Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Capitel.
Mitgegangen, mitgefangen.


Und in der That kam es so, wie der franzosenfreundliche, des Bestehenden so frohe Wirth es vorausgewittert hatte.

Das Volksheer, unter lachendem Morgenroth auf der etwa zwei Stunden von Cassel hinziehenden Höhe angelangt, stutzte, als es in geringer Entfernung eine beträchtliche Colonne königlicher Truppen in Schlachtordnung vor sich erblickte, und von der Fronte desselben aus mit Paßkugeln begrüßt wurde. Man hatte eine schlummernde Residenz zu überrumpeln gedacht, und wurde zu einer Feldschlacht empfangen. Aber der Muth, die Begeisterung der Scharen fand sich schnell auch in dies Verhängniß. Die Schützen rückten gegen die westfälischen Voltigeurs vor, die althessischen Reiter warfen sich auf die Garden. Auf dieser Seite war die Ueberzahl, drüben aber die kriegerische Abrichtung. Hier fehlte Geschütz, von dort herüber hagelten die Kartätschen und lichteten die Reihen Derer, die keine Begeisterung kugelfest machte. Dörnberg's Muth und Allgegenwart hielt mit den auseinandergerissenen Haufen lange Stand und führte die Weichenden immer wieder vor. Er schien entschlossen, der Fahnen- und Feldbindeninschrift treu, um Sieg oder Tod zu kämpfen. Und diesen würde er gefunden haben, wenn nicht, vor dem zerschmetternden Geschütz auseinanderstiebend, das Bauernheer in allgemeiner Flucht seinen widerstrebenden Anführer mit sich fortgerissen hätte.

Die Kürassieroffiziere, die am Aufstand Theil genommen, die Edelleute, Beamten und manche andere Männer von Auszeichnung nahmen ihren verabredeten Rückzug über Gudensberg nach der nächsten Landesgrenze. Sie sammelten sich auf dem Schloß Riede, wo seit länger her Männer von Bildung und Literatur beim Landrathe von Meysenbugh, dem kinderlosen Schloßherrn, einzusprechen pflegten, und die Unglücklichen jetzt auch Erquickung, Rath, Geld und Anzüge zum Verkleiden erhielten, bis eben Alles erschöpft war, was augenblicklich helfen und die Flüchtlinge auf nächtlichen Wegen ins Ausland, bis Braunau, Prag und Wien hin, retten konnte.

Indeß nahmen doch nicht alle Führer diese Richtung. Die Verwirrung der Flucht riß da und dort hin, und mancher Verirrte wurde gefangen. Dörnberg selbst wendete sich nach Homberg zurück, und Ludwig folgte ihm mit dem Gedanken an Lina. Doch sein Pferd, von einer Kugel gestreift, blieb mehr und mehr zurück, bis er durch solche Verzögerung auf vermeintlichen Schleichwegen einer mobilen Colonne, die gegen die Flüchtlinge abgeschickt war, in die Hände fiel. Mit Wehr und Waffen und im Schmuck der Feldbinde ergriffen, wurde er nach Cassel geführt.

 

Inzwischen hatte unter der angstvollen Stille, die seit dem Verstummen der Kanonen, bei dem ungewissen Geschick so vieler braven und angesehenen Patrioten, auf der Stadt lag, Hermann die Ruhe des Zimmers nicht aushalten können; er hatte satteln lassen und war in der Richtung des Kampffeldes hinausgeritten. Bald aber, als er wahrnahm, daß mehr auf Seitenwegen als auf der Landstraße Gefangene eingebracht wurden, war er zurückgeeilt, hatte sein Pferd wieder eingestellt und hielt sich jetzt in der Nähe des Castells, damit ihm keiner der Unglücklichen entgehe, den er etwa kenne, und von dem er vielleicht über Ludwig und Dörnberg ein vertrautes Wort erfahren könnte.

Es schien, daß man auf der allgemeinen Flucht die gewöhnlichen Bauern hatte laufen lassen und nur solche festgehalten, die sich durch Feldzeichen, Waffen oder einen soldatischen Anzug auszeichneten. Ehe aber der Freund Gelegenheit fand, einen derselben anzureden, sollte er durch Ludwig selbst die entsetzlichste Nachricht erhalten. Dieser kam nämlich in Mitte einiger jungen Leute, von Gendarmen escortirt, über die Brücke, auf die er sonst von seiner Wohnung aus, so ahnungslos des Unglücks, herabgeschaut. Er sah blaß und zerstört aus; doch belebte sich seine Miene, als Hermann mit einem Ausrufe tiefsten Schmerzes an seine Brust stürzte. Der unglückliche, körperlich erschöpfte Mann wankte unter der Bewegung dieses Wiedersehens. Er wollte reden, aber die Thränen stürzten ihm aus den Augen, und er konnte nur die Worte »Standrecht« – »Lina« hervorbringen; zwei Worte, deren Gewicht den Juristen und den liebenden Mann zu erdrücken drohte.

