Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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11. Kapitel.

Das Hamburger Derby.

Seit jenem Winterabend waren anderthalb Jahre vergangen, und Anna hatte das Ziel ihres Ehrgeizes noch nicht erreicht. Wahrendorff führte sein Leben in der bisherigen Weise weiter und suchte in immer neuen Nervenaufregungen seine stets wachsende Leidenschaft für Anna zu ertöten. Trotzdem sie ihm deutlich zu verstehen gab, daß es ihm ein leichtes sein würde, ihre Gunst zu erringen, hinderte ihn das Fünkchen anständiger Gesinnung, welches er noch besaß, den ehrlichen und vertrauensseligen Freund in so perfider Weise zu betrügen.

Was jedoch die verführerische Schönheit Annas und seine glühende Sinnlichkeit nicht vermocht hatten, das brachte der Aberglauben des Spielers zur Vollendung. Seit einem Jahre schon wendete ihm das Glück konsequent den Rücken. Er hatte am Spieltische, auf den Rennen und an der Börse fast alles verloren, sein Kredit war erschüttert, und die Art und Weise seines Spiels ließ die sachverständigen Klubleute vermuten, daß Wahrendorff kurz vor dem völligen Niederbruche stand.

Und so bewegte den unglücklichen Spieler in den schlaflosen Morgenstunden nur der eine Gedanke, sein Glück dadurch wiederzugewinnen, daß er die Mascotte an seine Seite fessele.

Wahrendorff war an dem Wendepunkte des Lebens angelangt, wo der arme Teufel zum Dieb, der Kavalier zum Falschspieler und Hochstapler wird, wo das Bedürfnis, den standard of life auf derselben Höhe zu erhalten, die 74 Unfähigkeit, mit ehrlichen Waffen den Kampf ums Dasein zu führen, die letzten edlen Regungen ersticken und die Begriffe von Ehre für alle Zeit zerstören. So hatte er einen teuflischen Plan ausgeheckt, um sich zu bereichern, und sein Spieleraberglauben raunte ihm zu, daß sein Werk nur gedeihen könne, wenn Anna, seine Mascotte, mit im Bunde wäre. Der Schlag war für den Tag des Hamburger Derbys geplant, und Anna hatte ihm versprochen, im Falle des Gelingens die Seine zu werden. Mit klugem Vorbedacht hatte sie ihren Entschluß von einer glücklichen Wendung der Dinge abhängig gemacht, um nicht, wie sie sich ausdrückte, das unreine Wasser auszuschütten, ehe das reine vorhanden wäre.

Im großen Publikum galten die Chancen Wahrendorffs für das Derby als absolut gescheitert. Seine Fuchsstute Anita, welche als Zweijährige eine brillante Form gezeigt und ihre Freunde zu den schönsten Hoffnungen für den Kampf um das blaue Band berechtigt hatte, hatte im Henckel-Rennen eine so schlimme Schlappe erlitten, daß ihre Odds für das Derby, welche vor der Niederlage 4:1 standen, auf 12:1 zurückgegangen waren. Wahrendorff war während des Hoppegartener Frühjahrsmeetings verreist gewesen und hatte auf die Kunde von dem schlechten Laufen der Stute angeordnet, daß sie vor dem Derby nicht mehr herausgebracht werden solle. Anita war nach einem Landgute, welches er in Sachsen besaß, zum weiteren Training transportiert worden, und ihre Arbeit wurde so geheimnisvoll geleitet, daß selbst die gut informierten Fachblätter über das Befinden und die Fortschritte der Stute nichts berichten konnten. Allgemein bedauerte man Wahrendorff, weil es bekannt war, daß er vor jener Niederlage große Wetten über die Stute auf das Derby abgeschlossen hatte. So stand die Angelegenheit in den Augen der Welt, während in Wahrheit das Ganze nichts als ein fein abgekarteter Schurkenstreich war.

