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15. Herzog Ernsts Karfunkel.

In der Hitze des Tages lief der Schweiß der Träger in Strömen. Aber statt zu klagen und zu murren oder auch nur verdrießlich zu sein, scherzten sie darüber nach Negerart und erheiterten einander durch ihre Witze.

»Ach! Da läuft nun wieder die gute Milch und die köstliche Butter ins Gras, die mir gestern so schmeckten!« sagte einer.

»Nicht umsonst war das Büffelfleisch so saftig!« klagte ein anderer mit lustigem Augenblinzeln. »Der Bratensaft tritt mir zur Stirne wieder aus.«

»Ach, was nützt es zu essen und zu trinken?« philosophierte ein dritter. »Alles wird wieder herausgeschwitzt.«

»Ei, so laß Essen und Trinken sein,« mahnte Kaschwalla; »ich aber denke umgekehrt: gerade weil ich mehr Schweiß verliere als ihr, trotz eurer Lasten, muß ich um so mehr Pombe trinken, daß nicht zuletzt mein ganzer Leib zerfließt wie die Butter in der Hitze.«

»O, du!« lachte der Sulu Parker. »Wenn du auch die Hälfte deines Leibes verschwitzst, aus der andern Hälfte kann man doch noch einen Träger und einen Askari machen.«

So redeten sie aufeinander ein, und es mochte ein Witz noch so harmlos oder gar schwach sein, schallendes Gelächter zollte ihm unfehlbar Beifall.

Ein Dorf kam in Sicht, dessen Einwohner sich zur Abwechslung feindselig stellten und drohten, die Karawane anzugreifen.

Kaschwalla, der tatsächlich keine Furcht mehr zu kennen schien, seit er das Löwenherz verzehrt hatte, erbot sich, mit den Leuten zu verhandeln. Juku und Parker begleiteten ihn, und der feindliche Häuptling trat ihnen mit angemessener Begleitung entgegen.

»Warum wollt ihr Krieg mit uns?« fragte Juku.

»Wir fürchten, ihr kommt, uns zu schaden; denn ihr seid keine Menschen wie wir.«

»Wieso?« fragte jetzt der Sulu. »Sind wir nicht schwarz wie ihr, haben wir nicht Kopf, Hände und Füße, wie ihr alle?«

»Ja,« sagte der Häuptling, »ihr scheint wohl menschliche Geschöpfe zu sein wie wir. Aber eure weißen Häuptlinge, was sind das für Wesen?«

»O,« nahm nun Kaschwalla das Wort, »die kommen vom Mond, deswegen haben sie heute weiße Gesichter wie der Vollmond; sowie aber der Mond abnimmt, wird ihr Gesicht immer schwärzer und bei Neumond ist es so schwarz wie das unsrige.«

Der Häuptling riß vor Staunen den Mund weit auf; dann aber sagte er: »Das muß wohl so sein, wie ihr sagt, und so mögen sie uns willkommen sein, wenn sie Frieden wollen.«

»Sie sind so friedlich wie der Mond,« versicherte Kaschwalla, »und stechen nicht wie die Sonne.«

So genügten wenige Worte, um die freundschaftlichen Beziehungen zu jenen Wilden herzustellen, die sich so grimmig gebärdet hatten, und doch nur aus Furcht einen Angriff unternehmen wollten, um den vermeintlichen Feinden zuvorzukommen.

Während das Lager errichtet wurde, kamen Neugierige aus dem Dorfe, die Weißen anzustaunen, deren Gesicht wechselte wie der Mond.

Irgend eine ungewohnte Kleinigkeit, die sie erblickten, konnte sie erschrecken und ein paar Schritte zurücktaumeln lassen.

Hiebei stieß einmal einer der Eingeborenen an den vorbeikommenden Araber Achmed, der auf die Neger nicht gut zu sprechen war, so gut er auch seine Somalis behandelte. Beleidigt über die unabsichtliche Anrempelung, rief er: »Einen solchen Tölpel, wie dich, habe ich noch nie gesehen; du bist die Schlechtigkeit selbst.«

Der Schwarze wandte sich ihm zu und sagte lächelnd: »Du hast recht, ich kann es nicht leugnen; wie könnte es auch anders sein? Ist doch alle Güte bei dir!«

»Du bist ein Dummkopf!« schalt Achmed, ärgerlich über die sanftmütige Erwiderung.

