Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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5. Kapitel.

Ostende.

Seit jener merkwürdigen Begegnung vor dem Brandenburger Tor schien Wahrendorff das Glück zu verfolgen. In Baden-Baden gewann er Rennen über Rennen, und seine verheerenden Banken im Bakkarat bildeten das Gespräch der Herren vom Internationalen Klub. Vom Bahnhofe bis hinaus zur Fischkultur sprach man nur von seinen kolossalen Gewinnen, welche positiv beinahe die Höhe derjenigen Beträge erreichten, welche die Kavaliere ihm schuldig blieben.

Mitte September begab er sich mit seinem unzertrennlichen Dubski nach Ostende, und mit ihnen zugleich der Schwarm derer, welche in dem Seebade eine Verschiebung der Chancen erhofften.

Trotz alledem war Franz Wahrendorff nicht glücklich. Mit neunzehn Jahren war er Waise geworden. Seine Mutter war im Wochenbette gestorben und der Vater heimgegangen, als Franz eben das neunzehnte Lebensjahr erreicht hatte. Majorenn geworden, kam der junge Mann in den Besitz eines Vermögens, welches auf sechs Millionen Mark geschätzt wurde und aus einer gutgehenden Verlagsbuchhandlung, diversen Gütern und Häusern sowie einem größeren Posten preußischer Konsols bestand. Da seine Eltern beide alten Leipziger Patrizierfamilien angehört hatten, öffneten sich dem reichen, jungen Mann sofort alle Türen und alle Herzen, und es hätte nur eines Winkes seinerseits bedurft, um das umworbenste junge Mädchen der Pleißestadt die Seine nennen zu können.

35 So wäre ihm ein glückliches, sorgenloses Dasein beschieden gewesen, wenn ihn nicht Sport und Spiel mit eisernen Klauen aus diesen glücklichen Verhältnissen herausgerissen hätten. Diese Leidenschaften hatten ihn schon in früher Kindheit befallen. Als kleiner Schuljunge riet er mit seinen Kameraden Stahlfedern aus, als Tertianer spielte er mit seinem Hauslehrer Ecarté, und in Prima wußte er mit den Pedigrees der Rennpferde besser Bescheid wie mit der Geschichte der Hohenstaufen. Er war rasch und übereilt in seinen Entschlüssen, schneidig und rücksichtslos in allen Ehrensachen, freigebig und knickerig je nach Laune und wankelmütig in seinen Neigungen zu dem schönen Geschlecht, dessen glänzendste Vertreterinnen den reichen und feschen Mann umschwärmten. Dabei ein kühner Reiter, ein vorzüglicher Schütze, ein unermüdlicher Lebemann. Er hatte alle Länder bereist, alle Vergnügungen, welche die Welt bietet, ausgekostet und hielt sich jetzt, nachdem er das dreißigste Jahr eben überschritten hatte, sechs Monate in Berlin, die übrige Zeit in den Modebädern auf. Seine Gesundheit war unverwüstlich, seine Körperkraft sprichwörtlich. Er war eine elegante, große, kräftige Erscheinung, den kleinen Mund beschattete ein wohlgepflegter blonder Schnurrbart und die dunklen, funkelnden Augen übten einen dämonischen Reiz auf die Frauen aus. Als Dubski ihn kennen lernte, hatte er schon den größten Teil seines Vermögens eingebüßt, und erst in der allerletzten Zeit hatte das Meer des Glücks ihm den größten Teil desjenigen wieder in den Schoß gespült, was er Jahre hindurch verloren hatte.

Es mochte etwa elf Uhr abends sein, als die beiden Freunde nach einem im Hotel la Plage eingenommenen vorzüglichen Diner auf einer Bank an der Digue saßen und in den tosenden Ozean zu ihren Füßen blickten.

