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Siebentes Capitel.
Eine Trauung und ein Vertrauen.


Damals schon, als Nathusius dem Minister, dem alten magdeburger Freunde, seine Verlobung mit Therese Engelhard anzeigte, hatte Herr von Bülow sich zum Zeugen bei der Trauung angeboten, und kam auch dem Freunde beim heutigen Besuch mit der Erinnerung daran zuvor.

Am andern Morgen holte der Minister in seinem Stadtwagen das Paar mit dem Zeugen der Braut zur Kirche ab. Auch die Gräfin fand sich nach der Trauung bei Engelhard's ein. Die Anwesenheit eines so angesehenen Paares, wie der Graf und die Gräfin von Bülow waren, that eine gute Wirkung, auf die man nicht gerechnet hatte; sie legte ein Gegengewicht ein gegen die Wehmuth des Scheidens, die sonst in einer so herzlichen Familie leicht übermächtig geworden wäre, indem nach einem stillen Frühstück, das bei der Eile des Fabrikherrn Nathusius die Hochzeit vertreten mußte, das vermählte Paar abreisen wollte, vorerst nur von zwei Schwestern der jungen Frau, von der ältesten und der jüngsten, begleitet.

Die Unterhaltung während des Imbisses ging nicht sehr laut und lebhaft. Die Rührung, die schon in der Kirche unter der Trauung über alle Angehörigen gekommen war, wurde aufs neue erweckt, als Herr von Bülow mit herzlichen Worten an die freundschaftliche Vergangenheit mit Nathusius erinnerte, und auf das Glück des in Liebe verbundenen Paares in einer für schaffende Thätigkeit und deutsches Bewußtsein frohern Zukunft trank und zu trinken einlud.

Die Gespräche wurden immer leiser; die ganze Weihe der Stunde lag in den feuchten, innigen Blicken, womit man zum Scheiden oder Bleiben einander segnete.

Therese hatte unvermerkt das Zimmer verlassen, und als sie in ihrem Reiseanzug wieder erschien, nahm die mit sich kämpfende Rührung der Angehörigen noch zu; die vier zurückbleibenden Schwestern drückten sich, eine um die andere, an ihr Herz. Herr von Bülow war in einer geschäftlichen Rücksprache mit Nathusius auf dessen Zimmer gegangen, und so drohte die Unterhaltung gänzlich zu versiechen.

Um nun diese gedrückte Stimmung ein wenig zu heben, vielleicht auch um Hermann's und Lina's noch einmal recht froh zu werden, sprach Therese in ihrem anmuthigen Frauenhäubchen den Wunsch aus, das liebe Paar noch einmal singen zu hören.

Ja wohl, rief die Mutter Engelhard, und recht passend wäre gerade jetzt das Duett aus der »Schöpfung«, das ihr Beide so herrlich singt.

Die Noten wurden hervorgesucht, das Klavier geöffnet und nur auf die hinausgegangenen beiden Herren gewartet. Als sie eintraten, ging Therese ihrem Manne entgegen. – Komm, lieber Christian, sagte sie, unsere Freunde dort wollen uns zum Abschiede das Duett aus der »Schöpfung« singen. Mit diesen Accorden wollen wir unser magdeburger Paradies einweihen, flüsterte sie, indem sie sich ihm innig anschmiegte.

Hermann und Lina, bewegt wie sie waren, sangen mit einem Ausdruck, der unter einer unbefangenern Stimmung, als eben in dem kleinen Kreise herrschte, leicht ein Verräther ihrer eigenen Herzen geworden wäre. So durchsichtig für das umkleidete Gefühl hatte man lange keine Töne menschlicher Stimmen vernommen. Nur Therese hatte eine Empfindung davon. Während der Schlußaccorde war sie hinter ihnen herangetreten, und indem sie Beide umschlang, flüsterte sie:

O wie wäret ihr werth, mit einander zu erleben, was ihr mit solcher Seele singen könnt:

Mit dir, mit dir ist Seligkeit das Leben!

