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Fünftes Capitel.
Jerôme's Geburtstag.


Der Kalender hielt diesmal wirklich Wort; das Freundespaar in Homberg aber erfüllte nur zur Hälfte die Erwartung Hermann's und seiner Hauswirthin. Glücklicherweise war es die Hälfte, die Beide, ohne es sich einzugestehen, und da es doch einmal nicht anders war, am liebsten für das Ganze nahmen. Lina traf nämlich ohne ihren Ludwig Montags am 14. November gegen Mittag bei der Mutter ein.

Nach dem ersten heitern und herzlichen Empfang, und während sie sich in dem sanft durchwärmten Zimmer behaglich einrichtete, brachte sie Ludwig's Entschuldigung vor.

Es schien nach Allem, was sie in ihrer Weise darüber mittheilte, eine Art von Trotz, was ihn gerade jetzt von einem Besuche Cassels abhielt. Minister Simeon hatte ihm an die Hand gegeben, sich mit einer angemessenen Beschwerde um eine andere Stelle an den König zu wenden. Er hatte ihm, mit leiser Andeutung, daß den König die Uebereilung reue, ziemlich gute Hoffnung gemacht, jedenfalls seine nachdrückliche Unterstützung zugesagt.

Ludwig hätte nun dem wackern Simeon wenigstens einen Besuch der Erkenntlichkeit machen müssen, was er vermeiden wollte, weil er auf dessen Vorschlag gar nicht eingehen mochte. Das politische Geheimniß des Hessenbundes hatte ihn durch das ihm widerfahrene Unrecht noch lebhafter eingenommen, und er mochte vorerst die Gegend gar nicht verlassen, wo sich der beabsichtigte Aufstand sammelte und gewissermaßen seinen Herd hatte. Er wollte bleiben, bis das Unternehmen, gerade jetzt stark in seinem Werden begriffen, glücklich durchgeführt sei, wornach sich dann unter dem erneuten Regiment des Kurfürsten ein wohlverdienter Platz in Cassel für ihn finden werde.

Ludwig mit seinem gekränkten Ehrgeize gefiel sich in dieser muthigen Empfindlichkeit, bis es ihm zuletzt schien, als ob auch der Fortbestand des ihm begegneten Unrechts seine thätliche Widersetzlichkeit mehr rechtfertige, und als ob eine gute Beförderung, die er annähme und die ihn zur Dankbarkeit verpflichtete, die mitverschworenen Freunde vielleicht mistrauisch gegen seine Gesinnung machen könnte.

 

Lina gab sich nun ganz der seelenvollen Gegenwart hin, die sich durch lebhafte Erinnerung an ihre ersten Begegnisse mit Hermann gerade in diesen Räumen noch mehr einschmeichelte.

Zwischen Beiden war doch seit ihrer Trennung eine weitere, innerliche Entwickelung vorgegangen, über die sie sich nicht täuschten, wenn sie auch nicht viel darüber grübelten. Lina war sich bewußt, daß sie ihr liebevolles Wohlwollen für den brüderlichen Freund gegen ihren Mann ausgesprochen, ohne eine Misbilligung oder Eifersucht zu erfahren. In dem Grade, als dadurch ihre Zuneigung anerkannt und gewissermaßen gerechtfertigt erschien, fühlte sich die liebenswürdige Frau für Hermann's anziehende Erscheinung und einnehmendes Betragen empfänglicher, und ihr Herz, früher mehr für des Freundes Geschick eingenommen, heftete sich jetzt an seine Persönlichkeit. Sie empfand dies nach den ersten Stunden des Wiedersehens mit der Lebhaftigkeit einer Ueberraschung. Dies vielleicht um so mehr, als ihrer Trennung, ihrem Ueberzug nach Homberg mehr als ein betrübendes, störendes Erlebniß vorausgegangen war. Ihre Neigung war im Stillen ein Hang geworden, und ein Vorgefühl, daß – nach unserer sinnreichen Sprache – diese Richtung zu einem Fall führen könnte, gab ihr die Warnung, sich vor aller äußerlichen Hingebung und vor der Unbefangenheit ihres frühern Verkehrs sorgfältig zu hüten. Sie überredete sich zu ihrer eigenen Beruhigung, daß Hermann selbst ihre Empfindung für ihn nicht als Liebe erkenne, und ihr nur ein brüderliches Herz, eine anspruchslose Freundschaft zuwende.

