallen.

Für diesen Überfall war genau zehn Uhr nachts bestimmt.

Achmed, der eine Uhr besaß und auch sonst für ein solch waghalsiges Unternehmen ganz geeignet erschien, sollte unterdessen mit dem Sulu Parker und Hassan sich an der Stelle des Ufers verborgen halten, die sich dem Orte gerade gegenüber befand, wo die Kanus vermutet werden mußten.

Fünf Minuten vor zehn Uhr hatten die drei sich nicht allzu geräuschlos ins Wasser zu werfen und dem andern Ufer zuzuschwimmen, so daß die ganze Aufmerksamkeit der Wächter sich ihnen zuwenden mußte, und diese mit Erfolg von den Gegnern in ihrem Rücken überrumpelt werden konnten.

Das Unternehmen war gewagt und lebensgefährlich für alle Beteiligte; denn ein einziger Schrei der Wächter konnte die Feinde im Dorfe auf die Beine bringen und den kühnen Männern auf den Hals hetzen. Aber die Boote mußten beigebracht werden um jeden Preis, und ohne Gefahr war dies nicht auszuführen.

Achmed, Parker und Hassan hatten gegen die ihnen zugewiesene Rolle nichts einzuwenden.

Seine zehn Mann wollte Hendrik unter den Askaris ausgewählt wissen, da die Suahelis für ein lautloses Anschleichen allzu unvorsichtig waren.

So versammelte denn Schulze die Askaris und trug ihnen vor, um was es sich handelte, dann forderte er Freiwillige auf, vorzutreten.

Es trat aber keiner vor.

»Askaris, löwenmutige Krieger!« redete der schwer enttäuschte Professor die Zaghaften an: »Schämt ihr euch nicht, euch zu verhalten wie die Ritter und Knappen in dem berühmten Gedichte des großen Schiller ›Der Taucher‹? Seid ihr Weiber und Ziegen? Sehet, Bwana Hendrik geht euch voran. Hat keiner den Mut, ihm zu folgen? Es trete hervor, wer kein Feigling ist.«

Aber wieder regte sich keiner.

Schulze versuchte es nun mit einer Belohnung, die er den Teilnehmern an dem Unternehmen versprach.

Ohne Erfolg!

Nun fragte Hendrik: »Wollt ihr mich denn allein gehen lassen?«

»Nein!« erscholl die Antwort.

»Also, wer geht mit mir?«

Totenstille.

»Ja, was soll ich denn machen?« fragte Hendrik ernstlich verstimmt.

Da trat der starke Juku vor, der zur Zeit zu den Askaris zählte, und sagte treuherzig: »Bwana Hendrik, wir sind eure Kinder. Fragt ihr noch weiter, ob wir wollen, so wird keiner sich melden: warum selber das Leben wagen, wenn es andere können? Befehlt ihr aber, dann müssen wir folgen, und dann gehen wir mit ohne Murren.«

»Das hätte ich mir gleich denken können,« sagte Hendrik. Und nun wählte er sich die zehn Tüchtigsten aus, darunter Juku, und befahl ihnen, sich ihm anzuschließen. Und siehe da! Keiner erhob den leisesten Widerspruch, ja sie schienen noch stolz darauf, zu den Auserwählten zu gehören.

Als es Zeit war, brach Hendrik auf, während Achmed, Parker und Hassan den ihnen zugewiesenen Weg einschlugen.

Der Bure erreichte mit seiner Schar den Fluß an einer Stelle, wo eine Biegung den Unterlauf den Blicken entzog.

Alle schwammen hinüber und wandten sich nun zur Rechten.

Aus dem Negerdorfe erscholl das wilde Singen und Gröhlen, das auf ein nächtliches Zechgelage schließen ließ. Es war weit genug vom Ufer entfernt, um das Wagnis nicht von vornherein in Frage zu stellen. Je näher sie der bewußten Landungsstelle kamen, desto vorsichtiger schlichen die Leute, und endlich gebot ihnen Hendrik halt!

Er wollte zunächst allein auskundschaften, wie es um die Boote und deren Bewachung stand; denn eine unvorsichtige Bewegung, ein Knacken im Rohr, Laute, die kaum zu vermeiden waren, wenn eine Schar anrückte, hätte ihr Nahen den Wächtern verraten können.

Flußpferde und anderes Getier verursachten ja genug solcher Geräusche im Röhricht; aber in unmittelbarer Nähe der Landungsstelle trieben sie ihr Wesen nicht; jedenfalls hätten die Wächter sich zweifellos veranlaßt gefühlt, nach den Urhebern eines Lautes zu forschen, der sich nicht weit von ihnen hätte vernehmen lassen.

So kroch Hendrik vorsichtig am Boden hin, sich zwischen den Papyrusstengeln durchwindend.

Endlich erschaute er vor sich einen Pfad, der vom Dorfe aus durch die Schilfbestände des Ufers zum Flusse führte.

Mit einem Blicke sah er, daß die Boote tatsächlich im Schilfe festgebunden waren, und daß drei Schwarze, unmittelbar am Ufer sitzend, darauf achteten.

