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VII Die Bratäpfel quietschen

Inzwischen war eine halbe Stunde vergangen. Der Kanonenofen, der noch vor kurzem wie ein behäbiger ›Heerohme‹ im schwarzen Pottlot gestanden, hatte glühende Backen bekommen – wirklich glühende Backen, die sich komisch ausnahmen gegen das sanfte Lampenlicht, das Miekske rechtzeitig angemacht hatte, um später die Gemütlichkeit des Kaffees nicht durch das Hereinbringen der Lampe zu stören. Vor der Hand war es allerdings noch nicht nötig gewesen, denn es war erst vier Uhr, und der Tag hätte noch immer Kraft genug gehabt, die Tafelrunde ein Stündchen unter Beleuchtung zu halten – aber so war's besser, und bei Licht trank und plauderte sich das behaglicher und schöner zusammen, als wenn so ein schummeriger Novembernachmittag ins Zimmer geguckt hätte. Miekske verstand sich darauf, die richtige Stimmung zu machen; sie gab schon ihr Bestes, vornehmlich heute, wo es doch gewiß darauf ankam, auch ihrem Bruder Karlo Antonio durch ihre Arrangements zu beweisen, was sie ihm schulde; denn das mußte sie sich selber sagen: sie war nicht mehr die Vorsteherin einer Nähschule und die Inhaberin der ›Malör-Penning-Kasse‹ allein; sie war höher gestiegen und in eine Gesellschaftssphäre gerückt, die annähernd der Stellung ihres Bruders, und zwar in seiner Eigenschaft als emeritierter Zuave und nunmehriger Rentmeister, entsprach, und das bedingte Pflichten und mußte beobachtet werden. Na – das tat denn auch Miekske. – Auch die subtilsten Empfangszeremonien waren von ihr berücksichtigt worden, so daß selbst Fanny von Satzenhofen, die doch gewiß zu beurteilen verstand, was sich schickte, äußerst angenehm überrascht war und auch sofort mit ihren Komplimenten losrückte, als müsse die Gastgeberin gleich zum Beginn des Kaffees ordentlich geschminkt und einbalsamiert werden. Und Miekske dankte gerührt und besah ihre Finger, worauf Handschuhe saßen – wirkliche Handschuhe aus echtem Glacéleder! Sie machten sich zwar etwas seltsam auf den gichtischen Fingern – aber sie waren doch da und blieben auch da, selbst dann noch, als Adele bereits mit der großen Porzellankanne herumging, und ihre Kollegin, Fräulein Bellecke Kermes, den stattlichen Rodongkuchen anpräsentierte; denn von den Invitierten fehlten noch zwei, und das waren Frau Pitt Hoffmann und die Vorsteherin des Paramentenvereins, und bevor die Frau Präsidentin ... Nein, bevor die Frau Präsidentin nicht da war, blieb es hinsichtlich der Handschuhe beim Alten; das gehörte sich so, und Miekske hatte gelernt, was sich schickte, sah öfters zur Tür, ob die sehnlichst Erwartete noch immer nicht käme, und dann musterte sie wieder die Tischordnung, ob sie alle richtig placiert habe. Alles stimmte, sie hatte schon nach Rang und Würden ihre Anordnungen getroffen. Ihr gegenüber, und zwar an der Schmalseite des Tisches, saß Fräulein Piepmann, während sie die beiden adeligen Damen rechts und links von sich selber gebeten hatte. An Fräulein von Satzenhofen schlossen sich die Frau Posthalterin Piepmann, Fräulein Therese Vogels und Bettje Theißen an, wohingegen der leere Stuhl inmitten der anderen Tischseite für die Frau Rektor bestimmt war. Rechts von dieser hatte sich Frau Pitt Hoffmann zu setzen. Es war alles schon richtig – und Miekske lächelte befriedigt, als die Hausklingel ging, Adele aufmachte und gleich darauf Frau Hartjes in steifer Seide, mit blitzeblanken Augen und einem ganz allerliebsten Enkörchen ins Zimmer rauschte.

»Guten Tag, meine Lieben!«

»Ach, die Frau Präsidentin ...!« sagte Miekske, versuchte, sich in ihrem Stuhl zu erheben, um ihre beiden Nachbarinnen nach allen Regeln der Etikette vorzustellen.

Allein die Alte war fixer als sie, machte eine leichte Verbeugung und sagte: »Mein Name ist Fanny Baronin von Satzenhofen – und hier meine Tochter ...«

»Sehr angenehm,« versetzte Frau Hartjes. »Es ist mir eine außerordentliche Freude, wirklich adelige Damen begrüßen zu können. Wie gefällt es denn den Damen in unserem bescheidenen Städtchen? Haben sich alle Erwartungen erfüllt, die Sie in betreff der Anmeldungen zum Tanzkursus wohl zu hegen berechtigt waren?«

»Wir danken, Frau Präsidentin,« meinte die Alte, »denn außer Fräulein Piepmann und dem Herrn Quartaner Julius Hoffmann, haben sich unter anderen noch Toni Küppers, Klara Horré und die Söhne und Töchter des Herrn Notars und anderer Honoratioren in die Liste eintragen lassen. Dem Herrn Schandarm seine Tochter haben wir jedoch, politischer Umstände halber, für gratis genommen. Außerdem hoffen wir noch auf weiteren Zuspruch und gedenken, in den nächsten Tagen die erste Stunde zu geben.«

