Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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14. Kapitel.

Zu spät.

Dubski war nach Annas Entführung traurig nach Berlin zurückgekehrt, und Brenke bereitete sich schmerzbewegt auf eine lange trinkgeldlose Zeit vor. Trotz dieser egoistischen Interessen bedauerte er seinen armen Herrn, dem er mit treuer Anhänglichkeit ergeben war, von ganzem Herzen, denn er fühlte, daß der Seelenschmerz bei dieser Trennung ganz anderer Natur war als bei ähnlichen Katastrophen in früheren Jahren, wo gerade umgekehrt immer der Schmerz auf seiten der Verlassenen gewesen war.

Wenige Tage, nachdem das Schicksal ihn von Anna getrennt, saß Dubski eines Mittags vor seinem Pult und betrachtete mit verlangenden Blicken die vorzüglich getroffene Photographie der Ungetreuen. Draußen ertönte die Hausglocke, und kurze Zeit darauf erschien Brenke, der einen feingekleideten Herrn meldete, welcher Herrn Dubski in einer privaten Angelegenheit, die Familie Hanke betreffend, sprechen wollte. Nach wenigen Augenblicken erschien mit einer tiefen Verbeugung Herr Schönlein auf der Schwelle des Zimmers.

»Mein Name ist Schönlein,« begann er, indem er in der einen Hand einen großen Künstlerhut drehte und unter dem anderen Arm krampfhaft eine schwarze Ledertasche festhielt. »Ich wollte mir die Ehre geben, Euer Hochwohlgeboren in einer sehr dringenden Angelegenheit um Rat und Hilfe zu bitten, bei welcher es sich um die Ehre der Familie Hanke handelt.«

102 »Das muß ja sehr interessant sein,« erwiderte Dubski, »eine Ehrensache?! – Der Bruder von Fräulein Anna will mich doch nicht etwa fordern?! Oder ist etwa das Geld für die Frau Mama am ersten ausgeblieben?! Ich habe doch« setzte er ironisch hinzu, »die Ehre und das Vergnügen, mit demselben Herrn Schönlein zu sprechen, welcher mit so weiser Umsicht und ehrenwerter Gesinnung Annas erste selbständige Schritte in die Welt geleitet hat?«

Schönlein wurde hierauf etwas verlegen, aber schnell gefaßt erwiderte er, indem er den Versuch machte, seinem Gesicht einen recht treuherzigen Ausdruck zu geben:

»Leider, leider war ich damals nicht in der Lage, in materieller Hinsicht für Anna und ihre Familie so sorgen zu können, wie Euer Hochwohlgeboren es in so reichlichem Maße getan haben. Es muß ein schönes Bewußtsein bilden, eine arme alte Frau, wie Mutter Hanke, für die letzten Jahre des Lebens sichergestellt und die kleine Emmy nach außerhalb in einer so vortrefflichen Erziehungsanstalt untergebracht zu haben, daß die letzten Spuren des ehemaligen Unglücks in kurzer Zeit bei dem jungen Wesen gänzlich verschwunden sein werden. Dafür aber lohnt Ihnen Fräulein Anna auch Ihre Güte durch aufopfernde Liebe und Treue.«

Dubski lachte ironisch: »Ausgezeichnet gesprochen, mein bester Herr Schönlein, aber fahren Sie nur fort, denn ich vermute, daß Ihre liebenswürdige Würdigung meiner Verdienste doch wohl nur zur Einleitung bestimmt ist.«

»Leider, leider,« seufzte Schönlein. »Es handelt sich um den Bruder Annas. Der Bursche war nicht dazu zu bewegen, eine der zahlreichen Stellungen, welche er durch Ihre Vermittlung erhalten konnte, anzutreten, und hat es vorgezogen, seiner Familie fürchterliche Schande zu bereiten. Der arme Verführte ist sogar in Verbrecherlokalen gesehen worden, wo ihm wahrscheinlich die traurigen Ratschläge gegeben 103 worden sind, welche er leider ausgeführt. Und nun hat er« – und hier ließ Schönlein traurig seine Stimme bis zum Flüstern herabsinken – »den Undank so weit getrieben, auf den Namen von Euer Hochwohlgeboren im Betrage von 500 Mark Wechsel zu fälschen.«

Damit öffnete er die Ledermappe und hielt dem erstaunten Dubski die Akzepte hin, welche seinen Namen in so täuschender Nachahmung zeigten, daß er verwundert den Kopf schütteln mußte.

»Der Eigentümer der Wechsel«, fuhr Schönlein fort, »ist einer meiner Freunde, und er will nur dann von der Strafanzeige absehen, wenn er sein Geld auf Heller und Pfennig erhält. Nun, Herr Dubski,« – und hierbei erhob sich Schönlein – »die Ehre einer Familie steht auf dem Spiele, mit der uns beide, wenn ich es wagen darf, mich mit Ihnen in einem Atem zu nennen, besondere Interessen verknüpfen. Da der Vorfall leider bereits ziemlich bekannt ist, so habe ich meinen Einfluß auf die Presse dahin geltend gemacht, daß die Zeitungen vorläufig nichts darüber bringen. Ich bitte nun Euer Hochwohlgeboren inständig, mir das fragliche Geld anzuvertrauen, und ich werde mir erlauben, binnen vierundzwanzig Stunden die Wechsel dann in Ihre Hand zurückzulegen.«

Als Schönlein geendet, holte Dubski ein zerknittertes Papier aus der Tasche und reichte es dem Supplikanten welcher ein sehr verdutztes Gesicht machte, als er nichts weiter las wie die drei Worte: »Zu spät! Anna!«

