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Drittes Capitel.
Geld- und Badegeschäfte.


Der im Ministerium eingelaufene Bericht Hermann's war von Herrn von Bülow mit Wohlgefallen aufgenommen worden. Diese Zufriedenheit galt jedoch nur der Arbeit des Berichtserstatters; denn der Inhalt entsprach keineswegs den Wünschen des Ministers, wenn er auch dessen Erwartungen nicht täuschte.

Hat mir's nicht gleich geschwant, lieber Provençal, sagte er, daß aus dem Geschäft nichts werden würde? Es war mir deshalb ganz erwünscht, ja ich hab' es so eingeleitet, daß die Unterhandlung um die Anleihe durch eine ständische Deputation geschehen mußte. Die Bereitwilligkeit der Holländer, dem jungen Staate Geld zu leihen, ward uns übertrieben geschildert. Im Gegentheil zeigen sie gar keine Neigung, etwas zu wagen.

Ah, ich verstehe Ew. Excellenz! erwiderte der Generalsecretär. Indem das Geschäft von den Ständen, von den Abgeordneten des Landes, geführt wird, so trifft das Mistrauen der Börsenwelt das neue Reich geradezu; wäre es vom Ministerium betrieben worden, so könnten Ihre Gegner aufschreien, der Herr von Bülow, gerade dieser Finanzmann, habe für sein Portefeuille keinen Credit.

Sie haben die Sache richtig gefaßt, lieber Provençal entgegnete Bülow, durch die Erinnerung an seine Gegner etwas beunruhigt. Aber ich werde nun meinen persönlichen Credit ausspielen, ich werde, was man auch im Spiele so nennt – fodern. Sehen Sie, hier hab' ich schon einige Ideen und eine Aussaat von Ziffern zu Papier gebracht. Wenn diese Samenkörner in den Taschen unserer Wohlhabenden richtig aufgehen, so machen wir eine erkleckliche Ernte. Es gilt, eine Anleihe im Reiche selbst zu versuchen. Eines von beiden: Credit im Auslande oder Vertrauen im Innern, verlange ich von einem Staate, der sich lebend behaupten will. Hat unser aus Länderportionen zusammengeschossenes Reich keinen Credit in der Handelswelt, so muß es sich aus eigenen Kräften helfen. Und ein Picknick fällt ja manchmal reichlicher aus, als das Mahl aus nur einer Küche hergerichtet. Ich projectire eine Anleihe im Reiche selbst, in den Provinzen, deren Schulden ja auch zusammengeworfen sind. Das Unternehmen muß nur richtig berechnet und ohne Druck angeordnet werden. Bis die rückkehrenden Deputirten Cassel erreichen, muß mein Plan fertig sein, und anstatt dann niedergeschlagen zu erscheinen, wird Hanns Victor von Bülow einen kühnen Schlag ausführen.

Also eine freiwillige Anleihe im Königreiche selbst, Excellenz?

Hoffentlich soll sich der ganze Bedarf der zwanzig Millionen durch freiwillige Betheiligung decken. Wir machen hunderttausend Obligationen, jede zu 200 Francs, auf den Namen des Darleihers ausgestellt, doch so, daß dieselbe durch einfaches Indossement, wie ein Wechsel, auf einen andern Inhaber übergehen kann. Wir zahlen halbjährige Zinsen, und zwar den Abnehmern im ersten halben Jahre sechs Procent, im zweiten fünf und im dritten vier Procent.

Ah! ein guter Sporn zur Beschleunigung des Absatzes der Obligationen!

Ich denke, lieber Provençal. Und da die ganze Anleihe auf die Einkünfte des Reichs hypothesirt ist, in bestimmten Terminen zurückgezahlt wird, und die Coupons bei Zahlung der Personalsteuer für baar angenommen werden, so wird – denk' ich – die Anleihe ziehen. Was aber dennoch nach Ablauf der drei Termine an Obligationen nicht abgesetzt ist, wird zwangsweise untergebracht, das heißt: Jeder, der an Geld oder Gut über 3000 Francs Vermögen besitzt, wird gezwungen, sich nach Maßgabe bestimmter Vermögensclassen bei der Anleihe zu betheiligen, erhält dann aber nur dreiprocentige Zinsen und verliert andere Vortheile, die dem freiwilligen Darleiher zugut kommen. – – Sehen Sie, Provençal, das sind so die Hauptumrisse meines Projects, das im Einzelnen noch auszuarbeiten bleibt.

Ich denke, Excellenz können hinter diesem Project die Holländer auslachen. Und diese Krämer haben sich also zu gar nichts verstehen wollen.

