Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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28. Kapitel.

Wieder in Berlin.

Sanders und Dubski waren wie vom Donner gerührt, als sie von Annas Brief Kenntnis genommen hatten. Besonders Sanders war entsetzt über diese Wendung der Dinge. Denn einmal sah er jede Hoffnung schwinden, mit Anna vereinigt zu werden, und dann befiel ihn die Angst um Annas Zukunft, da er den verderbten und niedrigen Charakter Georgs aus jener Zeit her kannte, wo Berndt seiner Schauspielertruppe angehört hatte.

Unumwunden gab er dem Freunde gegenüber seinen Befürchtungen Ausdruck. Er hielt Anna für verloren, und verstand nur das eine nicht, warum ein Mensch wie Georg die gute Kost bei Asta aufgeben wollte, um der gänzlich mittellosen Anna zu folgen.

Gerade der letztere Umstand, so unerklärlich er auch schien, ließ Dubski die Situation nicht gar so pessimistisch auffassen. Er klammerte sich an diesen Gedanken und vertrat die Ansicht, daß der Liebe hohes Wunder schon manchen Elenden geläutert und gebessert habe.

Sanders freilich schüttelte dazu den Kopf, und beide erwarteten sehnsuchtsvoll die neue Braut, welche am anderen Tage eintreffen sollte.

Anna hatte den Umweg über Wernigerode gewählt, um Emmy mit nach Berlin zu bringen, und hatte sich in einer Pension der Königgrätzerstraße zwei Zimmer bestellt.

206 Asta und Georg waren bereits in Berlin angelangt. Die erstere war im Hotel abgestiegen, während Berndt eine kleine möblierte Wohnung in der Köthener Straße gemietet hatte.

Der Bruch zwischen den beiden war seit der Szene bei Anna unheilbar geworden. Seit jener Stunde hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt.

Nichtsdestoweniger gab Asta den ehemaligen Geliebten noch nicht verloren. Wirkliche Zuneigung, verletzte Eitelkeit und quälende Eifersucht waren die Motive, welche in ihrer Brust wogten und nach der einen Lösung zielten, den Ungetreuen aus den Banden Annas zu befreien und ihn für sich wieder zu gewinnen. Das Nächstliegende schien ihr, sich eine ganz genaue Auskunft über Annas pekuniäre Verhältnisse zu verschaffen. Zu diesem Zwecke machte sie sich auf den Weg in das Büro des Herrn Behnitz. Dort ward ihr der Bescheid zuteil, daß der Leiter der Bühne selbst verreist sei, und der Dramaturg, Herr Schönlein, ihn vertrete. Letzterer ließ die elegante Frau, deren Lebensschicksale auf dem Wege des Kulissenklatsches längst an sein Ohr gedrungen waren, sofort eintreten, da er vermutete, daß Asta für den Winter ein Engagement suchte, und eine vermögende gutgekleidete Schauspielerin für den Gagenetat des Theaters immerhin eine Ersparnis, folglich ein Gewinn war.

Das Ergebnis dieser Besprechung war ein Brief, den Asta schnell auf dem nächsten Rohrpostamt verfaßte:

»Wenn Sie über das Vermögen und die sonstigen Verhältnisse des Fräulein Hanke Genaues erfahren wollen, so wenden Sie sich an den Dramaturgen im Behnitz-Theater.

Ein treuer Freund.«

Dann schrieb sie auf die Adresse: Herrn Georg Berndt, Köthenerstraße 50, und schlug froh und guten Muts den Weg nach ihrer Wohnung ein.


207 Anna ahnte unterdessen nichts von den Intrigen, die gegen sie gesponnen wurden. Freilich war ihr sonnenhelles Glück einen Augenblick durch einen Brief getrübt worden, welchen der brave Direktor Bartels ihr bei der Abreise mit der Weisung in die Hand gedrückt hatte, das Schreiben erst nach Abgang des Zuges zu eröffnen. Sie hatte folgende Worte gelesen:

Mein liebes Kind!

Wenn Sie einem ehrlichen Manne, der es gut mit Ihnen meint, glauben wollen, dann hüten Sie sich vor Herrn Georg Berndt.

Ihr treuergebener

Bartels.

