Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Capitel.
Ein ehelicher Zwist.


Lina hatte das Dienstmädchen mit in den Wagen genommen, nicht blos um es bei ihrer Ankunft gleich zu Hause zu haben, sondern um durch seine Gegenwart jede Erörterung mit Ludwig unterwegs abzuhalten. Sie fühlte sich sehr erschöpft, und eine unsägliche Wehmuth lag ihr auf dem Herzen. Der Wagen fuhr rasch die Bellevue-Straße hinab, am Author und an der alten Burg vorüber, den Marställerplatz entlang nach dem Altstädter Markte, wo ihre Wohnung mit dem Ausblick auf die Fuldabrücke lag.

Oben angekommen, ließ sich Lina von dem Mädchen nur aufhäkeln, schickte es schlafen, und warf sich, in lautes Weinen ausbrechend, auf das Sopha.

Ludwig, der von ihrer innern Bewegung eher Vorwürfe als so heftige Thränen erwartet hatte, war sehr erschüttert. Er kniete vor ihrem Lager nieder und ergriff ihre Hand. Ob er ihre Leidmüthigkeit ahnte oder nicht recht begriff, seine Frage darnach sprach sich nur in ängstlichen Blicken aus. Erst als ihr stürmisches Weinen etwas nachließ, sagte er mit theilnehmendem Ton:

Lina?

Ach, wie bist du mit mir umgegangen! Wie hast du mich verrathen, vernichtet! rief sie, und mit dem ersten lauten Wort erneuerte sich ihr leidvolles Weinen.

Ich, Karoline? Ich dich verrathen?

Ach, und du fühlst es nicht einmal, du erkennst es nicht? fragte sie und richtete sich unwillig empor.

Was denn, liebe Lina? versetzte er. Ohne Zweifel hat dir der König Unziemliches gesagt, hat dir ungebührliche Erklärungen oder – unanständige Anträge gethan?

Hat, hat! unterbrach sie ihn aufstehend, die Hände leidenschaftlich erhebend. Ein »hat« vom Eismeer! Heiliger Gott! Und was hab' ich denn, Ludwig? Ich hatte mich dagegen erhoben, mit aller Empörung meines Herzens hatte ich den König verlassen: da führtest du mit aller Härte deines Armes mich zurück wie eine Sünderin an der Majestät, erniedrigtest mich zur Geberde einer Büßerin. O Gott, o Gott!

Liebe, theure Lina, wie überspannst du dich! Deine Entrüstung über ihn war gerecht, und mir schien, du hast ihn auch mit Worten entschieden genug abgefertigt. Aber dann liefst du fort, ließest den König vor allen Zuschauern sitzen! Das verschlug doch gegen alle Schicklichkeit und Sitte, gegen die Hofsitte, und ich mußte der Uebereilung einen entschuldigenden Sinn geben.

Hofsitte! lachte sie auf. Also Hofsitte gilt über Unsitte!

Nein! Aber bedenke doch nur, daß das Schickliche, die bestehende Sitte, auch zum Sittlichen gehört, daß es doch immer der König ist, und daß dem König –

Ja, es ist der König, unterbrach sie ihn, ist der Hort des Rechts und der Ehre, und wenn der eine sittsame Frau antastet unter den Augen aller Welt, dann bleibt ihr als Zuflucht nur ihr Mann, wenn nicht als Richter, doch als Ritter. Ist denn die Majestät der Unsitte heiliger als die Ehe, als die vertrauende Tugend einer Frau? Geh', Ludwig, ich verstehe dich nicht mehr!

Dein Ritter! Liebe Lina, ich bitte dich –! Und was sollt' ich denn als Ritter thun? Hineilen und dem König den Marsch machen? Ihn herausfodern und eine Lanze mit Jerôme brechen? Bedenke doch, gute, vernünftige Frau! Und – hab' ich mich denn deiner auch nicht angenommen? Ich rede ja eben der Unsitte dieses Mannes das Wort nicht, habe deine ganze Entrüstung recht gefunden und gebilligt. Dich selbst nur habe ich zu schützen gesucht, diesmal aber gegen dich selbst. Die edle Frau ist die Hüterin des Schicklichen, wie der König ein Hort des Rechts. Eine Frau, die gegen Unbilde kämpfend das Schickliche verläßt, wirft ihre Waffe fort, oder schlägt vielmehr sich selbst mit ihrer eigenen Waffe. Ich eilte ja dir entgegen, gab dir die Waffe wieder in die Hand: ich war dein Ritter!

