Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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13. Kapitel.

Karten und Liebe,

Nachdem Wahrendorff Anna ins Hotel zurückgeleitet und die Erlaubnis erhalten hatte einen Kuß auf die schwellenden roten Lippen zu drücken, begab er sich nach dem Klub. Zunächst trieb ihn dorthin das Bedürfnis, zu sehen, was man über Anitas Sieg und seine Beteiligung an der Angelegenheit wohl sagen würde, ferner wollte er an diesem Tage sein Spielerglück erproben und endlich hoffte er, die Zeit bis zum Morgengrauen schneller und leichter hinzubringen.

Als Wahrendorff die prächtigen Räume des an der Ecke der Kolonnaden belegenen Klubs betrat, waren die Herren schon eifrig bei der Arbeit. Sein Erscheinen erregte weder Verwunderung, noch vermochte er, in der Art und Weise der Begrüßung irgend einen Unterschied gegen sonst wahrzunehmen. Diese erfreuliche Tatsache gab ihm seine Ruhe und Zuversicht wieder, und er trat an den Tisch dicht heran, an welchem sich die hohe Bac-Partie etabliert hatte.

Von Anitas Sieg war längst nicht mehr die Rede, denn es hatten sich inzwischen in jenem prächtigen Zimmer schon ganz andere Dinge abgespielt, hinter welchen die Ereignisse des Nachmittags zurückstehen mußten. Friedlich folgten deutsche und österreichische Aristokraten, Offiziere der Garde- und Linien-Kavallerie-Regimenter, Parvenüs mit und ohne Baronstitel den Schlägen des Bankiers. Es war ein hohes Spiel, ein Spiel, wie man es in diesen Kreisen nur an den 93 Derby-Tagen in Hamburg und bei den Herbst-Rennen im Internationalen Klub zu Baden-Baden findet, ein Spiel, durch welches Existenzen ruiniert werden, Millionen ihre Besitzer wechseln und dessen Hintergrund eine Kulisse markiert. welche die Worte Kuratel, Amerika, Selbstmord trägt.

Mit Schweigen, in absoluter Ruhe und Stille standen sich Gewinner und Verlierer gegenüber. Es ist unglaublich und eines besseren Zweckes würdig, welche eiserne Disziplin in diesen vornehmen Spielerkreisen herrscht. Jeder Laut der Freude, jeder Ausdruck des Schmerzes sind auf das strengste verpönt, und eine Zuwiderhandlung würde unweigerlich aller Augen auf den Missetäter lenken.

Alle Arten Spieler waren vertreten.

Der junge Anfänger, welcher bei jedem Gewinn ein Lächeln der Befriedigung zeigt und den Verlust unwillkürlich durch Muskelzuckungen und Handbewegungen markiert; er geht gewöhnlich mit der Absicht zum Jeu, den großen Coup zu landen, wie es in der Spielersprache heißt, d. h. das Geld aller in seiner Hand zu vereinigen und somit mit einem Schlage die zahlreichen früheren Scharten auszuwetzen; er vermag sich nie mit kleinen Verlusten zu begnügen, sondern läuft seinem Gelde nach und ruht nicht eher, als bis Barmittel und Kredit total erschöpft sind. Aus ihm kann, wenn nicht mittlerweile sein Niederbruch erfolgt, mit der Zeit unter guter Leitung und strenger Aufsicht ein gewiegter Spieler werden, welcher sich mit kleinem Gewinn begnügt, niemals mehr verlieren kann, als er zu opfern entschlossen ist, und niemals zu den letzten gehört, welche gewohnheitsmäßig von dem Spielabend in den Spielmorgen hinüberwachen. Jedenfalls ist bei diesen beiden Kategorien von Spielern, welche die große Mehrzahl bilden, jeder Verdacht der Unreellität ausgeschlossen, und sie gehören auch nicht zu den Leuten, 94 welche erbarmungslos von ihren Schuldnern die Einhaltung der vierundzwanzigstündigen, kommentmäßigen Regelung verlangen.

