Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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17. Kapitel.

Schiefe Stellungen.

Dubski war über den Inhalt von Annas Zeilen durchaus nicht verwundert. Er hatte dies erwartet; denn er kannte den regen, aufstrebenden Geist seiner ehemaligen Geliebten viel zu gut, um nicht zu wissen, daß nach ihrer Rückkehr von der Reise das Zusammensein mit dem unbedeutenden und flachen Wahrendorff als ein unerträglicher Zustand auf sie einwirken würde.

Lange Zeit schwankte er, ob er die nachgiebige Schwäche haben sollte, Annas Aufforderung zu folgen. Er sagte sich, daß er dann als willenloses Werkzeug der Schönen aus dem Hörselberge zu feige sein würde, an die Reinigungspilgerfahrt nach Rom auch nur zu denken, geschweige denn sie zu unternehmen. Seine Leidenschaft für Anna war jedoch zu groß, als daß die Erwägungen gekränkten Stolzes und verletzter Eitelkeit auf die Dauer Oberhand gewinnen konnten. Und so fuhr er eines Abends, in vollem Bewußtsein seiner Verächtlichkeit, zu einer Stunde, wo er Wahrendorff auf dem Klub wußte, zu ihr hinaus.

Der Empfang, der ihm zuteil wurde, war freundschaftlich und herzlich, und gleichzeitig so ohne jeden Beigeschmack einer der Liebe verwandten Regung, daß der arme Dubski aus jedem Tone das Urteil zu vernehmen glaubte, daß ihm von nun an lebenslängliche Freundschaft, aber nichts anderes beschieden sei. Seine vorwurfsvolle Miene, sein steifes 121 Gebaren, sein förmliches Auftreten erregten nur Annas übermütige Heiterkeit. Sie drückte ihn auf einen Sessel nieder, sah ihm treu und aufrichtig ins Gesicht und sagte:

»Mein lieber Dubski, vergessen wir die Vergangenheit, welche weder Dir noch mir das sogenannte Glück gebracht hat, und sei gleichzeitig überzeugt, daß mir dasselbe bis zum heutigen Tage noch nicht beschieden ist. Als Revanche kann ich Dir die Versicherung geben, daß Du der einzige Mensch bist, zu dem ich volles Vertrauen besitze, und dem ich mich ohne Farbe und Schminke so zeigen will, wie ich bin, wie ich denke und fühle. Du hast jetzt keine Berechtigung mehr, mir von Liebe zu sprechen, und ich brauche nach dieser Richtung hin Dir gegenüber nicht mehr zu heucheln, was mir übrigens, nach Deinen steten Vorwürfen zu urteilen, auch nie gelungen ist. Also ehrliche, aufrichtige Freundschaft!«

Und damit hielt sie ihm die Hand hin, welche er zögernd ergriff.

»Die große Katharina,« erwiderte Dubski, »kann unmöglich eine größere Despotin gewesen sein, als Fräulein Hanke. Nachdem Du mich in ziemlich ungenierter Weise betrogen, hast Du jetzt die große Freundlichkeit, zu verlangen, daß ich mich auf Gnade und Ungnade ergeben soll. Ich will kapitulieren, aber als anständiger und ruhmvoller Feind. Ich verlange eine ehrenvolle Gefangenschaft.

Wahrendorff existiert nach seinem Schurkenstreich in Hamburg für mich nicht mehr. Deine Gesellschaft ist für mich ein nicht zu missendes Bedürfnis, die seinige dagegen ein mit meinen Begriffen von Ehre und Anstand unvereinbares Ding. –«

»Bewilligt,« unterbrach ihn Anna. »Wahrendorff hat, wie alle Diebe, die Überzeugung, daß die anderen Menschen ehrlich sind. Ich habe mir von ihm die vollste Freiheit erwirkt, so oft ich will, in Deiner Gesellschaft zu weilen, und 122 er betrachtet selbst diese Konzession als die kleinste Sühne für den groben Vertrauensbruch, den er an Dir begangen hat, und dessen er sich voll bewußt ist.«

»Da wir jetzt also Freunde sind, und zwar ehrliche und aufrichtige Freunde, so löse mir, bitte, das Rätsel und setze mir vernünftig auseinander, was Dich eigentlich zu Deiner ganzen Handlungsweise bewogen hat.«

»Gern,« erwiderte Anna.

Sie legte sich auf den Diwan nieder, zündete sich eine Zigarette an, und indem sie die blauen Wölkchen langsam emporsteigen ließ, sprach sie:

»Die Beichte kann beginnen. Als Herr Dubski so liebenswürdig war, mir die Segnungen moderner Bildung zuteil werden zu lassen, ahnte er augenscheinlich nicht, daß Anna Hanke das Unglück haben würde, nicht nur fremde Gedanken in sich aufzunehmen, sondern auch eigene Ideen über das sie umgebende Treiben zu gewinnen. Leider hatte das junge Weib schon selbst zu viele Erfahrungen gemacht, um sich durch schöne Phrasen über dasjenige einen Schleier breiten zu lassen, was ihr gegenüber nicht mehr zu verhüllen war. Und so kam ich denn zu folgender Überzeugung: Dreimal bin ich um meine Jugend betrogen worden, und die drei Betrüger hießen Schönlein, Dubski und Wahrendorff –«

Hier machte der Betroffene eine abwehrende Handbewegung.

