Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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12. Kapitel.

Der Treubruch.

Mit etwas gemischten Gefühlen waren einige Stunden später die drei Frühstücksgenossen wieder beim Diner vereint. Trotzdem der Plan gelungen, war die Stimmung nicht freudig wie vor der Entscheidung. Wahrendorff saß bleich und mit blutleeren Lippen nervös da; die Art und Weise, wie man ihm gratuliert, wie man ihn gegrüßt und ihm zugetrunken hatte, ließ ihn deutlich erkennen, daß die Eingeweihten ihn durchschauten, und daß er fortan zu den Leuten gehörte, welchen auf dem Rennen wie am Spieltisch etwas deutlicher auf die Finger gesehen wird, als den makellosen und unbescholtenen Elementen. Jene Kreise haben einen feinen Geruch für den Moment, wo ein Mitglied anfängt, sich mit dem »corriger la fortune« zu beschäftigen, und es gilt dann, den Betroffenen recht lautlos und unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu entlarven und möglichst ohne Eklat verschwinden zu lassen.

Dubski wußte nicht recht, was er sagen sollte. Er traute dem Freunde den Schurkenstreich nicht zu, und andererseits fiel es ihm doch auf, daß Wahrendorff ein so seltsames und zerknirschtes Wesen zur Schau trug.

Nur Anna war auf der Höhe. Sie lachte, trank und animierte die Herren, ein Gleiches zu tun. Um ihre verführerischen Reize zu erhöhen, hatte sie eine ausgeschnittene Gesellschaftsrobe angelegt, welche die prächtigen Schultern, die tadellose Büste und den klassischen Halsansatz für die bewundernden Blicke frei ließ. Es gelang ihr denn auch bald, 86 die Stirne Wahrendorffs zu glätten und ihn zum Genuß dieser glücklichen Stunde zurückzurufen.

Der Kellner trat herein und flüsterte Wahrendorff etwas ins Ohr.

»Ich hin hier nicht zu sprechen. Morgen früh vielleicht im Hotel.«

»Aber der Herr will sich durchaus nicht abweisen lassen, er müsse sofort mit Ihnen reden.«

Wahrendorff stand auf, um selbst hinauszugehen, als der Aufdringliche schon die Tür öffnete und mit einem »Morning« ganz ungeniert in das Zimmer trat. Ärgerlich ließ Wahrendorff den Kellner die Tür von außen zumachen und wandte sich unwirsch an seinen Jockei – denn dieser war der Eindringling: What do you want, Charley? Es hätte doch mit dem Gelde wirklich bis morgen Zeit gehabt.«

»No, Sir,« erwiderte der Angeredete, ein kleiner, geschmeidiger Kerl mit Pockennarben im Gesicht und kleinen verwegenen Augen, welcher seit etwa drei Jahren die Reit-Lizenz in Deutschland hatte und in dieser Zeit schon oft nahe daran gewesen war, auf allen möglichen Schiebungen ertappt zu werden und sein Brot zu verlieren. Jedenfalls war sein Reiten gewöhnlich dringend verdächtig, und trotz seiner gerühmten Jockey-Ship hüteten sich die anständigen Rennstallbesitzer, ihm ihren Dreß anzuvertrauen. Auch für Wahrendorff ritt er erst seit drei Monaten.

»Ick müssen haben das Money gleich, weil ick müssen abreisen noch heute nach old England. Für morgen haben sie mich vor die Stewarts gefordert von wegen das Sieg von Anita.« Und bei den letzten Worten grinste er höhnisch wie ein Dieb nach glücklich vollbrachtem Einbruch.

Wahrendorff war die Auseinandersetzung vor Dubski peinlich, er griff nach seiner Brieftasche und reichte Charley drei Tausendmarkscheine hin.

87 »Da, Charley, hier ist Dein Lohn, und nun good bye, – wir sprechen uns noch!«

Charley schien jedoch mit der geschenkten Summe sehr wenig einverstanden zu sein. Er drehte die braunen Lappen nach allen Seiten um, sah die drei frech an und sprach endlich in dreistem Tone:

»Herr Baron wollen machen Witz mit Charley. Witz ist gut, aber Money ist zu wenig. Bei die immensen Wetten, besonders die schönen Odds nach Henckel-Rennen müssen der Herr Baron sorgen für armen Charley, der vielleicht morgen wird verlieren sein Brot.«

Wahrendorff nahm noch zwei Tausendmarkscheine aus der Brieftasche, und gereizt durch den Wein und die Aufregung, warf er dem Jockei das Geld mit den Worten vor die Füße: »Da, Bursche, und nun mach', daß Du verschwindest – sonst geb' ich Dir hier auf dem Zimmer Sporen und Peitsche!«

Charley nahm das Geld ruhig auf und erwiderte, indem ein giftiger Blick seinen Herrn traf: »Langsam, langsam, Herr Baron, es fehlen jetzt bloß noch vierzigtausend und fünf.« Und damit hielt er beide Hände zum Empfange hin.