75 In unauffälliger Weise war Anita, während man nichts von ihr sah und hörte, mit kleinen Beträgen zu den langen Odds gewettet worden. Geschickte Agenten hatten das für Wahrendorff besorgt, und zwar mit einem solchen Raffinement, daß die, wo es nur irgendwo angängig war, untergebrachten Einzelbeträge ihm im Falle des Erfolges ein Vermögen bringen mußten. Als die Buchmacher trotzdem anfingen, kopfscheu zu werden, wurde das Gerücht verbreitet, daß die Stute keinesfalls am Start des Derbys erscheinen werde, weil die mit ihr aufgestellte Arbeit infolge eines Akzidents für längere Zeit unterbrochen werden müßte. Die Odds wurden daraufhin wieder größer, und der Ring nahm, da bei dem Näherrücken des klassischen Ereignisses andere Pferde zu heißen Favorits wurden und diese mit großen Beträgen von ihren Besitzern und dem Publikum gewettet wurden, gern alles Geld auf Anita als gewonnenes hin. Plötzlich erschien die Stute in blühender Kondition in Hamburg, und wenn auch das allgemeine Interesse sich noch den Größen, welche seit Beginn der Rennsaison anerkennenswerte Leistungen aufzuweisen hatten, zuwandte, fingen die schlauen Buchmacher doch an zu ahnen, daß sie düpiert worden waren.

An dem Morgen des prächtigen Juni-Tages, an welchem das sportliche Fest in der alten Hansestadt stattfand, bot der Jungfernstieg das gewohnte, aber immer aufs neue schöne und interessante Bild. Auf den Bänken vor dem Hamburger Hof, vor dem Viktoria und Streits Hotel saßen die Herren und Damen der internationalen Sportgesellschaft und besprachen eifrig die Geschicke des Tages. Von Zeit zu Zeit passierte ein Kavalier die Straße, um mit den drüben im Alsterpavillon lauernden Buchmachern seine Wetten abzuschließen. Der Sieg schien eine tote Sicherheit für die österreichischen Dreijährigen zu sein, und es kam nur in 76 Frage, welcher von den drei Startern aus dem Nachbarlande aus dem Kampfe um das blaue Band als Sieger hervorgehen würde.

Auch Doktor Reim befand sich unter den Besuchern. Er unterhielt sich gerade eifrig mit einem Buchmacher, welcher sich des berechtigten Renommees der größten Zahlungsfähigkeit erfreute.

»Also wie steht Anita?« fragte Reim.

»Gar nicht, Herr Doktor. Über Anita ist mein Buch geschlossen!«

»Na warten Sie nur, dreimal habe ich Sie jetzt vor dem Schöffengericht frei gekriegt, und das ist der Dank?«

»So ist das nicht gemeint, Herr Doktor. Ich rate Ihnen, wetten Sie alles Geld der Welt am Totalisator auf Anita, die gewinnt ihr Rennen im Kanter. Ich kann Ihnen sagen, eine feine Schiebung!! Aber Sie können doch nicht von mir verlangen, daß ich mich Ihnen zuliebe unglücklich mache.«

»So, so,« brummte Reim beim Abgehen. »Wir werden ja sehen!!« Und dabei schüttelte er bekümmert seinen dicken Kopf.

Inzwischen saß Franz Wahrendorff mit Anna und Dubski in einem chambre separée bei Pfordte, und alle drei verzehrten die köstlichsten Speisen mit bestem Appetit und in fröhlichster Laune. Anna sah entzückend aus. Sie trug ein einfaches, glattanliegendes, dunkelbraunes, englisches Kleid, dessen Urheber, nach dem tadellosen Sitz zu urteilen, zweifellos ein Wiener Schneider sein mußte. Auf dem Köpfchen saß luftig in die blonden Löckchen gebettet eine dunkelblaue kleine Toque, und die reizenden, in hohen Lackstiefeln steckenden Füßchen lugten lockend aus einer Wolke von weißen Spitzen und bunter Seide hervor. Um den Hals trug sie ein blaues Bändchen, an welchem vorn ein 77 goldenes Hufeisen befestigt war, welches in Brillanten die Inschrift trug »Spernere sperni«. Die beiden Männer, deren Gesichter durch den Wein und den erwarteten Nervenreiz auf dem grünen Rasen schon stark gerötet waren, verschlangen das schöne Weib mit liebeglühenden Blicken, nur mit dem Unterschiede, daß aus dem Lächeln des einen die Sicherheit des glücklichen Besitzers, aus den Mienen des anderen die Beutelust des Riffpiraten sprach.