Doch! Zu einer lumpigen Darleihe von zwei Millionen, antwortete der Minister; aber in einer Weise, die man eine Wechselreiterei zu nennen pflegt. Hören Sie, Provençal – im Vertrauen! Ich will diese Zufälligkeit dem Schatzmeister des Königs anbieten. Sie wissen ja, daß Jerôme just zwei Millionen zu seinem Regierungsantritt geliehen hat, um sich in Frankreich als Prinz zu lösen und in Westfalen als König zu realisiren. Jetzt, anstatt die Schuld aus seiner Civilliste abzutragen, wie es recht und ehrenhaft wäre, überweist er sie der Staatskasse und bringt mich in Collision mit dem Generaldirector des öffentlichen Schatzes. Sie sehen, daß man eben nicht aus Bourbon'schen Blute zu sein braucht, um l'état c'est moi zu sagen. Der sogenannte Chevalier Duchambon mag als Kronschatzmeister das Geschäft mit den Holländern machen; er mag sich eben durch einen Wechsel ritt als – Chevalier bewähren, und wenn bei diesem Reiten ein Wolf herauskäme, mag er ihn für einen Antipoden seiner rothen Weinnase ansehen!

 

Diese neue Angelegenheit nahm den Minister so sehr ein, daß er die weitere Instruction für Hermann auf dessen Anfragen dem Generalsecretär übertrug, und dem jungen Freunde dabei einen Wink geben ließ, daß der französische Gesandte nicht auf seinem rheinischen Gute zu finden, sondern in Cassel geblieben sei. – Der Kaiser kommt nämlich im Laufe des September nach Erfurt zu einem großen Convent mit dem Kaiser Alexander, sagte Herr von Bülow. Dies hält den Baron von Reinhard ab, nach Falkenlust zu gehen, wo er gern in den schönen Herbst hinein geblieben wäre. Er geht morgen blos auf zwei Tage nach Vacha zu einem Rendezvous mit Goethe, der aus Weimar dahin kommt.

Indeß hatte auch vor diesem Winke Hermann die Rheinreise schon aufgegeben, und kündigte seine baldige Rückkehr dem Freundespaare in einem zweiten Briefe an, den Lina Tags nach ihrer Abreise von der Mutter nachgeschickt erhielt.

 

In Nenndorf waren die Reisenden von Karlshafen aus, wo sie übernachtet, gegen Abend angekommen und im großen Logirhause eingekehrt. Schon von Rodenberg aus, die schattige Allee entlang, die durch Klein-Nenndorf nach dem Badeort führt, gab es viel Bewegung. Die Anwesenheit des Königs hatte zu dem ansehnlichen Gefolge desselben viel Besuch aus der Nachbarschaft, von Hannover, von Bückeburg und Minden herbeigezogen, die Familien aus Cassel nicht gerechnet, die um des Hofes willen ab- und zugingen. Die Fröhlichkeit des Badelebens verkündigte sich den Ankommenden durch eine Abendmusik, die vor dem Schlosse spielte, in dessen Säulenhalle sich eine ausgesuchte Gesellschaft niedergelassen hatte.

Das Logirhaus war sehr besetzt; doch fand Ludwig ein eben freigewordenes, geräumiges und angenehmes Zimmer mit Cabinet, zwei Treppen hoch. Während er nach dem Schloß eilte, seine Briefe abzugeben und sich beim dienstthuenden Kammerherrn für die Befehle des Königs anzumelden, ordnete Lina ihren Anzug, weil Ludwig noch einen Gang in die Anlagen vorhatte.

Sie fanden die schönen Gebäude des Orts, die vom Kurfürsten herrührten, von geschmackvollen Anlagen umgeben. Es fehlte an freien Ruhesitzen und an schattigen, schützenden Tempelchen nichts ebenso wenig als an Damen und Herren, die sich ihrer bedienten.

Unter soviel fremden Gesichtern, die ihnen hier begegneten, erblickten sie unvermuthet eine bekannte Dame, auf einer stillen Bank mit einem Buche sitzend. Es war die Baronin von Schele, die Lina zuletzt am Verlobungsabende bei Engelhard gesehen hatte, jene declamirende Freundin der poetischen Mutter Philippine. Sie schloß sich mit beeiferter Artigkeit den Freunden an, die noch vor Sonnenuntergang den Blick von der anmuthigen Höhe des Galenberges aussuchten. Lina fragte, ob sie das Bad brauche.

Nein, meine Liebe, sagte sie, ich will Verwandte in Hannover besuchen, und gehe über hier, um alte Erinnerungen zu feiern. Ich bin schon früher zuweilen, von Hannover aus, hier gewesen, habe hier auch meinen Mann kennen gelernt, ach! und wir haben hier die Primeln der Liebe gepflückt!

Das ist lieb von Ihnen, gnädige Frau! rief Lina. Sie erneuern dies frohe Begegniß jetzt, da Ihr Gemahl eben in der Ferne ist. Nicht wahr, die Königin –?

Hat mir ihn als ihren Kammerherrn mit sich in den Schwarzwald entführt. Ich träumte eben von ritterlichen, oder christlichen Abenteuern, die er dort zu bestehen habe; denn ich kann mir den Schwarzwald nicht ohne Geisterspuk denken, und habe mir eben zum Trost das schöne Lied von Georg Jacobi »An die Liebe« vorgesagt, das mit dem herrlichen Verse schließt:

O du, dein Athem ist's allein,
Der allen Staub lebendig weht;
Du gabst den Sternen ihren Schein,
Und bleibst, wenn Erd' und Meer vergeht.
Zu dir hinauf erhebe mich,
Zu deiner unsichtbaren Welt!
Da lebt und liebt's, und ewiglich
Wird bleiben, was an dir sich hält.