Die Nacht war hell genug, um die Lichtung zu übersehen, während Hendrik im Schatten der Papyrusstauden kaum entdeckt worden wäre, auch wenn die Neger ihm nicht den Rücken zugekehrt hätten.

Ebenso vorsichtig wie er gekommen war, kroch nun der junge Bure zurück, nur daß er, da er nun den genauen Aufenthalt der Feinde kannte, unmittelbar aus dem Röhricht auf freieres Gelände, dem Dorfe zu, strebte.

Dort hatte er Bewegungsfreiheit und konnte aufrecht gehen.

Er bog nun wieder links ab und kehrte zu seinen Leuten zurück; da es schon stark auf zehn Uhr ging, drang er alsbald mit ihnen vor.

Er führte sie zunächst aus dem Papyrusschilf hinaus auf den Weg, den er eben gegangen war, bis hart an den Pfad, der zum Ufer führte.

Dann nahm er Juku und einen Askari namens Ali mit sich. Jeder von ihnen sollte einen der Wächter von hinten überfallen und ihn sofort am Schreien verhindern, worauf ein leiser Ruf alsbald die übrigen zur Hilfe herbeieilen lassen sollte.

So krochen die Drei durchs Schilf auf dem Boden hin bis in die Nähe der Feinde, und nun zeigte Hendrik Hassan und Juku, welchen der Neger jeder von ihnen angreifen sollte.

So verharrten sie schweigend, kaum drei Schritte von ihren ahnungslosen Opfern entfernt, platt am Boden liegend.

Jetzt hörte man vom gegenüberliegenden Flußufer her ein Aufklatschen, als wenn ein Tier oder ein Mensch mit einem Satze ins Wasser gesprungen wäre.

Die Wächter regten sich und sahen scharf hinüber.

Ein zweiter und dritter Plumps wurden unmittelbar darauf vernommen.

Nun sprangen die Männer auf mit einem gedämpften Ausruf. Sie schwangen die Speere, bereit, die Schwimmer, die man im Flusse plätschern hörte, zu durchbohren, sobald sie sich dem Schilfgestade auf Speerwurfsweite näherten.

Der große Augenblick war gekommen: Alles hing nun ab von raschem, kaltblütigem und gleichzeitigem Handeln.

Hendrik klopfte das Herz vor Aufregung, als er sich jetzt geräuschlos erhob. Seine Begleiter folgten seinem Beispiel.

Mit Katzentritten schlichen sie sich auf den Weg hinaus.

Die Wächter richteten währenddessen ihre ganze gespannte Aufmerksamkeit auf die kühnen Schwimmer.

Der junge Bure gab mit der Hand das Zeichen, und mit einem Satz sprangen alle drei den überraschten Wächtern auf den Rücken und schnürten ihnen mit festem Griff die Kehlen zu, bevor sie einen Laut von sich geben konnten.

Gleichzeitig ließ Hendrik den verabredeten gedämpften Ruf ertönen, worauf die im Hinterhalte herbeistürzten.

Ihre Hilfe tat hoch not.

Wie beabsichtigt war, waren die Gegner durch den starken Anprall der auf sie gestürzten Schleicher zu Boden geworfen worden. Sie wälzten sich nun mit ihren Angreifern herum; und wenn auch Juku seinem Opfer die Kehle so fest zuschnürte, daß dem Atemberaubten alsbald die Kräfte versagten, so fehlte doch Ali und Hendrik die Kraft, sich der heftig um sich schlagenden, kräftigen Feinde auf die Dauer zu erwehren.

Sie mußten schon locker lassen, und da war es an der Zeit, daß die andern kamen, zugriffen und die Gefangenen an Händen und Füßen fesselten.

Nun wurde den Halberstickten ein Büschel Gras in den Mund gestopft und mit Bast um den Kopf festgebunden, während ihr Hals freigegeben werden konnte, da sie nun zu jedem Warnungsruf unfähig waren.

Aber eine peinliche Überraschung stand den Siegern bevor: die vorsichtigen Räuber hatten die Ruder aus den Booten genommen und in ihr Dorf verbracht.

Da war nun nichts zu machen!

Inzwischen hatte auch Achmed mit Parker und Hassan das Ufer erreicht.

Die Truppe war nun vierzehn Mann stark.

Aus den dicken Papyrusstengeln schnitzten sie sich Ruderstangen, banden dann die Boote los, von denen sieben mit je zwei Insassen bemannt wurden, während die andern ins Schlepptau genommen werden mußten.

Die Gefangenen nahm man mit und ließ sich so den Fluß hinabtreiben, um dann mit Mühe, und nur langsam vorwärtskommend, mittelst der unbeholfenen Ruder durch den See dem Lager zuzusteuern, sich so dicht am Ufer haltend, als das Röhricht es gestattete.

Mit Jubel wurden die kühnen Sieger begrüßt; doch wurde die Freude wesentlich gedämpft durch die schlimme Nachricht vom Verluste der Ruder.

Daran waren aber die Heimkehrenden unschuldig und ihrem umsichtigen und tapfern Verhalten wurde die vollste Anerkennung zuteil.


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