»Nun, lieber Wahrendorff, wenn Sie das Derby gewinnen,« begann Anna, indem sie ihm einen herausfordernden Blick zuwarf, »sind Sie dann ganz glücklich?!!!«

»Dann,« erwiderte Wahrendorff zweideutig und ließ seine Augen an dem Halse Annas haften, »dann hätte ich den Wunsch, noch ein blaues Band zu gewinnen.«

»Mein Gott,« lachte Anna, »bis dahin müßten Sie ja noch ein volles Jahr warten. Lassen Sie sich dabei die Zeit nicht lang werden.« Und dabei trank sie ihm mit einem vielsagenden Blicke aus ihrem Glase zu und berührte wie zufällig seinen Fuß unter dem Tische mit dem ihren, daß es ihn erbeben machte bis in sein innerstes Mark.

»Brechen wir auf, meine Herrschaften,« rief Dubski. »Die Stunde naht. Hinein in den Kampf der Wagen, auf zum Horner Moor, es lebe Anita!«

Er ging voran, um Annas Garderobe zu holen, und diesen Moment benutzten die beiden zu folgender kurzen Unterhaltung.

»Also wann geht das Schiff?« fragte Anna.

»Um fünf Uhr morgens. Ich bin um Punkt halb fünf vor Ihrem Hotel! Aber Dubski?!«

»Das lassen Sie nur meine Sorge sein.« Und dabei lächelte sie satanisch. »Sie machen ja auch heute eine kleine Schiebung, bei der Sie mich liebenswürdigerweise mit einigen braunen Lappen beteiligt haben. Wundern Sie sich 78 über gar nichts, unterlassen Sie jede Einmischung, was auch immer geschehe, und rechnen Sie getrost auf die Klugheit der Bettlerin von Langlet.«

Damit nahm sie den kleinen Kragen aus den Händen des galanten Dubski und bestieg den Wagen.

Mit kalter, vornehmer Ruhe fuhr sie an den Damen der Aristokratie und den Hamburger Patrizierinnen vorüber, und alles steckte die Köpfe zusammen, um sich nach der hübschen, eleganten Erscheinung umzusehen.

»Die Welt ist ein Tollhaus,« murmelte Dubski, dem der Mut Annas imponierte, obschon ihm die Situation etwas unbehaglich war.

»Für mich nur ein Ballhaus, und zwar mit wechselndem Publikum und dem Unterschiede, daß jenes nur des Nachts, die Welt aber den ganzen Tag geöffnet ist,« bemerkte Anna. »Und außerdem kann ich mit dem besten Willen nicht so übermäßig viel Achtung und Respekt vor diesen guterzogenen und reichen Damen der guten Gesellschaft haben. Wenn sie alle mit mir vor drei Jahren am Brandenburger Tor mit Streichhölzern gestartet hätten, so glaube ich nicht, daß noch eine von ihnen meine Pace gestanden hätte. Höchstwahrscheinlich wären sie alle niedergebrochen –«

»Und darum,« fügte Dubski lachend hinzu, »ist keine einzige klugerweise an dem lieblichen Start erschienen.«

»Es sind auch nicht viele so bescheiden wie ich, sich mit einem solchen Starter, wie Dir, zu begnügen.«