»Das ist ja sehr erfreulich zu hören,« meinte Frau Hartjes, indem sie sich an die Allgemeinheit wendete, »und ich bedaure lebhaft, daß es mir vom Himmel versagt wurde, selber Mutterfreuden zu fühlen, sonst wäre es mir eine große Ehre gewesen, auch meine Töchter und Söhne der Baronesse anzuvertrauen, denn ich verkenne keineswegs den hohen ethischen Wert, der einem sittlich geleiteten Tanzkursus innewohnt,« und damit setzte sie sich und ließ sich von Adele Knipp mit Kaffee und von Bellecke Kermes mit einem Stück Rodongkuchen bedienen, wandte sich aber wieder den fremden Gästen zu und fragte: »Die beiden Damen sind doch gewiß christkatholischen Glaubens und sicherlich entzückt von den Kunstschätzen hiesiger Kirche?«

»Über die Kunstschätze von Sankt Nikolai sind wir allerdings entzückt,« versetzte die Tanzmamsell. »Sie suchen ihresgleichen in der Betätigung kirchlichen Schaffens, allein wir sind evangelischen Glaubens und haben uns in dieser Überzeugung allzeit behaglich und glücklich gefunden,« und ihre Augen sahen dabei so überzeugungstreu über den Tisch fort, als säße darin ein junger Frühlingstag mit all seinem Sonnenschein und all seinem Lerchensang und all seiner seligen Hoffnung und Liebe. Und das schöne Gesicht war dabei so apart und verlockend von den Hängelöckchen eingerahmt, daß man meinen sollte, der Richtige müßte jeden Augenblick kommen, um einen innigen Kuß auf das allerliebste Mündchen zu drücken.

»Also nicht christkatholischen Glaubens?!« meinte Frau Hartjes und warf einen vielsagenden Blick zu Miekske Pollmann herüber.

»Je!« zuckte Miekske die Schultern, »denn ist das nicht anders,« zog ihre Handschuh aus und machte dazu eine Bewegung, als hätte sie einen dicken Brummer gefangen.

»Aber ich bin doch immer der Meinung gewesen,« legte sich nun die dicke Therese von Arimathia ins Mittel, »daß alle Edelmänners und solche, die von Edelmänners abstammen täten, unseres Glaubens sein müßten – anderenfalls täte die ganze Baronschaft im Mond liegen.«

Über die Züge der Tanzmamsell lief bei dieser Auslassung ein heiteres Lächeln. Die Mutter jedoch dachte anders darüber und sagte: »Aber, mein Fräulein, ich muß mir doch ernstlich verbitten ...«

»Die Frau Baronin hat recht,« kam ihr Bettje Theißen zu Hilfe, eine Person mit blendend weißem Halskragen, schlicht gescheiteltem Haar und Augen, die so groß und unschuldig aussahen wie frische Maronen, »nein, die Frau Baronin hat recht, denn sie ist meine Einwohnerin, und ich habe selber gesehen, wie sie eine Tasse aus Sevresporzellan in Verwahr hat, die zwar keinen Henkel mehr besitzt, aber mit einer siebenfältigen Krone geschmückt ist und erwiesenermaßen aus dem Besitz ihres seligen Großvaters herstammt.«

»Aus dem Besitz des Urgroßvaters meines seligen Mannes,« verbesserte sie Frau von Satzenhofen, »und wenn man dann bedenkt,« fuhr sie in getragener Weise fort, »daß diese Sevrestasse das einzige Überbleibsel eines einst fürstlichen Vermögens abgibt, dann, meine Damen ...«

Mit einer tieftraurigen Geste zog sie gleichzeitig ihr Taschentuch aus dem gehäkelten Pompadour und fuhr sich damit über die Augen: »Ja, dann, meine Damen ... Sie müssen nämlich wissen, was ein fürstliches Vermögen bedeutet! – denn wir, das heißt die Herren von und zu Satzenhofen, waren dereinstmals imstande, fünf Stunden hintereinander über ihr wirkliches Eigen zu fahren.«

»Kann ich noch,« meinte Therese von Arimathia mit einem so recht fetten und klebrigen Lachen, »ohne mich zu die Edelmänners zu rechnen, denn das ist doch keine so gewaltige Sache; nur die Zeit würde mir so 'n bißchen lang dabei werden, drum mach' ich's man kurz,« und dabei wuscherte sie sich mit der Hand über ihre rechte Sitzgelegenheit, daß sich die meisten Damen indigniert abwenden mußten.

»Aber ich bitte Sie, Fräulein Therese ...!« sagte Frau Piepmann, »wir sind hier in einem christkatholischen Hause.«

»Weiß ich,« versetzte Therese, »ich erlaubte mir ja auch man so 'n harmloses Späßchen und wollte nur beweisen, daß die evangelischen Baröners nur halbe Edelmänners sind, während die katholischen bis über die Nase im goldenen Dreck sitzen, wie zum Beispiel der Edelmann von Miekske ihrem vornehmen Bruder.«

»Und trotzdem,« entgegnete Bettje Theißen, wobei ihre Augen so feurig wurden wie heiße Maronen, »wäre es für mich eine unsägliche Wonne, wenn da so ein evangelischer Kavalier käme und mir seine Liebe gestände. Das wäre herrlich, himmlisch! – denn wenn da so ein Kavalier mit seiner männlichen Würde ...«

»Was?!« erstaunte sich die dicke Therese und rückte mit ihrem Stuhl etliche Handbreiten näher auf Frau Piepmann zu, »das sagen Sie mit Ihren heiligen Augen, wo Sie schon mit einem gewissen Herrn Lehrer so 'n kleines Malörchcn ...«

Das weitere schluckte sie aber mit aller Entsagung herunter, weil sie an den Herrn Vikarius dachte, brummelte aber trotzdem in die Kaffeetasse hinein: »Und ich kann mir nicht helfen: ich tu' sie für meinetwegen doch für 'n Paket mit schmutziger Wäsche verschleißen.«

Adele Knipp und Bellecke Kermes drückten sich kichernd hinter den Kanonenofen, wo schon die Äpfel zu quietschen begannen.

