Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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29. Kapitel.

Die letzte Illusion.

Als Sanders und Dubski am andern Morgen frühzeitig bei Anna erschienen, fanden sie die Unglückliche ruhig und gefaßt. Sie nahm Georg in Schutz und erklärte, nichts unversucht lassen zu wollen, um den Widerstand seiner Mutter zu brechen.

Sie wollte hingehen, vor ihr auf die Knie sinken und sie anflehen, ihr Jawort zu geben. Sie wollte ihr zu sagen versuchen, wie gewaltig ihre Liebe sei, und daß ihr kein Opfer zu groß erscheine, um es nicht dem Einziggeliebten zu bringen.

Die beiden Freunde hatten die ganze Nacht darüber verhandelt, ob es ratsam sei, die Lüge des Komödianten aufzudecken, und sie waren zu dem Entschlusse gelangt, daß diese Offenbarung nicht zu verschieben sei. Dubski nahm daher das Wort und wandte sich an Anna:

»Mein liebes Kind, Du weißt sehr wohl, daß Du an uns ein paar wirkliche, gute und ehrliche Freunde hast. Wenn wir uns daher genötigt sehen, Dir noch Traurigeres zu verkünden, als Du in den letzten Stunden schon erlebt hast, so geschieht dies einzig und allein in der Absicht, durch einen kühnen Messerschnitt Deine Leiden abzukürzen und die Gefahr zu beseitigen.«

»Sprich nur ruhig,« unterbrach ihn Anna, indem sie ihn starr anblickte. »Ich bin auf alles gefaßt!«

213 »Also, mein Kind, wappne Dich mit Mut,« fuhr Dubski fort, »denn ich bin gezwungen, Dir traurige Eröffnungen zu machen. Berndt hat gar keine Mutter!«

Anna machte eine Handbewegung, als wollte sie die Worte abwehren, welche zu ihr drangen.

»Sei stark, mein liebes Kind! Ich schwöre Dir bei Gott, es ist die lautere Wahrheit, – er hat keine Mutter. Die seine starb, als er zur Welt kam. Somit hat er sich gestern in seinem Briefe einer doppelten Schlechtigkeit schuldig gemacht. Denn er mißbrauchte den Namen der Verstorbenen, um seine niederträchtige Gesinnung zu bemänteln. Nach seinem eigenen Geständnis liegen seine schmutzigen Absichten klar zutage. Er näherte sich Dir, weil er Schätze bei Dir vermutete, er glaubte Dich reich, und da Du noch dazu jung bist, so schien ihm der Tausch mit Asta ein gutes Geschäft. Hier in Berlin erfuhr er, daß er sich in Deinen Vermögensverhältnissen getäuscht habe, und das Resultat dieser Entdeckung ist sein gestriger Brief an Dich. Er wollte Dich ebenso ausnutzen, wie er Asta ausgebeutet, er wollte von Dir leben, wie er jahrelang von jener gelebt hat. Und darum darfst Du noch glücklich sein, daß alles so abgelaufen ist. Denn wenn Du wirklich reich gewesen wärest und er Dich geheiratet hätte, dann stand Dir ein entsetzliches Los bevor, ein Dasein voll Jammer und Pein, wie es Asta mit ihm geführt. Aber jene ist ein Geschöpf ohne Seele, ohne Empfindung, ohne Gefühl, eine von den Frauen, deren höchstes Glück es ist, von dem Geliebten geschlagen und mit Füßen getreten zu werden. Du aber wärest in dem Sumpfe, in den er Dich zu locken versuchte, elendiglich umgekommen. Darum solltest Du dem Schöpfer danken, daß er Dich wenigstens vor dieser Erniedrigung gerettet hat.«

Emmy war ins Zimmer getreten.