Aber gerade darin irrte sie. Denn auch ihm war es inzwischen vor den zwei Wachskerzen, die ihr ruhiges Licht auf den ersten Briefbogen für Lina warfen, klar genug geworden, daß er die Freundin liebe, daß er nur im Glück ihres Umgangs froh werden könnte. Von seinem letzten Gesang mit ihr aus dem Duett von Haydn waren ihm die Worte und Töne: »Mit dir, mit dir ist Seligkeit das Leben«, tief in Sinn und Seele haften geblieben. Und eben jetzt, als die Mutter das Zimmer verlassen hatte, um in der Küche zu schaffen, wurde er von dieser Innigkeit so ungestüm ergriffen, daß er aller Selbstbeherrschung bedurfte, die herrliche Frau, die er diese Wochen hier entbehrt hatte, nicht an seine Brust zu ziehen und zu rufen: »Keine Stunde mehr ohne dich!« Aber dies Zurückdrängen des heftigsten Verlangens regte ihn auch so schmerzlich-wehmüthig auf, daß er, der Thränen nicht mächtig, das Zimmer verließ und in seine Stube eilte, sich zu fassen und seine männlichsten Vorsätze zu erneuern.

Und Lina?

Warum sollten Thränen der Rührung weniger ansteckend sein, als Gähnen der Langweile? – Sie überließ sich, in die Kissen des Sophas zurückgelehnt, dieser Sympathie und den bewegten Empfindungen, die sich zuletzt in dem bisher vergessenen Versspruche sammelten:

Was die Lieb' sei, was Geliebtsein – forsche nicht!

Hermann kam zum frühen Mittagstische der Hausmutter heiter und gesprächig zurück. Nachher, in traulicher Unterredung, erzählte Lina von ihrer Einrichtung und von dem gesellschaftlichen Leben in Homberg. Sie hatte dort auch an Frau von Stölting, einer Offizierwitwe, eine innige gebildete Freundin und an deren kränklicher Tochter eine zarte Schwester gewonnen.

Erst als bei der früh anbrechenden Abenddämmerung der erste von den einundzwanzig Kanonenschüssen fiel, die den Vorabend, die Vigilien, des Königsfestes verkündigten, erinnerte sich Hermann des Theaters.

Wir müssen hingehen, Lina! sagte er. Ich hatte mir für dich und Ludwig zwei von den 1200 Freikarten verschafft, die von den Großbeamten des königlichen Hauses ausgegeben worden sind. Du mußt eben Alles sehen, was zum Fest gehört.

Gewiß, antwortete sie, und da mir Ludwig gesagt hat, du müßtest an seiner Statt mein Chevalier d'honneur sein, so verleihe ich nun dir die zweite Karte. Ich werde mich gleich ein wenig geputzt haben; denn heut wird der freie Eintritt mit festlichem Staat honorirt.

Mach's nur kurz, Lina, lächelte der Freund, du hast es ja leicht: du schmückst den Anzug.

 

Unterwegs nach dem Theater berichtete Hermann über das zu erwartende Stück.

Es ist eigens für den Tag verfaßt, sagte er, ein musikalisches Schauspiel, von einem jungen Franzosen Bruguieres, dem vor zwei Jahren von der Akademie eine Dichterkrone verliehen worden ist. Es behandelt – ohne Zweifel etwas schmeichlerisch – einen Zug aus Jerôme's Leben, seinen Zug nach Algier nämlich, wohin er, um die gefangenen Italiener zurückzufodern, auf Napoleon's Anordnung mit einem kleinen Geschwader von Genua auslief. Wirklich brachte er 250 Befreite zurück, darunter einen Seemann aus der Provence, der, ans Land gestiegen, seiner Frau und Tochter begegnete, die ihn zuerst nicht wieder erkannten. In der Wahl dieses Gegenstandes verräth sich allerdings ein politischer Tact des jungen Poeten. Jener Triumph unter den Augen Genuas bildet die erste öffentliche Erscheinung eines unbedeutenden Mannes, der, für einen noch zu schaffenden Thron bestimmt, eben – und auch auf Befehl Napoleon's – das kleine Privathinderniß seiner amerikanischen Frau mit ihrer ersten Mutterhoffnung abgeschüttelt hatte. Es war ein kluger Gedanke des Kaisers, diese fatale Ehescheidung, die Rom nicht billigen konnte, durch ein ritterliches Unternehmen von Genua aus zu decken. Jerôme erschien ein kleiner Karl V., der nach Tunis gezogen war und zwanzigtausend Christensklaven befreit hatte.

