Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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16. Kapitel.

Heimkehr.

Es war bereits April, als der Pariser Kurierzug, welcher Anna und Wahrendorff nach Berlin zurückbrachte, pünktlich um sechs Uhr abends in die Halle des Potsdamer Bahnhofs einfuhr.

Robert und Frau Hanke hatten sich zur Begrüßung eingefunden. Die letztere war in einem Kostüm erschienen, welches lebhaft an den Aufputz der seligen Eisrieke erinnerte. Ein weißer Schleier mit roten Tupfen verbarg das edle Antlitz, über welchem sich ein gewaltiger Rembrandthut mit schwarzen und blauen Federn wölbte. Um den Hals legte sich eine weiße Federboa, während der junonische Körper in einen schwarzen Samtmantel gehüllt war. Da Frau Hanke keine passenden Lederhandschuhe gefunden hatte, so trug sie zweiknöpfige weiße Militärhandschuhe.

Ehe der Zug in Sicht kam, wandte sich Frau Hanke an Robert:

»Wenn der Herr Baron den Kopf zum Fenster raussteckt, denn jeben Sie mich een Zeechen, damit ick ihm bejrieße. Kuckt aber meine Dochter zuerst raus, denn weeß ick schon Bescheed.«

»Zu Befehl, gnädige Frau,« erwiderte Robert, welcher, wie alle guten Kammerdiener, die Kunst, das Lachen zu bemeistern, bis zur Vollendung gebracht hatte.

Nun brauste die Lokomotive heran, und wenige Augenblicke später schloß Anna ihre Mutter in die Arme.

114 Wahrendorff stand mit Robert beiseite.

Beide schämten sich unsinnig, gesehen zu werden, und stürzten schleunigst, um sich etwas zu erholen, nach der Gepäckausgabe. Während Wahrendorff sich dort zu schaffen machte, erhielt Robert den Auftrag, die beiden Damen in einen zugemachten Wagen zu bugsieren. Nachdem ihm gemeldet, daß die Damen Platz genommen, schlich Wahrendorff wie ein schuldbewußter Pudel zu seiner Herrin. Anna übernahm die Vorstellung, worauf die Alte mit einer devoten Verbeugung sofort auf den Rücksitz flog und mit den Worten:

»Nee, nee, Herr Baron, Ehre, wem Ehre jebiert,« sich absolut weigerte, den Platz im Fond wieder einzunehmen.

Anna war sehr verlegen; denn Wahrendorff musterte seine Pseudo-Schwiegermutter mit Blicken, aus welchen eine so erbarmungslose Kritik sprach, daß Frau Hanke in ihrem unbehaglichen Zustande die Augen senkte und mit den Militärhandschuhen der Boa die schönsten Federn ausriß.

Endlich brach Annas Mutter das Schweigen.

»Ick jloobe, et wird Herrn Baron bei uns sehr jefallen. Ick habe ja frieher allerdings ooch sehr feine Einrichtungen jehabt, als ick noch mit de feinsten Herrschaften in meeblierte Verbindung stand. Aber ick muß sagen, so ville scheene Teppiche un Spiegel und kupperne Bonzen habe ick doch nie nich jesehen. Un denn, wat die Hauptsache is, nischt, jar nischt uff Abzahlung

»Also es gefällt Ihnen,« meinte Wahrendorff, der sich das Lachen nur mühsam verhalten konnte.

»Nu nee nich,« erwiderte die Hanken, »allens scheen wie bei die Prinzen. Aber se verdient's ooch« – und dabei kniff sie die sich sträubende Tochter in die Wange –, »jut is se, un scheen is se ooch, un wat de Hauptsache is, mächtig treu. Se kenn'n sich uff ihr verlassen, un wenn Se uff een Jahr nach Plötzensee rinn müßten.«

115 »Aber Mutter, nimm Dich hoch ein bißchen vor dem Herrn Baron zusammen,« unterbrach Anna sie ärgerlich.

»Laß doch Deine Mutter, Anna,« rief Wahrendorff, der anfing, sich mächtig zu amüsieren.

»Det is scheen, det Se jemietlich sin', Herr Baron, un Du brauchst Dir ooch nich so zu haben, Anna, weil Du nu wirklich alle acht Weltteele jesehen hast. Sei man nich so eete, un laß mir reden, wie ick will.« – – –

Der Wagen hielt, und durch ein kleines reizendes Vestibül gelangte man zur Haupttreppe, welche hinauf zu Annas Zimmern führte. Im Parterre befanden sich Wahrendorffs Gemächer, ferner das Rauch- und das Speisezimmer.