Gefährlicher wird die Sache schon, wenn man die Physiognomien der ergrauten Veteranen des Spiels betrachtet, welche aus dem allgemeinen Schiffbruche nichts weiter als die Ehre und eine von Verwandten ausgesetzte kleine Rente gerettet haben, welche letztere sie in Stand setzt, mit den kleinsten zulässigen Beträgen ihr Glück zu versuchen. Ihr Charakterzug ist Neid und Bosheit, denn sie können dem Schicksal nicht verzeihen, daß es ihnen jede Hoffnung auf eine restitutio in integrum genommen hat, und freuen sich, wenn sie einen Neuling dem Ruin entgegengehen sehen und ihm dabei behilflich sein können. Sie verfügen über eine ausgezeichnete Kenntnis des Spielsaals und seiner Insassen und gehören zu den stoischen Philosophen in der Welt des Jeus, welche das nil admirari zur Devise ihres Schildes erhoben haben.

Der echte Edelmann wird gewöhnlich nach seiner – durch ein besonderes Pech notwendig gewordenen – Abberufung vom Spielschauplatze zu den Letztgenannten gehören, aber nur in den seltensten Fällen zu betrügerischen Mitteln greifen.

Die eigentlichen Vampyre des Spiels, welche imstande sind, in einer Nacht Generationen unglücklich zu machen, rekrutieren sich aus ganz anderen Kreisen. Entweder sind es fremde Glücksritter, welche schon an anderen Orten ihr Handwerk ausgeübt, nach unliebsamen Vorkommnissen die Heimat haben verlassen müssen und nunmehr in fremden Städten auf Raub ausgehen, wobei sie mit einer gewissen Sicherheit stets auf Beute zählen können, oder aber es sind heimische Aventuriers, welche durch Gold, Humbug und Schwindel in eine soziale Stellung gelangt sind, welche sie nur für ihre Spielerpläne ausbeuten. Beide zeichnen 95 sich durch gute Manieren, aristokratische Umgangsformen und alle möglichen Beziehungen zu den vornehmsten Kreisen aus. Ihr Geschäft betreiben sie auch nicht offen im Vorderladen mit der prachtvollen Spiegelscheibe, sondern in dem Hinterzimmerchen mit der roten Gardine, d. h. mit anderen Worten, diese Verbrecher gewinnen die Hunderttausende nicht in den Spielsälen der feinen Klubs. Dort gehen sie nur auf die Jagd nach der Spur eines reichen, unerfahrenen Wildes. Ist die Bekanntschaft dann gemacht, so ergibt sich das weitere von selbst. Nach einem gastronomisch tadellosen, lukullischen Herrendiner in der Privatwohnung der besagten Herren sieht sich nach mehreren Stunden das Opferlamm in trunkenem Zustande den Wölfen rettungslos preisgegeben, und wenn das Fell ihm über die Ohren gezogen ist, dann ist es freilich am nächsten Mittag zu spät, um festzustellen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Es zählt auch zu den weisen Prinzipien dieser Geschäftsleute, in den öffentlichen Klubs und Kasinos gewöhnlich zu verlieren, es sei denn, daß die meisten Mitglieder sich schon entfernt haben und wieder nur eine kleine und gewählte Gesellschaft beisammen ist. Der seltenste unter den zahlreichen Spielvögeln, der weiße Rabe unter den zahllosen schwarzen Brüdern, ist unzweifelhaft der, welcher durchaus fair und in tadelloser Weise spielt, trotzdem gewohnheitsmäßig gewinnt und als reicher Mann zu spielen aufhört.

Außer dem letztgenannten weisen Nathan waren fast alle gezeichneten Spielertypen an jenem Abend im Klub vertreten. Auch die Habichte, unter denen sich Baron Newstraaten befand, waren vorhanden und umkreisten Wahrendorff, dessen Sieg und der damit verbundene Wettgewinn den alten angegriffenen Kredit wieder in vollstem Maße hatte aufleben lassen. Aber Wahrendorff war heute nicht bei der Sache. Zum erstenmal in seinem Leben ging ihm eine andere Erwartung über den Reiz des Spiels. Er pointierte wenig, war 96 zerstreut und seine Blicke interessierten sich mehr für die Schläge der Uhr als für die Schläge des Bankiers. Nur versuchsweise ließ er einmal einen größeren Betrag viermal stehen, bekam das sechzehnfache Geld und hatte so ziemlich die Summe wieder, welche Charley ihn gekostet hatte.