 

Der Theaterplatz wimmelte von Menschen, die ohne Einlaßkarten in der qualmenden Lohe der Pechkränze ihre Neubegierde an den Ankommenden und Anfahrenden befriedigten. Unser glückliches Paar war mit seinen Karten auf das Parterre gewiesen, und drängte sich zu guten Plätzen durch.

Das Haus strahlte in der That vom Schmuck der Wände und der Zuschauer. Das Licht von tausend Kerzen wurde durch reiche Blumenguirlanden nur gemildert, um der Bühnenbeleuchtung ihr Vorrecht und dem reichen Hofcostüm, dem Putze der Damen und den bunten Militär- und Civiluniformen einen Antheil des Glanzes zu lassen. Es überschimmerte die goldenen Fransen, durch die sich heut die Logen des ersten Ranges hervorthaten.

Mit dem Eintritt der Majestäten in die Mittelloge begann die Ouverture. Heut ließ es sich der Generaldirector Blangini nicht nehmen, statt des Orchesterdirectors Legaye vor dem Pulte der Partitur das Scepter zu führen.

Der Vorhang ging auf, und man erblickte Genua und die Menge des Volks, das, von der Angst vor einer herankommenden englischen Flotte herbeigezogen, im Augenblick erfährt, daß es keine feindliche, sondern eine französische sei.

Das Drama, in Versen und mit Liedern durchzogen, entwickelt nun vor den gespannten Zuschauern folgende Geschichte:

Madame Florville lebt seit zwanzig Jahren getrennt von ihrem Manne, der etwa ein Jahr nach ihrer Verheirathung eine Reise nach der Levante zu machen hatte. Sie begleitete ihn damals bis Genua, blieb aber, in ihre Heimat zurückgekehrt, seitdem ohne alle Nachricht, und man hält seinen Untergang auf der See für gewiß. Ihr zum Troste wächst Laura, das Kind, das sie einige Monate nach des Vaters Abreise geboren, mit den liebenswürdigsten Eigenschaften und voll kindlicher Liebe heran, und mildert in etwas die Trauer um ihren unvergeßlichen Raimund. Die Unruhen in Frankreich haben sie wieder nach Italien getrieben, wo sie seit acht Jahren unter dem Namen Florville lebt, von einem alten Diener Robert, einem gewesenen Seemanne, bedient, der unter seinem derben Freimuth ein edles Herz und zartes Gefühl verbirgt.

Eine Privatangelegenheit hat Madame Florville nach Genua geführt, wo sich Leo, ein junger Soldat, Sohn eines reichen handelnden Seemanns, in Laura verliebt. Bei den edeln und liebenswürdigen Eigenschaften des jungen Mannes bleibt Madame Florville nicht unbesorgt um das Herz ihrer Tochter und beschließt daher, Genua schnell zu verlassen, da ihr eine Gegenneigung der Tochter, wegen der Ungleichheit des Vermögens des jungen Paares, nicht erwünscht wäre.

Nach diesem Entschluß erscheint der junge Leo, den verehrten Damen die Freude zu verkündigen, daß sein Vater aus der Gefangenschaft von Algier zurückkehre. Herr Belmont war nämlich auf einer Reise nach Livorno in die Sklaverei gerathen, Leo hatte als braver Sohn seine Auslösung dahin geschickt, und erhielt eben die Nachricht, er kehre mit andern Gefangenen, die ein junger Held ohne Lösegeld befreit, auf dem eben heransegelnden Schiffe zurück. Madame Florville theilt seine Freude, erschreckt ihn aber durch die Erklärung ihrer bevorstehenden Abreise. Eine Liebeserklärung und eine Scene der Betrübniß erfolgt, indem die Mutter bei ihrer Absicht beharrt. Da meldet der alte Robert die Ankunft des freudebringenden Schiffes; Kanonendonner verkündet die Landung der Escadre, und Leo eilt fort, seinen Vater zu empfangen.