»Aber, meine Damen,« legte sich nun die Frau Rektor ins Mittel, »wollen wir nicht das äußere Dekorum bewahren, vornehmlich jetzt, wo zwei adelige Vertreterinnen des anderen Glaubens ...«

»Ich wollte mir ja nur eine Vermahnung erlauben,« entschuldigte sich Therese Vogels, »und nur konstatiert wissen, daß sich das nicht gehört, denn wenn man so was behauptet, so tut man sich, wenn auch mit heiligen Augen, das letzte Honnör aus dem Herzen wegamüsieren.«

»Das ist meine Sache,« behauptete Bettje Theißen mit aller Bestimmtheit.

Eine peinliche Stille ging um, und Miekske hatte schon Bange, daß die Gemütlichkeit ihres Kaffees umschlagen könne, eine Vermutung, die im Bereich des Möglichen lag, wäre nicht in diesem Augenblick Frau Pitt Hoffmann ins Zimmer getreten.

»Miekske,« sagte sie fast außer Atem, »Sie müssen mir wirklich entschuldigen, denn schon heute morren so um sieben herum...«

»Das weiß ich,« sagte Miekske mit verbindlichem Lächeln, »Pastöre, Dökters und Damen von Ihrem Stande ... Aber Sie gestatten wohl, meine liebe Frau Hoffmann: Frau Baronin von Satzenhofen und Fräulein Baronesse...«

»Sind mir bekannt,« nickte Frau Hoffmann, »denn mein Julius, gelernter Quartaner bei der Frau Pergamentpräsidentin ihrem Herrn Rektor ...«

»Dann bitte,« entgegnete Miekske und deutete mit lustigen Fingern auf den übrig gebliebenen Stuhl, »dann bitte ich sehr darum, sich neben die Frau Präsidentin placieren zu wollen.«

»Wie sich das gehört,« sagte das pummelige Weibchen, ließ sich nieder und fingerte fünf Stückchen Zucker in die Tasse hinein, die ihr Adele Knipp angereicht hatte, »wie sich das gehört, meine Beste, denn mein Pitt sagt immer: Wer sich selber erniedrigt, verdient, wo er hinkommt.«

»Umgekehrt dürfte es lauten,« meinte Frau Hartjes, »denn es heißt doch, so weit ich mich erinnere: Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden vor Gott und den Menschen.«

»Das wohl richtig,« sagte Frau Hoffmann, »aber mein Pitt ist nicht idealistisch, sondern mehr reellemang veranlagt und läßt sich nicht gern die Butter von die Brotschnitten nehmen, und sein Ausspruch ist auch auf mir übergegangen. – Aber, Frau Pergamentpräsidentin,« fragte sie plötzlich, »was ist das heute morren, so um Mittag herum, für 'ne Geschichte mit dem Herrn Rektor gewesen?«

»Was für 'ne Geschichte...?!« ging das plötzlich bunt durcheinander.

Eine erwartungsvolle Stille folgte diesem energischen Ausruf.

»Da Sie es zu wissen scheinen,« meinte Frau Hartjes in sehr ernster Stimmung, »und die übrige Welt es vermutet, brauche ich auch wohl keinen Anstand mehr zu nehmen, es hier zu erzählen. Die Geschichte ist also... Aber, Adele Knipp und Bellecke Kermes, geht mal so 'n bißchen in die Nebenstube von Miekske.«

»Wie sich das gehört,« sagte Frau Hoffmann.

»Und Sie, Fräulein Piepmann ...?« wendete sich die Erzählerin an das blasse Mädchen, das Miekske gegenüber am anderen Kopfende des Tisches saß.

»Ach, nein – ich dürfte doch schon halber zu den Erwachsenen zählen.«

»Schön,« sagte Frau Hartjes, als sich Adele und Bellecke zögernden Schrittes entfernt hatten, »dann will ich, wenn auch schweren Herzens, die Geschichte verkünden.«

»Das wird sein.« lispelte Bettje Theißen, rutschte unruhig auf ihrem Binsensitz herum und begann feurig mit ihren heißen Maronenaugen zu leuchten.

»Meine Damen,« begann denn auch die Rektorin nach einigem Zögern, »Sie kennen doch alle die heidnische Person, die sich über dem Eingang des Rathauses befindet?«

»Kennen wir,« entgegnete Miekske, »und die hat mir schon immer bedrückt und immer scharniert, wenn ich sie ankucken mußte, und ich sage mir immer: Lieber 'nen heidnischen Rabbiner als so eine Person vor Augen zu haben.«

»Dem pflichte ich bei,« konstatierte Frau Hartjes, »und da ist nun mein Mann als Kenner des Hellenentums und königstreuer Philologe auf den sonderbaren Einfall gekommen, obiges Bildnis von allen Spatzennestern, die doch der liebe Gott in gerechter Vorsehung über die besagte Blöße gezogen hat, von unten bis oben säubern zu lassen.«

»Mein Zeit nicht!« entsetzte sich Therese von Arimathia.