Dubski weidete sich eine Weile an der Hilflosigkeit seines Besuchers, und dann buchstabierte er ihm nochmals langsam vor, indem er mit dem Zeigefinger auf jedes Wort deutete: »Z–u s–p–ä–t–! A–n–n–a. Wissen Sie, was das heißt?« 104

»Dann will ich es Ihnen erklären. Die Sache ist nämlich kolossal einfach. Anna ist vor fünf Tagen mit Wahrendorff durchgegangen. Auf meine Bitte, zurückzukommen, telegraphierte sie diese Worte: ›Zu spät!‹ Jetzt kommt der Bruder mit ein paar gefälschten Wechseln und will Geld haben. Was antworte ich?! – Zu spät! Dubski

Schönleins Gesicht verklärte sich, als er hörte, daß Anna mit Wahrendorff durchgegangen sei. Aber nur einen Moment leuchtete diese Freude aus seinen Augen. Dann sagte er mit schwermütigem Akzent:

»Auch ich weiß aus Erfahrung, was der Trennungsschmerz von diesem herrlichen Wesen bedeutet. Nur mit dem Unterschiede, daß ich selbstlos und stark genug war, einzusehen, daß es für Anna so besser sei. Ich riß mich von ihr los, wenn auch mit gebrochenem Herzen. Armer Herr Dubski, dieser Undank bei Ihrer Güte! Dann freilich begreife ich – ich will nicht weiter stören.«

»Wissen Sie die Adresse von Herrn Wahrendorff?!« fügte er nach einer Weile hinzu, indem er aufstand und seine Sachen zusammennahm.

»Noch nicht!« erwiderte Dubski, »aber ich bin fest überzeugt, daß alle Beteiligten« – und dabei sah er den Besucher verächtlich von oben bis unten an – »am nächsten Ersten die bisher von Anna gewährten Unterstützungen weiter beziehen werden.« – – –

Kaum hatte Schönlein das Zimmer verlassen, als Dubski hastig nach Brenke rief.

»Brenke, ich gehe jetzt aus. Sämtliche Fenster dieses Zimmers öffnen und vierundzwanzig Stunden frische Luft reinlassen. Diesen Sessel« – und damit deutete er auf den Stuhl, den Schönlein eingenommen – »ordentlich ausklopfen und dann vorläufig auf den Boden stellen.«

105 Hierauf zog er sich an und ging dinieren. Denn er empfand das Bedürfnis, den Ekel, der ihm im Halse steckengeblieben, hinunterzuspülen. – – –

Auch Schönlein hatte es eilig. Mittels einer Droschke erster Klasse fuhr er nach der Zimmerstraße, stieg vor einem neuerbauten, anständigen Hause aus und klomm drei hohe Stiegen hinauf, um auf der rechten Seite die Klingel zu ziehen, welche zur Wohnung der Witwe Hanke führte.

Annas Mutter hatte nach der glücklichen Wendung, welche sich in dem Leben der Tochter vollzogen, die Mulackstraße verlassen und war nach der Zimmerstraße verzogen, wo sie wenigstens unter den zahlreichen Wirtinnen dieser Gegend, welche der Prostitution möblierte Zimmer zur Verfügung stellen, gute, liebe Bekannte hatte, mit denen sie Erfahrungen und Erlebnisse austauschen konnte. Ihr anfänglicher Wunsch, bei Anna zu wohnen, war ihr von Dubski rundweg abgeschlagen worden, und nachdem Emmys Erziehung in einem Pensionat im Harz sichergestellt war, teilte sie ihre mütterliche Fürsorge zwischen ihren beiden Aftermietern Ede und Schönlein.

»Wissen Sie was Neues, Mutter Hanke?« stürmte Schönlein ins Zimmer, »Anna geht nicht mehr mit Dubski. Sie ist in Hamburg beim Rennen mit Wahrendorff ausgerückt.«

»Nich meeglich,« sagte die Alte, »nee, so'n Dussel, se konnte so jlücklich sin un hatte et so jut, det feinste Essen und de scheensten Kleeder un de besten Plätze ins Theater; un wat soll denn nu blos aus uns wer'n? Dazu hat man so'n Kind nu jroßjezogen und hat et so weit jebracht, det et eenem nur Kummer un Sorje macht.«

»Ja aber, Frau Hanke, verstehen Sie denn nicht, daß das ein kolossales Glück für Anna ist? Wahrendorff ist ja 106 hundertmal reicher als Dubski, und ein Spieler gibt das Geld viel leichter aus, als einer, der noch so verliebt ist.«

»Na denn,« versetzte Ede, »denn jib man de Wechsel wieder raus! Denn brauchen wir ja den Umschlag jar nich zu machen! Denn jibt's ja bald Jeld wie Heu. Die Anna is doch een jutes Meechen!«

»Wat, jutes Meechen,« unterbrach ihn die Alte, »een kluges un een prachtvolles Meechen, eene Dochter, wie se dankbarer jar nich photejrawiert wer'n kann, 'n Meechen mit Jemiet!! Denn jewiß is se mit dem ollen Knauser jar nich jlicklich jewesen, so'n Kerl, der mit seine Jefiehllosigkeit sojar de olle, brave Mutter von ihre Dochter jetrennt hat. Wenn die fremden Leite da ins Harzjebirge man da aus meine jeliebte Emmy ooch so'n jutes Kind machen. Aber es jeht doch nischt über die richtige Muttererziehung, det bleibt doch det Scheenste im Familienleben!« 107

 


 


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