O ja, Ludwig, an Klugheit, an Spitzfindigkeit fehlt es dir nicht. Gut! Ich habe gegen die Schicklichkeit gefehlt, aber nur gegen Hofschicklichkeit, Etiquette. Und was wär's denn gewesen, wenn man deiner Frau nachsagte, sie verstehe den Hofton nicht? Und was wird denn die höhnische Welt jetzt sagen, daß ich dich herbeigeholt habe, dich mit deiner jämmerlichen Klugheit, die der König nicht einmal erkannt hat! Sagt mir dieser entsetzliche Mann, ich verstehe mein Costüm durchzuführen, eine ehrsame Frau alter Zeit zu spielen. Ich – eine Komödiantin der Ehrbarkeit! Jesus, Jesus! Ludwig, das vergebe dir Gott! Das ist ein Riß durch unser ganzes Leben!

Sie sank wieder auf das Sopha zurück und barg ihr Gesicht in die Kissen.

Ludwig war in peinigender Befangenheit. Er fand sein vorsichtiges Benehmen, womit er Lina's Uebereilung gegen den König vor einer so glänzenden Gesellschaft zu decken gesucht hatte, nicht unbedingt zu verwerfen. Wenn ihm aber auch Lina's Empfindlichkeit darüber etwas übertrieben schien, so fühlte er desto lebhafter mit ihr das Kränkende, Schmähliche, das allerdings durch die Auslegung des Königs ihr ehrliches Herz getroffen hatte. Nur konnte er seine gute Absicht doch nicht für eine so unerwartete Wendung verantwortlich machen, und Lina's Entrüstung, wie gerecht sie war, fiel mit Unrecht auf ihn zurück.

Solche innern Widersprüche sind ganz gemacht, einen reizbaren Mann, wie Ludwig, zu einer Ungeduld und Unduldsamkeit zu verstimmen, für die er nach einem Gegenstande sucht. Er ereiferte sich in Gedanken über nichtswürdige Menschen, so entartet, daß ihnen nicht einmal ein Verständniß für die sittliche Empfindung einer rechtschaffenen Frau geblieben sei. – – Dann wurmte ihm auch Lina's Frage, was die höhnische Welt dazu sagen werde, daß sie ihn nach solcher Unterhaltung mit dem König herbeigeholt. – Was wird sie sagen, dachte er, als die schöne Frau unterhandle mit Jerôme, des Mannes Beförderung sei der Preis ihrer Ergebung.

So die Brust voll Leid, voll Mismuth und Unwillen, wandelte er hin und wieder, bis Lina still geworden. Nun setzte er sich leise zu ihr, indem er mit dem zärtlichsten Tone sagte:

Höre mich mit Geduld an, gute Lina! Ich habe sehr gefehlt, ich erkenne es; aber – erkenne nun auch du, daß ich nur aus Liebe zu dir gefehlt habe. Der Stolz eines Mannes auf seine Frau gehört ja mit zu seiner Liebe, und meine Eitelkeit gerade auf deine äußern Vorzüge war ja diesen Abend aufs höchste gesteigert. Denke dir, wie empfindlich es mir sein mußte, daß diese hochmüthigen Frauen, die dir deine Vorzüge und dein Glück neideten, gerade an deinem Benehmen gegen den König, an dieser, wenn auch Kleinigkeit eines Verstoßes gegen die Etiquette ihre Schadenfreude finden sollten, – sie, die gerade diese Affengrimassen, diese Papageienworte des Hoftons für das Höchste in der Welt halten. Diese Empfindung war es, was mich bewog, mit dir zum König zurückzukehren. Sie sollten glauben, der König habe nach mir verlangt. Wie konnt' ich mir denken, daß Jerôme es in so kränkendem Sinn nehmen würde? Ich hatte ja gesehen, mit welcher Würde du ihm erwidertest. Und das war auch der Weg ihn abzufertigen, Lina. Die Sittlichkeit ist eine innere Macht und hat ihre eigenen Waffen; man beleidigt aber gesellschaftlich nicht, wen man eben moralisch misachtet.

O ja, du wirst schon Recht behalten, Ludwig! erwiderte sie müde.

Ich will nicht Recht behalten, liebe Lina, ich will nur entschuldigt sein. Ich fühle jetzt das Jämmerliche meiner Klugheit tiefer als – glücklicherweise – du selbst; ich theile in diesem Augenblicke mehr als je deine Entrüstung über die Unsittlichkeit dieses Volks. In diesem Einklang werden wir uns verständigen über das Leid, das dir widerfahren ist, wie über den Kummer, den ich empfinde, es veranlaßt zu haben. Doch solche Schmerzen wollen ruhig ausbeben. Weißt du was, mein Herz? Geh' morgen voraus nach unserm traulichen Weiler. Du hast ja schon Alles zur Reise vorgerichtet, und wir haben uns so auf diese heitern Herbsttage gefreut. Nun geh' du voraus, Lina. Die ländliche Ruhe wird dir wohlthun. Sobald du es dann wünschest, komme ich nach. Dort wirst du erfahren, was du im Stolberg'schen Liede so manchmal singend empfunden hast:

Süße, heilige Natur,
Laß mich gehn auf deiner Spur!