»Ja,« sagte die Rektorin, »aber das ginge ja noch, wenn er nicht immer vor der gereinigten Person stände und sie sich so genau besähe wie die lateinischen Extemporalienhefte seiner Quartaner. Er sagt zwar aus Kunstinteresse – aber ich kenne das und weiß, was die Männer unter Kunstinteresse verstehen. So 'ne üppigen Formen ...!« und dazu machte sie ein paar Hände, als müsse sie zwei stattliche Kürbisse mit allen zehn Fingern umgreifen.

»Wie sich das eigentlich nicht gehört,« versetzte Frau Hoffmann, schüttelte mißbilligend den Kopf und tauchte energisch ein großes Stück Rodongkuchen in die Kaffeebrühe, um es später in aufgeweichtem Zustand herunter zu löffeln. »Ja, ja – man hat schon seine fitalen Akkuschemangs mit die Männer,« erklärte sie weiter, »und zwar von morrens bis abends. Aber Hand aufs Herz – so was ganz Schlimmes kann ich eigentlich in seiner Betrachtung nicht finden.«

»Nicht?« sagte Frau Hartjes.

»Nein. – Miekske zwar nicht – aber wenn ich mir und Fräulein Therese und Ihnen betrachte: wir sind doch auch nicht so ohne und haben doch auch was zu zeigen...! – Wie sich das gehört, meine sehr verehrte Frau Pergamentpräsidentin.«

»Das ist eine ganz andere Sache,« hielt ihr die Rektorin entgegen. »Wir sind von Gott geschaffen, und was wir besitzen, das hat uns der himmlische Vater gegeben. Allein die Person vor dem Rathaus ist ein heidnisches, steinernes Bildnis, und geschrieben steht: Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen, dasselbe anzubeten. Und das tut mein Franziskus – das heißt: er hat es zwar nicht selbst geschnitzt, aber er betet es doch an und besieht sich's – und das, meine Damen ...«

Ein helles, glockenreines Lachen klang plötzlich in diese geharnischte Epistel hinein, und zwar so herausfordernd, daß sich alle Blicke fast gleichzeitig auf ein und denselben Zielpunkt bewegten – und darunter waren Blicke, die so scharf wie ein Pfefferkorn waren.

»Aber, Fräulein von Satzenhofen,« rief die Präsidentin des Paramentenvereins, »ich bitte Sie um Gottes willen, was ist da zu lachen?!«

»Weil ich es in der Tat komisch finde, derartige Ansichten von sich zu geben,« sagte die Tanzmamsell, und sie kicherte dabei so fröhlich vor sich hin, daß ihre honigfarbigen Löckchen beim Vorbeugen fast den Rand der Kaffeetasse berührten.

»Und das finden Sie komisch?« fragte Frau Hartjes mit blitzenden Augen.

»Ja, Frau Rektor, das finde ich komisch – denn wo kämen wir hin, wenn wir alles und jedes, was uns die Alten in künstlerischer Hinsicht überliefert haben, mit dem Mäntelchen falsch verstandener Schamhaftigkeit umkleiden und bis über die Ohren zuknöpfen wollten. Ihr verkrüppelt dadurch euer natürliches Empfinden und behaftet euch mit einer Schwäche, an der ihr zugrunde geht. Unser ganzes Sinnen und Trachten sei die Sehnsucht nach Schönheit. In ihr liegt die Vorbedingung für eine glückliche Zukunft. Kunst ist nun einmal Kunst – da darf niemand dran rütteln. Sie hat nichts mit Prüderie und der Einfalt beschränkter Köpfe gemeinsam. Sie will verstanden, gelernt sein, sie hilft uns über die Alltäglichkeit des Lebens hinweg, sie tröstet uns in betrübten Stunden und erzählt uns von vergangenen Zeiten, von ihrem Denken und Fühlen, und ich kann es daher wohl begreiflich finden, wenn der Herr Rektor dafür ein gewisses Interesse bekundet. Die Kunst, meine Damm, will eben gelernt sein!«

»Auch die mit die Tanzbeine?« fragte Therese Vogels mit einem höhnischen Lächeln.

»Ja, meine Beste, auch die mit den Beinen, und nochmals gesagt: das was der Herr Rektor getan hat, zeugt lediglich von großer Pietät zu einem Werk von nicht geringer Bedeutung, und darum sollten Sie, Frau Rektor, etwas glimpflicher mit den Anschauungen Ihres Herrn Gatten verfahren.«

»Meine ich auch,« ließ sich Bettje Theißen vernehmen, »denn die Kunst veredelt und nährt uns alle an ihren himmlischen Brüsten.«

»Ach, Sie...!« sagte die dicke Therese und sah verächtlich auf die verzückte Lehrerin a. D. »Heilige Augen...!« fügte dann aber leise und so beiseite hinzu: »Sorgen Sie man, daß Sie kein zweites Malörchen bekommen, und Sie, Herr Vikarius, können sich ruhig Ihr Lehrgeld zurückgeben lassen.«

Frau Hartjes saß wie versteinert.