Doch kaum gesagt, erklang von der Straße herauf das Posthorn mit der Melodie eines bekannten Abschiedsliedes. Der dreispännige Reisewagen fuhr langsam an.

Eine Bewegung entstand. Frau Philippine legte der Tochter den Mantel um und drückte ihr Schnupftuch an die weinenden Augen des Kindes; Nathusius umarmte den stillen, blassen Vater Engelhard zu dieser Ausfertigung des Endbescheids in Sachen seiner väterlichen Gewalt. Man hörte lautes Weinen, Stöhnen, gepreßte Lebewohl! Auf Wiedersehen! Glückliche Reise! Gott mit euch!

Man hätte einander halten mögen und drängte einander fort.

Das Zimmer leerte sich, da Alles dem Doppelpaare der Vermählten und der begleitenden Schwestern an den Wagen folgte, der vier bequeme Ecksitze bot.

Abermals erklang das Posthorn; die Pferde zogen an und trennten die Hände, die von der Straße und aus dem Schlag sich gefaßt hielten. Noch eine Strecke lang winkten Hände, wehten Tücher nach und zurück, bis der Wagen um die Ecke bog und Aeltern und Schwestern weinend ins Haus eilten.

Schleichen wir uns ohne Abschied fort! sagte Graf Bülow. Lassen wir die Lieben ihrem Herzeleid und legen ihnen keinen längern Zwang auf. Sie haben auch Abschied genug und für lange!

 

So kamen denn ziemlich still von nachbebendem Mitgefühl Hermann und Lina bei der Mutter an, – Beide etwas befangen gegen einander, seitdem das liebreiche Herz der vermählten Freundin ausgesprochen hatte, was Beide gegen einander zu hüten suchten und gehütet glaubten. Besonders ängstlich war Lina. Sie machte sich einen Vorwurf aus Dem, was sie im ersten Augenblick als eine Vorahnung empfunden hatte. Es kam ihr nämlich vor, als hätte sie im Nu eines innern Schauens in die Zukunft Das als wirklich erblickt, was die gute Therese doch nur als etwas bezeichnet hatte, dessen sie werth wäre – mit ihm nämlich, mit Hermann, sei Seligkeit das Leben.

Diese Aengstlichkeit kam unvermuthet zu Wort, als der Freund sich nach der letzten Versammlung der Verbündeten in Homberg erkundigte. – Erinnere mich nicht daran, lieber Hermann! sagte sie. Leider habe ich gerade damals einen unfreiwilligen Antheil an den Berathungen genommen. Sie fanden nämlich auf unserm Landsitze statt, um nicht jedesmal beim Wirthe Dörfler in der Stadt zusammenzukommen. Ich hatte das untere große Zimmer heizen lassen, und war die Bewirthung zu besorgen, damit kein Dienstbote das Zimmer betrete, im Stübchen nebenan. Vor kurzem erst hatte ich den Besuch des Königs in demselben Zimmer überstanden, wo jetzt Männer beisammen saßen, die ihn vertreiben wollten. Jene Erinnerung hätte mich für ihre Absicht gewinnen können, aber ihr Vorhaben suchte Mittel und Wege, die mir misfielen, und sprach sich zuweilen so leidenschaftlich und roh aus, daß es mich eher zurückstieß. Besonders beunruhigte mich der tollköpfige alte Emmerich. Ich konnte mich bei seinen verwegenen Reden der Angst nicht erwehren, er möchte mit seinem Drängen das ganze meinethalben gerechte Unternehmen in ein Unheil verkehren. Gott, wenn ich mir denke, daß es dir oder meinem Ludwig das Leben kosten könnte –!

Diese Vorstellung, oder was es sein mochte, ward so lebhaft in ihrer Seele, daß sie, wie von einer Ohnmacht angewandelt, erblaßte.

Mein Gott, Lina, wie kannst du dich von einem Gedanken, von einer Phantasie so entsetzen lassen! rief Hermann, ihre Hände erfassend, die im Augenblick ganz erkaltet waren.