»Wann wird«, so meinte Dubski, »uns Menschen wieder einmal die strafende Gerechtigkeit Gottes erreichen? 36 Prometheus wurde, weil er das göttliche Feuer gestohlen, an einen Felsen geschmiedet, und der Geier fraß an seiner Leber, ohne daß der Unglückliche jemals die Aussicht gehabt hätte, seine angegriffene Gesundheit wieder in Karlsbad herzustellen. Wir aber, die entnervtesten Epigonen eines durch Krankheit, Laster und frivole Habsucht unterminierten Menschengeschlechts, wir wagen es, die gewaltige Urkraft, das gottähnliche Meer, unseren trivialen Zwecken dienstbar zu machen. Sehen Sie die Wasser, wie sie schäumen, tosen und brausen! Ist ihr Geheul nicht die laute Stimme der Wut, daß ihnen die Kraft fehlt, die Dämme zu zerreißen und rache- und beutegierig die elenden Frevler zu vernichten? An dieser heiligen Stelle, wo die eherne Kraft der Natur sich in göttlicher Allgewalt offenbart, da wagt es der Mensch« – hier deutete Dubski auf den nahe gelegenen, prächtig erleuchteten Kursaal – »dem Laster eine Stätte zu errichten und ohne Scham und Scheu mit neronischem Raffinement den Gegensatz der hohen Naturkräfte und der niedrigen Menschentriebe zum Ausdruck zu bringen.«

»Ich verstehe,« erwiderte Franz lächelnd, »Sie wollen mir an der Hand dieses prächtigen Seestückes nachweisen, daß der Spieler verwerflich und ein Franz Wahrendorff eine der unnützesten Kreaturen auf Gottes Welt ist. Ich erhebe keinen Widerspruch und gebe Ihnen bei meiner rein materiellen Auffassung des Lebens alles ohne weiteres zu.

Ich gestehe offen, die Meeresluft ist mir ein willkommenes Medikament, dessen Genuß mir erkaufen zu können ich in der angenehmen Lage bin, und sein schäumendes Wasser hat für mich nur insofern eine erfreuliche Bedeutung, als es Hummern und Seezungen birgt, welche dort oben von den französischen Köchen à l'Américaine und à la Morny so trefflich zubereitet werden. Der Rücken des Ungetüms ist mir insofern sympathisch und nützlich, als ich durch die Dampfer 37 meine Kleidung und diverse Luxusartikel pünktlich aus London erhalte, und die Pferde, welche ich in Newmarket in Training habe, rechtzeitig hier eintreffen. Ich bezweifle keinen Augenblick, daß ich von uns beiden der geistig Unbedeutendere bin, und bin weiter so frivol, Ihnen mitzuteilen, daß ein von potenten Leuten besetzter Bakkarat-Tisch mir ein weit erfreulicherer Anblick ist als der schönste Nordweststurm.«

»Vielleicht ist das richtig,« ließ sich die Stimme des Doktor Reim vernehmen, welcher soeben mit Fräulein Asta an die Bank herangetreten war und den letzten Teil von Wahrendorffs Rede gehört hatte.

»Fräulein Asta wünscht von Ihnen zu hören, ob Sie noch mit uns zu Noppeney gehen und daselbst eine Portion Eis essen, oder ob Euer Hochwohlgeboren noch an der Völkerschlacht im Spielsaale teilnehmen wollen.«

Franz erhob sich. »Wir wollen das eine tun und das andere nicht lassen. Zunächst lade ich die Herrschaften zu einer gemeinschaftlichen Bank mit mir ein, und dann wollen wir den Konditor bereichern.«

Die Gesellschaft schlug den Weg zum Spielsaal ein, dessen Türen die Diener mit tiefer Verbeugung öffneten. Der schöne Raum war noch dicht gefüllt. Ein belgischer Herr hielt gerade die Bank und schien, nach den vergnügten Gesichtern der Umhersitzenden zu urteilen, am Ende seines finanziellen Könnens angekommen zu sein.

An dem Hofe des Kaisers »Jeu« kennt man keine Standesunterschiede. Friedlich sitzt dort der ahnenreiche Graf neben dem Buchmacher, der Berliner Bankdirektor neben dem internationalen Abenteurer und Hochstapler. Die vornehme Dame aus der Tiergartenstraße gibt ihren Unmut über den Verlust ihrer Nachbarin, der Mätresse eines österreichischen Kavaliers, in deutlichen Redensarten zu erkennen, und eine jugendliche demi-vierge aus den höheren Kreisen der 38 belgischen Hauptstadt bittet die vor ihr stehende Kokotte, zwanzig Franken auf die rechte Seite des Tableaus zu setzen. Der in allen Zonen an seiner Haltung erkennbare deutsche Offizier in Zivil spricht sich mit einem Börsenmakler über die Chancen des nächsten Coups aus, und ein Berliner Rechtsanwalt räumt galant einer bekannten Schauspielerin der Residenz seinen Platz.