»Himmlischer Vater!« seufzte sie endlich, wußte aber nichts Besseres zu tun, als ihr goldenes Kreuzchen zu fassen, um hierdurch für alle Fälle gewappnet zu sein, etwa auftretende böse Geister in die Wicken zu jagen.

Eine unbehagliche Stimmung machte sich geltend, die Therese von Arimathia dadurch zu verscheuchen gedachte, daß sie sich vorbeugte und auf die Fassungslose einsprach.

»Aber, ich bitte Sie, meine liebe Frau Präsidentin – evangelische Edelmänners sind nun einmal evangelische Edelmänners! – Sie verstehen sich auf künstlerische Sachen, haben dafür aber keine richtige Scham und kein Geld nicht, wohingegen die katholischen moralisch Benehmen und Moneten besitzen, aber von Kunst nichts verstehen – und diese Erkenntnis muß Sie trösten, Frau Präsidentin.«

Aber nichts wollte bei der verstimmten Frau Hartjes verfangen. Das harmonische Zusammensein während der Kaffeestunde hatte einen ekligen Preller bekommen und wäre auch entschieden aus Leim und Fugen gegangen, hätte Miekske nicht in ihrer umsichtigen Weise den richtigen Moment erwischt und über die Schulter gerufen: »Bellecke, Adele...! – kommt man wieder herein, die Frau Präsidentin ist fertig geworden. Bringt aber auch die Erdeicheln mit, denn sie müssen nu gar sein!«

Das wirkte.

Die Erdeicheln kamen, eigentümliche Knollengewächse, charakteristische Gebilde der niederrheinischen Erde, die, in wellendem Wasser gekocht und dann von ihrer Schale befreit, ein süßes Arom von sich geben und zu einer richtigen Visite gehören wie die Schneeglöckchen zum März, wenn die Ackerschollen noch weiße Streifen haben und der Waldboden riecht, als sollten jetzt bald die Anemonen erwachen. – Und wie sie anpräsentiert wurden, da rumorte es auch lauter im alten Kanonenofen; lustige Fünkchen schwänzelten in den Aschenkasten hinein, so daß es aussah, als müßten sie der couragierten Tanzmamsell zu Ehren einen fröhlichen Hopser riskieren. Die Erdeicheln strömten dazu einen Duft aus, der selbst aus dem verbittertsten Gemüt alle Mißstimmungen forträuchern mußte, und wären es auch die schlimmsten gewesen. Das taten sie auch – und was sie noch nicht ganz fertig gebracht hatten, wo da noch so 'n Unmutsstäubchcn lag, was noch gefegt werden mußte, um auch das letzte Restchen von Mißhelligkeit aus dem Wege zu räumen – das besorgten die Bratäpfel. Sie begannen sich in ihren großen Porzellanassiette mausig zu machen, bräunten sich in ihrem eigenen Fett, bekamen geschwollene Bäuche, piepsten und sangen und gerierten sich wie die reinsten Bauchredner auf Kirmes, so daß sich bei diesem pudelnärrischen Geschwätz der schmalzigen und aufgeblasenen Kerle die dicke Therese vor Lachen die Seiten festhalten mußte, um kein Milzstechen zu kriegen.

»Nein – diese Bratäpfels!« wieherte sie vor eitel Wonne und Seligkeit und schlug sich dabei umschichtig auf die patschigen Beine. »So was gibt's ja nicht wieder!« und wie sie das sagte, prustete sie in ihrer ausgelassenen Heiterkeit eine Erdeichel, die sie bereits in den Mund gesteckt hatte, über den Tisch fort.

»Nein – diese Bratäpfels ...!«

Und da ging das nicht anders: die Frau Rektorin lachte, die Tanzmamsell lachte, selbst die sonst so reservierte und ernste Frau Piepmann verzog ihr Gesicht zu einem heiteren Lächeln, und als das Miekske bemerkte, wurde sie fröhlich und sagte so recht aus tiefster Seele heraus: »Und nu, meine Damen, weil alles einen fröhlichen Dreh gekriegt hat, wollen wir uns auch wieder fröhlich benehmen und die unanständige Person vor dem Rathaus begraben.«

»Wie sich das gehört,« meinte Frau Hoffmann, »denn wo so liebreiche Bratäppels quietschen, da muß einer ja pläsierlich gestimmt sein, und wer's nicht ist, der wird es noch werden, denn mein Pitt sagt immer: Wo so was sich hören läßt, da gibt es keine Toten im Hause.«

»Aber meine Liebe,« fiel Frau Hartjes dazwischen, »Sie haben dasselbe doch schon von meinem Stieglitz behauptet.«

»Stimmt auch, meine verehrte Frau Pergamentpräsidentin, denn was für Ihnen der Stieglitsch ist, das sind für Miekske die Bratäppels – denn Pitt versteht sich darauf, und solange er zu befehlen hat, wird hier kein Toter aus dem Hause getragen.«

»Im Gegenteil,« versetzte Therese, »wir wollen sogar hoffen, daß bald frisches Leben in die Nähschule hineinkommt, und Miekske sich in anderen Umständen befindet.«

»Aber wie wäre das möglich?« fragte Frau Piepmann.