Jetzt hielt Wahrendorff nicht mehr an sich. Er holte zum Schlage aus und hätte die Wange des Burschen getroffen, wenn dieser nicht mit geschicktem Sprunge ausgewichen wäre.

»Oho, Herr Baron, es ist nicht gentlemanlike, zu schlagen armes Reitknecht, was Hände hat noch ganz steif vom Pullen of Anita im Henckel-Rennen auf Ordre von gnädigem Herrn. Nun habe ich auch Derby herausgeritten und soll bekommen dafür Prügel statt Money. Ich sein neugierig, ob die Stewarts morgen werden einverstanden sein mit Zahlung der Buchmacherwetten auf Anita.«

Wahrendorff fühlte, daß er machtlos und gänzlich in der Hand des Burschen war. Auch Anna nickte ihm unaufhörlich zu, der peinlichen Szene ein Ende zu machen; denn Dubski 88 saß mit strengem Gesicht an der Tafel und wartete vergeblich darauf, daß Wahrendorff den von dem Jockei erhobenen Vorwurf zurückweisen werde.

Darum hielt der Derby-Sieger es für das Beste, gute Miene zum bösen Spiele zu machen. Er füllte einen Scheck in Höhe der geforderten Summe aus und übergab ihn schweigend dem Jockei. Dieser grinste vergnügt.

»Thanks, Sir, good night, ladies and gentlemen,« mit diesen Worten verließ er das Zimmer, und als er schon draußen war, öffnete er nochmals die Tür, steckte den Kopf hinein und rief: »Wenn Herr Baron wieder Reiten wünschen mit Pullen von mir, dann will ich meine Adresse mitteilen von London.«

Eine peinliche Stille folgte dieser Szene. Nur der Kellner verursachte durch Tellerklappern einiges Geräusch, und sein schadenfrohes Lächeln deutete an, daß ihm das Gespräch wohl nicht ganz entgangen sein konnte.

Nachdem der Kaffee serviert war, und Wahrendorff die Rechnung bestellt hatte, erhob sich Dubski, winkte Anna zu, ein Gleiches zu tun, und sagte zu Wahrendorff:

»Ich habe Sie bisher für einen anständigen Menschen gehalten und bin Ihnen ein aufrichtig ergebener Freund gewesen. Hier aber scheiden sich unsere Wege, und ich bedauere, nicht in der Lage gewesen zu sein, Ihren schimpflichen Plan zu vereiteln. Komm', Anna, wir haben hier nichts mehr zu tun.«

Wahrendorff beantwortete diese Ansprache mit kaltem, eisigen Lächeln.

»Unsere lange Freundschaft, mon cher Dubski, berechtigt Sie noch lange nicht, diesen Ton gegen mich anzuschlagen, um so weniger, als Sie ja gar nicht wissen können, ob nicht Charley lügt und ein ganz gemeiner Erpresser ist.«

89 »Hätten Sie ihm wohl dann die geforderte Summe von 50 000 Mark gegeben?«

»Machen Sie mich nicht ärgerlich mit Ihren Fragen, auf welche ich partout keine Antwort geben werde. Im übrigen,« lachte er höhnisch, »ein schönes Triumphfest für den Derbysieg!« Er füllte ein Glas und reichte es Anna: »Sie wenigstens, Sie werden mir doch Bescheid tun?«

Anna leerte das Glas in einem Zuge, warf es sodann auf die Erde, daß es zerschellte, und rief ihm zu: »Auf daß das Glück Ihnen stets blühen möge wie heute!«

Wahrendorff küßte die Hand der schönen Sprecherin, und Dubski blickte die beiden verwirrt an.

»Ich sagte Dir schon, Anna, Du sollst mir folgen, wir wollen heimgehen.«

»Gehe doch allein, wenn es Dir so paßt.«

»Dieser Ton entspricht nicht den Formen, welche ich mich bemüht habe, Dich in zwei Jahren zu lehren. Am allerwenigsten erscheint es mir jedoch angebracht, dieses Zimmer zu dem Schauplatze einer neuen peinlichen Diskussion zu machen. Also gehen wir.«

»Nicht eher, als bis Du Wahrendorff wegen Deiner Beleidigungen um Verzeihung bittest.«

»Ich ihn, bist Du von Sinnen?«

»Was geht Dich denn der Vorfall auf dem Rennen an? Hat er Dich betrogen, hat er Dir nicht vielmehr geraten, auf Anita zu setzen? Und mich hat er sogar mit dreitausend Mark beteiligt!«

»Also Du hast nicht das mindeste Gefühl dafür, daß Du mit der Annahme dieses Sündenlohnes an Wahrendorffs Verbrechen teilnimmst und Dich zu seiner Genossin stempelst?«

»Vielleicht war ich schon längst seine Vertraute!« – erwiderte jene frech.