»Um Gottes willen.« mischte sich jetzt Wahrendorff in das Gespräch, welches heftig zu werden drohte, »lassen Sie die rote Fahne aus dem Spiel, meine Herrschaften, sonst reizt diese Sie zum wütenden Kampfe, und die schöne Ruhe und Vornehmheit, welche soeben alle an Ihnen bewunderten, geht verloren.«

79 »Hoffentlich«, unterbrach ihn Anna scharf, »verlassen auch Sie Ruhe und Vornehmheit nicht in dem gefährlichen Momente, wo das Publikum mit etwas gemischten Gefühlen die prächtige Kondition Ihrer Stute bewundern wird.«

Wahrendorff errötete und drehte verlegen seinen Schnurrbart.

Mittlerweile war man am Rennplatze angelangt. Ein destinguiertes und elegantes Publikum, welchem die hellen Toiletten der Damen und die schneidigen Uniformen der Marssöhne einen prächtigen Reiz verliehen, füllte dichtgedrängt die Tribünen. Der mecklenburgische und pommersche Adel, echt germanische, blonde Prachtgestalten, hatten sich auf dem grünen Rasen ein Rendezvous gegeben, und dazwischen bemerkte man die Habitués der Berliner Rennbahnen. Auch der kleine schwarzgraue Börsenmakler fehlte nicht, dessen Rücken durch die jahrelangen Verbeugungen vor Adeligen und Offizieren schon gänzlich krumm geworden war. Auf den billigen Plätzen drängte sich eine vieltausendköpfige Menge und bewies damit das rege Interesse des Hamburgers für sportliche Ereignisse.

Wie es an solchen Tagen zu geschehen pflegt, kümmerte man sich wenig oder gar nicht um die ersten Rennen des Tages. Desto stärker pflegte man die Unterhaltung und stillte Hunger und Durst an den appetitlichen und reichhaltigen Büfetts.

Endlich kam der große Moment. Die Glocke hatte das Zeichen zum Aufsitzen gegeben, und in stolzem Schritt nahten die Teilnehmer an dem Kampfe zur Parade vor den Tribünen.

An der Spitze schritten die zwei Vertreter des Königlichen Haupt-Gestüts Graditz, zuerst der mächtige Flageolet-Sohn Gerald, ein über den üblichen Rahmen des Vollblutpferdes weit hinausragender dunkelbrauner Hengst, 80 welchem patriotische Sportfreunde eine große Chance im Rennen zusprachen, und ihm nach der schnelle Warwick, der von dem kundigen Leiter der königlichen Zuchtstätte dazu bestimmt worden war, für den Stallgefährten Pilotendienste zu verrichten. Dann kamen die drei Vertreter der österreichisch-ungarischen Monarchie Kalakaua, Symphonie und der in letzter Stunde zum heißen Favoriten erhobene Achilles. Durch seinen Morgengalopp am Freitag hatte der kleine schwarze Hengst des Grafen Kinsky den Enthusiasmus aller Fachleute hervorgerufen, und überall hörte man seine wundervolle Aktion, die Gleichmäßigkeit seines Galoppsprunges und vor allem seine enorme Schnelligkeit rühmen.

Die Hamburger Bahn mit ihren vielen Ecken schien wie geschaffen für den kleinen geschickten Gesellen, und alle die angeführten Gründe bestachen sowohl die Intimen des Turfs wie das große Publikum, am Start dem Ungarn vor seinen Mitgefährten in den Wetten bei weitem den Vorzug zu geben.

