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Neuntes Capitel.
Das Fest des Hofmarschalls.


Die Einladungen zum Feste des Hofmarschalls waren schon der Ankunft der beiden Majestäten vorausgegangen, und zwar auf einen nahen Abend bestimmt, sodaß den Gästen für die Wahl und Ausführung ihres Geschmacks zu einem costümirten Ball nur kurze Frist gelassen war. Dadurch entstand eine unruhige Bewegung in den Familien, ein Sturm auf die Putzläden und Modehandlungen, eine Treibjagd auf die Schneider und Putzmacherinnen.

Frau Lina, für die ein solches Fest etwas ganz Neues war, blieb von ähnlicher Unruhe nicht verschont, wogegen ihre innerliche Aengstlichkeit mehr zurücktrat. Sie hatte mancherlei Einfälle zu einem Costüm, und es machte Ludwig Spaß, sie in ihren Vorschlägen bald zu bewundern, bald zu durchkreuzen. Sie wollte anspruchslos und möglichst unbemerkt erscheinen, und doch gefiel es ihr, wenn Ludwig erklärte, sie sei gerade als Bürgerliche ihrem Geschmack und Aussehen, sowie seiner untergeordneten Stellung schuldig, sich hervorzuthun und geltend zu machen.

Indem sie nun mit diesem und jenem Project die Kleiderschränke bei sich und bei der Mutter musterte, um zu sehen, was sich allenfalls von den vorräthigen Anzügen benutzen ließe, fiel ihr der Mutter Brautkleid in die Hände. Es war nach der Mode der vorrevolutionären Zeit, in der Tracht der guten Bürgerfamilien, und gab sich noch wie neu erhalten, von schwerem geschmackvollen Stoffe – Silberbrocat mit eingewirkten Blumen in Azur –, in der Farbe des reinen ungetrübten Himmels. Als sie es mehr des Spaßes als einer Absicht halber anzog, kam ein entscheidender Gedanke dazu, sie für jenen ganz vergessenen Geschmack einzunehmen. Dieser Schnitt der Kleider stach für gutgebaute Gestalten vortheilhaft gegen die Mode des Tages und den Geschmack jener pariser Zeit ab. Die hohe Taille, wie man sie jetzt trug – im Rücken unmittelbar unter den Schulterblättern und vorn unter der offenen Brust befestigt – , ließ die von hier ausgehenden Falten mehr oder weniger eng, aber strack über die Hüften herab bis an die Knöchel fallen. Wie reizend dagegen umschloß an dem alten Anzug ein knappes Mieder den schmalen Leib bis an die Hüften, die nun gerundet hervortraten! Nur diese übertreibenden Wulste und Poschen kamen Lina geschmacklos vor. Bei ihrem vollendeten Bau konnte sie auch fast aller Unterlage entbehren und doch das Charakteristische des Anzugs, ins Schöne gemäßigt, hervorheben. Wie artig fielen im Schoose des Kleides Schleife an Schleife herab, bis wo die zierlichen Füße, in weißseidenen Strümpfen, auf hohen Absätzen der Schuhe schwebten, diese azurblau wie das Kleid. Was sich aus dem Mieder in reizender Form hervorhob, sollte sich locker unter einem Musselintüchlein verbergen, das seine Zipfel unter dem Mieder überkreuzte und von dem Halsgrübchen an leicht über die runden Schultern zurückfiel. Zum Schmuck des Halses besaß Lina die schönsten Perlen in doppelten Schnüren, sodaß sie einen Theil derselben verwenden konnte, das über kleinen Wulsten aufzubauschende Haar zu durchwinden. Und wenn dies wellige Haar in seinem schönen Blauschwarz ein wenig gepudert erscheinen mußte, so konnte es dafür durch einen Kranz künstlicher Cyanen gehoben werden; goldene Weizenähren ließen sich dazwischen anbringen, und ein passender Blumenstrauß mit einer Mohnblüte vor der Brust vertrat den Juwelenschmuck. Träumte sich dann Lina hinzu, wie die Hand in weißen Glacéhandschuhen aus dem herabhangenden, eben wol wie das Kleid mit Schleifen und Spitzen verzierten Aermel hervorgehoben, den Fächer mit seinem bunten, vergoldeten Blumengemälde anmuthig auf- und zufaltete, so empfand sie eine innere Befriedigung mit diesem Ballstaate. Und da sich nun in dem andern Schranke auch der Bräutigamsanzug ihres Vaters noch prächtig erhalten vorfand – das breite, hellbraune Kleid mit umbordeten Schößen, Taschen und Aufschlagärmeln nebst kurzem Krüglein, sowie die lange, gestickte Weste mit Patten und die pfirsichblütefarbene Kniehose mit Schnällchen zu den seidenen Strümpfen mit Schnallenschuhen –, so war der Entschluß gefaßt, die Wahl geschehen, und die Haarbeutelperücke, die aus einer Schachtel hervorkam und leicht zu accomodiren war, gab die letzte Bestätigung dazu.