90 »Du,« rief Dubski ernst, indem er drohend auf sie zulief, »treibe es nicht zu weit, man kann das, was man auf der Gasse aufgelesen, wieder auf die Gasse zurückwerfen.«

Kaum waren ihm diese Worte entfahren, als Dubski auch schon bedauerte, sie ausgesprochen zu haben. Anna war totenbleich geworden und in die Arme Wahrendorffs gesunken, welcher sich um die Ohnmächtige bemühte. In diesem Augenblick vergaßen die Männer ihren Hader und vereinigten sich in der Sorge um das Weib, welches sie beide anbeteten.

Als Anna wieder zu sich gekommen war, wandte sie sich an Dubski:

»Mein Lieber, wir sind quitt, und zwar ganz und gar. Für Dein für mich geopfertes Geld hast Du doch auch Dein Vergnügen gehabt und mußt mir zugeben, daß ich Dir nie lästig gefallen bin. Um Dir nun zu zeigen, daß ich nicht so verworfen bin, wie Du soeben behauptet hast, teile ich Dir mit, daß wir von heute ab geschiedene Leute sind. Und nun, lieber Wahrendorff, haben Sie wohl die Güte und bringen mich ins Hotel.«

Ohne sich nach Dubski umzusehen, nahm sie den Arm des Freundes, und zärtlich an ihn geschmiegt, verließ sie das Zimmer. Dubski folgte ihnen, er konnte noch gerade sehen, wie die beiden nach »Alsterlust« zupromenierten, und Eifersucht, Liebe und Wut schäumten in seinem Herzen auf.

»Hochstapler und Ballhausanna,« sprach er vor sich hin, »das paßt zusammen, und ich kann von Glück sagen, daß ich mit einem Schlage alle beide wieder losgeworden bin.«

Je mehr er über den Vorfall nachdachte, desto geringer wurde sein Zorn gegen Anna und desto größer die Reue seiner Liebe.

Er wandelte zwei Stunden umher und suchte ihr Zimmer auf. Er klopfte. Keine Antwort.

91 Er rief. Nichts regte sich. Wieder begab er sich auf die Straße und blickte nach dem Fenster hinauf, ob etwa ein Lichtschein sichtbar würde. Aber nichts ließ sich sehen, und er fand seine Ruhe erst einigermaßen wieder, als ihm ein zufällig des Weges kommender Freund die Mitteilung machte, daß Wahrendorff im Klub weile. Mit einem tiefen Seufzer kehrte er um und stieg langsam zu seinem Zimmer hinauf.

Anna hatte ihn vom Fenster aus beobachtet, und die sehnsüchtigen Blicke, welche er hinaufgesendet, waren ihr nicht entgangen. Sie war eigentlich ganz froh darüber, daß Dubski sich zu der beleidigenden Äußerung ihr gegenüber hatte hinreißen lassen, denn nun erschien ihr der Verrat entschuldbar und leichter. Sie war mit ihrem Tagewerke wohl zufrieden.

Alles war nach Wunsch gegangen und genau programmmäßig verlaufen. Sie selbst hatte den Jockei zu Pfordte hinbestellt, um den Bruch mit Dubski zu ermöglichen und andererseits einen Zeugen für die Schuld Wahrendorffs zu haben.

Im Grunde tat ihr Dubski leid. Sie wußte, daß er sie leidenschaftlich liebte, und sie hatte für ihn das Gefühl ehrlicher Freundschaft. Zudem kannte sie ihn als durchaus redlichen, ehrenhaften Charakter, ein Vorzug, welcher dem zukünftigen Protektor weniger zu eigen war. In ihrer Klugheit sagte sie sich auch, daß Dubski trotz alledem auf ihren ersten Wink zurückkehren und ihr, wenn er den ersten Schmerz verwunden, stets ein treuer und hilfsbereiter Freund sein würde. Mit diesen Gedanken beschäftigt, räumte sie die nötigsten Sachen in dem Koffer zusammen, und sah der fünften Morgenstunde entgegen, um welche Zeit ihr Zusammentreffen mit Wahrendorff geplant war. 92

 


 


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