Erst war sie über diese Warnung einen Augenblick stutzig gewesen. Aber dann hatte sie sich die Sache so zurechtgelegt, daß der unglückliche Sanders um die Vermittlung des Freundes gebeten und sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf diese plumpe Weise erhalten habe.

Dieser Zwischenfall war längst vergessen, als sie auf dem Bahnhof in Wernigerode die geliebte Schwester in ihre Arme schloß.

Und dann ging es nach kurzem Aufenthalt vorwärts nach dem heißersehnten Berlin. Anna konnte unterwegs der Schwester gar nicht genug von den Tugenden, der Schönheit und dem Talent ihres Bräutigams erzählen, und je näher sie dem Ziele kamen, desto mehr wuchs Annas Erregung, die ersten Häuser der Großstadt vor sich auftauchen zu sehen.

Endlich fuhr der Zug in die Halle ein.

Auf dem Bahnhofe warteten Dubski und Georg. Sanders hatte es trotz aller Herzensgüte nicht über sich gewinnen können, die erste Begrüßung der beiden Liebenden mitanzusehen.

208 Als der Zug hielt, stürzte Anna in die Arme ihres Verlobten, während Dubski sich selbst Emmy vorstellte und ihr beim Tragen des Gepäcks behilflich war.

Nachdem die ersten Zärtlichkeiten ausgetauscht waren, machte Anna die beiden Herren miteinander bekannt, und Dubski sprach etwas zaghaft seine Glückwünsche aus. Dann wurde Emmy vorgestellt, auf deren Hand der neue Schwager einen diskreten Kuß drückte.

Die Herren brachten nun die Damen zur Droschke, und Dubski war glücklich, als Georg mit einstieg und er allein zurückbleiben konnte.

Georg hatte ihm gar nicht gefallen. Er hatte in seinen Augen so wenig Aufrichtigkeit und Herzlichkeit gelesen, daß er mit innerem Grauen an Sanders' Prophezeiungen dachte. Kopfschüttelnd und von traurigen Ahnungen erfüllt, ging er langsam dem Café Kaiserhof zu, wo Sanders ihn erwartete.

Solange Sanders Anna noch in der Ferne wußte, hatte er seine erkünstelte Ruhe aufrecht zu erhalten gewußt. Aber jetzt, da das Weib, welches er glühend liebte, in Berlin weilte, brachen seine Leidenschaft und seine Verzweiflung hervor, und er beklagte aufs tiefste sein und ihr Geschick.

Vergeblich versuchte Dubski ihn zu beruhigen. Endlich, um die Stimmung des Freundes erträglicher zu machen, schlug er ihm vor, einen Boten zu Anna zu schicken und sie und die Ihrigen auf drei Uhr zum Mittagessen einzuladen. Damit war Sanders einverstanden.

Anna nahm hocherfreut an und ließ die Herren bitten, sie zu der angegebenen Zeit aus ihrer Wohnung abzuholen.

Man kann sich denken, mit welchen Gefühlen der arme Sanders die zwei Etagen zu Annas Pension emporstieg. Jede Stufe war für ihn ein Martyrium, und Dubski mußte den armen Freund stützen, um ihn bis zur Spitze des Kalvarienberges zu geleiten. Sanders' Herz pochte in wilden 209 Schlägen, als er an die Türe des Zimmers klopfte, aus welchem helles Lachen ihnen entgegentönte.

Und nun stand er ihr gegenüber. Er senkte die Augen und wußte nicht, was er sagen sollte.

Anna aber umarmte ihn und rief ihm zu: »Wenn Sie wüßten, Sanders, wie glücklich ich bin, dann würden Sie Ihre Anna genau so lieb haben wie früher.«

»Das will und werde ich,« erwiderte er, indem er nur mühsam das Schluchzen unterdrückte. »Aber, Kind, man fragt doch erst seine alten Freunde, ehe man einen solchen Schritt tut.«

»Nicht böse sein, lieber Sanders,« schmeichelte Anna. »Die Liebe ist über Nacht gekommen, sie war da, ehe ich so recht das Bewußtsein davon hatte. Und als ich es merkte, da war es schon zu spät, um Euch zu fragen. Da hätte die ganze Welt ›Nein‹ sagen können, ich hätte doch ›Ja‹ gesagt.«

»Wenn es so ist, wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen Glück, liebe Anna, und hoffe nur zu Gott, daß es allezeit so bleiben möge.«

»Wo nur Herr Berndt bleibt?« unterbrach Emmy, welche im Hut und Mantel am Fenster stand, das Gespräch. »Es ist ja gleich halb vier!«

»Er wollte,« sagte Anna leichthin, »noch einige notwendige Gänge machen, und vor allem sein altes Mütterchen auf meinen morgigen Besuch vorbereiten.«

Sanders fuhr zusammen und sandte Dubski einen vielsagenden Blick zu. Anna entging diese stille Verständigung, und sie plauderte und scherzte munter mit ihnen weiter.