Mit prüfendem Blick erspäht der Verlierer seine Beute, von der er sich in der nächsten Minute Geld leihen will, und nur der Croupier ragt kalt und still wie Salas y Gomez aus den Fluten der Leidenschaft. Die dumpfe, rauch- und parfümgeschwängerte Atmosphäre legt sich auf Lunge und Gehirn, die klagenden und jubelnden Stimmen vereinigen sich zu einem wüsten, peinlichen Gekreisch und der monotone Ruf »Faites vos jeux, messieurs« erinnert an den Schrei des Raubvogels, welcher in der Jagdhütte als Lockspitzel für die dummen Brüder dient.

Wahrendorff hatte eine billige Bank für zweihundert Louis zugeschlagen erhalten, und nachdem er den sechsfachen Betrag eingezogen, stand er auf und teilte den Gewinn mit den drei Freunden. Vergnügt zogen die vier in das Café, um sich dort die letzte Erquickung vor dem Schlafengehen zu suchen.

»Denken Sie noch manchmal«, begann Asta das Gespräch, »an Ihre Mascotte?«

»Gewiß,« erwiderte Wahrendorff, »ich denke an sie wie an ein Geschäft, bei welchem das angelegte Kapital gute Zinsen trägt, und bin gern bereit, jeden Nachschuß zu leisten. Zur Eifersucht, liebe Asta, liegt übrigens kein Grund vor. Sollte die junge Dame mir einst als fertige Mondaine vor die Augen treten, mit einem nach der neuesten Mode harmonisch zu ihren Augen passenden Gewande angetan, mir mit 39 liebenswürdiger Miene gutes Deutsch und schlechtes Französisch vorplaudern – dann ist vielleicht der Zeitpunkt nahe, wo ich dieses Wesen in intimeren Konnex zu meinem Dasein bringen würde. Vorausgesetzt,« fügte er lächelnd hinzu, »daß mein Freund Dubski, welcher ernsthaft verliebt zu sein scheint, dies gestattet.«

»Gut,« rief Doktor Reim »Go on, Dubski, mein Junge! Unser Freund ist der wahre Hort der armen Mädchen, welche statt Mitgift Gift mit auf die Welt bekommen haben. Er flößt ihnen das Gegengift reiner Menschen- und Nächstenliebe ein, und wenn er dann die junge Menschenblüte zur Blume entfaltet hat, passiert ihm jedesmal das unerhörte Pech, daß die Blume verduftet und er mit dem leeren Topfe das Nachsehen hat. Unbeirrt durch diese Erfahrungen, hat er dann gewöhnlich nichts Eiligeres zu tun, als wieder ein neues Pflänzchen einzusetzen.«

»Uzen Sie nur, Reim,« sagte Dubski, »das Lancieren ist nun einmal meine Spezialität und es macht mir ein ungemeines Vergnügen, in allen Fällen meine Pädagogik ganz treffliche Früchte tragen zu sehen.«

»Im übrigen kann ich nicht leugnen, daß ich mich für Fräulein Anna Hanke lebhaft interessiere und mein erster Schritt vom Wege in Berlin ihr gelten wird.«

Reim erhob sich. »Meine Herrschaften, es gibt einige Leute, welche die längst widerlegte Behauptung aufstellen, daß die Nacht zum Schlafen da ist. Folgen wir heute dieser Theorie, damit wir morgen aus eigener Erfahrung und Überzeugung beweisen, daß unsere gegenteilige Praxis viel mehr für sich hat.«

Damit führte er noch einen Kuchen an den Mund, verspeiste das Gebäck und verließ mit den Worten: »Sapienti sat, ein Weiser ist satt« die Gesellschaft.

40 Asta fuhr nach ihrer etwas entlegenen Villa, und Dubski wanderte mit Wahrendorff Arm in Arm die Digue hinan dem Hotel Continental zu.

Dubski war schweigsam und melancholisch. Und als die beiden sich trennten, rief Wahrendorff ihm noch zu:

»Viel Glück zum neuen opus Anna Hanke!« 41

 


 


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