»Geh' hinaus, Schwesterchen,« sagte Anna, indem sie 214 einen Kuß auf Emmys Stirn drückte. »Was hier verhandelt wird, taugt nicht für Deine Ohren.«

»Ja, sehen Sie, liebe Anna,« ergriff nunmehr Sanders das Wort, »hätten Sie nur zu mir Vertrauen gehabt, und hätten Sie sich gleich an mich gewendet, dann wäre Ihnen diese Pein erspart geblieben. Als Asta und Georg meiner Truppe angehörten, da habe ich einen entsetzlichen Einblick in ihr Verhältnis gewonnen. Ich habe es gesehen, wie der Elende seine Untreue mit dem Gelde seiner Geliebten bezahlt hat, wie seine Ehrlosigkeit ein Stachel für sie war, ihn weiter zu lieben, und wie dann noch sie es war, welche den Verruchten weinend um Verzeihung anflehte. Ich preise das Schicksal, welches Ihnen trotz alledem noch so viel Weisheit gab, um seinen galanten Versuchungen zu widerstehen. Denn so, wie die Sache liegt, bin ich nach wie vor bereit, das Wort, welches ich Ihnen vor etwa Jahresfrist gegeben, einzulösen.«

»Nun, Anna, was sagst Du jetzt?« fragte Dubski.

»Nichts,« versetzte Anna tonlos, »als daß ich Euch von ganzem Herzen und aus voller Seele danke. – Vorläufig« – stieß sie mühsam hervor – »muß ich mich erst sammeln. Ich muß wieder Herrin meiner Gedanken werden und mich an das Schreckliche, Unabwendbare gewöhnen. Darum bitte ich Euch, laßt mich heute allein.«

Dubski und Sanders schieden mit schwerem Herzen.

Anna war allein. Sie vergrub ihr Gesicht in die Kissen des Diwans und weinte bitterlich.

Also er, dem sie so voll und ganz vertraut, den sie für den edelsten und besten aller Männer gehalten, dem sie ohne jede Arglist ihr ganzes volles Herz offenbart hatte, er war ein gemeiner, ehrloser Schuft. Ja, das war er. Dubski und Sanders waren keiner Lüge fähig, und an den mitgeteilten Tatsachen war nicht zu deuteln. Der Ehrlose hatte den Namen seiner Mutter im Grabe geschändet, um seine unbefriedigte 215 Habgier zu beschönigen. Alle die heißen Worte inniger Liebe, mit denen er ihr gläubiges Herz betört, sie waren nichts als Lug und Trug, nichts als Maske und Heuchelei gewesen.

Nein, nein, das war nicht möglich! Eine solche Verstellung war ja nicht denkbar!!

Ihr liebeglühendes Herz suchte vergebens nach einer Entschuldigung für Georgs Gebaren. Je mehr sie darüber nachsann, desto mehr flammte ihre Leidenschaft empor, und endlich strahlte ihr ein kleiner Lichtschimmer der Hoffnung entgegen.

Asta! das war's. Nur diese war es gewesen, welche noch in der letzten Stunde über den schwachen Mann den Triumph davongetragen hatte. Sie hatte gewiß alle Mittel angewendet, um ihn zu sich zurückzuführen, sie hatte gewiß geweint, gedroht, und Georg hatte schließlich aus Gutherzigkeit nachgegeben.

Ja, ja, das war's! Er konnte ja nicht ahnen, wie tief sie ihn liebte, wie unvergleichlich mehr als jenes Weib, deren Ketten er seit Jahren trug. Wenn er sie jetzt so sehen könnte in ihrem ganzen Unglück und ihrer ganzen Verzweiflung, dann würde er gewiß zurückkehren.

Was kümmerte sie die ganze Welt, wenn sie ihn nur hatte!

Ja, er sollte, er mußte es wissen, daß sie jedes Opfer für ihn bringen wollte. Bitten, flehen, sich erniedrigen, aber ihn besitzen – um jeden Preis!!

In ihrer wahnsinnigen Aufregung eilte sie an den Schreibtisch. Jede Minute war kostbar, denn mit jeder Minute wuchs der Einfluß jener Frau, und jede Minute entfremdete ihn ihr mehr. So schrieb sie denn mit zitternder Hand und in fliegender Hast: 216

»Einziggeliebter Georg!

Ich weiß alles. Du hast keine Mutter, und Du willst bloß von mir nichts wissen, weil ich arm bin. Aber ich kann ohne Dich nicht leben. Magst Du getan haben, was Du willst, magst Du gesündigt haben und gelogen, gleichviel, ich verzeihe Dir alles, alles. Ich will nur Dich, Dich ganz allein. Du brauchst ja aus mir nicht Dein Weib zu machen. Nimm mich zur Geliebten. Ich will alles tun, was Du verlangst, mehr noch, als Du befiehlst. Rette mich, rette mich! Mein Herz, meine Seele, meine Sinne, mein Blut verlangen nach Dir. Stoße mich nicht von Dir. Habe Mitleid! Laß mich Dir zu Deinen Füßen meine Liebe gestehen.

