Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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8. Kapitel.

Im Ballhaus.

Die Rückkehr von Wahrendorff und Dubski hatte sich bis Ende November verzögert. Der glückliche Rennstallbesitzer hatte noch den Herbstrennen in Auteuil beigewohnt und bei dieser Gelegenheit seinen Hindernis-Rennstall durch wertvolle Ankäufe komplettiert. Im Cercle de la Presse hatte er erfolgreich gefochten und gewinnreiche, genußfrohe Stunden an der Seine zugebracht. Zum Schluß veranstaltete er noch in dem berühmten Restaurant von Voisin ein großartiges Fest, bei dem Yvette Guilbert, die Bacchantin im Niobegewande, ihre schamlosesten und prickelndsten Lieder zum Besten gab.

Dubski hatte sich gleich nach seinem Eintreffen nach Annas Verbleib erkundigen lassen, und die Nachforschungen hatten das Resultat ergeben, daß Fräulein Anna Hanke eine ebenso beliebte wie begehrte ständige Besucherin des Ballhauses geworden sei. Nach einem opulenten, in dem Ecke Linden- und Charlottenstraße im ersten Stock belegenen Restaurant eingenommenen Souper beschlossen daher die beiden Freunde, in Gesellschaft von Reim und Klitzow Fräulein Hanke in ihrer veränderten sozialen Stellung einer Okular-Inspektion zu unterwerfen.

Es war gegen halb zwei Uhr nachts, als das Kollegium vor dem hellerleuchteten Portal in der Joachimstraße anlangte, wo der für alle Fälle mit riesigen Körperkräften ausgestattete Portier dienstfertig den Schlag des Wagens öffnete. 53 Der schöne Raum, dessen Decke und Wände geschmackvolle Malereien und prächtige Spiegel zieren, war dicht gefüllt, und auf der Balustrade, welche den eigentlichen Tanzboden von zwei Seiten umgibt, knallten die Champagnerpfropfen. Auf einen Wink des Tanzmeisters verließen einige Damen, die bisher noch keine Einladung erhalten und sich trübselig, um eine Selterflasche gruppiert, über diese bedauerliche Tatsache unterhielten, den einzigen noch freien Tisch, welcher einen Ausblick auf das Treiben im Saale gewährte, und Wahrendorff nebst seinen Freunden nahm daran Platz.

Die Damenwelt blickte bewundernd auf den jungen Sportsmann und flüsterte sich gegenseitig die Kunde von seinem Erscheinen zu, denn bekanntlich gehören Sportsleute, Operettentenöre und Akrobaten zu denjenigen Männern, mit welchen das weibliche Geschlecht gewisser Kreise den erotischen Meistbegünstigungsvertrag abgeschlossen hat.

Am lebhaftesten und lautesten ging es unstreitig an dem Nachbartische von Wahrendorff zu. Dort hatten Vertreter der jeunesse dorée aus Börsenkreisen Platz genommen, welche durch Witz, Freigebigkeit und Laune die schönsten Tänzerinnen an sich herangezogen hatten.

Und dort thronte auch Anna Hanke.

Ein meergrünseidenes Foulardkleid mit offenen Ärmeln verlieh der jugendlich-reizvollen Erscheinung etwas ungemein Elegantes und Vornehmes. Der von Spitzen bedeckte Hals und Nacken ließ die vollen, üppigen Formen ahnen, und das fesche Lackstiefelchen verriet ein kleines, aristokratisches Füßchen. Die Wellen des natürlichen blonden Lockenhaars glühten in goldigem Schimmer und ließen, nach englischer Sitte, die wohlgeformte Stirn frei. Der kirschrote Mund lachte unaufhörlich mit wohlklingenden Tönen, und die blendendweißen Zähne zeugten von Kraft, Frische und Jugend. Mit der einen Hand umklammerte sie das 54 halbgefüllte Glas Sekt, mit der andern ein feines Spitzentaschentuch, dessen Monogramm A. H. eine siebenzackige Krone überragte. Hübsche Ringe und eine aus Saphiren und Brillanten in Hufeisenform gebildete Brosche vervollständigten die Eleganz ihrer Kleidung.

Soeben stimmte die Zigeunerkapelle einen beliebten Walzer an, und diese feurigen Klänge, welche es seit einigen Jahren fertig gebracht haben, das kalte norddeutsche Blut zu elektrisieren und ihm etwas südliches Feuer einzuflößen, riefen das bewegliche Völklein zum Tanz.