»Ganz einfach!« dozierte die Dicke an ihren gallertartigen Fingern herunter. »Herr Karlo Antonio braucht nur die Courage zu haben, er braucht sich mit seiner Auserwählten nur ins Benehmen zu setzen, und dann sorgt schon Frau Hoffmann dafür, daß Miekske sich zu 'ner reputierlichen Tante herausmustern täte.«

»Wie sich das gehört,« nickte Frau Hoffmann.

»Ach, Gott – ja!« versicherte Miekske, »wenn mein Bruder nur ein Einsehn hätte,« und dabei schnappte sie zwei dicke Brummer gleichzeitig von ihrem schwarzen Pelerinchen herunter.

»Karlo Antonio ...! – Ist das derselbe Herr, der mit uns im Postwagen ankam?« fragte die alte Baronin.

»Stimmt,« sagte Miekske.

»Dann muß ich allerdings gestehen,« meinte die Alte, »daß er mir sehr imponiert hat. Sein ganzes Benehmen besticht; ich möchte es kavaliermäßig nennen und wäre nicht abgeneigt, ihm mal bei Gelegenheit meine altadelige Sevrestasse zu zeigen, denn er hat etwas Gräfliches an sich.«

Miekske warf ihr einen dankbaren Blick zu.

»Und ob,« sagte Therese, »denn er sticht alle Edelmänners zusammen genommen, ganz partie egal ob luthersch oder katholisch, direkt in die Tasche – und hätte er Anno Siebzig zu befehlen gehabt, hätte der heilige Vater auf ihn gehört und ihn mit seinem Zuavensäbel losschlagen lassen: wir hätten keine Maigesetze nicht – und keinen Bismarck nicht – und erst recht keinen Habicht.«

»Falk wollten Sie sagen,« meinte Frau Hartjes.

»Richtig, Frau Präsidentin – ›Falk‹ wollte ich sagen, und Windthorst wäre Kommandeur von 's Ganze geworden – und die Herren Kapläne brauchten keine Examens zu machen – und der Kirchenstaat läge noch auf derselben Stelle – und die Landräte täten nicht so große Mäulers besitzen – und der heilige Vater wäre noch regierbar, hätte noch ein Szepter in der Hand und brauchte sein Leben nicht auf hartem Roggenstroh und bei verschimmelte Pumpernickels zu verschleißen ... Ja, meine Damen – Miekske ihr Bruder ist schon der rechte, der hat Akki und wird schon sorgen, daß er Luise 'rumkriegt, denn es ist noch nicht alle Tage Abend geworden – ganz partie egal, ob der hochnäsige Zimmermannskerl hinter die dreißigtausend Talers herpfeifen muß, Luise sich mit Karlo Antonio veramüsiert, Miekske in die Ehrenwürde einer Tante hineinsteigt, und das Kap'tal vom seligen Naatje dem Klingelbeutel verfallen tun täte.«

»Wie sich das gehört,« meinte Frau Hoffmann, »denn mein Pitt sagt immer: Die Herren Kapläne und die Klingelbeutels können's vertragen.«

»Und ob,« konstatierte die dicke Haushälterin und schnappte nach Atem, »besonders in diesen miserablen Zeiten wo liberal Trumpf ist, und die arme Kirche ausgepowert wird wie 'ne hungrige Katze.«

»Dem kann ich nur aus ganzem Herzen zustimmen,« legte sich nun die Frau Rektor ins Mittel. »Es ist ein himmelschreiendes Unrecht, wie es die Menschenmöglichkeit war, ein solches Testament zu errichten. Das ist Gewissenszwang, Bedrohung des eigenen Willens, denn ich bin der festen Überzeugung: Luise würde ganz anders handeln, wenn die diesbezügliche Klausel nicht wäre.«

»So?« fragte Frau Piepmann.

»Ja, meine Beste. Nur die dreißigtausend Taler haben es bewirkt, daß sie ihre wahre, einzige, offenherzige Liebe wie eine Pharisäerin verleugnet hat und willens ist, mit dem Zimmermeister Wesselink in den Stand der heiligen Ehe zu treten. Allein, so viel ich die Situation zu übersehen vermag, dürften doch Überraschungen nicht ausgeschlossen erscheinen. Ich habe mich bereits selber verwendet, und der Herr Vikar war so liebenswürdig, mir seine tatkräftige Hilfe in Aussicht zu stellen. Ja – ich glaube sogar ...«

»Hat's schon getan,« versicherte die dicke Therese.

»Um so besser,« sagte Frau Hartjes, »und die Sympathien aller Bessergesinnten, Einsichtsvolleren werden sich auf seiner Seite befinden, denn fragen Sie sich selber, meine Damen: wie kann der schlichte Zimmermann neben Karlo Antonio bestehn? Hier 'ne vornehme Stellung – dort ein simples Handwerkerschurzfell. Hier 'ne große Reputation als päpstlicher Zuave und Verfechter des alleinseligmachenden Glaubens – und dort: Spießbürgertum in krassester Form, gepaart mit der Anmaßung liberaler Ideen ... Nein, meine Damen – wenn ich zu wählen hätte ... Und daher bin ich dafür...«

»Stimmt!« nahm ihr Therese das Wort von den Lippen herunter, »er muß aus ihrem Herzenstempel heraus, und dafür muß Karlo Antonio eingesetzt werden, ganz partie egal, ob der Konkurrenzmann meines Schwagers darüber Bankrott anmelden täte. Das käme dann wieder andern Leuten zugute!«