»Es ist wahr, das bin ich,« war die gelassene Antwort; »denn du bist es, der allein alle Weisheit besitzt.«

Achmed war geschlagen und beschämt.

»Nein! hören Sie nur,« sagte Schulze zu Leusohn, »wie liebenswürdig und fein dieser Wilde den ganz grundlos ihn beschimpfenden Araber zurechtwies! Wie wenig reizbar und wie überlegen durch seine unerschütterliche Ruhe und Höflichkeit zeigt sich dieser Mann, und dabei hat er den Gegner durch seinen Spott gründlicher geschlagen, als wenn er Scheltwort mit Scheltwort vergolten hätte: und das sind nun die Leute, die uns vor einer halben Stunde so wild und kriegerisch erschienen!«

Im Russissitale wurden prachtvolle Schluchtbildungen entdeckt, überhaupt war es ein äußerst romantischer Fluß.

An einer Stelle, wo er sich zwischen enge Felswände einzwängte und nach Westen abbog, wurde der Flußlauf verlassen und die südliche Richtung beibehalten.

Nach einem weiteren Tagemarsch aber stand die Karawane vor einem Nebenfluß des Russissi, der zu tief war, um durchwatet werden zu können.

Es handelte sich also darum, ob eine Brücke über das Hindernis geschlagen oder ein Kanu gebaut werden solle.

Zu einer Brücke fehlte es jedoch hier an hohen Bäumen und auch der Bootsbau war ohne starke Stämme schwierig. Eines wie das andre hätte auch mehrere Tage Arbeit erfordert und mit einem einzigen Nachen hätte es wieder ein paar Tage dauern können, bis alles Gepäck und die ganze Karawane hinübergeschafft worden wären.

Leusohn schlug daher vor, nach Osten abzubiegen, um vielleicht flußaufwärts eine Furt zu finden; dabei verliere man nichts, da das nächste Ziel, Urundi mit den Kageraquellen, doch südostwärts liege.

Flitmore seinerseits hätte gern den Russissi noch weiter erforscht. Beide überließen die Entscheidung Schulze, als dem Führer der Expedition.

Der Professor schwankte; einerseits war Leusohns Vorschlag am bequemsten auszuführen, andrerseits hätte er doch gerne Flitmores Wunsch erfüllt, da im Grunde so ziemlich die ganze Karawane auf seine Kosten angeworben und ausgerüstet worden war.

Ratlos sah er umher, als ob sich irgend ein Hilfsmittel zeigen müsse. Er entdeckte aber weiter nichts, als daß merkwürdig viel Kürbisse in der Gegend wuchsen und zwar ganz riesige Exemplare.

Doch eben diese Kürbisse brachten ihn auf einen erlösenden Gedanken. »Da fällt mir ein,« rief er fröhlich aus, »daß schon Barth und nach ihm Schweinfurth darauf aufmerksam gemacht haben, daß ein paar Dutzend mittelgroßer Flaschenkürbisse genügen, um in kürzester Zeit eine tragfähige Fähre herzustellen. Hier haben wir Hunderte von Riesenkürbissen, was wollen wir mehr? Ein paar Tage wird die Sache ja schon dauern, weil die Kürbisse erst getrocknet werden müssen; aber wir brauchen so wie so wieder einmal eine längere Rastzeit, und dann wissen wir nicht, zu welchen Umwegen uns der vielleicht viel gekrümmte Flußlauf nötigt, wenn wir ihn ostwärts verfolgen wollten. Wir gehen daher am sichersten so.«

»Ausgezeichnet!« rief Lord Flitmore, froh, daß nun seine Wünsche in Erfüllung gehen sollten. »Aber ich meine, wenn wir doch einmal eine Fähre bauen, wozu soll uns das schöne Werk bloß dienen, den Fluß zu überqueren?«

»Es ist allerdings schmerzlich,« stimmte Hendrick bei, »das Kunstwerk, das in mehrtägiger Arbeit entstand, nur für eine Stunde in Gebrauch nehmen zu können, um es dann als ausgedient zurückzulassen.«

»Darum möchte ich vorschlagen,« fuhr Flitmore fort, »wir bauen ein starkes und langes Floß, das die ganze Karawane aufnehmen kann, und fahren den Fluß hinunter, so weit es geht. Glückt es, so können wir unter Umständen ein paar Tagemärsche ersparen und kommen in einem Tage so weit, wie sonst in fünf; denn einmal geht es schneller und dann halten, wie ich vermute, die Träger das Fahren länger aus als das Lastentragen.«

