Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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25. Kapitel.

Die Antwort.

Als Anna an dem Abende des Tages, an welchem ihr der ehrenvollste Antrag des Lebens zuteil geworden, das Theater verlassen wollte, überbrachte ihr der Theaterdiener die Meldung, daß der Direktor Behnitz sie noch zu sprechen wünsche. Sie ging in das Bureau, wo sie den Sultan allein vorfand.

Er bat sie, Platz zu nehmen, strich sich nachdenklich den langen Bart und sagte endlich:

»Sie wissen, mein liebes Fräulein, daß unser Vertrag am ersten April zu Ende geht. Solange ich an Wahrendorff einen freigebigen Geldmann hatte, der jederzeit bereit war, die fälligen Gagen zu zahlen, wenn die Theaterkasse am Ersten ein Manko aufwies, spielte die Summe, welche Ihnen kontraktlich zugesichert ist, in meinem Etat keine Rolle.

Leider« – hier seufzte er tief auf – »ist es jetzt anders geworden, und ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie sich in die neuen Verhältnisse nicht gefunden haben.«

»Ihr Tadel, Herr Direktor, kränkt mich,« erwiderte Anna, »um so mehr, als ich ihn nicht verdiene. Sie wissen, daß ich mit unermüdlichem Fleiße weiter gearbeitet habe und die Presse nicht minder wie das Publikum nach wie vor mit meinen Leistungen zufrieden gewesen ist.«

»Sehr richtig, mein Kind. Nach diesen Richtungen hin stelle ich Ihnen das günstigste Zeugnis aus und bin weit davon entfernt, Ihnen in künstlerischer Beziehung ein 185 Mißtrauensvotum erteilen zu wollen. Aber unsere Einnahmen sind schlecht, das Logenpublikum bleibt aus, und die Schuld daran tragen Sie in erster Linie.«

Anna blickte ihn verwundert und fragend an.

»Die Sache ist sehr einfach,« fuhr der Direktor fort, indem er näher an Anna heranrückte und einen Ton anschlug, welcher väterlich klingen sollte.

»Sie sind zu stolz und zu spröde geworden. Was nützt es, wenn die Kavaliere wissen, daß die schönste Schauspielerin Berlins an meiner Bühne ist, während sie sich gleichzeitig mit dem Gedanken vertraut gemacht haben, daß das liebenswürdige Wesen weder Soupereinladungen, noch Blumen, noch Geschenke annimmt. Wenn die Herren im Klub sich dann überlegen, wo sie hingehen sollen, und einer schlägt mein Theater vor, dann schreien die andern einstimmig: ›Da ist ja nichts los!‹ Und damit meinen Sie nicht etwa Aufführung oder Stück, sondern Fräulein Annas Tugendhaftigkeit. Die Sache ist um so unangenehmer, als die Herren ja von früher der wissen, daß es einst anders war. Jeder Lebemann glaubt, daß Sie eine Herzensneigung zu irgend einem mittellosen Cabotin gefaßt haben, und diese Annahme erhält durch Ihren intimen Verkehr mit Sanders einen Schein von Berechtigung.«

Anna erhob sich empört.

»Wenn Sie Herrn Sanders als Cabotin bezeichnen, Herr Direktor, so wüßte ich, offen gesagt, nicht, welche Bezeichnung Sie verdienen. Jedenfalls ist Herr Sanders noch nie der Angestellte eines Lebemannes gewesen, und noch weniger würde er es wagen, seinen Schauspielerinnen in so zynischer Weise, wie Sie eben beliebten, aus ihrer Anständigkeit einen Vorwurf zu machen.«

»Beruhigen Sie sich, mein Kind,« erwiderte der Direktor, welchem es jetzt leid tat, die unbedachte Äußerung getan zu 186 haben, und dem im Grunde sehr viel daran lag, Anna seinem Institute zu erhalten. »Ich habe die Sache nicht so ernst gemeint und auch nicht gewußt, daß der Name dieses Mannes Ihnen so heilig sei. Wir Cabotins« – fügte er lächelnd hinzu – »sagen bald einmal ein Wort zuviel und meinen es doch nicht so schlimm. Um aber nochmals auf mein Thema zurückzukommen, nicht wahr, bestes Fräulein, Sie werden mir doch den Gefallen tun?«