»Also in einer Stunde beim Essen sehen wir uns wieder,« rief Wahrendorff den Damen nach, und zog sich in seine Zimmer zurück.

Dort ließ er sich beim Umkleiden von Robert Vortrag halten, und sein helles Lachen kündete, daß das Gespräch sich meistens um Frau Hanke drehte.

Als der Schlag des Tam-Tams anzeigte, daß das Diner serviert sei, begab sich Wahrendorff in Frack und weißer Binde in das Speisezimmer. Er hatte schon auf der Reise die englische Sitte eingeführt, zum Diner Gesellschaftstoilette anzulegen, und verlangte das gleiche von Anna.

Trotzdem er von Geburt Deutscher war, hatte er nie verstanden, weshalb seine Landsleute der vornehmen Toilette eine so ausgesprochene Antipathie entgegenbringen, und sich oft darüber geärgert, daß graue Röcke und Hosen selbst auf den besten Plätzen des Opernhauses zu den gewöhnlichen Erscheinungen gehören.

Mit Wohlgefallen musterte er das reizende, gemütliche Eßzimmer, in welches er als erster eintrat.

Während er zufrieden um sich blickte, legten sich zwei weiche volle Arme um seinen Hals. Anna, deren Nahen er 116 auf dem dicken schweren Teppich überhört hatte, lispelte ihm ein herzliches »Danke!« zu, und bekräftigte ihre Zufriedenheit durch einen Kuß, dessen ungewohntes Feuer ihn ebenso verwunderte wie beglückte.

Plötzlich brachen beide in ein unbändiges Gelächter aus. In der Tür stand Frau Hanke in gelbseidenem Kleide, welches mit Mühe ihre kolossale Fleischmasse zusammenhielt. Das Kostüm ließ zwei Arme frei, welche trotz des aufgelegten Puders an den Sonnenuntergang in der Wüste erinnerten, und die Hände steckten in den unvermeidlichen zweiknöpfigen Militärhandschuhen. Die Taille war en coeur ausgeschnitten, und der offene Hals mit einer dreifachen dicken Korallenkette geschmückt, an deren unterem Ende ein goldenes Kreuz befestigt war, dessen Lage bei den obwaltenden Verhältnissen beinahe eine wagerechte sein mußte. Das schwarze Haar war in der Mitte gescheitelt und legte sich durch Aufwendung größerer Quantitäten Wachspomade so glatt an die Schläfen, daß es beinahe einer frisch asphaltierten Straße glich. Hinten war es zu einem griechischen Knoten zusammengebunden, in dem mittels eines rosa Bandes zwei frische rote Rosen befestigt waren. Die Runzeln und Furchen des aufgeschwemmten Gesichts waren durch Puder und Schminke ausgefüllt, und trotz der aufgewendeten Schönheitsmittel lugte an verschiedenen Stellen die rote Grundfarbe der Nase neckisch hervor.

Als Robert mit der Suppe erschien, klirrten die Teller auf dem Tablett so erheblich, daß sein Kampf zwischen Pflicht und Heiterkeitsausbruch nur zu ersichtlich war.

Frau Hanke setzte sich mit mattem Lächeln, zögerte, sich ihrer Faustbekleidung zu entledigen, und schielte ängstlich zu Wahrendorff hinüber, als dieser neugierig der Enthüllung zusah. Endlich erhob sie ihr mit Sherry gefülltes Glas und trank etwas zitternd Annas Geliebtem zu, indem sie sagte:

117 »Ick bejrieße Ihnen in det neue Heim. Meine Dochter un ick wer'n for de Jemietlichkeit un det jute Präpeln uff det inständigste sorjen.«

Den ersten Schatten auf die lustige Stimmung warf der zweite, aus gebackener Seezunge bestehende Gang. Frau Hanke hatte den panierten Fisch, welchen sie wahrscheinlich für ein Schnitzel hielt, mit voller Kraft mittels des Messers durchschnitten und bei dem ersten Bissen natürlich eine größere Quantität Gräten verschluckt, welche ihr im Halse stecken blieben und einen höchst unerfreulichen, unappetitlichen Husten erzeugten.

Anna sprang auf, klopfte der Mutter unaufhörlich auf den Rücken, Wahrendorff schrie nach Wasser, und Robert lag auf dem Diwan im Anrichtezimmer und wälzte sich in einem Lachkrampf.