In dieser kurzen Trennung wird der Riß heilen, den du – Ach, willst du denn einen Riß für unser Leben, Lina?

Ob ich will, Ludwig! fuhr sie auf. Wie kannst du glauben, daß ich wolle? Ach, das ist ja des Lebens Jammer, daß etwas geschieht, was man nicht will! Aber du hast Recht, ich will morgen gehen!

Nun komm', es ist spät! Lege dich zu Bett!

Hole mir eine Decke, Ludwig, und laß mich hier ruhen, diese Nacht nicht neben dir, Ludwig. Ein schmerzliches Misverständniß hat uns entzweit; laß mich erst wieder recht innig zur Sehnsucht kommen, Eins mit dir zu sein. Ach, ich wünsche es, Ludwig! Geh', hol' mir eine Decke!

Ludwig ergab sich betrübt in ihre Empfindungsart, holte ihr Kissen und Decke, und drückte ihr die Hand zu Gutnacht.

Die Frühdämmerung fiel schon auf die steinerne hohe Brustwehr der Brücke, als er das Rollgehänge des Schlafgemachs herabließ. Lina schlummerte aus Müdigkeit bald ein. In ihren ersten Traum spielte noch das von Ludwig angeregte Lied mit den Worten:

Wenn ich dann ermüdet bin,
Sink' ich dir am Busen hin,
Süße, heilige Natur!

Ludwig kam nicht zum Schlafen. Seine Nervenreizbarkeit hielt ihn wach. Lina's anklagende Gefühle, seine einredenden Gedanken stritten fortwährend in seinem Innern. Die Tageshelle nahm zu, ohne daß sie einen Endbescheid in diesen Proceß des Verstandes mit dem Herzen gebracht hätte.

Er stand auf, um nachzusehen, ob Alles gehörig gepackt sei, und schickte dann das Mädchen aus, einen Wagen nach Homberg zu bestellen. Er legte noch zu Lina's Sachen, was er für sich selbst voraus mitgenommen haben wollte, und ging dann Lina zu wecken. Sie war schon auf, und reichte ihm freundlich die Hand. Mit gleicher Freundlichkeit, wiewol nicht ohne eine gewisse Zurückhaltung von beiden Seiten, wurde beim Frühstück die Reise besprochen. Der Wagen sollte erst gegen Mittag abholen, und damit Lina nicht allein reise, wollte Ludwig auf dem Wege nach dem Bureau die Mutter zu ihrer Begleitung bestimmen. Beide waren einverstanden, die gute Frau durch keine Mittheilung über den Vorfall beim Feste zu beunruhigen. Und um sogleich die einzige Einrede, die sie machen würde, zu heben, wollte Ludwig auf die Dauer der Abwesenheit der Mutter Hermann bei sich zu Gast laden.

Bei diesem Vorschlage nickte Lina blos ihre Zustimmung. Die heimliche Frage, wie der Freund ihre Kränkung und Ludwig's Benehmen ansehen werde, beunruhigte sie sehr; aber sie schwieg darüber. Erfahren mußte er doch von dieser Uneinigkeit, und sie mochte weder zweifelhaft über sein Urtheil, noch als Anklägerin ihres Mannes erscheinen.

Beide schieden dann mit herzlichem Lebewohl auf Wiedersehen und mit der Verabredung, sich vorher brieflich zu verständigen.

 

Als Ludwig gegen Abend den Freund mit zu Tisch brachte, war Hermann noch sehr bewegt von Allem, was ihm derselbe unterwegs von dem Ereigniß beim Feste und von dem häuslichen Auftritt mitgetheilt hatte. Das Dienstmädchen berichtete, daß ein vornehmer Herr dagewesen sei, sich nach dem Befinden der Madame zu erkundigen. Er habe sich über ihre Abreise gewundert, aber sehr gefreut, daß sie wieder ganz wohl sei. Gewiß hätte ihr nur die Schwüle des Saals und der starke Duft der Gewächse die schlimme Anwandelung zugezogen. Er habe sich auch sehr genau nach dem Landsitz erkundigt, wohin Madame gegangen sei. Seinen Namen habe er nicht genannt, aber ein närrischer Mensch müsse es sein, denn er habe neben dem einen goldenen Knopf des blauen Frackrockes an der Hüfte noch zwei kleine goldene Knöpfchen sitzen gehabt.