Sie blickte ausathmend und lächelnd zu ihm auf. Aber bei seinem Anblick ward ihr nur klarer, daß es eben keine Phantasie gewesen, was sie so erschüttert hatte, sondern daß ihr begegnet war, was dem edelsten Menschen begegnen kann, wenn der Spötter in unserer Brust oder ein Dämon, wie aus der Luft, uns einflüstert. Die Frage war ihr in der aufgeregten Seele lebendig geworden, – wen von Beiden es ihr kosten könnte, den Hermann oder den Ludwig, und wenn sie es zu entscheiden hätte, – wenn sie den Einen oder den Andern hingeben müßte, welchen sie dann –

Genug, genug, Hermann! rief sie aufstehend. Sprich nicht weiter, kein Wort mehr von den entsetzlichen Dingen! Großer Gott, was wird das Unternehmen noch für schmerzliche, sorgenvolle Stunden kosten!

Sie öffnete die Stubenthür und rief:

Mutter, ist vielleicht der Wagen schon da?

Eben ist er angefahren, Lina! antwortete die Gefragte aus der Küche.

Also doch, Lina? Du willst noch nach Homberg zurück?

Ja, Hermann, ich will doch lieber! Ich habe um Theresens Vermählung willen meinen Urlaub schon überschritten, und morgen hat Ludwig über Land zu thun.

Dann erlaube mir, – ich habe dir etwas mitgeben wollen!

Der Freund eilte aus dem Zimmer, und brachte wenige Augenblicke später ein höchst sorgfältig geschriebenes Heft mit zurück.

Nimm dies bei deinem ersten Besuch als ein kleines Gastgeschenk, liebe Lina, sagte er. Es ist meine eigenthümliche Bearbeitung des Platon'schen »Gastmahls«, – sowie es deutsche Frauen mit der wenigsten Einbuße von Gedanken und Bildern des Originals genießen können, – übersetzt nicht blos aus der antiken Sprache, sondern auch in die moderne Denk- und Gefühlsweise. Vielleicht ist es freilich in dieser Gestalt nur noch ein Schattenriß des Platon'schen unsterblichen Werks.

Lina war aufs lebhafteste überrascht. Innig vergnügt sah sie bald den Freund an, bald blätterte sie in der Handschrift. – Prächtiger Mensch! rief sie aus. Etwas Lieberes hättest du mir nicht schenken können! Und wie schön du es auch noch geschrieben hast! Wie gestochen! Ach, wieviel liebe, gute Stündchen hast du darüber gesessen! Nicht wahr?

Sie reichte ihm zum Danke die Hand. Er hielt sie fest, indem er sagte:

Ach! es waren so glückliche Stündchen, Lina; du saßest immer dabei, und ich war nicht allein. Es war ein erlaubtes, ein schuldloses Stück von dem: »Mit dir ist Seligkeit das Leben!«

Hermann! rief sie mit einem Zwischenton von Rührung und Verwarnung aus, indem sie, als ob sich vor ihm zu verbergen, sich an seine Brust lehnte.

Hermann, seiner nicht mehr mächtig, umfaßte sie und hielt sie fest in beiden Armen, während er sie mit einem Ungestüm küßte, daß sie sich mit Gewalt und Entrüstung entwand, und mit Unwillen ausrief:

Nie, niemals mehr gebe ich dir eine Hand! Geh', wie verkümmerst du mir den glückseligen Augenblick!

Ja, du hast Recht! versetzte er. Es geschah gegen meine eigenen, heiligsten Vorsätze. Vergib, vergib noch einmal! Ja, entziehe mir, versage mir deine Hand; nur als Zeichen der Vergebung reiche sie mir zum letzten mal!