Beim nächsten Gang aber gab es einen lauten Krach. Robert hatte Schnepfen gereicht. Nachdem Frau Hanke sich vergeblich bemüht hatte, den Vogel mit Messer und Gabel zu bearbeiten, warf sie diese Utensilien wütend auf den Tisch und führte den Braten mit den Händen zum Munde.

Jetzt riß Wahrendorff die Geduld.

»Wenn Sie sich nicht anständig bei Tische benehmen können,« brauste er auf, »dann machen Sie, daß Sie auf Ihr Zimmer kommen und essen Sie dort, Frau Hanke!«

Einen Augenblick war die Alte sprachlos, und das corpus delicti krampfhaft in den Händen haltend starrte sie den verwegenen Sprecher an. Dann aber warf sie mit einer wütenden Handbewegung das unglückliche Tier auf den Teller zurück, so daß die Sauce auf dem ganzen Tisch umherspritzte, sprang auf, stemmte die Arme in die Hüften, stellte sich wie eine Furie vor Wahrendorff hin und brüllte mit einer Stimme wie Demosthenes am Meere:

118 »Sie sind ja'n sehr feiner Mann! Det is woll der Dank for Annas Liebe. Un ick habe de Oogen zujedrückt, als Sie det arme Meechen in de wildesten Jejenden verschleppt haben! Jlooben Se man nich, det Se mir for dumm koofen kennen. Nu weeß ick wenigstens, wat ick von Sie zu halten haben. Det is woll noblicht, ne arme Frau, die keen Jeld hat, auszulachen un ihr for'n Narren zu halten?

Fein meejen Se ja sind und reich ooch und jebildet, aber von de wirkliche Jemietlichkeit in de Familje, davon hab'n Se nu noch jar nischt los. Und wenn Se denken, det Se mir schlecht behandeln kennen, denn kenn'n Se wieder meene Dochder nich. Ick habe den Jrundsatz: ›Ehre deine Mutter‹ immer hochjehalten, un wat meine Dochder ist, die wird Ihn' schon die Fleetenteene beibringen, wenn Se de olle brave Mutter hier verhohnepipeln wollen. So ne Behandlung lass' ick mir denn doch nich bieten, Herr Baron! – Ick denke, Se haben mir verstanden.«

Und damit verließ sie stolz das Zimmer, nicht ohne der halbgefüllten Flasche Champagner, welche noch auf dem Tische stand, einen wehmütigen Blick zugeworfen zu haben.

Wahrendorff und Anna blieben allein. Letztere wußte sehr wohl, daß sie diplomatisch vorgehen müsse, um Wahrendorff, der in Etikettenfragen sehr penibel war, nicht zu froissieren und andererseits durch ihre Stellungnahme gegen die Mutter nicht das Heft aus den Händen zu geben.

Sie sagte daher zu Wahrendorff in sanftem Tone:

»Ich will Dir Deine Härte und Rücksichtslosigkeit gegen meine Mutter verzeihen. Denn was wißt Ihr in Euren Spielerkreisen, wie es in der Seele einer armen, braven Frau aus dem Volke aussieht. Um des lieben Friedens willen werde ich meine Mutter bitten, nicht mehr mit Dir zusammenzukommen, und damit ist die Sache erledigt.«

119 Wahrendorff, dem diese Lösung die liebste war, küßte Anna galant die Hand und bat um die gern erteilte Erlaubnis, noch in den Klub gehen zu dürfen.

Anna zog sich in ihr Boudoir zurück. So unglücklich hatte sie sich noch nie gefühlt. Seitdem sie Dubski verlassen, fehlte ihr ein Mensch, mit dem sie sich aussprechen, den sie um Rat fragen, dem sie voll und ganz vertrauen konnte. Wahrendorffs Leidenschaft war ihr lästig und zuwider, und sie sagte sich, daß sie den Glanz und den Luxus, der sie umgab, teuer genug bezahle.

Kurz entschlossen schrieb sie folgende Zeilen:

Lieber Dubski!

Wenn Sie mich jemals geliebt haben, dann entziehen Sie mir jetzt nicht Ihre Freundschaft, und eilen Sie so bald als möglich zu Ihrer

Anna.

Dann frankierte sie den Brief, klingelte nach Robert und beauftragte ihn mit der Besorgung. 120

 


 


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