»Das ist ein feiner Gedanke!« rief Helene. »Wie freue ich mich auf eine Wasserfahrt!«

Hendrik aber bemerkte: »Überdies hält es uns gar nicht länger auf, ob wir ein großes oder ein kleines Floß bauen; den Hauptaufenthalt verursacht das Trocknen der Kürbisse und tausend trocknen so schnell wie hundert. Das Aushöhlen der Früchte ist leichte Arbeit, in der die Neger bewandert sind, und da Frauen und Kinder mithelfen können, wird ein Tag genügen, um uns mit tausend dieser Luftblasen zu versehen.«

Wie Hendrik voraussagte, ging die Arbeit rasch vonstatten. Die ausgehöhlten Kürbisse wurden mit heißem Sand vom Flußufer gefüllt, und da derselbe häufig durch frischen, trockenen ersetzt wurde, konnten am vierten Tag schon die Kürbisse mit Pflanzenbast zusammengefügt werden. Da alle Hände zu dieser Arbeit frei waren, war schon nach zwei weiteren Tagen ein Floß von genügender Größe und Tragkraft vollendet und schwamm, am Ufer festgebunden, auf dem Fluß.

Eine dichte Lage des langen zähen Steppengrases und Schilfrohres deckte die tragenden Kürbisse, und noch am Abend waren sämtliche Lasten eingeschifft, so daß es am andern Morgen in der Frühe losgehen konnte.

Stundenlang ging die schöne Fahrt zwischen grünen, erst flachen, dann hügeligen Ufern hin, zwischenhinein auch durch geheimnisvolle Wälder.

Dann wurde das Ufer felsig. Immer schroffer stiegen die steinernen Wände zu beiden Seiten empor und mit Besorgnis schaute Schulze aus, ob kein Ende abzusehen sei.

Ihm fielen die gefährlichen Stromschnellen des Kongo und des Sambesi ein, die so viele Opfer gefordert haben; es hatte ganz den Anschein, als ob etwas Ähnliches hier drohe, um so mehr, als die Ufer immer näher zusammenrückten, und der in die Enge eingezwängte Fluß immer reißender strömte.

An ein Umkehren war nicht mehr zu denken; gegen die Strömung hier anrudern zu wollen, wäre in einem leichten Kanu vielleicht möglich gewesen, nicht aber auf dem gewaltigen Floß, zumal nur Ruderstangen und keine eigentlichen Ruder vorhanden waren. Eine Landung aber war, angesichts der senkrecht aufragenden Felswände, ausgeschlossen.

Auf einmal, bei einer Biegung des Flusses, sah Schulze, wie sich die Felsen in der Höhe zusammenschlossen und ein schwarzer Tunnel sich öffnete, dem das Fahrzeug unaufhaltsam zutrieb.

»Nun gnade uns Gott!« rief er aus. »Wenn das nur gut abläuft!«

Und schon befanden sie sich im Schoß des Berges; das Floß schoß pfeilschnell dahin und es kostete die größte Mühe, bei der zunehmenden Finsternis einen Anprall an die Felsen zu verhüten. Und betäubend rauschten und brausten die Wasser in tausendfachem Widerhall.

Fackeln wurden entzündet, denn es wurde stockdunkle Nacht nur noch in weiter Ferne sah man den bleichen Schimmer des Tunneleingangs.

Aber wie funkelten und glitzerten die Wände in der roten Glut der Fackeln! Tropfsteine hingen von oben herunter und an den Seiten war alles Bergkristall. Dieser aber schien radioaktiv zu sein, denn er besaß offenbar eigene Leuchtkraft.

Die Fahrt verlangsamte sich; das Gefäll schien mäßiger zu werden und damit schwand auch die unmittelbare Gefahr und die größte Besorgnis der Fahrer.

»Hurra!« rief der Doktor, als das Floß sich der einen Höhlenwand so sehr näherte, daß er mit einem wuchtigen Schlag einer Ruderstange sich ein besonders weit hervorragendes Stück Bergkristall abzuschlagen vermochte, das auf den Boden des Floßes fiel.