Anna.«

Sie nahm den Brief, stürzte auf die Straße und gab ihn einem Dienstmann zur Besorgung.

Dann ging sie wieder hinauf.

Emmy versuchte, sie zu trösten, sprach ihr von ihrer Kunst, von ihrem Beruf, malte ihr aus, wie schön es wäre, wenn sie beide zusammen ihr Leben verbrächten, – aber sie predigte tauben Ohren.

Wie eine Wahnsinnige lief Anna in dem Zimmer auf und nieder, murmelte unverständliche Worte, und bemerkte kaum die Anwesenheit ihrer Schwester. – – –


Asta triumphierte. Sie hatte gesiegt. Georg war reumütig zu ihr zurückgekehrt, und sie hatte beschlossen, ihm vorläufig zu verzeihen, bis die verhaßte Nebenbuhlerin ganz beseitigt sei.

Sie saß in Georgs Wohnung, rauchte ihrer Gewohnheit gemäß Zigaretten und lächelte, während die blauen Wölkchen zur Decke emporstiegen. Die Idee, Schönlein an Stelle von Berndt zu setzen, dünkte ihr nicht die schlechteste zu sein. Die Aussicht, vielleicht die Gattin des Dramaturgen zu 217 werden, hatte etwas überaus Verlockendes, um so mehr, als sie sich über den gefälligen Charakter des Herrn Schönlein keinen Illusionen hingab.

Es klopfte. Die Wirtin erschien mit einem an Georg Berndt adressierten Brief.

»Ist Antwort nötig?« fragte Asta.

»Der Bote wartet.«

»Dann soll er sich einen Augenblick gedulden.«

Asta öffnete den Brief und las Annas liebeglühende Worte.

»Steht es so?« murmelte sie, indem ein teuflisches Lächeln ihre Lippen umspielte. »Dann hilft nur die rohe Gewalt.«

Sie nahm ein Blatt weißes Papier und schrieb in den ihr wohlbekannten Zügen von Georgs Handschrift folgende Worte:

»Heute abend um neun bei mir.

Georg.«

Dann steckte sie das Blatt in ein Kuvert und übergab es der Wirtin mit den Worten: »Der Bote weiß schon, wo er den Brief abzugeben hat.«

Eine Weile später verließ sie das Haus, nachdem sie Georg hinterlassen hatte, er möge sie um sieben Uhr in seiner Wohnung erwarten.

Als sie um die angegebene Zeit wieder bei dem Geliebten erschien, fand sie den Tisch hübsch gedeckt und mit den feinsten Delikatessen besetzt; auch die Hälse einiger Champagnerflaschen lugten neugierig aus den Kühlern hervor.

»Also eine Überraschung,« sagte Berndt, der sich in rosenfarbener Laune befand, indem er auf die reichbesetzte Tafel deutete.

»Natürlich,« lachte Asta, »unser Versöhnungssouper.« Und sie drückte ihm einen feurigen Kuß auf die Lippen. »Und 218 damit Du siehst, für wie wichtig ich diesen Tag halte, habe ich mich Deinetwegen sogar in Gala geworfen.«

Sie ließ den Mantel fallen und stand in Balltoilette vor ihm, die Schultern entblößt, den Hals und die nackten Arme mit Schmuck bedeckt.

»Gefalle ich Dir so?« fragte sie, indem sie ihn herausfordernd und lüstern ansah.

»Du bist entzückend,« erwiderte Georg und schloß sie in seine Arme. »Soupieren wir jetzt, wie die Verliebten im chambre separée

Bald waren zwei Flaschen des perlenden Weines geleert und das Blut rollte wilder und stürmischer durch die Adern der beiden. Georg lag zu den Füßen seiner Mätresse und lehnte den Kopf auf ihr Knie.

Es war beinahe neun Uhr geworden.