Das Volk am Gestade umringt einen Seeoffizier, der eine für Jerôme schmeichelhafte Erzählung von der Befreiung der Gefangenen macht. Der Sultan hat Lösegelder gefodert, aber Jerôme hat die Kanonen richten lassen, um mit Feuer und Blut zu bezahlen, wenn innerhalb einer Stunde nicht alle Gefangenen freigegeben wären.

Il a dit: et son ton, sa noble contenance
Le feu de l'heroisme éclatant dans ses yeux
Ont glacé de terreur ces monstres furieux
Et leur saisissement se peint par leur silence.

So bezügliche Stellen wurden natürlich jedesmal mit stürmischem Beifall aufgenommen. Hermann bemerkte einige Bänke weiter vorn nach dem Orchester den jungen Wilke, der gewöhnlich mit seiner Stimme und seinem wehenden Taschentuche den Applaus anstimmte. Die Musikstücke waren aus bekannten Opern entliehen und den Melodien derselben die eingelegten Gesänge angepaßt. Bei jeder bekannten Melodie blickten Hermann und Lina einander mit lächelndem Zunicken an, als ob sie so an sich selbst den guten Bekannten begrüßen wollten.

Der zweite Act fing mit der Ausschiffung der Befreiten an, die sich feierlich nach der Kirche zum Dankgebet begaben. Nur ein tiefgebeugter Mann bleibt zurück, und bejammert sein Schicksal, daß er aus der Gefangenschaft, in die er durch Schiffbruch an Afrikas Küste gerathen war, endlich befreit, an derselben Stelle landen müsse, wo ihm einst sein theures Weib Lebewohl gesagt, ohne sie nun wiederzufinden, da der Tod sie und sein ungekanntes Kind ihm geraubt habe. Schmerz und Erinnerung ergreifen ihn so lebhaft, daß er wie ohnmächtig auf die steinerne Bank neben der Fontaine in Mitte des Hafendammes niedersinkt.

In diesem Zustande findet ihn Laura, die nach der Kirche gehen will. Sie springt ihm bei, erquickt ihn mit Wasser aus der Fontaine, und erweckt in der Brust des dankbaren Greises wunderbare Sympathien. Nun erscheint Leo mit seinem Vater, und findet seine Geliebte, sowie der Vater in Raimund den alten Freund erkennt, dem er aus einem Unglück in der Gefangenschaft das Leben zu danken hat. Er nimmt den trauernden Greis mit in seine Wohnung.

Der dritte Act bringt nun die alten Getrennten und die jungen Liebenden glücklich zusammen. Raimund hat seiner lieben Erquickerin versprochen, sie zu besuchen. Er erscheint; aber so wenig sich in einer Madame Florville seine längst für todt betrauerte Gattin vermuthen läßt, so wenig erinnert er selbst durch seine in Kummer und Elend verfallenen Züge, durch diese verblichenen Haupt- und Barthaare eines Mannes in Sklavenkleidern die Frau an ihren Raimund in seinen blühenden Tagen. Nur der alte, treue Robert, von der Stimme des Fremdlings ergriffen, liest die Züge seines ehemaligen Herrn, wie sie in seiner Erinnerung leben, aus dem verfallenen Angesichte zusammen, und ruft, indem er sich ihm zu Füßen wirft: »Großer Gott, er ist es!«

Die rührende Scene der Wiedererkennung verfehlte ihre Wirkung auf das gefüllte Haus nicht. Sie ergreift die Zuschauer und ruft eine Stille hervor, in der Raimund sich aus den Armen seiner Familie losreißt, und die ganze Wirkung des Drama auf den anwesenden König wendet, indem er mit stehend zum Himmel gehobenen Händen spricht:

Tranche, Grand Dieu, mes destinées
Pour ajouter à ses années:
Daigne chercher toi-même un prix à ses bienfaits;
Et l'entourant de grandeur et de gloire,
Laisse toujours présent à sa mémoire
Le touchant souvenir des hereux qu'il a faits!

Unter rauschendem Beifall, Bravoruf und Vive le Roi! fiel der Vorhang.

