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Zweites Capitel.
Versteckte Personen.


Die Erwartung, die mit Herbstes Anfang nach Erfurt gerichtet war, spannte sich nun mit jedem Tage mehr. Man quälte sich mit Vermuthungen; doch gab es schwerlich einen Mann von Einsicht und deutschem Herzen, der unter den obwaltenden Verhältnissen von einer Zusammenkunft Napoleon's mit dem russischen Kaiser etwas Heilsames für das bedrängte, entzweite, erniedrigte Deutschland erwartet hätte. Indeß fehlte es in höhern und niedern Kreisen auch an kindischen Seelen nicht, die nach dem Prunk und den Festen gafften, an denen es bei einem solchen Zusammenfluß von Fürstlichkeiten, Generalen und Staatsmännern nicht fehlen konnte, und auf die es sogar von Napoleon abgesehen war, um mit einer blendenden Lichtatmosphäre den dunkeln Kern des erfurter Staatsgeheimnisses zu umgeben, und zugleich selbst als der leuchtende Mittelpunkt zu erscheinen, um den sich in engern und weitern Kreisen die herrschenden Planeten von Europa bewegten.

Was dergestalt alle Gemüther einnahm, ließ begreiflicherweise die auch in Hessen zerstreuten Wahlverwandten des preußischen Tugendbundes nicht gleichgültig und unthätig. Der briefliche und der persönliche Verkehr ging jetzt lebhafter. Gerade sie waren vielleicht am ehesten auf das Bedrohliche gefaßt, um das sich die Welt ängstigte; denn sie sahen ihm wenigstens den Vortheil ab, daß es zu Gunsten ihres geheimen Unternehmens auf die Nation wirken könnte. In dieser schwungvollen Stimmung nahmen sie es vielleicht auch weniger ängstlich als sonst mit ihren Schritten, weil sie die nach dem großen Convent gerichtete Aufmerksamkeit von ihren Pfaden abgezogen glaubten.

Hermann, der in seiner Verlassenheit so manche früher vernachlässigte Unterhaltung suchte – vor den Buchläden stehen blieb, im Cabinet de lecture der französischen Buchhandlung Thurneisen fils einkehrte, oder das literarische Casino besuchte –, nahm jetzt auch an den Zusammenkünften des Hessenbundes mehr Antheil, ohne daß er auch nur einmal recht befriedigt oder gar gehoben nach Hause gekommen wäre. Das große Unternehmen, das ihm mit Fichte's Worten vor der Seele schwebte, zerpflückte sich, faserte sich ihm sozusagen in den oft uneinigen, nicht selten übertriebenen, manchmal recht unverständigen Diskussionen und Planen aus, die da zur Verhandlung kamen. Die Standarte der Volkserhebung, in den Lüften flatternd, würde ihn ohne Zweifel mit sich fortgerissen haben; wenn er aber die Weberei betrachtete und wie diese Oriflamme zubereitet wurde, kam ihm Vieles gar gemein und der Zuschnitt oft unrecht und verletzend vor. Daß ein so praktisches Wagniß seiner ganzen Anschauungsweise und Geistesrichtung fremd war, sah er dennoch nicht ein: die fortdauernde Begeisterung für das Ziel täuschte ihn über sich selbst.

Man war mit den von auswärts gekommenen Freunden schon wiederholt im hintern Sälchen des Gasthauses zur Stadt London versammelt gewesen, als Hermann eines regnerischen Abends abermals dahin ging. Sein ehemaliger Wirth Kersting winkte ihm nach jenem hintern Stübchen, worin er ihm am Abende seiner Ankunft die ersten guten Warnungen gegeben hatte. Hier saß Herr von Schmerfeld mit einem preußischen Herrn von Schepeler bei einer Flasche Wein.

Es ist heut Abend nichts! flüsterte Schmerfeld. Wir sind beargwohnt und sollen polizeilich heimgesucht werden. Wir Beide sind nur da, um die Ankommenden wieder fortzuschicken und dann selbst zu gehen.

Wie also auch Hermann sich wieder fortmachen wollte, bezeichnete ihm Schmerfeld den verabredeten Ort ihrer nächsten Zusammenkunft, und sagte dann vertraulich:

Apropos! Sagten Sie mir nicht einmal, Sie kennten den jungen Employé bei Bongars?

Meinen Sie Wilke? Ja, den kenne ich, das heißt nur von Ansehen.

Wäre mir schon genug gewesen. Hören Sie! Kommt da ein Mensch, in einen Mantel gehüllt, den Hut ins Gesicht gedrückt, vor einer Stunde auf mein Zimmer zu Hause. Oberst Langensturz war eben bei mir und Herr von Jagow.

Der Kammerherr? fragte Hermann.

