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Elftes Capitel.
Ein Blick in die Verschwörung.


Die kurzen, kalten Tage der Festwoche, die Hermann in den homberger Kreisen verweilte, gingen ihm wie in einem Rausche hin. Es wechselten geheime Versammlungen der Einverstandenen mit Festessen bei angesehenen Familien und mit Treibjagden. Nur eine der letztern machte der Freund mit. Sonst zog er es vor, während es draußen in den Forsten knallte, mit Lina in herzlichen Gesprächen über höhere Fragen des Lebens, in Träumen von einer glücklichen Zukunft oder am Pianoforte zu verkehren. Dazwischen machten sie Besuche im Stift, wo heitere junge Damen zu Gast waren. Darunter Karoline von Baumbach, die Hermann von früher her kannte, nicht weniger blühend von Aussehen, als im vergangenen Mai, aber noch ernster, man konnte sagen gespannter oder mysteriöser in ihrem Benehmen. Sie betrieb es auch, daß Schiller's »Jungfrau von Orleans« einen Abend gelesen würde. Es kam aber nicht dazu; denn Hermann und Lina zogen sich stets zurück, weil sie die Abende, den traulichsten Theil eines frostigen Wintertags, am liebsten bei Frau von Stölting zubrachten.

Hermann hatte gewöhnlich Reichardt's Briefe bei sich, um, wenn es paßte, Eins oder das Andere daraus mitzutheilen. Denn Frau von Stölting knüpfte gern Gespräche an die einzelnen Nachrichten, die dann hinter solche lebhaftere Mittheilungen zurücktraten. Sie hatte durch ihren Vater, der in weitreichenden Verbindungen gestanden, manche Personenkenntniß aus deutschen Residenzen, wie ihr überhaupt die Welt und ihr Verkehr durchaus nicht fremd war. Unter den neuern Componisten liebte sie Beethoven, und gerade über ihn brachten die Briefe manche Nachricht.

Ihn zu besuchen hatte Reichardt viel Mühe gehabt, bis er ihn erfragte; denn er bewohnte in Wien auf gut Deutsch kein so ansehnliches und eigenes Haus wie Salieri, der Italiener, und man bekümmerte sich nicht sehr um ihn.

»Endlich«, schrieb Reichardt, »fand ich ihn in einer großen, wüsten, einsamen Wohnung. Er sah anfänglich so finster aus wie seine Wohnung, erheiterte sich aber bald, schien ebensowol Freude zu haben, mich wiederzusehen, als ich an ihm herzliche Freude hatte. Es ist eine kräftige Natur, dem Aeußern nach cyklopenartig, aber doch recht innig, herzig und gut. Er wohnt und lebt viel bei einer ungarischen Gräfin Erdödy, die den vordern Theil des Hauses inne hat.«

Diese Gräfin, sagte Hermann, ist auch so ein gutes, krankes Menschenkind, eine Menschenblume, die in ihrem Stückchen Erde wurzelnd die liebevollsten Gedanken wie Thautropfen des Himmels in ihrem warmen Herzen empfängt. Reichardt selbst schreibt, daß bei seinem Besuche die Rührung fast mächtiger als die Freude über ihre Bekanntschaft gewesen wäre. Hören Sie, was er schreibt!

»Denkt euch eine sehr hübsche, kleine, feine, fünfundzwanzigjährige Frau, die im funfzehnten Jahre verheirathet wurde, gleich vom ersten Wochenbette ein unheilbares Leiden behielt, seit den zehn Jahren nicht zwei, drei Monate außer Bett hat sein können, der allein der Genuß der Musik blieb, die selbst Beethoven'sche Sachen recht brav spielt, und mit noch immer geschwollenen Füßen von einem Fortepiano zum andern hinkt, und dabei doch so heiter, freundlich und gut. – – Und nun bringen wir den humoristischen Beethoven noch ans Fortepiano, und er phantasirt uns wol eine Stunde lang aus der innersten Tiefe seines Gefühls mit Meisterkraft und Gewandtheit, daß mir wol zehn mal die heißesten Thränen entquollen. Wie ein innig bewegtes glückliches Kind habe ich an seinem Halse gehangen, und mich wieder wie ein Kind darüber gefreut, daß ihn und alle die enthusiastischen Seelen auch meine Goethe'schen Lieder glücklich zu machen schienen.«

Ja, die sind auch charmant! rief Frau von Stölting, die ihrer Tochter tiefe Rührung bemerkte. Gehen Sie, Hermann, und singen uns eines der anmuthigsten! Hermann öffnete das Klavier und sang das herrliche kleine Lied:

Ueber allen Gipfeln
Ist Ruh.