»Hurra!« rief er, den glitzernden Kegel aufhebend. »Ich hab's! Das ist die Höhle, durch die Herzog Ernst mit seinen Rittern fuhr, und Herzog Ernst schlug einen funkelnden Stein von der Wand ab, den heißt man auf Lateinisch › Unio und zu Deutsch 'Karfunkel'. Wahrhaftig! Ich glaube nun, daß die ganze sogenannte Sage von Herzog Ernst auf einem wahrheitsgetreuen Reisebericht beruht, wenn sie auch die Tatsachen etwas kunterbunt untereinandermengt.

»Der brave Herzog muß so ziemlich den gleichen Reiseweg eingeschlagen haben wie wir; denn haben wir nicht die Kranichschnäbel, die Zwerge und die Riesen gesehen, zu denen er kam? Fahren wir nicht soeben durch die Karfunkelhöhle, aus der er seinem Vater, dem großen Kaiser Otto, einen leuchtenden Stein mitbrachte, den dieser in seine Krone fassen ließ?

»Es sollte mich nicht wundern, wenn wir jetzt noch zu den einäugigen Arimaspern kämen, von denen die Sage weiter berichtet, wenn sie diese nicht spitzbübisch dem alten Vater Homer entlehnt hat, um die Reise des Herzogs mit noch mehr Wunderbarem auszustatten, als sie an und für sich schon enthielt.«

Nach einstündiger Fahrt, zuletzt in ganz ruhigem und trägem Fahrwasser, war das Ende der Höhle erreicht und aufatmend begrüßten alle das Tageslicht, dem nun die bisher in stummem Bangen befangenen Schwarzen mit jubelnden Gesängen ihr Lob spendeten.

Nach einer weiteren Stunde traten an Stelle der kahlen Felsen grüne Hügel an die Ufer heran, und hier vereinigte sich der Fluß mit dem Russissi.

Es konnte gelandet und gelagert werden.

Noch einen weiteren Tag dauerte die Floßfahrt auf dem Russissi, dann erstiegen unsre Freunde das linke Ufer und überließen das abgeladene Floß seinem Schicksal.

In den Felsen des Ufers entdeckte Hendrik den Eingang zu einer Höhle.

Schulze wünschte, auch dieses Naturwunder zu besichtigen und die übrigen Weißen nebst Tipekitanga schlossen sich ihm an.

Der enge Eingang führte in einen großen Raum, dessen Decke von einer glatten Steinplatte gebildet wurde. Aus diesem unterirdischen Saale führte ein ziemlich breiter Tunnel in gotischer Bogenform tiefer hinab.

Dieser Gang bot einen wahrhaft feenhaften Anblick; denn er bestand aus schneeweißem Gestein, das im Schein der Fackeln blitzte und glitzerte. Seltsame Gebilde bedeckten die Wände oder hingen von der Decke herab; schlanke Säulen, mächtige Pfeiler, versteinerte Schlangen und Drachen, zarte und großartige, liebliche und grauenerregende Gestalten wechselten in stets erstaunlichen Formen.

Der schwarze Boden war elastisch wie Gummi, so daß die Tritte keinen Laut weckten und unheimliche Stille die Wanderer umfing.

Plötzlich öffnete sich eine weite Halle, durch die ein kohlschwarzer Fluß dahinglitt.

»Der Styx!« rief Schulze. »Der schwarze Strom der Unterwelt, die Gewässer des Todes!«

Wahrhaftig, was konnte besser den sagenhaften Fluß des Totenreiches veranschaulichen als dieser finstere, lautlos fließende Bach, der in ewiger Nacht und Grabesstille die gespenstischen bleichen Hallen durchzog?

Über dem Fluß drüben gähnten in der Rückwand der Grotte mehrere Löcher, Gänge, die zu weiteren Wundern führen mochten aber das eiskalte Wasser gebot weiterem Vordringen Halt. Ohne Hilfsmittel konnte es nicht überschritten werden.

So verzichteten denn unsre Freunde auf eine weitere Erforschung der Höhle, zumal die Stille da unten bedrückend wirkte, so herrlich auch alles erschien bis auf den geheimnisvollen Strom.

Sie fühlten sich hier unten wie Gefangene oder lebendig Begrabene und beeilten sich, den Ausgang zu gewinnen.

Erleichtert atmeten sie auf, als wieder goldenes Sonnenlicht sie umflutete.

Jetzt wurde rüstig ausgeschritten in östlicher Richtung, und am folgenden Tage erreichte die Karawane die Grenze von Urundi.


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