Bewahre! Ja der! Nein, sein Neffe, der Lieutenant, fuhr Schmerfeld fort. Der Vermummte nimmt mich beiseite: »Ihre Versammlungen sind bemerkt und überwacht«, flüstert er mir zu. »Sie sollen diesen Abend von Polizei und Gendarmen überrascht werden.« Dies gesagt, wendet er sich kurz und die Herren grüßend nach der Thür. Da rutscht ihm der Mantel ein wenig von der Schulter, und in diesem Moment wollte der Oberst den jungen Scribenten bei Bongars erkannt haben.

Sonderbar! erwiderte Hermann. Aber ich erinnere mich, daß derselbe schon früher einmal dem Herrn von Rehfeld in einer polizeilichen Verlegenheit einen verstohlenen Wink im Theater gegeben hat.

Eine Hinterlist, eine Falle ist nicht denkbar, versetzte Schmerfeld. Dennoch ist mir der junge Mensch, den ich persönlich nicht kenne, als der eifrigste Franzosenfreund bezeichnet. Bei allen lauten Huldigungen zu Gunsten der fremden Gewalt gibt er den Ton an; bei öffentlichen Erscheinungen Jerôme's ist er der Chorführer der Vivats, und so oft zur Begrüßung der Majestäten in der großen Loge des Theaters das Orchester die Melodie des beliebten Volksliedes anstimmt: »Où peut-on être mieux qu'au Sein de sa famille«, ist es dieser Wilke, der am lautesten klatscht und sein Bravo schreit. Und dieser warnt uns jetzt vor der Gendarmerie, deren Befehle er freilich am besten kennt, weil er sie dienstlich ausfertigt?

Hermann schied mit der Zusage, dem Räthsel nachzuforschen. Er erinnerte sich lebhaft, daß ihm der junge Mann beim ersten Begegnen im Schaumburg'schen Garten durch seine französische Politik und sein zuthätiges Wesen gleich aufgefallen war und einen mistrauischen Eindruck gemacht hatte. Und da ihm zugleich einfiel, daß der General Bongars morgen früh beim Minister Bülow zu einer mündlichen Berathung erwartet werde, so nahm er sich vor, nach dem jungen Wilke zu fragen, um zu hören, ob er etwa in Ungunst gefallen sei.

Diese Berathung betraf die Instruirung der Gendarmerie zur Unterstützung der Steuerbeamten bei vorfallenden Executionen und Auspfändungen. Die Besprechung darüber behufs der schriftlichen Ausfertigungen fand statt, und sobald der junge Freund in seinem anstoßenden Cabinet hörte, daß sie beendigt und Bongars im Aufbruch begriffen war, nahm er Anlaß, mit einer Anfrage bei seinem Minister einzutreten. Wie erwartet, stellte der Graf ihn dem General vor, und dieser selbst brachte das beste Stichwort, indem er freundlich bemerkte, er kenne den Herrn Doctor schon durch seinen Sohn Wilke.

Ah! entgegnete Hermann. Der junge Mann ist mir sehr interessant erschienen und muß Ihnen sehr werth sein, Herr General, indem Sie ihm einen so zärtlichen Namen beilegen.

Allerdings, mein Herr! Ich behandle ihn als Sohn, und er verdient es, sagte Bongars. Sie erinnern sich seiner wol auch, Herr Graf; ich habe ihn schon etliche mal mündlichen Auftrags an Sie geschickt. Letztes Frühjahr meldete er sich mit guten Zeugnissen zu einer vacanten Employéstelle in meinem Bureau. Er gefiel mir gleich, und erwarb sich durch Aufmerksamkeit, Fleiß und unbedingte Ergebenheit an das Interesse des Königs meine Gunst. Er ist von dürftiger, aber achtbarer Familie. Zur Erleichterung seiner Militärpflicht habe ich ihn unter die Gendarmen aufgenommen, ohne ihn im Dienst zu verwenden; aber ich lasse ihn vorrücken, um ihn durch die Unteroffiziergage in seinem Schreibergehalt zu verbessern. Daneben hab' ich ihm Privatunterricht geben lassen und ihn in meinen Familienkreis aufgenommen. Auch meine liebe Frau hat ihre Freude an ihm. Er nimmt Theil an unserer trauten Herzlichkeit, ja, wir haben keine Familiengeheimnisse vor ihm. Er ist unser Sohn, wenn Sie wollen. Eine treue Seele, und es vergeht kein Tag, an dem er uns nicht Beweise der rührendsten Dankbarkeit gibt.

Der alte Mann, wie er mit seinem kurzen grauen Haar etwas vorgeneigt dastand, wurde ordentlich weichmüthig und brach rasch ab. Er nahm seinen Säbel untern Arm, grüßte den Grafen, und nickte Hermann mit den freundlichen Worten zu:

Ich sage Wilken einen guten Morgen von Ihnen, mein Herr!