»Asta, singe mir ein Lied; Du weißt doch, das italienische von Tosti, das ich so gern höre.«

Asta stand auf und ging ans Klavier. Dann erklangen die schwermütig klagenden Töne jener Weise, in welcher Liebessehnsucht und Todesahnung so innig verwoben sind.

Asta hatte eine sympathische Altstimme. Erregt durch die Leidenschaft, wußte sie der Melodie und den Worten den rechten Ausdruck zu geben, und der Refrain »Vorrei morire, ich möchte sterben« zog bang und dumpf durch das Gemach.

Da plötzlich klopfte es an der Tür des Nebenzimmers, welche direkt auf die Treppe führte.

»Wer kann das sein?« fragte Asta, indem sie ihr Spiel plötzlich unterbrach.

Georg sprang auf, und Asta folgte ihm. Er öffnete die Tür, und vor ihm stand Anna, in einen braunen Mantel gehüllt und das Antlitz von einem dichten Schleier bedeckt.

219 Georg schwieg verlegen, und Anna war bei diesem Anblick zu Stein erstarrt.

»Hahaha,« lachte Asta. »Das ist ja die tugendhafte Anna, die Du erst heiraten solltest, um ihre Gunst zu erringen. Und jetzt macht sie schon abends um neun Uhr Besuche bei einzelnen Herren. So bitte sie doch, näher zu treten und ein Glas Champagner mit uns zu trinken.«

Georg wußte nicht, was er tun sollte, und Anna starrte immer noch bewegungslos auf Asta und Berndt hin.

»Nur herein, nur herein,« höhnte Asta weiter. »Hier blühen der Wein, die Lust und die Liebe, nicht wahr, mein Schatz?« Und bei diesen Worten umschlang sie Georg und drückte ihm einen heißen Kuß auf die Lippen.

Anna hatte genug gesehen. Ohne die Elenden eines Wortes zu würdigen, wandte sie sich um und stieg mechanisch die Treppe hinunter.

Vor dem Hause blieb sie stehen. In ihrem Kopfe wirbelten die Gedanken wüst durcheinander, und sie wußte nicht, wie ihr geschah. Sie hielt sich an der Mauer fest, um nicht dem Schwindel, der sie ergriff, nachzugeben und zu Boden zu stürzen.

Sie war wie betäubt, – da schlugen die Klänge einer weichen Frauenstimme an ihr Ohr.

»Vorrei morire,« tönte es aus einem geöffneten Fenster des Hauses zu ihr hernieder.

»Vorrei morire,« seufzte sie leise vor sich hin, während die Tränen über ihre Wangen rollten.

Der Gesang verstummte, und Anna schlich langsam weiter, – an den Mauern dahin.

Aber sie zweifelte noch immer. Das Erlebte schien ihr zu ungeheuerlich, zu entsetzlich.

Und so beschloß sie denn, den Kelch bitteren Wermuts bis zur Neige zu leeren.

220 Sie ging auf die andere Seite der Straße und schritt langsam zurück, bis sie gegenüber von Berndts Hause stand.

Die Wohnung war noch erleuchtet, und die Schatten am Fenster deuteten darauf hin, daß die Bewohner noch nicht zur Ruhe gegangen.

Es schlug zehn, es schlug elf, und immer noch stand Anna unbeweglich in einer Nische der Haustür.

Da plötzlich erloschen die Lichter, und es ward dunkel in Berndts Wohnung.

Sie kauerte sich zusammen.

Nun mußten sie ja gleich heraustreten. Es wäre ihr furchtbar gewesen, wenn die beiden sie bemerkt hätten.

Aber alles blieb still, und die Haustür bewegte sich nicht.

Da war es Anna, als ob ihr jemand langsam einen kalten Dolch ins Herz stieß. Sie merkte, wie das Eisen in ihre Brust drang und ihr warmes Blut allmählich erstarren machte. Es war ihr zumute, als ob ihre Sinne und ihre Gedanken sich durch die Berührung mit dem kalten Stahl beruhigten, wie alle Leidenschaft, alle Glut langsam verschwand, und nichts als eine einsame Leere und Öde zurückblieb.

Sie fühlte sich plötzlich ganz leicht und ruhig. Sie schritt ihrer Wohnung zu, sie dachte an nichts, an gar nichts. Aber in ihren Ohren summte es immer weiter fort: »Vorrei morire.« 221

 


 


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