Die Buchmacher weigerten sich auch ihrer besten Kundschaft gegenüber, irgend einen Betrag über ihn anzulegen, während sie Kalakaua und Symphonie, deren Freitag-Galopp weniger befriedigt hatte, zu längeren Odds ausboten, und die drei noch am Derby teilnehmenden Inländer Bosco, Margarethe II und Percy mit aller Gewalt zu verlockenden Kursen dem Publikum aufdrängen wollten. Nur in bezug auf Anita, welche sich in wundervoller Frische bei der Parade präsentierte, und deren fuchsiges Haar unter den Strahlen der Sonne wie gleißendes Gold erglänzte, hüllten sie sich in kühle Reserve, obgleich die sichtbare Fitneß der Stute fortwährend zu neuen Anfragen über ihren Stand im Markte Veranlassung gab. Die Zurückhaltung des Ringes, der Umstand, daß am Totalisator hohe Beträge auf Wahrendorffs Pferd angelegt wurden, und einzelne Gerüchte, 81 welche sich mit der fabelhaften Geschwindigkeit verbreiteten, wie sie nur auf dem Rennplatz möglich ist, ließen den Sieg von Anita gar nicht mehr so aussichtslos erscheinen, wie man noch kurz vorher im allgemeinen annahm. Ziemlich ungeniert hörte man vielfach die Meinung aussprechen, daß die Fuchsstute im Henckel-Rennen gepullt worden wäre, und daß man sich auf eine Überraschung ihrerseits gefaßt machen müsse. Von einer besonders freundschaftlichen Beurteilung des Wahrendorffschen Stalles war bei diesen kritischen Betrachtungen keineswegs die Rede.

Der Aufgalopp der Pferde zum Start trieb die Erledigung der geschäftlichen Operationen ihrem Ende zu, und wer sich noch nicht einen guten Platz gesichert hatte, drängte und stieß sich auf den Treppen der Tribünen, um nur wenigstens einige Momente des kommenden Schauspiels von seinem Standpunkte aus wahrzunehmen.

Plötzlich verstummte auf allen Plätzen das laute Gespräch, welches das wiederholte Fortbrechen von Bosco und Kalakaua, sowie verschiedene Ungezogenheiten des übermütigen Percy hervorgerufen hatte – der Starter senkte die Flagge zu einem vorzüglichen Ablauf.

Aus der geraden Linie, in welcher das Feld entlassen worden war, löste sich Warwick los, um der Instruktion gemäß von vornherein ein scharfes Rennen zu machen. Der Chamant-Sohn streckte die Glieder und flog vor dem Felde her, wie ein Führer vor seinen Truppen. Als die Gesellschaft das erste Mal bei den Tribünen vorbeikam, lagen hinter ihm in dem geschlossenem Felde Gerald und Margarethe II im Vordertressen, dann folgten in einer Reihe Bosco, Percy und Kalakaua, hinter diesen marschierte Symphonie für sich allein, und den Schluß bildeten Achilles und Anita. Die Situation blieb so, da jeder der Jockeis mit seinem Platz zufrieden war, bis zur Mitte der 82 gegenüberliegenden Seite. Hier war Warwick mit seinem Atem fertig, fiel immer mehr zurück, und Gerald, der zunächst in der Innenseite galoppierte, mußte sich bis zur Höhe der Steinmauer bequemen, an der Spitze des Feldes zu segeln.

Plötzlich veränderte sich die Situation. Man sah den gelben Dreß des Reiters von Kalakaua bei den anderen vorbeischwirren, die schwarzweißen Streifen des königlichen Hauptgestüts verschwanden zur Mitte hin, und Bosco, Percy, Symphonie, geführt von Kalakaua, gingen in flottester Fahrt an den langgestreckten Stallgebäuden der Horner Ecke hin. Achilles und Anita hielten sich hinter diesen dicht beisammen, ihnen folgte Gerald, der schon wiederholt aufgefordert werden mußte, während Margarethe II und Warwick hier schon vollständig geschlagen waren.

Nachdem die Horner Ecke umsegelt worden war, sah man die Reiter von Bosco und Percy die Peitschen hochheben, während Symphonie und Kalakaua anscheinend allein für den Endkampf in Betracht zu kommen schienen. Fast gleichzeitig fingen die Reiter dieser beiden an, sich auf ihren Pferden zu rühren und in einem grimmigen Kampfe dem Siegespfosten zuzustreben.