»Wenn Sie mit dem Gefallen meinen, daß ich Ihnen zuliebe von sieben bis elf Uhr Schauspielerin und von da ab Kokotte werden soll, so bedauere ich lebhaft, Ihnen diesmal den Gehorsam verweigern zu müssen. Ich rate Ihnen jedoch, künftig bei Ihren Engagementsverträgen diesen Paragraphen in die Kontrakte aufzunehmen, etwa in der Form: ›Eine Schauspielerin, welche sich weigert, die Souper-Einladung eines Logenbesuchers anzunehmen, hat Herrn Direktor Behnitz eine Ordnungsstrafe von zehn Mark zu zahlen‹.«

»Das gnädige Fräulein belieben zu scherzen, und ich ersehe hieraus, daß bessere Regungen in Ihrer schönen Seele aufkeimen.«

»Nun sagen Sie mal, Herr Direktor,« erwiderte Anna, der ein Gedanke durch das Hirn schoß, »wie dächten Sie denn über den Fall, wenn ich heiratete?«

Behnitz brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Meine Gnädigste, mein Kompliment! Nach Ihrer trefflichen Leistung am heutigen Theaterabende hätte ich nicht zu hoffen gewagt, noch jetzt eine so prächtige Lustspielszene eigener Erfindung zu hören zu bekommen. Nein, nein,« – lachte er weiter – »Sie sind nicht nur Schauspielerin, Sie müssen es entschieden auch mit der Feder versuchen.«

»Ihre Heiterkeit, Herr Direktor, ist nicht gerade sehr ehrenvoll für meine Person. Aber ich habe es ja, Gott sei Dank, nicht nötig, Ihnen irgendwelche Rechenschaft über mein 187 Tun und Lassen abzulegen. Ich frage Sie nur nochmals im beiderseitigen Interesse ganz ernsthaft: Wie würden Sie über unsere geschäftlichen Beziehungen denken, wenn ich heiratete?«

»In diesem Falle,« versetzte Behnitz mitleidig, »können Sie ebenso sicher auf meinen herzlichsten Glückwunsch wie auf die sofortige Lösung unseres Vertrages rechnen. Eine verheiratete Frau ist auf meiner Bühne nur als komische Alte denkbar. Ich kann mir überhaupt, selbst mit Zuhilfenahme meiner Phantasie, gar nicht die Situation ausmalen, daß nach Schluß der Vorstellung vor dem Theater ein richtiger Ehemann auf eine meiner Pensionärinnen wartet. Das wäre mein sicherer Ruin, und Behnitz ein verlorener Mann. Nein, liebes Fräulein, ich warne Sie. Sie befinden sich auf dem abschüssigen Pfade unmoderner Ideen. Kehren Sie um, solange es noch Zeit ist – –«

»Und,« fuhr Anna fort, »weihen Sie sich der Liebe und der Unsittlichkeit zu Ihrem Heile und zum Vorteil des Herrn Direktor Behnitz. Dann bin ich also vom ersten April ab frei?«

»So frei wie möglich, teuerste Freundin! Sollten Sie jedoch einen Paten für Ihr erstes Kind brauchen, so stehe ich ebenso gern zur Verfügung, wie zu einer Wiederaufnahme unserer Verhandlungen nach Ihrer Scheidung.«

Anna wandte sich zum Gehen und hörte noch, wie ihr Behnitz nachrief:

»Meine Empfehlungen dem Herrn Kollegen Sanders!«

Damit waren jedoch für Anna die Unannehmlichkeiten noch nicht zu Ende, denn im Vestibül trat ihr lächelnd ein Herr entgegen, in welchem sie trotz der Dunkelheit sofort Schönlein erkannte.

Er lüftete den Hut, und Anna blieb zögernd stehen.

188 »Leider hatte ich noch nicht Gelegenheit,« begann er, »meine schöne Schülerin, Ihnen zu dem herben Verluste zu kondolieren, der uns alle betroffen. Wenn Herr Wahrendorff mich auch in den letzten Monaten seines Lebens nicht gerade protegiert hat, so verdanke ich ihm doch die Ehre meiner Bekanntschaft mit Herrn Direktor Behnitz. Letzterer hat die Ungerechtigkeit des Verstorbenen wieder gut gemacht und mir mit dem heutigen Tage meine frühere Stellung wieder zurückgegeben.«

»Ich gratuliere Ihnen beiden,« erwiderte Anna und aus ihrer Stimme klang es wie leiser Spott. »Ich glaube in der Tat, daß sie beide vorzüglich zusammenpassen und Ihre gemeinsame Tätigkeit von Erfolg gekrönt sein wird.«

Damit machte sie Miene, an ihm vorüberzugehen. Er aber stellte sich ihr in den Weg.