Doch traf er es bei der leicht schreckbaren Mutter mit dem Schlusse:

Warte nur, balde
Ruhest du auch –

nicht gut. Sie winkte der Frau Lina zu, die nun rasch den Freund mit einem damals beliebten Lied ablöste, über dessen Anzüglichkeit sie aber auch erst unter dem Singen für sich selbst betroffen wurde. Es begann:

Heimlich zwar, doch inniglich
Lieben wir uns Beide;
Denn die Liebe scheuet sich
Weislich vor dem Neide u. s. w.

Sehr gegen diese stillen, herzinnigen Abende stach ein Mittagessen im Stift ab, aus den verschiedensten Gästen gemischt, die nicht alle zu den Eingeweihten des Bundes gehörten. In solchen Kreisen beschränkten sich diese Begeisterten darauf, Anekdoten vom Kurfürsten zu erzählen, die an die Gerechtigkeitsliebe des Fürsten, an sein Bemühen für die Wohlfahrt des Landes, an seine Sparsamkeit zur Erleichterung der Abgaben u. s. w. erinnerten. Man wollte, wenn auch versteckterweise, für den guten Zweck wirken, und überließ dabei Jedem, den Vergleich mit der Gegenwart anzustellen, überzeugt, daß auch Diejenigen, die nichts weiter dabei dächten, doch die nachwirkenden Geschichtchen unter das Volk bringen würden. Höchstens äußerte Einer oder der Andere, wie billig es doch sei, daß der wohlhabende Adel sein Eigenthum ruhig zu genießen, der vermögenlose gute Stellen im Militär oder Civil zu erhalten wünsche. Die handeltreibende Classe müsse natürlich eine Wiederherstellung freien Verkehrs ohne große Aufopferung verlangen.

Dann setzte wol ein Anderer hinzu: die Mittelstände hingen nun einmal mit alter deutscher Gesinnung an der frühern Verfassung, und es gehöre viel dazu, die Liebe zu einem Fürstenhause vergessen zu machen, das Jahrhunderte lang, durch Glück und Unglück hindurch, als Säule der Hoheit eines edeln deutschen Volks bestanden habe.

Sobald jedoch die Unterhaltung zu bezüglich zu werden drohte, brachte die Aebtissin mit ihrer gutmüthigen Schlauheit das Wort an irgend einen Gast, der solche Aeußerungen neutralisiren konnte. Heut war es ein benachbarter Pfarrer, der durch seine eiteln, unterwürfigen Manieren sich der Gesellschaft mehr, als er es wollte, zum Besten gab.

Die Aebtissin, die Hermann bei seinem Frühjahrsbesuche nicht angetroffen hatte, war eine Dame aus dem alten hessischen Hause der von Gilsa, von würdevoller Haltung und ausnahmsweise in ihrer Familie von hoher Gestalt. Sie verstand und liebte es, einer großen Wirthschaft vorzustehen, die mit Verstand verwaltet und mit Wohlwollen verwendet wird.

Pfarrer Dellermann, der durch die kluge Güte der Dame wieder ans Wort gekommen war, unterließ denn auch nicht, zu dem inzwischen vorgelegten Braten einen Trinkspruch an die beständige Prosperität des hochadeligen Wallenstein'schen Stiftes auszubringen. Und indem er nach dem allgemeinen Hoch der Tischgenossenschaft stehen blieb und im Trinken absetzte, sagte er:

Aber, Hochwürden Gnaden, das ist ein deliciöser Wein! Und mit Vergunst für meine Wenigkeit muß ich hinzufügen – es ist ein rechtes Vinum für meine stomachalischen Umstände.

Man lachte, und der Oberforstmeister versetzte:

Ohne zu untersuchen, was Ew. Ehrwürden für stomachalische Umstände haben, müssen wir doch anerkennen, daß Sie ein grammatikalisch richtiger Mann sind. Denn da Vinum im Latein sächlichen Geschlechts ist, so muß es allerdings heißen – ein rechtes Vinum. Wir denken immer an unsern männlichen Wein, und meinen, es müsse heißen – ein rechter Vinum.