Während sich nun die allgemeine Aufmerksamkeit auf das grandiose Endgefecht zwischen Symphonie und Kalakaua konzentrierte, während das Publikum, angefeuert durch das schöne Bild, zitternd vor Aufregung durch Schreien, Stammeln und andere Ausdrücke des höchsten Affekts auf Jockeis und Pferde einzuwirken suchte, trat auf einen Moment ein Augenblick der Erstarrung ein.

Achilles und Anita kamen, dicht aneinandergekettet, wie der Sturmwind aus dem Hinterhalt hervorgeschossen, und im Vergleich zu dem Kampfe dieser beiden war die Leistung von Symphonie und Kalakaua nur ein schwaches Gefecht. Die Jockeis schoben sich im Sattel, rissen mit der linken Hand 83 die Zügel und ließen mit der rechten die Peitsche auf die Flanken klatschen. Die Sporen hackten mit heftigen Stichen in das Fleisch hinein, und es bot sich ein zappelndes Bild der Bewegung, welches den Schönheitssinn wenig befriedigen konnte, dagegen aber die Aufregung bis ins Maßlose steigerte. Kopf an Kopf strebten die beiden Rosse um den Sieg, und den letzten Rest ihrer Kraft schienen sie in den letzten Galoppsprüngen aus sich herausnehmen zu wollen. Die Zuschauer heulten beinahe vor Aufregung.

Nun sind sie durchs Ziel, aber anstatt daß nach dem grandiosen Endkampfe eine Reaktion in den erregten Nerven des Publikums eintritt, entsteht eine heftige Unruhe, ein Trampeln, ein Rennen und ein jeder fragt: »Wer ist der Sieger?!« Und erwidert der Gefragte: »Achilles«, so bestreitet der Fragende das sicher ganz entschieden und schwört auf totes Rennen oder den Triumph Anitas.

Noch einmal tritt eine erwartungsvolle Spannung ein. Man drängt sich um das Richterhäuschen, und auch von den Tribünen und vom Sattelplatz der richten sich Tausende von Renngläsern auf die Nummerntafeln der Plazierten.

Endlich wird diese hochgezogen, und

Anita 1.
Achilles 2.
Kalakaua 3.
Symphonie 4.

lautet die Entscheidung des Richters.

Anita erste! Das Publikum, welches in der Hitze des Kampfes seine persönliche Beteiligung an den Ereignissen vollständig vergessen hatte, fängt an, in das Gleis nüchterner Beurteilung zurückzukehren.

Anita erste!! Also, was man vor dem Rennen sich erst heimlich zugeraunt und dann ganz offen ausgesprochen hatte, bewahrheitete sich. Die Stute, welche im 84 Henckel-Rennen vollständig geschlagen als letzte geendet hatte, war Siegerin im Derby. Die heutige Leistung entsprach ihrer Zweijährigen-Form vollkommen, aber was war's mit dem Abschneiden im Henckel-Rennen, auf welches das Publikum Hunderttausende gewettet hatte? Dort war die Stute gepullt worden, absichtlich gepullt worden.

Eine ungeheure Entrüstung entstand unter den Zuschauern. Und als Grimsby auf Anita zur Wage ritt, tönte es wie ein Hohn in den Tusch der Musikkapelle hinein: »Schwindler. Betrüger, elender Strolch!«

Diejenigen, die ihr Geld im Rennen zu Markte getragen hatten, suchten aus boshaftem Rachegefühl den Skandal zu verstärken, und trotz der Abmahnungen der besseren Elemente ertönte zwischen den Schimpfworten jenes entsetzliche gellende Pfeifen, in welchem der Mob den höchsten Ausdruck seiner Verachtung kundzugeben pflegt.

Wahrendorff, der neben Anita herschritt, erbleichte. Als er die Tür zur Wage überschritt, hörte er es hinter sich herschallen: »Der Lump, der Besitzer, ist mehr schuld als der Jockei.« 85

 


 


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