Ein braver Mann, der alte Bongars! sagte Bülow, als er von seinem Geleit des Generals zurückkehrte. Ein gemüthlicher Hausvater und treuer Diener seines Königs! Als solcher kann er auch barsch und brutal werden, während er sonst ein freundlicher, wohlwollender Mann ist.

Hermann war von dem Widerspruche in Wilke's Betragen so erfüllt, daß er unbedachterweise dem Minister rasch und lebhaft erzählte, was ihm und gestern den politischen Freunden mit demselben begegnet war. Bülow ging nachdenklich im Zimmer hin und wieder, schellte dann und sagte zum eintretenden Bedienten:

Ich bin ausgegangen, Faust, wenn Jemand zufragt. Dann vor Hermann hintretend, sagte er leise:

Sie haben mir eben bekannt, welchen Versammlungen Sie beiwohnen. Ich wußte davon, aber ich konnte es ignoriren. Das kann ich nun nicht mehr, und ich muß mich mit Ihnen verständigen. Es bleibt aber unter uns! Wir sprechen jetzt außergeschäftlich!

Er reichte seine Hand hin, und Hermann, etwas betroffen und seiner Unbedachtsamkeit erröthend, legte die seinige hinein, worauf Bülow fortfuhr:

Die Befreiung Deutschlands ist gewiß ein hohes, heiliges Unternehmen. Sie steht höher als das Portefeuille der westfälischen Finanzen, und sie erfüllt auch meine Seele. Aber ich habe einem von den Mächten anerkannten Könige Wort und Eid eines deutschen Edelmanns gegeben, und bin in einer untergeordneten Sphäre von Pflichten gebunden. Solange Jerôme frei ist als König, bin ich sein Minister, oder ich muß dies Amt niederlegen. Hierzu habe ich aber keinen Anlaß, um so weniger, als ich hier, ganz im Kreise meiner Pflichten, für dieselbe hohe Angelegenheit wirke, indem ich auf meinem Platze für das Wohl des Volks, für Aufrechthaltung unserer Sprache, unserer Sitte kämpfe. Ja, ich leiste eigentlich für eure Sache mehr, als ihr bis jetzt mit geheimen Berathungen. Ich bleibe mithin auf meinem Posten. Sie haben andere Erwägungen, weniger tiefwurzelnde Pflichten: Sie haben mir Handgelübde für Das gethan, was ich Ihnen auftragen würde. Wollen Sie das etwa doch zurücknehmen?

Hermann, nach einiger Ueberlegung, antwortete:

Da ich in dem hohen Sinn dienen darf, in welchem Sie schaffen, will ich es halten.

Gut! Was über meine Anweisungen hinausliegt, ist Ihre eigene Sache. Ich will nichts davon wissen. Und da ich damit umgehe, Ihnen einen weitern, freiern Wirkungskreis anzuweisen, so mögen Sie zusehen, ob sich derselbe auch um andere Dinge als meine Aufträge schlingt. Ich rathe Ihnen, nur recht vorsichtig zu sein, um sich der Zukunft zu erhalten und mich, Ihren Chef, nicht bloßzustellen.

Hermann ergriff mit Ungestüm des Ministers Hand, und drückte sie, wie zu einer doppelten Betheuerung, mit beiden Händen.

Nun sagen Sie mir: Nimmt Ihr Bund auch Mitglieder auf, die nicht mitwirken, sondern nur mitwissen? Die nichts versprechen, aber auch nichts verrathen?

Ja wohl, Excellenz! Ich selber bin so aufgenommen worden.

Halten Sie mich für einen Mann solchen Vertrauens werth?

Keine Frage, Herr Graf!

Gut! Dann geben Sie mir einen Einblick in Ihre Verbindung. Wie steht der Hessenbund zum Kurfürsten und zum Tugendbunde? Und worauf geht das Unternehmen hinaus?

Ueber das letzte Ziel des Unternehmens ist man noch zu keinem rechten Einverständniß gekommen, erklärte Hermann. Der Hessenbund will den Kurfürsten zurückführen und die alte Ordnung herstellen. Hierbei spricht sich, wenigstens bei Manchem ein rachesüchtiger Haß gegen den König und dessen Vertraute aus. Nur Einzelne verstehen sich zu den weitern Absichten des Tugendbundes, der wenigstens in seinen einflußreichsten Mitgliedern, neben einer Wiederherstellung Preußens, sich doch auch dem Gedanken an eine wesentliche Umgestaltung der deutschen Verfassung nicht verschließt. Die Verständigen sind endlich darüber einig geworden, das Unternehmen nur auf eine allgemeine Erhebung und Vertreibung der Franzosen zu formuliren, und das Weitere dem guten Glücke Deutschlands zu überlassen. Sie wollen vor allem nur die Herrschaft der Fremden ausradiren, und es höhern Mächten überlassen, eine neue Karte darauf zu zeichnen. Nur daß es eben eine allgemeine oder doch sehr umfassende Erhebung sein müsse, sieht man ein, weil sonst die Uebermacht Napoleon's noch leichter, als sie die entzweiten Könige besiegt hat, die getrennten Volksaufstände unterdrücken würde.

