Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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18. Kapitel.

Im Theater-Büro.

Schönlein war unterdessen nicht müßig gewesen. Er betrieb bei den Berliner Blättern Reportage, verschmähte auch kleine Prozente für Inseraten-Aufträge von Hotels und anderen reklamebedürftigen Instituten nicht, vermittelte auf den Rennen Wetten und spielte bei unsauberen Transaktionen zwischen Wucherern, Buchmachern und Kavalieren den unehrlichen Makler. So schaffte er sich einen hübschen Verdienst, den er dadurch noch erhöhte, daß er als echter Revolver-Journalist die Geheimnisse anderer Leute auskundschaftete und zu seinem Profit verwertete.

In den Theater-Büros derjenigen Direktoren, bei welchen er Schwierigkeiten in der pünktlichen Gagezahlung witterte, war er ein häufig gesehener Gast. Er half schieben und wurde geschoben. Immerhin ließ er sein großes Ziel: die Spekulation auf Wahrendorffs Kasse, nicht aus den Augen, und endlich glaubte er den Moment gekommen, die Pläne, welche Ehrgeiz und Geldgier ihm gesteckt, verwirklichen zu können.

Den berechtigten Argwohn, welchen sein trauriges Vorleben erregte, pflegte er dadurch zu zerstreuen, daß er vorgab, das Opfer einer unglückseligen Verwechslung mit einem jüngeren Bruder gewesen zu sein, welcher seine strafbaren Missetaten allerdings im Gefängnisse gebüßt hätte. Dieser Bruder existierte zwar nur in seiner Phantasie, aber da sich jene skandalösen Vorfälle in Breslau abgespielt hatten, fand 127 seine Legende allmählich Glauben, und Schönlein fing an, sich des Rufes eines ehrenwerten Mannes zu erfreuen.

So standen die Dinge, als Schönlein sich eines Mittags in dem Büro des Herrn Direktors Behnitz, des Leiters eines im Osten belegenen Theaters der Residenz, einstellte. Schönlein hatte erfahren, daß besagter Herr, welcher außerhalb seiner Tätigkeit den Sportsman und Gentleman spielte, bei einer blutigen Kartenschlacht in einem Hotel nicht nur seine sämtlichen Ersparnisse an Wahrendorff verloren hatte, sondern diesem auch noch größere Summen schuldig geblieben war. Er wußte ferner, daß Wahrendorff, um zu seinem Gelde zu kommen, dem tüchtigen Theaterdirektor noch eine beträchtliche Summe vorgestreckt hatte, um das gewinnbringende Unternehmen für sich zu fruktifizieren.

Dies war auch das Geheimnis, welches Wahrendorff seiner Geliebten angedeutet, und das geeignet war, den Plan Annas, zur Bühne zu gehen, wirksam zu fördern und zu unterstützen.

Als Schönlein das Wartezimmer betrat, schüttelte der Theaterdiener und Vertraute seines Herrn mißmutig das Haupt. Dies war für die Eingeweihten das Zeichen, daß der Herr Direktor vorläufig nicht zu sprechen sei, da er sich in der sorgfältigen Prüfung junger Theaternovizen nicht gern stören ließ. Helles Kichern aus dem Allerheiligsten ließ Schönlein erkennen, daß er sich noch eine Weile in Geduld fassen müsse, und er setzte sich daher auf einen Stuhl, um dort in Gemütsruhe sein Plänchen nochmals genau durchzudenken.

Endlich öffnete sich die Tür, und eine bildhübsche, elegant gekleidete Blondine rauschte, eine große Rolle in der Hand, durch das Zimmer.

»Det is nu de Sechste,« knurrte der Theaterdiener, indem er Schönlein verständnisinnig anzwinkerte, »die die jroße 128 Rolle für det nächste Stück vom Herrn Direktor kriejt. Spielen is natierlich nich, aber die Meechens sind alle zu dumm.« Und damit eilte er in die Arbeitsstube seines Herrn, um den neuen Besucher zu melden.

Als Schönlein eintrat, fand er Herrn Direktor Behnitz in der rosigsten Laune. Eine halbgeleerte Flasche deutschen Schaumweins und zwei Champagnergläser legten Zeugnis dafür ab, daß der Lehrer der Schülerin Gelegenheit gegeben hatte, vor der Prüfung ihre Kehle zu befeuchten.

Herr Behnitz war ein hübscher Mann in der Mitte der vierziger Jahre. Er war elegant gekleidet und trug große Brillanten an den kleinen Fingern seiner wohlgepflegten Hände. Ein graumelierter Spitzbart verlieh ihm ein aristokratisches Aussehen, und die feinen Lackstiefel, der gutsitzende schwarze Gehrock vervollkommneten diesen Eindruck.

Herrn Behnitz war seine Direktionstätigkeit an einem großen Kunstinstitute der Residenz nicht an der Wiege vorgesungen worden. Als halbwüchsiger Bursche war er der Schule entlaufen und hatte sich der Schmiere angeschlossen, bei welcher er drei Dekorationen und zwanzig Requisiten zu beaufsichtigen, sowie Blitz, Donner, Regen und Volk hinter der Szene zu markieren hatte.