Hermann, der ihn umschlungen fortgeleitete, suchte sich selbst zu fassen, um den Freund zu beruhigen.

Du mußt gerettet werden, flüsterte er ihm zu. Was kann ich thun, Ludwig, – welche Mittel und Wege –?

Keine, bester Hermann, – ich weiß keine. Ach, für mich gibts auch keine!

Hör, Ludwig! Verzweifle nur nicht, gib nur nicht gleich Alles auf, und besinne dich! Der Gnadenweg bleibt ja offen; aber wir wollen ihn vor dem Urtheil einschlagen. Man muß Freunde, Gönner in Bewegung setzen. Weißt du dir denn Niemanden? Keinen Mann von Einfluß beim König? Komm' mir doch zu Hülfe: ich bin so zerstreut! Erinnere mich doch an irgend wen!

O mein Herzensfreund, welcher Mann wagte in solcher Angelegenheit ein Fürwort? Nein! Nur von einer Seite könnte man noch – vielleicht noch bei Jerôme ankommen, aber ich kenne keine leichtfertige Dame!

Hermann stutzte wie vor einem Blitz.

Aber ich, Ludwig! flüsterte er dem Freunde zu. Ich kenne eine, – keine leichtfertige, aber eine edle, hohe Frau, – eine rettende Seele. Sei getrost: nun hab' ich's!

Sie standen vor dem Castell und mußten warten, bis geöffnet wurde, da bei soviel Eingebrachten und vor dem Zudrange der Menschen auf dem Platz die Veste umständlicher geschlossen wurde. Hermann erhielt die Erlaubniß, mit in den Hof einzutreten, um für die besondere Verköstigung seines Freundes zu sorgen. Er übergab dem Gefangenwärter, was er an Geld bei sich hatte, und empfahl ihm Ludwigen zur sorgfältigsten Behandlung und Beköstigung. Dann flüsterte er dem Freunde zum Abschied einen Namen zu, bei dem der gebeugte Mann doch einen Athemzug der Hoffnung that.

Nun eilte Hermann über die Brücke und den Markt- und Marställer-Platz hinaus, stracks nach dem alten Schloß, wo er sich bei der Gräfin Oberhofmeisterin dringend melden ließ.

Alles rannte durch einander, in Bewegung zur Abreise der Königin. Es war eigentlich die in der gestrigen Angst vor der Rebellion beschlossene Flucht nach Strasburg, die nun nach dem besiegten Aufstande doch nicht zurückgenommen, sondern uneingestanden mit einer »wiederholt erfolgten Einladung der Kaiserin von Frankreich« beschönigt werden sollte.

Die Gräfin, über die Anmeldung verwundert, ließ den Freund nach einem entlegenen Cabinet führen, wo sie ihn, von seinem Aussehen vollends betroffen, mit der Frage empfing:

Mein Himmel, was haben Sie, lieber Doctor? Ischt ein Unglück geschehen?

Hermann war mit dem dringendsten Anliegen ungestüm genug gekommen; aber die Erscheinung der hohen Frau in dieser vornehmen Umgebung setzte ihn bei seiner empfänglichen Bildung schneller in das Gleichgewicht einer besonnenen, aber entschlossenen Seele.

Ja, ein Unglück, Ew. Durchlaucht, antwortete er mit seiner wohltönenden, aber etwas bewegten Stimme, – das größte, glaube ich, das mir begegnen konnte. Mein Freund Ludwig Heister, Friedensrichter in Homberg, ist eben ins Castell gebracht worden. Er hat sich an dem Aufstande betheiligt, und das Standrecht bedroht sein Leben. Ew. Durchlaucht haben mir früher die Erlaubniß, den unverdienten Muth gegeben, mich in vorkommender Noth an Sie zu wenden: so bin ich nun gekommen. Helfen Sie jetzt, retten Sie einen edeln Menschen, eine Familie und meine eigene Zufriedenheit!

Er ließ bei diesen Worten sich auf ein Knie nieder und faltete die bittenden Hände. Sein Herz war aufs tiefste bewegt.