»Wie sich das gehört,« sagte Frau Hoffmann. »Es wird zwar ein schweres Akkuschemang werden,« setzte sie erläuternd hinzu, »könnte aber noch so eben geraten, denn mein Pitt sagt immer ...«

»Es muß geraten,« ergänzte Frau Hartjes und warf sich dabei energisch in die seidene Bluse, »unter allen Umständen muß es geraten, selbst unter der Voraussetzung, daß nichts weiter dabei herauskäme, als daß lediglich die Kirche und der Paramentenverein den Profit davon hätten, denn göttliche Sachen stehen höher wie menschliche – und die Liebe ist weiter nichts als eine menschliche Sache.«

»Das finde ich hartherzig!« rief plötzlich eine erzürnte Stimme herüber. Gleichzeitig war die Tanzmamsell in die Höhe gefahren und stand nun da, als sei sie gewillt, den Kampf vom Zaun zu brechen. Der schöne Frühlingstag mit all seiner Laune und all seiner Liebe, der bislang in ihren stillen Augen geruht hatte, war einer frostigen Kälte gewichen, die alles zu verderben drohte, was vor kurzem noch so heiter und blühend gewesen und den Anschein hatte, als könne darüber kein Rauhreif hinweggehn. Und doch war ein Rauhreif darübergegangen, und das schöne Leben lag nun frostig und kalt da.

»Und das sagen Sie mir?« erhob sich Frau Hartjes mit giftigen Augen.

»Ich bitte Sie, meine liebe Frau Präsidentin ...!« suchte Miekske Pollmann vermittelnd einzugreifen.

»Lassen Sie, Miekske,« wies sie Frau Hartjes energisch zurecht und wandte sich wieder an das ruhig vor ihr stehende Mädchen: »Kennen Sie überhaupt die hiesigen Verhältnisse? – Kennen Sie zum Beispiel Fräulein Luise persönlich?«

»Nein.«

»Und den Zimmermeister Wesselink?«

»Nein.«

»Ja, dann, meine Liebe,« ging das bunt durcheinander, »hätten Sie besser geschwiegen! Ja, dann, meine Beste, hätten Sie Ihre Zunge mehr in acht nehmen sollen!«

»Ruhe, meine Damen!« sagte Frau Hartjes und ergriff ein Kaffeelöffelchen. Ihre blitzeblanken Augen waren noch blitzeblanker und geputzter denn vorhin geworden. »Aber Sie, meine Beste,« versetzte sie drohend, »könnten hierdurch noch in die schönsten Unannehmlichkeiten geraten, und ich danke jetzt meinem Schöpfer, daß ich keine Kinder besitze, um sie Ihnen nicht anvertrauen zu müssen.«

In heiligem Eifer hatte sie das unschuldige Kaffeelöffelchen zu Boden geworfen.

»Schwamm über die Sache,« legte sich jetzt die dicke Therese ins Mittel, »denn es kann einem doch ganz partie egal sein, was so 'ne Tanzmamsell für Muvemangs hat. Evangelische Edelmänners sind nun mal evangelische Edelmänners! – weil sie den Verstand man in die Beine und nicht im Kopfe besitzen, und das muß für Sie 'ne Art von Freude bedeuten. Und was Frau Pitt Hoffmann betrifft: sie muß ihren Julius zurückziehen.«

»Wie sich das gehört,« sagte Frau Hoffmann.

»Aber das hilft mir nicht,« meinte die Rektorin, indem sie ihre Blicke fest auf die Tanzmamsell richtete und ihre Worte hart auf den Schleifstein legte, um sie gehörig zu schärfen. »Meine Reputation als vornehme Dame und als Vorsteherin des Paramentenvereins ist in sträflicher Weise berührt worden – und daher frage ich Sie, Baronesse, was Sie veranlaßt hat, den Vorwurf der ›Hartherzigkeit‹ auf mich zu laden?«

»Weil ich es eben hartherzig finde,« entgegnete die Tanzmamsell mit erkünstelter Ruhe, »daß hier Steine aufgenommen werden, um damit das Glück anderer Menschen zu zerstören, denn ich fühle heraus, was all diese Worte bezwecken, daß sie nur da sind, den letzten Willen eines Verstorbenen zu hintertreiben, und nur gesprochen werden, um selbstsüchtige Dinge in die Wege zu leiten. Wenn das nicht ...«

»Sie werden schweigen!« war Frau Hartjes näher getreten.

»Nein – ich spreche,« lautete die ruhige Antwort.

»Adele,« rief Miekske, »präsentiere die Assiette mit Bratäppel!«

Sie wußte nicht mehr, was sie anfangen sollte. Es war ihre letzte Formel gewesen, den Sturm zu beschwören.

»Ich ersuche Sie nochmals schweigen zu wollen,« sagte Frau Hartjes mit eisiger Ruhe. Sie behielt ihre äußere Würde, konnte es aber nicht fertig bringen, auch ihrem goldenen Kreuzchen die erforderliche Reserve zu geben. Immer lustiger kapriolte das putzige Ding auf ihrem stattlichen Busen, stellte sich aufrecht, um dann wieder verliebt in das Enkörchen zu schlüpfen.