»Na, Meechen,« wandte sich Annas Nachbar, ein fescher, eleganter junger Mann, zu ihr, »komm', wir woll'n noch einen riskieren. Ich liege zwar an der Getreidebörse schief, und wenn der verdammte Weizen nicht bald runtergeht, wird's wohl am Ultimo heiter werden. Aber det schadt' nix, immer rin ins Verjniegen!« und damit gingen die beiden die Stufen zu dem Tanzsaal hinab.

Anna tanzte reizend, elegant und verführerisch. Sie folgte ihrem vorzüglichen Tänzer und walzte nach rechts und nach links, langsam und schnell, je nach Laune ihres Führers.

Dubskis Augen glühten, und er verfolgte ohne Rast die rhythmischen Bewegungen des hübschen Mädchens.

»Dem Manne kann geholfen werden,« sagte endlich Wahrendorff, der sich schon eine ganze Weile im Stillen mit seinen Freunden über Dubskis Gebahren amüsiert hatte. Er winkte den Tanz-maître, welcher, mit Escarpins und rotem Frack angetan, in halbem Bewußtsein der traurigen Rolle, die er spielte, stumpfsinnig dastand, an den Tisch heran, drückte ihm eine Doppelkrone in die Hand und sagte: »Wenn die junge Dame im grünen Kleide da unten wieder heraufkommt, so bestellen Sie ihr bitte, sie möchte sich einen Augenblick an unseren Tisch bemühen.«

55 »Sie meinen doch die Ballhaus-Anna, Herr Baron,« erwiderte, sich tief verneigend, der Maître.

»Ich meine die hübsche Blondine mit dem meergrünen Kleid, welche mit dem schwarzen Herrn da unten tanzt. »

»Na gewiß,« schmunzelte der Mann im roten Frack, »det is unsere Ballhaus-Anna, det feinste Meechen hier ins Lokal. Schick und elegant, eine feine Puppe,« und dabei schnalzte er mit der Zunge.

»Verkehrt sie schon lange hier?« unterbrach ihn Dubski.

»Nu, seit etwa sechs Wochen! Aber wat det Meechen für ein Sektjeschäft macht, det is nich zu jloben. Zu Eenem mit Rotspon oder Rheinwein jeht se überhaupt jar nich an den Tisch ran. Die annern Meechens sind ooch mächtig neidisch uff ihr. Zehne hab' ick mindestens rausschmeißen müssen, die ihr verhauen wollten. Det sind wir ihr für det feine Jeschäft, det se uns macht, schuldig. Die nobelsten Fremden waren schon hier und wollten ihr nach Paris und London mitnehmen, aber die traut keenem über'n Weg.«

Die Musik schwieg. Die Pärchen kamen langsam und ermüdet nach getaner Arbeit zurück, und der Tanzmeister benutzte diesen Augenblick, um Anna einige Worte ins Ohr zu flüstern.

Sie wendete ihr schönes Köpfchen nach der ihr angegebenen Richtung, und nun erst erkannte sie ihre Freunde von Langlet her. Sie errötete über und über, ließ den Arm ihres verdutzten Kavaliers plötzlich los und rannte wie eine Besessene davon. Dubski stand auf und ging ihr nach.

Er fand sie im angrenzenden Salon, in dem zwölf lauschige Kojen den in der Mitte befindlichen plätschernden Springbrunnen umgeben. Sie saß in einer Nische, das Haupt trotzig auf die Händchen gestützt, das Taschentuch vor dem Gesicht. Dubski näherte sich ihr, legte seinen Arm sanft auf ihre Schulter und fragte zärtlich: »Aber, liebes Fräulein, wir 56 haben Ihnen doch nichts getan, warum rennen Sie von uns fort?!«

»Ach, Sie wollen mich gewiß blamieren, Sie und Ihre Freunde von wegen damals!« erwiderte die Kleine in weinerlichem Tone. »Es tut Ihnen gewiß recht leid, daß Sie mich damals das Geld gegeben haben und daß Sie mir jetzt hier im Lokal treffen.«

»Ganz im Gegenteil, liebe Anna, wir freuen uns, Dich hier so hübsch und elegant wiederzufinden, und wir wollen Dich weiter unterstützen und vorwärts bringen.«

»Ick bin Ihnen ja schon so dankbar,« schluchzte Anna aus, »aber det Sie mir jrade hier treffen müssen!!«

»Na, beruhige Dich nur, mein Kind, das ist ja nicht schlimm, und Du bist erst so wenige Wochen hier, daß das alles wieder gut gemacht werden kann. Und nun erzähle mir mal, was Dir seit der Zeit begegnet ist, und sage mir ruhig die Wahrheit.«

Er ließ eine Flasche Sekt kommen, welche der Kellner mit dem menschenfreundlichen Lächeln brachte, in welchem sich die feste Zuversicht auf ein anständiges Trinkgeld ausdrückt. Dubski schenkte ein, nahm Annas Hand in die seine, und treuherzig, ohne etwas zu verschweigen, gab sie ihm einen wahrheitsgetreuen Bericht ihrer ersten Sünden.