»Nicht unterbrechen,« lachte Anna, »ich werde gleich alles beweisen. Also erstens Herr Schönlein!

Dieser war der Ehrlichste, weil sein Egoismus am meisten im Spiel war. Er verlor am meisten, weil mit mir sein Kapital flöten ging, und er sich aus den ihm reichlich zugeflossenen Zinsen noch nichts zurückgelegt hatte.

123 Ungleich uneigennütziger war Herr Dubski. Er betrachtete mich als einen wohltuend wärmenden Kamin, der ihm die Häuslichkeit gemütlicher und das Leben angenehmer machen sollte. Nur übersah er leider, daß die Flamme für ihn zu groß war. Eines Tages stieg sie auf dem Hexenbesen durch den Schornstein hinaus und begab sich zu den Teufeln der Walpurgisnacht, wohin sie von Rechts wegen gehörte. Jetzt sitzt sie bei einer solchen verfallenen Seele und gratuliert Herrn Dubski von ganzem Herzen, daß er sie so billigen Kaufes losgeworden ist.«

»Sehr schön und geistvoll, verehrte Freundin, nur versteh' ich nicht recht, worin das jetzige Glück im Vergleich zu Ihrer früheren Situation an meinem Kamin bestehen soll?«

»Sprechen Sie nicht von Glück!« erwiderte Anna heftig, indem sie aufstand und mit der geballten Faust auf den Tisch schlug, »mein Element ist nicht das Glück, sondern die Rache. Und Wahrendorff soll das büßen, was Geschick und Welt an mir gesündigt haben von Geburt an.

Ich habe nur den einen Wunsch, reich und unabhängig zu werden, um endlich nicht mehr, wie bisher, Sklavendienste versehen zu müssen. Und dieser elende Spieler, der zehnmal verächtlicher ist, als ich und meinesgleichen, soll das Werkzeug sein, dessen ich mich zu meiner Befreiung bediene. In meinem Lebenslexikon« – fügte sie bitter hinzu – »fehlen leider die beiden Worte Liebe und Glück; Geld und Reichtum sind dafür aber desto fetter gedruckt.«

»Ich fürchte, ich fürchte, liebe Anna,« meinte Dubski, »Sie werden alle diese Dinge noch einmal sehr bedauern, und zwar um so mehr, als eine solche Denk- und Handlungsweise Ihrem eigentlichen Charakter durchaus nicht entspricht. Sie wollen sich an dem Schicksal rächen und 124 strafen Persönlichkeiten, welche ebenso wie Sie den traurigen Notwendigkeiten unterworfen sind. Auch Sie können sich bei Ihren Fähigkeiten noch eine geachtete Stellung im Leben schaffen, allerdings auf andere Weise, als Sie dies bisher versucht haben. Ich glaube bestimmt, daß Sie viel Talent für die Bühne besitzen. Widmen Sie Ihren eisernen Fleiß und Ihre köstlichen Naturgaben der Kunst, und Sie werden sehen, daß Ihre schwarzen Gedanken in diesem Meere des Lichts untergehen werden.

Direktor Sanders, einer meiner besten Freunde, ist soeben von einer Tournee aus Amerika zurückgekehrt. Er ist ein trefflicher Mensch, ein guter Schauspieler und ein vorzüglicher Lehrer. Ich werde ihn mit Ihnen bekannt machen und Sie können seinem Urteile getrost vertrauen.«

Anna lächelte.

»Ich habe auch schon oft daran gedacht, aber, offen gestanden, niemals den Mut gehabt, davon zu sprechen. Sagen Sie Ihrem Freunde, er soll kommen. An Fleiß und gutem Willen fehlt es mir ja nicht, und hoffentlich erweist sich Ihr erster Rat in unserer jungen Freundschaft als glückbringend für Ihre rachelustige Anna.«

»Also abgemacht,« erwiderte Dubski, indem er ihre Hand küßte, »und nun wollen wir uns als gute Freunde wieder ›Du‹ sagen.«

»Gewiß,« nickte Anna zustimmend, »um so mehr, als das ja unter Kollegen auf der Bühne üblich ist.«

»Ich bin zwar in diesem Falle nur Souffleur und weiß deshalb die mir widerfahrene Ehre um so höher zu schätzen.«

Mit diesen Worten nahm Dubski Abschied. – – –

Als Wahrendorff am andern Morgen Anna begrüßte, fand er sie in selten rosenfarbener Stimmung. Mit der ihr eigenen Schnelligkeit im Erfassen eines Planes setzte sie ihm 125 voller Verve ihre schauspielerischen Zukunftspläne auseinander, und als sie geendet, stimmte er ihr völlig bei.

»Du weißt gar nicht,« sprach er, »wie mich diese Nachricht überrascht und erfreut, ich habe ein kleines Geheimnis, welches ich Dir sofort mitteilen werde, wenn Du Dein Talent entdeckst.«

Am entzücktesten war über die neue Wendung Frau Hanke.

»Meechen,« sagte sie, indem sie Anna umarmte, »wenn Du det erste Mal uf den Zettel stehst, denn jeh' ick an alle siebenhundert Litfaßsäulen von Berlin.« 126

 


 


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