Aus dem Lichtglanze des Theaters wurde man heut von festlich erleuchteten Straßen aufgenommen. In der Stadt war buntes, lärmendes Treiben, bei Hofe – Cercle.

 

Am folgenden, dem eigentlichen Geburtstage, der unter einer Artilleriesalve erwachte, reihte sich ein festlicher Vorgang an den andern.

Bei Hofe großes Lever, Vorstellung der Großoffiziere, der Krone und der Armee, der Hofdamen und der Gesandten; Einführung der Corporationen, der Municipalität und nach der Messe im Palast Vorstellung des ganzen Offiziercorps.

Diesen feierlichen Vorgängen und der festlichen Stimmung des ganzen Landes hatte Minister Simeon in einer pomphaften Ansprache Worte geliehen, indem er erklärte:

»Die Geburt von Regenten bleibt immer ein großes Ereigniß für die Völker; aber die Bedeutung erhöht sich, wenn es Fürsten gilt, die vom Verhängniß berufen wurden, neue Staaten zu gründen und zu bilden.«

Zu Mittag ward unter einer zweiten Kanonensalve, und in Gegenwart des Hofes und der Autoritäten, ein Tedeum in der katholischen Kirche celebrirt, worauf um 2 Uhr große Revue auf dem Rasenplatze der Orangerie stattfand. Um 6 Uhr war königliche Tafel unter Assistenz der Damen und Offiziere des Hauses.

Ein Fest beim Grafen Fürstenstein, von beiden Majestäten beglückt, und die dritte Geschützessalve beschlossen für die hohe Gesellschaft den Tag.

Neben diesen Feierlichkeiten lief das eigentliche Volksfest her. Es war Landesfeiertag und Gottesdienst in den Kirchen. Wenn manche Kanzel von Schmeichelrednerei überfloß, so fehlte es doch auch auf andern nicht an versteckten Bitterkeiten, die sich in ernste Betrachtungen mischten.

In Cassel, wie in den übrigen Departemental-Hauptorten, wurden zwei Ehepaare getraut, deren unbescholtene Bräute Aussteuern von je hundert Thalern aus öffentlichen Fonds erhielten. Der Zudrang des heut ohnehin müßigen Volks zu diesem kirchlichen Vorgang war groß. Für Viele hatte er etwas Rührendes; es fehlte aber auch nicht an Spöttern, die mit schalkhaftem Ernst fragten, ob die Bräute das Zeugniß ihrer Unbescholtenheit für den König oder von dem Könige beizubringen hätten.

Der Hauptspaß war aber eine Lotterie, zu der Tags vorher jeder Bürger zwei und jeder Beisaß eine Nummer gezogen hatte, und die heut um 11 Uhr auf dem mit Tannenbäumen und Buden aufgeputzten Ständeplatz ihre Preise ausspielte. Diese bestanden in lauter Eßwaaren. Der erste Preis brachte der Glücksnummer einen wilden Schweinskopf mit zwei Flaschen Champagner. Von diesem stuften sich die Preise mit einem wälschen Hahn und Burgunder, einem Rehziemer und Bordeauxwein, mit Hasen und Kapaunen, Schweine- und Hammelsbraten zu entsprechenden Flaschen leichten französischen und deutschen Weins ab. Die Nieten fehlten nicht; aber jede Niete brachte doch eine Bratwurst mit einem Brötchen, sodaß auch der Verlierende wenigstens nicht hungrig davonging.

Den Nachmittag über lockten die Kletterbäume ( mats de cocagne) mit ihren flatternden Preisen die Gewandtheit und den Muthwillen der Jugend herbei. Musikbanden spielten abwechselnd an beiden Enden des weiten Platzes, der heut für die besetzten Fenster der langen Häuserreihe ein lustig wechselndes Schauspiel darbot.

Mit einbrechender Nacht verwandelte sich der Prachtbau des Ständepalastes in einen Zaubertempel. Aber die Menge theilte sich jetzt: hier hinauf nach dem Theater, wo die Zauberflöte frei gegeben wurde, dort hinab nach dem Königsplatze, der in seiner Rundung mit einem Bogengang aus Fichtengrün geschmückt und glänzend erleuchtet war. Auf den Pfeilern flammten, statt der abgenommenen Laternen, Pechkränze, und gaben ihren gelbgrauen Qualm zum Spiel der Abendwinde hin. Die Stadt war erleuchtet, die Straßen belebt, aus den Wein- und Kaffeehäusern erschallte Lärm und Lachen.