Später hatte er an einem kleinen ständigen Provinztheater ein Unterkommen gefunden, wo er die Ehre hatte, Zettel und Programme zu verkaufen, Logen zu schließen, die Briefe der Offiziere der dortigen Garnison an die Damen des Theaters zu bestellen, und die mitwirkenden Mimen bei Tag- und Nachtproben mit Bier und Würstchen aus dem nahegelegenen Restaurant zu versorgen.

Nach diesen erfahrungsreichen Lehrjahren entdeckte er sein Talent. Mit Hilfe einiger guten Kuplets gelang es ihm, das Publikum der Tingeltangel für sich zu gewinnen, 129 und eines Tages war er im Quartier latin Berlins eine gefeierte Größe der Singspielhallen.

Nachdem er sich auf diese Weise etwas Geld gespart, errichtete er selbst einen derartigen Kunsttempel, und da er die dazu gehörige Restauration in ebenso rationeller Weise betrieb wie die artistischen Genüsse, da der Inhalt der von ihm verschenkten Biergläser ebenso klein war wie die Röckchen seiner Chansonetten kurz, so gelang es ihm nach einiger Zeit, eine für seine Verhältnisse erhebliche Summe zurückzulegen.

Er wurde nunmehr Impresario einer wandernden Schauspielertruppe, welche in der Provinz Tournees veranstaltete. Da er geschickt und kaufmännisch zu Werke ging, so wurde ihm die Kunst zur melkenden Kuh, und Publikum sowie die Presse stellten ihm das Zeugnis eines kunstsinnigen Bühnenleiters aus.

Endlich kam er nach Berlin und übernahm jenes im Osten belegene Theater. Da er dem durchaus richtigen Prinzip huldigte, daß diejenigen Theater die besten sind, an deren Ausgange sich nach Schluß der Vorstellung das distinguierteste Herrenpublikum versammelt, so wurde sein Kunsttempel bald der Wallfahrtsort für die liebesbedürftige jeunesse dorée der Residenz. Sein Etat war infolgedessen gering, denn er engagierte nur Damen, welche die prächtigsten Toiletten besaßen, für die Besetzung einiger Logen sorgten und auf das landesübliche nominelle Honorar von 60–150 Mark monatlich verzichteten.

Talentvolle Debütantinnen, welche tugendhafte Anwandlungen zur Schau trugen, wurden ungesäumt eliminiert, und Herr Behnitz war einer der beneidetsten und bewundertsten Theaterdirektoren Berlins. Sein ernstes künstlerisches Streben fand allseitig Anerkennung, und ein Knopfloch genügte nicht mehr, um die Fülle der Orden zu fassen, welche die 130 Brust des kunstverständigen Mannes zierten. So wäre denn alles herrlich und schön gewesen, wenn nicht Herr Behnitz den unglückseligen Einfall gehabt hätte, auch selbst den Kavalier spielen zu wollen. Wahrendorff war dazu berufen, die beleidigten Musen zu rächen, und die selbständige Theaterleitung des Gefeierten durch Übernahme des finanziellen Teils angemessen zu beschränken.

Als Schönlein eintrat, begrüßte ihn der Herr Direktor mit den Worten:

»Hocherfreut, Herr Schönlein, was verschafft mir die Ehre? Die Gagen für die nächsten Monate liegen in der Kasse, es gibt also nichts zu handeln.«

»Das ist mir bekannt, Herr Direktor,« erwiderte Schönlein. »Ich wollte mir nur erlauben, Ihnen als getreuer und ergebener Freund herzlich zu gratulieren, daß Herr Direktor einen so reichen und vornehmen Alliierten für Ihr Kunstinstitut gewonnen haben.«

»Danke, danke, lieber Schönlein! Aber sollten Sie mir nichts weiter zu sagen haben? Heraus mit Eurem Flederwisch, junger Freund!«

»Nun ja, Herr Direktor, ich glaube Ihnen dienen und recht nützlich sein zu können. Sie wissen, daß der prächtige Herr Wahrendorff Wachs in den Händen des Fräulein Hanke ist. Was Sie aber vielleicht nicht wissen, das ist folgendes: Fräulein Anna Hanke bereitet sich zur Bühne vor, und Herr Direktor Sanders bringt ihr die ersten Flötentöne der wahren und echten Schauspielkunst bei.«

»Was Sie sagen?« unterbrach ihn Behnitz, den die Sache jetzt zu interessieren anfing.