»Nicht so schnell, teuerste Anna, ich bin Ihnen ja noch immer eine Entschuldigung für den damaligen Vorfall schuldig. Hätte ich geahnt, daß Wahrendorff so dicht in der Nähe war, so würde ich Sie nicht kompromittiert und eine andere Zeit zu unserem Schäferstündchen gewählt haben.«

»Unverschämter,« brauste Anna auf, »ein geprügelter Hund hat doch wenigstens die Erinnerung an die empfangene Strafe, Ihr Fell und Ihr Gewissen scheinen jedoch gegen Schläge und Bisse imprägniert zu sein. Diese Tinktur nenne ich Schamlosigkeit. Adieu, Herr Schönlein!«

Damit rannte sie, so schnell sie ihre Füße tragen konnten, auf die Straße hinaus.

Schönlein folgte in demselben Tempo, und beide rannten Dubski in die Arme, welcher draußen auf Anna wartete.

Dubski übersah sofort die Situation, so daß es der Aufforderung Annas: »Bitte, schützen Sie mich vor diesem Menschen«, nicht bedurft hätte.

189 »Höre, Bürschchen,« sagte er, indem er mit der einen Hand den Stock erhob und mit der anderen Schönlein an der Gurgel packte, »in bezug auf Dich habe ich die Erbschaft Wahrendorffs voll und ganz angetreten. Solange Du nicht Annas Kreise störst, braucht die Welt nicht zu wissen, welcher abgefeimte Lump und Schurke Du bist. Solltest Du es aber wagen, Deine Nachstellungen weiter fortzusetzen, so zerbricht dieser Stock auf Deinem Rücken, und ich bin vermögend genug, um immer wieder einen neuen zu meiner und zu Deiner Verfügung zu haben.«

Damit versetzte er Schönlein einen Stoß, daß dessen Hut in den Schmutz und der Herr Dramaturg selbst an die Wand flog, reichte Anna den Arm und setzte den Weg mit ihr fort.

Die Künstlerin fühlte sich unendlich traurig und unglücklich. Gerade heute, wo sie sich über Sanders Antrag entscheiden sollte, trat ihr die elende Vergangenheit in der Gestalt Schönleins wieder klar vor die Augen, und immer mehr brach sich in ihr die Überzeugung Bahn, daß es für sie ein Gebot der Ehre sei, ihm seine Bitte zu versagen.

Auch Dubski vermochte nicht, sie trotz allen Zuredens umzustimmen. Allen seinen philosophischen Betrachtungen setzte sie ein energisches »Nein« entgegen, so daß er selbst zum Schlusse keine Argumente zugunsten des Freundes anführen konnte. Er warnte nur Anna, sich durch ihre augenblickliche Erregung zu einem übereilten Schritte hinreißen zu lassen, und nahm dann von ihr Abschied, um noch Sanders, der im Café auf ihn wartete und mit Sehnsucht seines Kommens harrte, aufzusuchen.

Als Anna in ihre Wohnung eingetreten war und die Lampe angezündet hatte, blieb sie wohl eine Stunde lang in Gedanken auf dem Diwan sitzen.

Dann aber ermannte sie sich, setzte sich an das Pult und schrieb mit fester Hand folgende Zeilen an Sanders: 190

»Teuerer Freund!

Es war übereilt und unvorsichtig von mir, Sie heute morgen um eine Bedenkzeit zu bitten, und damit auch nur die Möglichkeit eines Jawortes meinerseits zuzulassen. Aber das unerwartete Glück, daß ein Mann wie Sie, ein Muster von Anstand und Tugend, mich der Ehre für würdig hielt, sein Weib zu werden, verwirrte mich in so hohem Maße, daß ich ganz vergaß, wer ich bin und was ich war. Die Stunden, welche Ihrer Unterredung mit mir folgten, waren die glücklichsten meines Lebens; sie haben mir die Kraft gegeben, das Dasein weiter zu ertragen und mir neue Stärkung für mein zukünftiges Erdenwallen verliehen.

Lassen Sie mich Gleiches mit Gleichem vergelten.