Sie gab sie hin, indem sie mild und leise sagte:

Laß uns nie mehr so uns begegnen, Hermann! Lieben dürfen wir uns vielleicht, da wir nicht anders können; aber angehören nicht! Die reine Liebe hat keine Gestalt, sie lebt im Ewigen. Was sich berührt, gehört der erscheinenden Person an, wird rasch zu einem Anspruch an diese, und schließt sich im Sinnlichen ab. Hüten wir uns vor jeder Berührung! – – Und nun, packe mir dein liebes Andenken ein, deinen Schattenriß, in dies seidene Tüchlein! Ich habe noch mit der Mutter –

Sie eilte hinaus, und er packte die Handschrift in das Tuch, mit Stecknadeln vom Nähkissen der alten Mutter verwahrt.

Jetzt kam Lina mit der Mutter herein und sagte ihm Lebewohl. Er begleitete sie an den Wagen und eilte dann gedankenvoll auf sein Zimmer.

 

Ein matter Sonnenstrahl, der über das Wiesenthal hinstreifte, als er das Fenster öffnete, ließ ihn hoffen, daß er mit seinem kleinen Fernrohre Lina's Wagen erblicken werde, wenn derselbe aus der Vorstadt und am Siechenhofe vorüber um den sogenannten Forst in die nürnberger Landstraße lenkte.

So sollte ihm von dem Abschiedsleide, dessen er heut Zeuge gewesen war, unerwartet noch ein Tropfen in den eigenen Lebenskelch des Tages fallen. Doch war der Idealismus eines sehnsüchtigen Herzens noch so mächtig in dem Freunde, daß selbst ein so heißes Verlangen, als er an Lina's Lippen empfunden hatte, sich in diese nachblickende Träumerei auflöste.

Als er sich nun nach seinem kleinen Perspectiv umsah, fand er auf seinem Schreibtische Lina's Schattenriß in einem geschmackvollen Rähmchen und aus ihren Haaren geflochten ein Uhrband darüber hingelegt.

Er erschrak ordentlich, nicht blos über das unerwartete Andenken, sondern auch über die sprechende Aehnlichkeit in einem so einfachen, dunkeln Bildchen. Freilich lag auch in dem schön geformten und eigenthümlich gehaltenen Kopfe mit der Fülle des Haares und in dem so rein und scharf gezeichneten Profil Lina's ein großer Theil ihrer Schönheit. Aber auch etwas von den heitern Zügen drückte sich um die sanft gespaltenen Lippen und der seelenvolle Blick durch die langen feinen Augenwimpern aus, die sich auf dem Goldgrunde abzeichneten.

Wie beglückt fühlte er sich durch diesen Besitz! Eine Welt von Gedanken, von Erinnerungen und Hoffnungen bewegte seine Brust, während seine Augen auf dem bald fern, bald näher gehaltenen Bilde ruhten, und sein Herz Alles vernahm, was diese Lippen, diese Wimpern ihm zu bekennen und zu versprechen hatten.

Und so ging es ihm, wie es einem jungen Philosophen nicht besser gehen kann: über das Bildchen vergaß er des Wagens, der ihm die geliebte Freundin weiter und weiter entführte.

Denn nun kam auch, ehe er wieder an sein kleines Fernrohr dachte, die freundliche Mutter heraus, zu sehen, wie er sich der heimlichen Ueberraschung freue. Das Bildchen, erzählte sie, habe ein reisender Franzose, ein gar geschickter Mensch, in Homberg gefertigt. Lina habe auf Ludwig's Verlangen dem fremden Künstler sitzen müssen, um dem Herrn Doctor eine Freude zu machen. – Das Haargeflecht aber, sagte sie, ist aus Lina's Haaren von einer der Stiftsdamen gemacht, die in solchen feinen Arbeiten außerordentlich geschickt ist. Aus Haaren von verschiedenen Farben, und wenn sie auch Löckchen von Kinderköpfen und Greiseschädeln haben kann, weiß die junge Dame ganze Blumensträuße zu machen.

Hermann hörte der Alten schweigend zu. Die Erinnerung an Ludwig beschämte ihn tief innerlich, und alles Wünschen und Hoffen, das eben noch so lebendig in seinem Herzen geworden war, schloß, als die gesprächige Wirthin das Gemach verlassen hatte, mit Lina's Warnung ab:

Lieben dürfen wir uns vielleicht, aber angehören nicht.



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