»Nun ist es zweifellos,« fuhr Schönlein fort, »daß besagte Freundin Ihres Herrn Sozius über kurz oder lang hier die dominierende Rolle spielen wird, und da dürfte es für Sie nicht gleichgültig sein, zu erfahren, daß ich, wie ich 131 mich wohl rühmen darf, den größten Einfluß auf diese Dame besitze.«

»So, so, und darf man erfahren, woher dieser Einfluß stammt?«

»Aus früheren Zeiten,« versetzte Schönlein mit gemachter Bescheidenheit, während ein bedeutsames Lächeln um seine Züge flog. »Niemand kennt, wie ich, alle Geheimnisse ihrer Vergangenheit, und sie würde es nie wagen, mir gegenüber etwas zu bestreiten.«

»Sie glauben, mit anderen Worten, Fräulein Hanke völlig in der Hand zu haben, und durch die Tatsache, daß sie lebt, jederzeit beweisen zu können, daß sie nicht zum Stamme der Afra gehört.

Kennen Sie die Dame vielleicht schon aus Ihrer Tätigkeit in Breslau?« fügte er boshaft hinzu.

»Sie verwechseln mich mit meinem Bruder, Herr Direktor! Ich bin für meine Familie ebensowenig verantwortlich, wie Sie für die Tugend Ihrer Künstlerinnen und – für Ihre Orden.«

»Gut pariert,« lachte Behnitz. »Für diesmal sind wir also quitt, mein lieber Herr Schönlein! Ich verstehe Sie vollkommen, nur vermisse ich bei Ihrer Offerte die Preisangabe für die Ware.«

»Darauf wollte ich eben kommen, Herr Direktor! Ich sehne mich nach einer stabilen Stellung, welche meinen Fähigkeiten, meinem literarischen Ehrgeiz und, ich darf wohl sagen, meinen Talenten entspricht. Kurz und bündig, engagieren Sie mich als Dramaturgen!«

»Darüber ließe sich reden. Nur bitte ich Sie, dasjenige, was Sie durch Ihren angeblichen Einfluß in meinem Interesse erreichen wollen, noch etwas zu präzisieren.«

»Nichts ist leichter, Herr Direktor. Fräulein Hanke ist ebenso schön wie klug und ehrgeizig. Bei den Beziehungen 132 Wahrendorffs wird es leicht sein, schon vor ihrem Auftreten ihr künstlerisches Renommee zu festigen. Mit Hilfe einiger gutgewählter Rollen werden wir ihr dann Lorbeer und Ruhm verschaffen. Die Folge davon wird eine Erhöhung ihrer Leidenschaft für die Kunst sein. Sie wird selbst das Interesse haben, Ihr Institut in die Höhe zu bringen, und die Fonds der Wahrendorffschen Kasse werden immer reichlicher und mächtiger in Ihre Tasche fließen.

Sollte der Eifer der Gnädigen jedoch nachlassen, so werde ich stets bei der Hand sein, um etwas stimulierend zu wirken. Es ist mit der Öffentlichkeit ein eigen Ding. Steht man einmal darin, so geht es einem wie dem Schiffer auf dem Ozean, der nur Luft und Wasser sieht. Es gibt kein Aussteigen unterwegs, und der einmal zur Kenntnis des Publikums gebrachte Name legt Verpflichtungen auf, welche ohne weiteres nicht zu beseitigen sind.«

»Ich glaube, Sie verstanden zu haben,« versetzte Behnitz nachdenklich. »Sollte Fräulein Hanke ungefügig werden, so gibt man ihr zu verstehen, daß indiskrete Leute so grausam sein könnten, einige pikante Histörchen zum Besten zu geben, wie man Schauspielerin wird. Man läßt sie ›Kabale und Liebe‹ lesen, und da die lebenslustige junge Frau wahrscheinlich keinen Geschmack an matter Limonade findet, gibt sie klein bei, und wir halten Herrn Wahrendorff sicher und warm.«

Schönlein nickte.

»Der Herr Direktor haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Außerdem dürfte es aber auch natürlich und menschlich sein, so eine kleine Rache für die traurigen Erfahrungen zu nehmen, welche der Herr Direktor neulich am Spieltisch gemacht haben. Und das Beste daran ist, daß Wahrendorff als reiner Tor in die Falle hineingeht, und 133 keiner der Beteiligten, außer uns beiden, weiß, daß wir mit ihnen spielen.«

»Fürchten Sie nicht Sanders? Er ist ein unerhört anständiger und gewissenhafter Mensch!«

»Pah,« erwiderte Schönlein, »der ist in seine Schülerin so verliebt, daß an seinem Auskommen gezweifelt wird.«

»Und Sie, Herr Schönlein? Lieben Sie die Dame auch?!«

»Das wird davon abhängen,« versetzte zynisch Schönlein, »welche Disposition mein neuer Herr Chef nach dieser Richtung hin treffen wird.«

Behnitz lächelte stolz und selbstgefällig.

»Also,« sprach er, »abgemacht, Herr Dramaturg!«

Schönlein schlug in die dargebotene Rechte ein.

»Lebenslänglich?«

»Selbstverständlich,« erwiderte Behnitz, und nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »das heißt, solange Wahrendorff lebt und – zahlt134

 


 


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