Ah, mein gnädiger Herr Oberforstmeister, erwiderte der Pfarrer, ich müßte mich ja einer Sünde gegen die classischen Autoren, meine Abgötter, schämen, wollt' ich sagen – ein richtiger Vinum. Zumal hier der Fall nicht eintritt, wie bei jenen Studenten, die einen katholischen Pfarrherrn heimsuchten. Als er ihnen nämlich einen leichten Wein vorgesetzt, und darauf in seinem Küchen- oder Kirchenlatein gefragt hatte, wie sie den Wein fänden, antworteten sie: Bonus vinum. Worauf der Pfarrer bei sich dachte: Das sind mir auch schöne Lateiner! Bei Tische gab er ihnen dann eine bessere Sorte und fragte abermal, da er denn die Antwort erhielt: Bonum vinum, Domine! Auf die Frage, warum sie denn früher den lateinischen Schnitzer gemacht hätten, versetzten sie: Quale vinum, tale latinum! Wie der Wein, so das Latein! Ha, ha! Ist das nicht charmant?

Und indem er das ihm von einem Tischnachbar inzwischen gefüllte Glas leerte, rief er aus: Bonum vinum, immo optimum! – Worauf er mit Selbstzufriedenheit fortfuhr:

Ja, meine gnädigen Herrschaften, ich darf wol sagen, daß ich den lateinischen Autoribus die glücklichsten Stunden meines häuslichen Lebens schuldig bin, zumal wir der Kinder entbehren. Besonders haben mich im Terentio die muntern Scherzreden des Davus immer weidlich ergötzt, und neben gutem Wein ist herzliches Lachen das beste Mittel für stomachalische Umstände meiner Art.

Hatte sich Hermann an diesem lateinischen Gecken ergötzt, so machte es einen sehr ernsten Eindruck, als am andern Frühabende der Metropolitan Martin in die Versammlung der Kurfürstlichgesinnten beim Wirthe Dörfler eintrat, und die Grüßenden mit den feierlichen Worten anredete:

Ubi non adest pudor, nec pietas fidesque, haud stabile regnum est, sagt schon der alte Seneca. Ja, wo keine Scheu mehr waltet, keine Pietät und Treue, ist ein Reich ohne Bestand. Diese in den ewigen Gesetzen der Weltgeschichte begründete Wahrheit gibt mit Einem uns zugleich die Losung zu unserm Unternehmen und die Bürgschaft des Gelingens. Ich habe hier die Punkte unserer Besprechung und unsers Einverständnisses zu Papier gebracht, und können wir nun die gemeinsame Berathung alsbald in Gottes Namen schließen, indem mehre der Freunde noch mit dem aufgehenden Mond abreisen wollen. Ueber diese fest angenommenen Bestimmungen haben wir nun die abwesenden Bundesgenossen gelegentlich zu verständigen und mit uns zu einigen. Sodann habe ich auf diesem besondern Blatt Dasjenige angedeutet, was nun zunächst noch mit der größten Klugheit und Vorsicht auszurichten bleibt. Aber Herr von Dörnberg, den wir ja als unsern Feldhauptmann anerkennen, ist der Mann für solche Klugheit und Berechnung so der Menschen wie der Mittel. Wenn nämlich unsere Absicht dahin geht, den gutmüthigen, jugendlichen König, der selbst kaum weiß, wie und wozu er auf einen deutschen Thron gekommen ist, und den wir mit aller Schonung entfernen wollen, ihn und seine treuen Generale in der Nacht vor dem Ausbruch der Erhebung zu arretiren und im Castell zu verwahren, so muß freilich erst noch der Commandant des Castells und ein Hauptmann der Grenadiergarde gewonnen werden, der in jener Nacht die Schloßwache übernimmt. Ebenso ist allerdings zwar der Ausbruch der bewaffneten Landesbezirke durch die tapfern Kürassiere gedeckt, deren bravste Führer bereits unserm Bunde angehören; aber Dörnberg muß sich dann auch noch seines Jägerregiments versichern, das sich bei Cassel zu uns schlägt, sodaß die übrigen Truppen, die etwa noch zur Sache des Königs stehen möchten, durch das Beispiel beider Regimenter gewonnen, oder durch deren uns befreundete Waffen mitüberwältigt werden. Dörnberg besetzt dann die Residenz, und Schmerfeld nebst Witzleben übernehmen die provisorische Regierung bis zur Ankunft des Kurfürsten.