Als aber eine Viertelstunde nach der anderen verstrich, und der Erwartete noch immer nicht eintraf, begann sich auch ihrer eine nervöse Unruhe zu bemächtigen. Tiefes Schweigen war an die Stelle der Gespräche getreten, und alle zuckten 210 zusammen, wenn eine Droschke vor der Türe hielt, oder ein Schritt auf der Treppe laut wurde.

Endlich, es war inzwischen fünf Uhr geworden, ertönte die Klingel. Anna stürzte selbst hinaus, um zu öffnen und kehrte gleich darauf allein zurück.

»Nur ein Brief,« sagte sie mit erzwungener Ruhe, während sie an das Fenster trat und mit zitternder Hand das Schreiben öffnete.

Während sie las, wurde sie immer blasser, und sechs angstvoll auf sie gerichtete Augen sahen, wie ihre Hände krampfhaft das Blatt festhielten.

Als sie geendet hatte, ließ sie das Papier sinken. Sie wollte an den Tisch in der Mitte des Zimmers herantreten, – da taumelte sie plötzlich und brach bewußtlos zusammen.

Emmy und Dubski hoben die Ohnmächtige auf und trugen sie auf ihr Lager, während Sanders sofort zum Arzt lief.

Den vereinten Bemühungen aller gelang es nach längerer Zeit, Anna zum Bewußtsein zurückzurufen. Der Doktor stellte die Diagnose auf eine starke, nervöse Erschütterung, empfahl absolute Ruhe und erklärte, daß er sonst keine Anordnungen zu treffen habe.

Anna lag starr und apathisch da. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihre Brust rang mühsam nach Atem. Emmy kniete vor dem Bett und hielt eine Hand der Leidenden in der ihren.

Diesen Augenblick benutzten die Freunde, um sich über den Grund des Unheils Gewißheit zu verschaffen. Dubski hob den Brief von dem Boden auf, reichte ihn Sanders, und sie lasen folgende Zeilen:

»Liebe Anna!

Du besitzest zu viel Welterfahrenheit und Klugheit, um die Aufrichtigkeit, welche in diesem Briefe ihren Ausdruck findet, mißzuverstehen. Ich habe mich mit Dir verlobt, weil ich 211 gewiß war, die Zustimmung meiner alten Mutter zu diesem Schritte zu finden. Du weißt, daß ich, trotzdem Deine Familienverhältnisse mir bekannt sind, nach Deiner offenen Beichte gewillt war, bei meinem Entschlusse zu beharren. Leider habe ich dabei die Rechnung ohne meine Ratgeberin gemacht. Sie setzt meinen Plänen um so mehr Widerstand entgegen, als sie ja gänzlich mittellos ist, und meine Gage nicht ausreicht, um uns alle drei zu erhalten. Du besitzest nun auch, wie ich erfahre, gar kein Vermögen, und somit würden wir einer Zukunft voller Sorgen, Not und Elend entgegengehen. Selbst wenn ich gewillt wäre, dies alles Deinetwegen auf mich zu nehmen, so würde immerhin als unüberwindliches Hindernis das strenge Verbot meiner Mutter bestehen bleiben. Und darum müssen wir uns trennen.

Behüt' Dich Gott, es wär' so schön gewesen, behüt' Dich Gott, es hat nicht sollen sein. Ich werde Deiner stets in Liebe gedenken.

Du darfst mir nicht grollen, denn unsere Beziehungen sind ja nur so oberflächlicher Natur gewesen, daß der Vorwurf, Dich verführt und verlassen zu haben, mich nicht treffen kann.

Dein Georg.«

»Der elende Bube,« murmelte Sanders, indem er einen Blick innigsten Mitgefühls auf Anna warf. »Er hat ja gar keine Mutter!« 212

 


 


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