Ruhig, ruhig, lieber Freund! Stehen Sie auf! Bedenken Sie, wo Sie sind, und sprechen S' hier ja ganz gelassen!

Vergebung, Durchlaucht, wenn die dringende Gefahr mich ungeschickt macht. Ich fühlte eben mehr das schwere Wort Standrecht. Es endigt mit »Tod durch Pulver und Blei«. Eilen Sie zum König, erwirken Sie Begnadigung! Es ist der einzige Weg.

Die Gräfin trat einen Schritt zurück, erblaßt und betrübt vor sich niederblickend. Dann versetzte sie mit leisem Kopfschütteln:

Das ischt viel verlangt, guter Freund, zu viel. Der König sieht heut noch gar nicht darnach aus, Gnade für Recht ergehen zu lassen, – so bald.

Heut noch nicht? O gnädige Gräfin, mein Freund hat vielleicht nur das heut noch. Dies heut, bei Gott! muß versucht werden im letzten Tropfen des Möglichen. O lassen Sie sich bewegen, gnädigste Fürstin!

Und haben S' denn auch bedacht, daß Sie mit Ihrer Verwendung – als Freund eines Rebellen erscheinen? Sie selbst –! Ich müßte mich doch auf Sie, auf Ihr Anrufen beziehen?

Für mich seien Ew. Durchlaucht ein für alle mal ganz unbesorgt. Und was den »Rebellen« betrifft, – o so sehen Sie das Ereigniß, das Unternehmen, diesen Volksaufstand einmal nicht mit strengfürstlichem Auge an! Sie haben ein Recht auf ein altfürstliches Auge für Empörung von Unterthanen. Und auch Könige von gestern gewöhnen sich nur allzu schnell an diesen Blick, selbst wenn sie von einer Revolution geboten, von der Usurpation gekrönt sind. Aber König Jerôme wird sich beim Namen Heister doch auch erinnern, welches Unrecht diesem Manne von Sr. Majestät geschehen, welche Entehrung ihm zugedacht war, ehe die liebenswürdige Frau des Freundes die Anträge Sr. Majestät – vielleicht nicht rücksichtsvoll genug von sich gewiesen hatte.

Mein Gott, jetzt besinne ich mich des Namens und des Vorfalls beim Feschte des Hofmarschalls und – Aber still davon! Still, still!

Nun ja, und derselbe Mann, derselbe verletzte Beamte, von all' dieser Kränkung noch heiß bewegt, hat sich zum Aufstande hinreißen lassen. Das ist seine Schuld! Doch, gnädigste Frau, mit seinem Unglück ist die Sache des Königs nicht abgethan, sie geht mit ins Standgericht. Sagen ihm Ew. Durchlaucht, es werde in den Augen der Residenz wie eine Rache aussehen, wenn der Mann der ungefälligen Frau erschossen würde. Nur durch Begnadigung könnte die Majestät – O, Sie verstehen mich!

Die Gräfin war in lebhafter Unruhe. Sie wandelte nach dem Fenster, sie kam zurück; man konnte ihr ansehen, daß ihr Herz – ob mit einem Entschluß kämpfte oder um einen Ablehnungsgrund verlegen war. Endlich sagte sie mit umhertastender Befangenheit:

Ich weiß überhaupt nicht, ob in einem solchen Falle Ausnahmen vom Gesetze gemacht werden. Andern wird's auch nicht an Beschwerden fehlen, ihre Theilnahme am Aufstand zu beschönigen. Aber wenn auch Begnadigung stattfinden kann: ich für meine Person darf sie nicht ansprechen, – ich nicht!

Gnädige Gräfin, wendete Hermann ein, ich habe gerade gedacht, Sie vor allen Menschen am Hof könnten es am ehesten, am wirksamsten, – Ihrer Stellung, Ihrem persönlichen Werth und Gewichte nach.

Sie verstehen das nicht, Sie – unablässiger Mensch! versetzte die Dame ungeduldig und verlegen, während sie doch verstanden oder entschuldigt sein mochte. – Was wissen Sie denn mit Ihrem Fodern und Dringen! Nehmen Sie doch einmal den Fall und sagen mir ehrlich, ganz ehrlich, – wenn die Frau Heister – ich meine nach jener Unterhaltung mit dem König – an meinem Platz wäre, und – sollte beim König eine so schwere Bitte anbringen und mit Nachdruck: ob sie's thäte, ob sie's riskirte?

Sie wendete sich befangen ab, als ob sie nach etwas suche; indem aber Hermann betroffen und nachdenklich einige Augenblicke schwieg, kehrte sie zurück und sah ihn befangen an.