»Nein – ich spreche,« wiederholte die Tanzmamsell, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, »und zwar deshalb, weil ich Ihnen noch Aufklärung schulde, die Sie selber verlangt haben. Sie maßen sich an, über das Schicksal zweier Seelen zu richten, die auseinanderzubringen Sie gar nicht die Berechtigung haben. Das göttliche Recht will gar nicht die Liebe zertreten – aber die Menschen wollen's; es ist Menschenwerk, wenn so was geschieht, und nichts ist leichter, als das sorglich aufgebaute Glück zweier Herzen niederzureißen – und das wollen Sie tun; aber nichts schwieriger, als es wieder aufzurichten, wenn es gestürzt ist – und das wollen Sie nicht tun, und deshalb halte ich Sie für so hart wie die Kiesel und noch für härter, denn die Kiesel wissen nicht, was sie wollen – Sie aber könnten es wissen. Und deshalb fühle ich mich berufen, euch allen, die ihr hier sitzt, den Spiegel vor Augen zu halten und euch dieses zu sagen: Dem reinmenschlichen Fühlen stellt ihr schamlos die falschverstandenen Sonderinteressen der Kirche entgegen, als wenn es nichts Höheres auf Erden gäbe als gierige Klingelbeutel und brennende Kerzen.«

»Unerhört!«

»Lassen Sie mich aussprechen, Frau Hartjes. – Gesetzlichen Rechten sucht ihr das Wasser abzugraben und durch Winkelzüge eure Herde in die gemeinsame Hürde eines dumpfen Willens zu treiben, ohne Skrupel und ohne zu fragen, ob hierdurch dem eigenen Selbst, der Familie und dem Vaterlande gedient ist. Mit frömmelnden Augen laßt ihr Menschenherzen verbluten und geht lächelnden Mundes über arme Seelen hinweg, die sich in sich selber und mit heißer Sehnsucht verzehren. Wenn das nicht infam ist ...! – Aber ihr da vom Niederrhein seid hart und gefühllos, und ich bedaure lebhaft, Zeuge gewesen zu sein ...«

Sie konnte nicht weiter sprechen. Große Tränen waren ihr in die Augen getreten.

»Kommen Sie, Mutter, wir wollen nach Hause gehn.«

»Bravo!« rief Bettje Theißen, war aufgesprungen und hatte sich an die Seite des erregten Mädchens begeben.

»Ich gehe mit, – Das nenne ich groß von der Liebe gesprochen!«

In ihren Maronenaugen brannte ein heiliges Feuer.

Eine Totenstille ging um; aber Miekske zerriß sie, fing einen dicken Brummer von der Kaffeetasse herunter, aber so energisch, daß sie vom Tisch herunterpurzelte und am Boden zerschellte.

»Adele, die Bratäppel – die Bratäppel ...!« das war alles was sie noch zu sagen vermochte, dann zog sie ihr armes Köpfchen noch tiefer zwischen die hohen Schultern zurück und legte ergebungsvoll ihre zappeligen Hände zusammen.

Allein Adele dachte gar nicht mehr an die große Assiette; ihre Blicke waren erregt auf das unverhangene Fenster gerichtet, durch das der Abend mit seinen dunklen, kalten Augen hineinsah.

»Adele, was gibt's denn?«

»Fräulein Miekske, da kuckt wer!«

«Wer denn Adele?«

«Ich weiß nicht – aber da kuckt wer!«

»Christus, das ist ja geradezu eklig!« sagte Frau Hoffmann und versuchte, unmerklich das Zeichen des heiligen Kreuzes zu machen, »denn mein Pitt sagt immer ...«

«Auch Miekske stierte gegen die Scheiben.

»Aber wer denn, Adele?«

»Ich glaube ...«

Draußen ließen sich Schritte vernehmen.

»Jetzt weiß ich's.« sagte Therese, »denn die kenn' ich.«

Und damit ging die Tür auf, und ein hoher Mann in langer Soutane, der den Kopf mit einer gewissen Würde und Feier auf dem Stiernacken wiegte, trat ins Zimmer.

Eine tiefe, erwartungsvolle Stille empfing ihn.

Sie kannten ihn alle.

Es war Joseph von Arimathia.

In gleicher Respektabilität wie er den Kopf auf dem Stiernacken trug, machte er auch in gleicher Respektabilität eine leichte Verbeugung.

»Sie ist da, meine Damen,« sagte er alsdann mit sanfter Betonung.

»Wer?!« fragten fast alle gemeinsam.

»Luise.«

»Wo?!«

»Im Kloster, um dort den Frieden zu suchen und Rat zu holen bei Schwester Klarissa. Sie ist des Rates bedürftig.«

»Himmlischer Vater!« stieß Frau Hartjes heraus und mußte sich niedersetzen, um die ganze Tragweite der soeben gehörten Worte in sich aufnehmen zu können. »Aber, Herr Vikarius, das müssen Sie uns alles genauer erzählen.«

»Gerne,« sagte der geistliche Herr und machte abermals eine leichte, aber sehr korrekte Verbeugung.

»Adele, 'ne Tasse ...!« rief Miekske Pollmann über den Tisch fort. »Nein, die Ehre, mich so zu beehren!«

»Wie sich das gehört,« sagte Frau Hoffmann.

Und Joseph von Arimathia setzte sich nieder.

Bettje Theißen aber, die Tanzmamsell und die Alte von Satzenhofen empfahlen sich und gingen nach Hause.

Und Bettje Theißen machte heilige Augen, als sie das Zimmer verließ.

»Na – die ...!« meinte Therese.


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