Inzwischen hatten die Zigeuner im Saale einen ungarischen Czardas angestimmt. Die volkstümliche Weise der Kinder der Pußta, welche bald klagend in Schmerz und Wehmut zerfloß, und bald in der Raserei der Töne jauchzende Lust und brennende Gier predigte, drang gedämpft zu ihnen herüber und akkompagnierte Annas Beichte.

Als sie fertig war, stieß Dubski mit ihr an und sagte: »Die kurzen Erfahrungen, welche ja an und für sich schmerzlich für Sie gewesen sind, mögen Ihnen insofern eine Lehre für die Zukunft sein, als Sie es vermeiden werden, künftig ohne 57 weiteres jedem Fremden Ihr Vertrauen zu schenken. Der Weg des Daseins ist mit Fallgruben gepflastert, welche geliebte Mitmenschen uns legen. Wenn sich zufällig jemand wieder aus ihnen emporgearbeitet hat, ist ihre Wut und ihr Haß natürlich unbeschreiblich. Ist es aber einmal gelungen und lernt man der Gefahr ausweichen, so gehört man zu den wenigen Auserwählten, welche die Schlechtigkeit und Bosheit der anderen kennen, bedauern und als menschliche Notwendigkeit ruhig hinnehmen.«

Anna starrte den Sprecher mit ihren großen Augen an.

»Ich merke, liebes Fräulein, daß Sie mich nicht verstehen und auch nicht verstehen können. Dazu sind Sie noch zu jung, und der Giftstoff, den Sie bereits in sich aufgenommen haben, macht Ihnen augenblicklich noch keine Beschwerden. Aber wenn Sie mir noch eine Gefälligkeit erweisen und Ihre Dankbarkeit bezeugen wollen, so wollen wir noch ein Stündchen mit meinen Freunden beim Glase Wein verbringen.«

Anna nickte, und Dubski ging an seinen Tisch zurück, um Wahrendorff Bescheid zu sagen. Hierauf traf er Anna in der Garderobe und fuhr mit ihr voraus zu Hiller. Wahrendorff und seine Freunde, denen sich noch zwei gute Bekannte, Journalisten, zufällig angeschlossen hatten, brachen kurze Zeit darauf ebenfalls auf.

Die Mädchen sahen die noblen Kavaliere mit traurigem Herzen ziehen und bettelten sie, um die Gelegenheit wenigstens nicht ganz zu verlieren, beim Weggehen um Garderoben- und Droschkengeld an, ein Ansinnen, welchem Wahrendorff in der bereitwilligsten und weitestgehenden Weise Folge gab. Kaum hatten die Herren aber das Lokal verlassen und die Droschken bestiegen, da machte sich die Wut der zurückgebliebenen Hetären in deutlichen Bemerkungen Luft. Die Empörung darüber, daß Anna allein ausgewählt worden war, war 58 allgemein, und selbst die Freundinnen, welche sie so oft in der Not unterstützt hatte, ließen an ihr nicht ein gutes Haar.

»Aber Kinderkens, regt Euch doch nicht uff,« ertönte die heisere Stimme der langen Juste, welche als ältestes Inventarstück des Lokals galt und den Fremden als historische Denkwürdigkeit gezeigt wurde, »die Sache is ja janz anners. Die Herren haben heute beim Spielen det Jeld verloren, un da haben se keenen Draht, um de wirklich feinen Meechens, wie wir sind, was zu bieten. Drum haben se sich det jrüne Ding mitjenommen.«

Mit dieser Ehrenerklärung gaben sich die verlassenen Ariadnen zufrieden und kehrten in den Tanzsaal zurück, woselbst ihnen die freudige Überraschung zuteil wurde, auf Wahrendorffs Tisch zwei fast unberührte Flaschen Sekt zu finden. 59

 


 


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