Ist es so, gnädigste Frau, seufzte er. Stehen Ew. Durchlaucht so, daß Sie – Unterhandlungen, Gegenfoderungen zu fürchten haben? Ach, ich begreife das – von König Jerôme! Aber – Gott im Himmel! Zwischen solchen beklagenswerthen Verhältnissen, solchem entsetzlichen Schacher – o verzeihen Sie, edle Frau! – soll mein braver Freund zu Grund gehen, der sonst zu retten wäre? Und – in solche unedle Brust wäre das himmlische Vorrecht der Begnadigung gelegt? Gnade, das Lehn der Gottheit, dem echten König verliehen, wäre so mit dem unedelsten, gemeinsten Gelüst in die schwebende Schacherwage gelegt? Gnade für –! O Gott, o Gott! Und, Gräfin – lassen Sie mich denn es gestehen, was mich zum Aeußersten meiner Bitte bringt! Lassen Sie mich nun nach solchem Bekenntniß von Ihnen in unserm edelern Handel mein höchstes Gebot thun! Ich – liebe die Frau meines Freundes, – Ludwig weiß es, ich kam eben aus dem Castell von ihm, und ich habe ihm Rettung versprochen, habe ihm Ihren, der letzten Hoffnung Namen genannt. Und wenn er morgen vor den sechs Kugelläufen steht, die auf seine Brust anschlagen, und bei sich dächte, – einen ewigen Augenblick dächte, – ich – ich hätte nicht das Letzte gethan, und – ich berechnete meine Zukunft, ich würfelte mein Glück mit den sechs Bleikugeln – die ihn träfen: Gott im Himmel, Gräfin, Fürstin –! Hülfe, Rettung für mich wie für ihn!

Er fiel auf die Knie, er faßte ihre seidene Robe und drückte sie an seine Lippen, an seine Augen. Doch nur einen Augenblick; denn sie trat erschrocken und erschüttert zurück, indem sie ängstlich ausrief:

Stehen Sie auf! Vergessen Sie doch nicht, wo Sie sind, wer jeden Augenblick eintreten kann!

O verzeihen Sie mir, gnädigste Frau! fuhr Hermann gefaßter fort. Aber – Sie sehen ein, daß ich ohne Hoffnung nicht gehen kann. Meine Füße bringen mich nicht hinweg. Und – vergeben Sie mir das Wort – wäre denn keine Frau an diesem Hof, auch keine deutsche Frau, die, königlicher als der König, ihm – zusagte, was sie nicht zu halten gedächte, – eine königliche Handlung, eine unfreie, aber beglückende That mit einer stolzen Täuschung erkaufte? Eine dankbare, segnende Zukunft für drei befreundete Menschen würde geschaffen oder gerettet durch eine schwebende Seifenblase, die bald genug als ein trübes Tröpfchen Wasser zu Boden fiele?

In diesem Augenblicke hörte man aus den nächsten Gemächern lebhaftes Reden. Die Gräfin, unruhig, aufgeregt, sagte mehr mit Unwillen als mit ihrer gewohnten Freundlichkeit:

Bleiben Sie hier, halten Sie sich ruhig, und erwarten Sie meine Rückkunft.

So stürmte sie fort.

Diese Rückkunft verzögerte sich wol eine gute halbe Stunde, die der Freund mehr erschöpft als ängstlich zubrachte. Bald faßte er einige Hoffnung, bald beruhigte er sich bei dem Gedanken, daß er wenigstens das Mögliche für Ludwig gethan habe.

Endlich kam die Gräfin zurück, von einem Pagen begleitet, der einen großversiegelten Brief in Händen hatte.

In stolzer Haltung, mit strengem, gespanntem Ausdruck in dem aufgeregten, stärker gerötheten Gesichte sagte sie französisch:

Folgen Sie hier dem Herrn Baron von Lehsten zum Commandanten des Castells. Dort werden Sie vernehmen, in welcher Weise Ihr Freund wird entlassen werden. Sagen Sie mir kein Wort! Sorgen Sie, daß Ihr Freund schnell und so weit wie möglich komme. Leben Sie wohl! Wir werden uns nicht wiedersehen! Niemals!

Ehe Hermann dazu kam, ein Wort des Dankes, eine Bitte um Vergebung seiner Kühnheit vorzubringen, war sie durch die nächste Thür entschwunden.

Er wendete sich dem Pagen zu, der ihn mit raschen Schritten nach dem Castell begleitete.



 << zurück weiter >>