Sie hatten die Höhe erreicht und entzückten sich an dem unvergleichlichen Ausblick. Die tiefe Sonne streifte über das weite Land und blitzte da und dort von den Kirchenfenstern der zahlreichen Ortschaften zurück, die auf der ausgedehnten Ebene sich zerstreuen.

Auf dem Rückwege, da es inzwischen still im Parke geworden war, ließ sich die Ehrendame der Königin über das Leben und Treiben um den König aus.

Ich bin mit Absicht ein paar Tage geblieben, sagte sie, aber länger ist meines Verweilens nicht; es geht mir doch zu dithyrambisch zu, wie Schiller singt:

Kaum daß ich Bacchus den lustigen habe,
Kommt auch schon Amor der lächelnde Knabe,
Phöbus der herrliche –

Doch nein, Phöbus findet sich nicht ein. Ich meine hier am Hofe nicht. Dafür aber gehen unsere Schwertdamen ab und zu. Die Gräfin Ernestine, geborene von P. – Sie kennen Sie ja von ihrer Adlernase und den gewölbten Augenbrauen –, war vorige Woche hier und etliche Tage krank. Es hatte aber nichts zu sagen; Jerôme besuchte sie, statt des Badearztes, und beruhigte ihren Puls. Die schöne Bianca Lafleche ist gestern wieder zurück, und hat einen reichen Halsschmuck mitgenommen – das Brillanteste, was hier zu kaufen war. Sie hat der Generalin Du Coudras Platz gemacht, die ihren Mann, den Gardeobersten, besucht. Auch die Du Coudras hat jetzt die beiden Schwerter auf der Brust, den Orden Jerôme's, den Schmuck, der die unzugänglichen Herzen bezeichnet. Das hätte sich diese Tochter des Gefangenwärters Bergerat zu Metz in ihrer leichtfertigen Kindheit auch nicht träumen lassen!

Sie sind eine scharfe Beobachterin, meine Gnädige! bemerkte Ludwig.

Sie dürfen mich ja nicht falsch beurtheilen, erwiderte sie. Ich bin eine reine Beobachterin, heißt das – die nur beobachtet, um des Beobachtens willen. Unsere übrigen Hofdamen theilen sich in zwei Classen: jene, die es mit Jerôme halten, beobachten blos einander mit der Eifersucht der Eitelkeit oder des Eigennutzes; die dagegen auf Seite der Königin stehen, beobachten gar nicht, um der Königin zu Lieb ja nichts von Dem zu wissen, was die andern der Königin zu Lieb ja nicht wollen wissen lassen. Ich bin die Einzige, die zwischen beiden, beide beobachtend, steht und – rathen Sie, was thut?

Schweigt? antwortete Lina.

Nein, liebe Frau, im Gegentheil laut, ganz laut – declamirt, deutsche Gedichte, und die dabei über nichts gefragt wird, weil man nicht voraus weiß – wieviel Strophen sie eben auswendig kann!

Man lachte und kam lachend vor dem Logirhause an.

Hier bekommen Sie vielleicht auch zu beobachten, flüsterte die Hofdame. Der König geht auch hier aus und ein. Mademoiselle Delahaye wohnt hier, die Stieftochter Ihres Ministers, Herrn Heister.

Was? fiel Lina ein. Die soll ja in Pyrmont Stahl brauchen, sagte mir –

Nein, sie braucht Nenndorfer Schwefel, oder auch nicht. Sie geht regelmäßig an den Brunnen, ohne zu trinken. Sie scheint aber auch nicht ihrethalben, sondern einer piquanten Schönen wegen da zu sein, mit der sie zuweilen ausgeht.

Ludwig und Lina sahen einander bedeutsam an und schwiegen. Die Baronin, die im Gasthof wohnte, empfahl sich. Beide erboten sich, sie durch die Dämmerung zu begleiten, und Lina bat um Erlaubniß, sie morgen besuchen zu dürfen, – sie vorerst vertraulich allein, bis ihr Mann mitkommen könnte, der im Schloß Geschäfte habe.

Ihnen zu Lieb' bleib ich recht gern noch einen Tag länger, sagte Frau von Schele. Sie werden für einen so kurzen Aufenthalt doch keine Bekanntschaften suchen. Auch habe ich noch Manches einzukaufen, um den Kindern meiner Schwester etwas mitzubringen. Ich bin einige mal bei solchen Geschäften durch Gesichter gestört worden, denen ich aus dem Weg gehe. Ich will hier meinen Gedanken nachhangen. Ich habe auch so meine Herzensangelegenheiten. So bin ich in einer eigenen Verlegenheit: ich soll diese Wochen lang eine Strohwitwe machen, und das Korn ist theilweise noch nicht geschnitten und das heimgebrachte noch nicht ausgedroschen.

Sie wünschte lachend gute Nacht, und unser rückkehrendes Paar, ohnehin etwas nachdenklich gestimmt, kam erst unterwegs hinter den gesuchten Witz und etwas matten Spaß der declamatorischen Hofdame. Es galt ihr nämlich um frisches Stroh.



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