Im übrigen waren aber so viel Streiter vorhanden, daß Wahrendorffs Zurückhaltung weiter gar nicht beachtet wurde. Nur als um vier Uhr morgens ein Diener ihm meldete, daß Robert mit einem Wagen vor der Tür sei, hatte er das Vergnügen, beim Weggehen die Äußerung eines Freundes zu hören, welche von allen Seiten mit großer Heiterkeit begrüßt wurde. Die Worte, die zu ihm herüberklangen, lauteten ungefähr: »Wahrendorff wird bald der reichste Mann sein. Er legt sich jetzt auch schon beim Kartenspiel aufs Pullen.«

Im ersten Augenblick wollte er umkehren und den frechen Witzbold zur Rechenschaft ziehen. Dann aber überlegte er, daß es doch geratener sei, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, um so mehr, da niemand ahnen konnte, daß er die fragliche Äußerung gehört.

Robert erwartete seinen Herrn am Eingange, und Wahrendorff fuhr mit Anbruch des Tages dem Hafen zu. Kurze Zeit nach seiner Ankunft erschien Anna, Wahrendorff versuchte eine stürmische Umarmung, welche von ihr jedoch energisch abgewiesen wurde, und beide bestiegen das Schiff, welches die Verbindung mit Helgoland und Sylt vermittelt.

Robert, welcher auf den Wunsch seiner neuen Herrin zurückblieb, erhielt einen Brief zur Besorgung, welchen er in Annas Auftrage Dubski einhändigen sollte. Dann setzte sich das Schiff in Bewegung. Wahrendorff stand auf Deck neben seiner schönen Begleiterin und flüsterte ihr die glühendsten Liebesbeteuerungen und Schwüre ewiger Treue ins Ohr. Mechanisch ließ sie ihre Hand in der seinen, starrte auf die grünen wechselnden Wogen des Wassers hinab, und ihre 97 Augen hatten denselben wundersamen rätselhaften Glanz, wie die Fluten, ebenso unergründlich und tief. – – –

Während dieser Zeit hatte auch der arme Dubski Kunde von Annas Abreise erhalten, und zwar durch den Portier, welcher ihm mit schadenfrohem Lächeln die Neuigkeit mitgeteilt hatte. Während Dubski in der ersten Bestürzung nicht recht wußte, was er tun sollte, erschien auch schon Robert und übergab ihm Annas Schreiben. Als Dubski Robert mit dem Brief in der Hand erblickte, zog er alle Schlußfolgerungen von selbst. Langsam wie ein Nachtwandler stieg er die Treppe in sein Zimmer hinauf, verschloß dasselbe und weinte bitterlich. Dann machte der Schmerz dem Gefühl des Hasses und der Wut Platz. Er zerriß die Photographien Annas und Wahrendorffs, welche er bei sich hatte, stieß die grausamsten Verwünschungen gegen sie aus und überlegte, wie er sich rächen könnte. Als er etwas ruhiger geworden, fiel ihm ein, daß er noch ein uneröffnetes Schreiben von Anna in der Tasche trage. Er zog den Brief hervor, öffnete ihn und las folgende Zeilen:

Mein liebster Freund!

Du kennst mich und meine Vergangenheit zu gut, als daß ich Dir auseinanderzusetzen brauchte, wer und was ich bin. Dir verdanke ich es, daß ich aus einem ungebildeten Straßenmädchen eine unterrichtete Person wurde, welche mehr Kenntnisse besitzt als die meisten Fürsten, Grafen und Barone, welche mir nachstellen. Du kannst also gewißermaßen auf Dein Werk stolz sein, und ich habe meinen Dank dadurch erwiesen, daß ich Dir stets treu war und immer ergeben sein werde.

Aber ich habe Dir niemals gesagt, daß ich Dich liebe.

Du hast dieses Geständnis nicht von mir verlangt und hast Dich mit dem warmen Gefühl der innigen Freundschaft 98 begnügt, welches ich für Dich empfinde. Wahrendorffs Lage ist noch übler wie die Deine. Weder liebe, noch achte ich ihn. Aber ich will durch ihn das Ziel erreichen, eines Tages selbständig und sorglos in der Welt zu stehen, um mir dann aus voller Unabhängigkeit heraus mein Los zu gestalten, wie es mir beliebt. Und das konnte kein Dubski, der jeden Hundertmarkschein zweimal herumdreht und nicht die Quelle kennt oder kennen will, aus der die Goldbäche fließen. An Deiner Seite wäre ich ewig das geblieben, was ich die beiden langen Jahre hindurch war, ein Spielzeug Deiner Laune. Hättest Du nicht selbst für meine Aufklärung so gesorgt, so wüßte ich heute vielleicht noch nichts von dem, was ich jetzt ersehne und erstrebe. Ich begehre die Freiheit, aber die Freiheit im vollsten Sinne des Wortes, die Freiheit mit goldenen Flügeln und purpurnem Gewande. Vielleicht liebtest Du mich genug, um Dich für mich zu ruinieren und mir so dasselbe ersehnte Ziel zu verschaffen. Ich glaube, es wäre mir ein leichtes gewesen, dies ins Werk zu setzen.