Die Freunde waren noch zu voll von ihrer Angelegenheit, um weiter darauf zu achten. Sie nahmen es für eine Artigkeit des Hofmarschalls, der doch weder deutsch sprach, noch Kammerherrenknöpfchen trug. Ihre Besprechung über Tisch war offen und warm. So sehr Ludwig's rasche, kluge Wendung von Hermann als gutes Impromptu bewundert wurde, so nachdrücklich entschied er sich doch für Lina's edle und muthige Entrüstung.

Mir fällt eine frühere Aeußerung von ihr ein, sagte er unter Anderm. Es war, als ich euch im Mai auf dem Land besuchte. Du warst in Homberg zurückgeblieben, und ich wollte andern Morgens wieder nach Cassel abreisen; Lina fragte mich, wofür ich wegen meiner Verhandlungen mit dem Polizeichef entschieden sei. Sie rühmte und empfahl mir deine einsichtsvolle Klugheit. Da ich ihr aber erklärte, Einiges in deinem Rath widerstrebe zu sehr meinem innersten Selbstgefühle, so versetzte sie: dann folge diesem! Die Klugheit vermag viel, man kann mit ihr die ganze Welt gewinnen; was hat man aber davon, wenn man darüber sich selbst verliert? Siehst du, Ludwig, das ist es! Lina wollte, als sie den König verließ, ihr edles Selbst behaupten. Wahrlich! es liegt – möcht' ich fast sagen – etwas Tragisches in euerm Misverständniß. Ist es nicht wenigstens die seltsamste Fügung: du wolltest ihr den Schein der Weltmanier, der Hofschicklichkeit retten, und gabst ihr damit das niederdrückende Gefühl, sich selbst verloren zu haben.

Nun ja, das ist Alles recht gut mit den Gefühlen, erwiderte Ludwig etwas verdrießlich dem Freunde gegenüber, der sich eben auf Lina's Seite schlug. Wenn sie nur nicht immer soviel Wohlgefallen an sich selbst hätten, diese Gefühle, und – zur Raison kommen wollten. Sein Selbstgefühl muß man mit andern Waffen aufrechthalten. Ich begreife Lina recht gut; sie begreift nur mich nicht. Es ist ihr schon wiederholt begegnet, wie – bildlich zu reden – einer jungen Frau, die sich nach einer fremden Stadt verheirathet hat: der mitgebrachten Ausstattung derselben fehlt auch Elle und Wage nicht; sie wiegt immer sorgfältig das vom Metzger gelieferte Fleisch, die vom Markt eingekaufte Butter nach; aber es trifft ihr überall nicht zu, sie kommt immer zu kurz und ereifert sich über Betrug von allen Seiten, bis sie endlich einsieht, daß hier am Ort anderes Maß gilt – das Gewicht leichter, die Elle kürzer ist, als sie beides mitgebracht hat. Sieh', so geht's meiner guten Frau!

Nur mit dem Unterschied, lieber Ludwig, daß das volle, sittliche Maß, wie es Lina mitgebracht hat, bei uns gilt, das schlechte, verfälschte aber von diesen Fremden eingeschleppt ist.

Ludwig, der sich geschlagen fühlte, schwieg eine Weile, dann, auf einen andern Gaul sich schwingend, sagte er lächelnd:

Nun, was folgt denn daraus, Hermann?

Daß wir diese Fremden und ihr falsches Maß, ihr zu leichtes Gewicht aus dem Hause werfen müssen, – das folgt daraus, oder du willst es daraus gefolgert haben! Nicht wahr?

Ah! siehst du das endlich ein? Ja, Hermann, brechen das Scepter, diese Königselle, die uns solche Thaten zumißt, brechen!

Gut! Und was folgt noch weiter, Ludwig?

Nun, was?

Daß Lina im tiefsten Grund Recht hatte! Ihr sprecht immer von Volks erhebung, und wenn sich eine deutsche Frau, die liebenswürdigste und rechtschaffenste der Residenz, von der Seite eines Königs erhebt, der eben kein König, sondern – was ihn sein kaiserlicher Bruder selbst schon genannt hat – un petit polisson ist, dann schreit ihr über verletzte Hofsitte. O mein lieber Ludwig, du hättest ihr ja die Hand reichen mögen, nur nicht um sie zurück-, sondern um sie fortzuführen, als die Fahnenträgerin der Frauenwürde, – fort durch die ganze lächelnde Schar dieser Hofweiber, dieser Hofhühner hindurch.

Ludwig schwieg nachdenklich, und Hermann besann sich auf eine ableitende Unterhaltung.



 << zurück weiter >>