Soweit erstreckt sich die innere Vorbereitung, die in unsere Hand gegeben ist. Die Gunst des Zeitpunkts der Ausführung aber hängt freilich von höhern Fügungen und auswärtigen Combinationen ab. Das Frühjahr muß jedenfalls abgewartet werden. Bis dahin wird hoffentlich Oestreich gegen Napoleon vorgehen, und Preußen wird ohne Zweifel endlich einmal soviel Verstand haben, sich an Oestreich anzuschließen; dann wird mit uns muthigen Hessen auch das übrige gedrückte Volk sich erheben, die ganze begeisterte Nation wird aufstehen, Alles was sich ihr entgegenstellt erdrücken, und Deutschland wird in neuer Freiheit aufathmen und in neuer Verfassung seine hohe Zukunft antreten.

Diese Anrede rief, vielleicht mehr durch den Nachdruck und den vertrauensvollen Blick des würdevollen Redners, als durch den Inhalt selbst, unter den Anwesenden eine tiefe Bewegung hervor. Man umarmte sich, drückte einander die Hände, blickte einander in die Augen. Zuversicht in das Unternehmen und in die wechselseitige Treue und Verschwiegenheit waren darin ausgesprochen, und diese Empfindungen und Gelöbnisse, wie sie einem Geheimnisse galten, nahmen selbst den Ausdruck des Geheimnißvollen an.

Es galt jetzt noch um Eines: wie man nämlich die Besprechungen und Beschlüsse der Versammlung an Dörnberg und die casseler Verbundenen am besten überliefere. Schriftlich war es zu weitläufig oder auch bedenklich; durch wen aber konnte es mündlich mit Verlaß geschehen?

Da kam Hermann in Vorschlag, der ohnehin im Begriff stand, nächster Tage nach Cassel zurückzukehren.

 

Der Freund hatte sich gleich anfangs mit Ludwig berathen und diesen vermocht, ihm eine mehr passive Theilnahme nachzugeben, und solche in der Versammlung der Einverstandenen durch seine eigenthümliche Dienststellung zu rechtfertigen und zur Anerkennung zu bringen. Dies war dann auch geschehen. Man mistraute dem Freunde Ludwig's nicht, und fand ihn durch seine geistige Begabung und äußerliche Erscheinung zum Vermitteln und Verständigen besonders geeignet.

Hermann übernahm also den Auftrag, und hoffte auf diesen Wegen Manches in seinem Sinn und aus seinen höhern Gesichtspunkten ausrichten zu können.

 

Als er am 2. Januar nach Cassel zurückkam, fiel es ihm doch auf, wie in einer so lebhaften Residenz doch gleich, auch hinter der kürzesten Abwesenheit, sich hundert kleine Begebnisse anhäufen, die, einzeln erlebt, sich der Beachtung leicht entzogen hätten.

Zuerst fand er eine Visitenkarte von Jacobson, der nun als Präsident des neuen jüdischen Consistoriums nach Cassel übergezogen war. Seine Antrittsrede, mit der er die erste Sitzung eröffnet hatte, lag dabei. Es sprach sich darin ein unterrichteter, aufgeklärter, denkend-umblickender und der christlichen Bildung nacheifernder Israelit aus. Hermann mochte ihm nicht Unrecht geben, wenn derselbe die Ausartung des Judenthums auch in den trefflichen und erhabenen Stücken der Lehre und Gesetze desselben, jener grenzenlosen Gleichgültigkeit beimaß, welche die Regierungen bisher gegen die religiöse und sittliche Verfassung der Juden bewiesen hatten.

Sodann interessirte den Freund, daß Herr von Wolffradt nun zum wirklichen Minister des Innern ernannt worden war.

Einige Erscheinungen, wie geringfügig sie auch aussahen, schienen ihm doch in Bezug auf das Unternehmen des Hessenbundes nicht ohne Bedeutung. Es hatten sich an verschiedenen Orten bei der Militärziehung Widersetzlichkeiten ergeben, sodaß man ein besonderes Depot für die Widerspänstigen in Paderborn errichtet hatte.

Im Parterre des Theaters war es zu Tumulten gekommen, für die man von mehren Seiten die neue Einrichtung der Polizei gern verantwortlich gemacht hätte.

Auch neue Genüsse für den Winter waren angeboten. Unter Anderm hatte im Foyer des Theaters ein gewisser Seignart de Villiers, gewesener Lector an dem schwedischen und preußischen Hofe, declamatorische Vorträge aus Tragödien, Komödien und Possen eröffnet, – vier Vorträge im Abonnementspreis von einem Friedrichsd'or, wobei jeder Herr eine Dame frei mitbringen konnte.

Diese Nachricht erinnerte Hermann an das Anliegen seines Gönners, des Ministers Bülow, wegen einer Idee zu seiner Staatsmaskerade für das bevorstehende Carneval.



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