Am anständigsten ging es noch in dem kleinen, aber sehr eleganten Café restaurant des Herrn Bergener in der Königsstraße zu. Es war das bekannte Kaffeehaus zum häßlichen Männchen, und wurde nur von Beamten und Offizieren höhern Rangs besucht. Vor demselben blieben heut die Vorüberziehenden stehen und betrachteten das Bild über der Thüre. Das gewöhnliche, mit recht gutem Pinsel ausgeführte Schild eines häßlichen Männchens mit der Ueberschrift Café au laid war heut mit einem Transparent überdeckt. Dasselbe alte, häßliche Männchen empfing sitzend eine Tasse Kaffee aus der Hand einer neben ihm stehenden jungen, reizenden Frau, die einen Säugling an der offenen Brust hielt. Die Umschrift lautete: »Café au laid avec un petit pain au lait.«

Einer der Zuschauer erzählte, Herr Bergener habe zuerst die Unterschrift genommen: Café au Roi avec un pain à la reine, was auch ein Milchbrötchen bedeute. Aber einer seiner Kaffeegäste habe ihn gewarnt: es könnte anzüglich gefunden werden und Verdruß absetzen. Und doch, fügte er hinzu, ist und bleibt Herr Bergener ein Schalk!

Sie sprechen ihn deutsch aus: »Bergener«, wie? fragte ein Anderer.

Nun ja, erwiderte Jener, die Franzosen sagen Monsieur Bergener; er läßt sich Beides gefallen, – er ist eben ein Elsasser, und hält sich noch immer wie ein guter Deutscher so – entre deux, – ist à deux mains brauchbar!

 

Auch Hermann und Lina waren stehen geblieben, betrachteten das Leuchtbild und machten einander durch Händedrücken auf die Unterhaltung aufmerksam.

In diesem Augenblicke trat Nathusius mit seiner Therese hinzu, – beide Paare aufs angenehmste von einander überrascht. Nathusius war erst im Laufe des Tags von Magdeburg eingetroffen, und übermorgen sollte die Trauung sein. Lina mußte ihm versprechen, noch über den Donnerstag zu bleiben, und Therese nahm Hermann die Zusage ab, daß er ebenfalls zur Trauung und zum Reisefrühstück kommen wolle. Die Geschäfte des großen Fabrikherrn duldeten seine längere Abwesenheit nicht. Therese wies ihrem Christian die Freundin zu, und nahm Hermann's Arm, um zusammen weiter zu wandeln.

Erzählen Sie mir, wie Lina seither gelebt hat, flüsterte sie. So sehe ich nicht nur das kleine Lebensbiid, sondern auch – wie sich's in Ihrem Herzen abspiegelt.

Hermann überhörte den bezüglichen Ton der letztern Worte, indem er eben an der Ecke des Präfecturpalastes ein vorüberhuschendes Paar erblickte, und in dem Herrn, wie sehr er sich auch zu verhüllen suchte, den Baron Rehfeld erkannte. Rasch nachschauend, glaubte er in dem Frauenzimmer an Gang und Haltung jene Kammerjungfer, nur heut in anderm Anzuge, zu errathen, die sie Beide damals zur Wohnung der Generalin Du Coudras geführt hatten.

Beide, Hermann und Rehfeld, waren einander seitdem nur in den geheimen Versammlungen begegnet, und der Baron hatte dem Freunde auf die Frage, wie's mit dem Regenschirmabenteuer abgelaufen sei, kurz und nicht ohne einige Befangenheit geantwortet: »O es ist noch unerwartet gut, besser als ich dachte, gegangen!« Hermann hatte daraus vermuthet, der kecke Mann sei mit langer Nase abgefahren. Dem widersprach aber nun, wenn er sich in seiner Wahrnehmung nicht irrte, die jetzige Begegnung.

So wandelte er an der Seite einer glücklichen Braut mit einem Räthsel in Gedanken, das ihn vielleicht in so liebenswürdiger Gesellschaft weniger hätte zerstreuen dürfen, als es doch wirklich that.



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