Hermann bezeichnete dann als die Leiter des Hessenbundes einige Kriegsräthe und ein paar alte Minister des Kurfürsten, die sich mit ängstlicher Vorsicht zuweilen beim Kriegsrathe Knatz versammelten, der dem guten Scheine zu Lieb ein kleines westfälisches Pöstchen angenommen habe.

Der Briefwechsel mit dem Fürsten, soviel Hermann wußte, ging damals über Gotha, wo die Kurfürstin bei der Herzogin, ihrer Tochter, lebte, durch Vermittelung ihres Oberhofmeisters, Geheimraths Kunkell von Löwenstern. Ein Mitempfänger der Briefe war der Banquier Büding in Cassel.

Was dem Freunde vom Verkehr des Tugendbundes bekannt war, beschränkte sich in der Hauptsache darauf, daß Scharnhorst und Gneisenau im Hintergrunde wirkten, und ein Hauptmann von Lützow die Verbindung mit Hessen vermittelte. Hierzu war eben auch ein Major von Schepeler angekommen, der zu diesem Zwecke einen ruhigen Aufenthalt nahm, während Baron Rehfeld jetzt mehr als früher hin- und wiederreiste. An Briefboten und wandernden Agenten fehlte es nicht, und diesen besonders lauerte die Polizei auf. Eben waren ihre Mouchards einem derselben, Namens Feuerstein, auf der Spur gewesen, der ihnen von Berlin aus signalisirt war. Dieser aber, schlau und heimlich gewarnt, hatte noch zeitig genug sein Aussehen an Bart und Anzug, und seinen Namen in »Stahl« verändert; sodaß ihnen, wie Hermann scherzend bemerkte, doch durch Stahl und Feuerstein des launigen Agenten kein Licht geworden war.

Der Ausbruch der großen Erhebung sollte von einer glücklichen Conjunctur abhängen. Man rechnete darauf, daß Napoleon seine besten Kräfte werde nach Spanien ziehen müssen. Wenn Oestreich dann diesen Moment benutzte, um loszuschlagen, so wollte man sich rasch anschließen und das Signal für Norddeutschland zum bewaffneten Aufstande geben. So würde von Süd und Nord her die ganze Nation sich erheben. Für ein solches Zusammentreffen müßte freilich Alles vorbereitet und bestimmt, die Rollen müßten vertheilt sein; so bedenklich es auch erscheine, eine fertige Empörung lange in der Hand und im Geheimniß zu behalten.

Der Minister hatte den Mittheilungen Hermann's mit so ruhiger Aufmerksamkeit zugehört, daß kein Wort, keine Miene eine weitere Theilnahme verrieth. Am Ende sagte er:

Ein solches Unternehmen hat freilich innere und äußere Bedenklichkeiten. Es hat sich vor allem gegen Das zu hüten, wodurch es allein gelingen kann, und am meisten auf Das zu rechnen, was ganz unberechenbar ist. Die innere, begeisterte Vaterlandsliebe darf sich zu keiner Uebereilung hinreißen lassen, und unsern vielen deutschen Vaterländern gegenüber nicht engherzig werden. Die Gunst wechselnder Weltlagen aber hat Niemand in der Hand, und da sie als höhere Verhängnisse erscheinen, so entziehen sie sich auch dem feinsten Verstande. Die schlechtesten Rathgeber dabei sind dann die Diplomaten; denn sie, mit ihren Machtgebern, sind nur allzu geneigt zu glauben, sie hätten die Geschicke der Völker und die Wendungen der Geschichte in ihren Portefeuilles, und sie wären die faiseurs von Dem, was doch nur durch sie geschieht. Da nimmt es sich denn freilich schöner und richtiger aus, wenn ein gedrücktes, mishandeltes Volk mit innigem, begeistertem Gottvertrauen an sein gerechtes Werk geht. Es liegt darin die Anerkennung eines höhern, ewigen Waltens, und dies gibt Muth zum Kampfe und Demuth im Siege.

Herr von Bülow zog bei diesen Worten die Klingel, und sagte zum eintretenden Diener:

Faust, ich bin wieder zu Hause, wenn Anfrage kommt.



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