Aber siehst Du, dazu war ich Dir zu dankbar und ergeben. Wahrendorff ist mir dafür gerade gut genug. Dieser Egoist mit dem verhärteten Spielerherzen fiel mir gerade noch rechtzeitig in die Hände, um den Stein seines Herzens in das geschmeidige Wachs umzuschmelzen, welches ich für meine Zwecke brauche. Sein Untergang ist ja doch nur eine Frage der Jahre. Mag ihm dann wenigstens das Verdienst gebühren, meinen Körper und meine Seele vor weiteren Erniedrigungen gerettet zu haben. Und das ist der Grund, mein lieber Dubski, weshalb ich Dich verlasse. Meine Aufrichtigkeit ersiehst Du daraus, daß ich diese Zeilen, welche mich bei Wahrendorff vernichten können, vertrauensvoll in Deine Freundeshände niederlege. Verurteile auch nicht Wahrendorff. Ich habe es ihm angetan, mit aller Energie, mit allem Raffinement dahin gearbeitet, mir seine Seele dienstbar zu machen. Ich bin jetzt 99 ein Glied mehr in der Kette der Leidenschaften, welche ihn fesseln, und an denen er zugrunde gehen muß. Sei nicht eifersüchtig, da ich ihn nicht liebe. Hasse mich nicht, da ich Dir vertraue. Betrachte mich nicht als ein Weib, sondern als ein Problem, da Du ein weiser Philosoph bist.

Anna.

Selbst der weiseste Philosoph kann es jedoch nicht mit vollem Gleichmut ertragen, wenn die Geliebte plötzlich mit einem andern das Weite sucht, und es gehört weit weniger Philosophie dazu, Xanthippen zu ertragen, als nicht mehr an Aspasia zu denken. Darum war auch Dubski nach der Lektüre des Briefes durchaus nicht ruhig. Er stürzte in das Vestibül, bekam auch Robert richtig zu sehen und brachte heraus, daß das Pärchen nach Sylt entflohen war. Er rannte also wie besessen nach dem Telegraphenamt und setzte eine liebeglühende Depesche von hundert Worten auf, in welcher Anna die weitestgehenden finanziellen und sozialen Zugeständnisse gemacht wurden. Da er die genaue Adresse nicht wissen, und das Liebespaar vor Abend nicht in Sylt eintreffen konnte, so hatte er die Nachricht so dirigiert, daß Anna das Telegramm auf der Landungsbrücke eingehändigt werden mußte. Er konnte somit noch am Abend eine Antwort haben. Vergeblich.

Trotzdem der arme Dubski noch eine zweite wehmütigere Depesche hatte nachfolgen lassen, in welcher er in der allerkläglichsten Weise wegen seiner Redensarten bei Pfordte um Verzeihung gebeten und alle möglichen und unmöglichen Bußgeschenke gelobt hatte, ging er endlich spät abends ins Restaurant, um wenigstens etwas zu genießen. Mit jeder Flasche, die er trank, wurde seine Zuversicht größer, und er lachte schon in dem Gedanken, wie er mit Anna zusammen Wahrendorff verhöhnen würde, der so stupide gewesen sei, diesen schlechten Scherz Annas für bare Münze zu nehmen. So schwankte er, selig lächelnd, heimwärts und schlief bald ein.

100 Als er gegen Mittag des anderen Tages erwachte, stand ein Mann mit einem roten Lederbandelier vor ihm, den er nach längerem Augenreiben als einen Telegraphenboten erkannte. Dubski nahm die Depesche in Empfang und getraute sich erst, dieselbe zu öffnen, als er wieder allein war. Sein Herz schlug höher, als er mit zitternder Hand das Papier entfaltete. Starr blickte er auf die Botschaft, welche nur die drei Worte enthielt:

»Zu spät! Anna.« 101

 


 


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