Gestatten Sie mir, ebenso ehrenhaft zu sein, wie Sie, ersparen Sie mir eine rücksichtslose Beichte, welche doch notwendig gewesen wäre, um Sie davon zu überzeugen, daß ein Mann, wie Sie, eine Frau, wie mich, nicht heiraten darf. Noch heute abend hat mir das Schicksal im rechten Moment durch eine zufällige Begegnung vor die Seele geführt, daß es mir nicht gebührt, fröhlich zu sein mit den Fröhlichen, und daß meine Schuld zu groß ist, um einen ehrlichen Namen mit ihr zu beflecken.

Seien Sie also weiter mein Freund, und der Kuß, den Sie heute morgen empfangen, sei der Kuß der Entsagung.

Anna.«

Sie schloß das Kuvert, warf das Schreiben noch selbst in den Kasten und schloß die Augen mit dem Bewußtsein, gut und recht gehandelt zu haben. – –

Als Sanders am nächsten Morgen den Brief erhielt, rannte er in heller Verzweiflung zu Dubski und ruhte nicht eher, als bis dieser mit ihm zu Anna fuhr. Letztere war nicht wenig erstaunt, als sie die beiden Herren bei sich eintreten sah und das vergrämte Antlitz von Sanders bemerkte.

191 »Liebes Fräulein,« sagte der Direktor mit zitternder Stimme, »das darf nicht Ihr letztes Wort sein. Wenn Sie mich nicht lieben, so betrachten Sie doch die Ehe mit mir als eine Strafe für Ihre angeblichen Verbrechen. Wenn Sie aber eine Spur von Zuneigung zu mir haben, dann sagen Sie sich, daß unsere Ehe die Belohnung sein soll für alles das, was Sie erlitten und erduldet. Legen Sie sich das in Ihrem Köpfchen zurecht, wie Sie wollen, aber Sie werden doch Ihr Gewissen nicht noch damit belasten wollen, einen anständigen Kerl, wie mich, zeitlebens unglücklich gemacht zu haben.«

»Aber gerade im Gegenteil, bester Freund, wenn ich ›Nein‹ sage, denke ich doch nur an Sie. Ich will Ihnen Reue und Enttäuschung ersparen und Sie nicht mit in mein Unglück hineinstürzen. Meine Erwägungen sind einzig und allein von dem Gedanken beseelt, Ihr Glück nicht zu stören.«

»Mein Glück,« versetzte Sanders bitter, »das suche ich nun schon seit dreißig Jahren. Jetzt glaubte ich es gefunden zu haben, und da verweigern Sie mir die Gewährung.«

»Wenn ich mir ein Wort erlauben darf,« meinte Dubski, »so wäre es das Beste, wenn die Bedenkzeit für Anna etwas verlängert würde. Das arme Kind muß aus der Luft, den Menschen, kurz aus dem ganzen Milieu heraus, das sie stets und ständig an die Vergangenheit erinnert.

Ich schlage vor: Sie, lieber Sanders, machen diesen Sommer Ihre gewöhnliche Tournee, Anna, welche ja sowieso frei ist, geht ins Engagement in die Provinz, und am ersten Oktober fällt in Berlin die Entscheidung.«

»Das ist ein Vorschlag zur Güte,« stimmte Sanders bei. »Auch in künstlerischer Hinsicht kann das für Anna nur zuträglich sein, und ich selbst bitte nur meines vorgerückten Alters wegen, die Prüfungszeit nicht zu weit auszudehnen.«

Anna dachte in diesem Moment an nichts weiter, als an 192 die herrliche Aussicht, Berlin verlassen zu können, und endlich einmal nicht Schritt auf Tritt den traurigen Erinnerungen an die Vergangenheit zu begegnen. Ihre Augen leuchteten auf, und die Hoffnung auf ungebundene Freiheit unter Menschen, welche sie nicht kannten und nichts von ihr wußten, wirkte beseligend auf sie ein.

Hinaus in den Frühling, herunter mit den Ketten der Sorgen!

Glücklich lächelnd reichte sie den Männern die Hand, und »Einverstanden!« tönte es von ihren Lippen.

Sanders umarmte Dubski, dann küßte er Anna gerührt die Hand, und in vergnügtester Stimmung zogen die drei ins Restaurant, um eine Vorfeier für den ersten Oktober zu veranstalten. 193

 


 


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