Lina machte nun mit Hülfe einer Nähterin, im Hause und nach nähern Angaben der Mutter, ihren Anzug insgeheim fertig, legte ihn eines Nachmittags an, und empfing so ihren Chef de division aus dem Ministerium. Sie trat ihm mit Fächerspiel und Knicksen entgegen, und führte ihn im Menuetschritt vor die Stühle, auf welchen sein entsprechender Anzug ausgebreitet hing. Ludwig konnte lachend nicht widerstehen, die allerliebste Frau um die Taille zu umspannen, und erhielt dafür einen zärtlichen Fächerschlag auf die Wange.

Also, Ludwig, es ist dir recht, in diesem Costüm –?

Ein altdeutsches Paar mit dir zu machen? Ja, Linchen, von Herzen gern! fiel er schalkhaft ein. Wir repräsentiren so dein liebes Aelternpaar, wie es sich eben auf den Weg machte, beim Klapperstorche das Glück meines Herzens zu bestellen.

Er zog sie in seine Arme, und sie legte erröthend ihren ausgebreiteten Fächer ihm über das schelmisch lachende Gesicht.

 

Und so finden wir denn, nachdem auch Ludwig's Anzug etwas geschmackvoller anbequemt worden, unser veralterthümlichtes Ehepaar am Abende des Festes, heiter gestimmt, des Wagens harrend, der sie nach dem Bellevue-Palaste bringen sollte. Ludwig sah recht stattlich und Lina über die Maßen reizend aus. Sie hatte noch zuletzt, nach einer Erinnerung der Mutter, zwei herabhängende Locken hinter den Ohren zu beiden Seiten des Chignon und zwei an die Schläfen festgedrückte Löckchen, sowie im Gesicht einige ganz kleine Schönfleckchen von schwarzem Taft recht anmuthig angebracht.

Der Lohnkutscher, heut viel in Anspruch genommen, hatte sie ziemlich lange warten lassen, sodaß die festlichen Räume schon sehr belebt waren, und der Strom der zugleich Ankommenden sie unter kurzen Reverenzen an den empfangenden Wirthen vorüberführte.

Baron von Boucheporn war der Sohn eines vormaligen Intendanten auf Corsica, den die Revolution vertrieben hatte. Man behauptete von mehren Seiten, er sei vor seinem jetzigen Hofmarschallamte Spitzenhändler in Hamburg gewesen. Seinen Amtsstab führte er mit der Gravität, die einen etwas bornirten Mann verrieth. Er war erst seit kurzem mit Flora Desportes, der einzigen Tochter des französischen Präfecten im Oberrheindepartement verheirathet, jener jungen, lilienlieblichen Erscheinung, die damals bei Morio's Hochzeit im Garten neben der russischen Gesandtin, so abstechend mit dieser, gesessen hatte.

Das Paar gab heut sein erstes großes Fest, und nahm es daher mit dem Empfang der Gäste ebenso feierlich als artig.

Im Zudrang dieser Gäste waren also Ludwig und Lina bei ihrem Eintritte gleich in den kreisenden Wirbel der buntestcostümirten Gesellschaft gerathen. Denn man nahm anfänglich keine ruhigen Plätze ein, sondern Alles war in Bewegung, die festlichen Räume staunend zu durchwandeln.

Zu soviel Herrlichkeit, als hier entfaltet wurde, bot das Palais nach vorn und hinten zwei Reihen Zimmer, denen man noch die Gemächer des anstoßenden Hauses zugezogen hatte. Dem ungleichen Fußboden, der dadurch gegeben war, hatte man den eigenthümlichen Reiz zweier an einander stoßenden, verschwenderisch beleuchteten Tanzsäle abgewonnen, aus deren einem man durch offene Verbindung aufs anmuthigste in den andern, mehre Stufen tiefer gelegenen, herabblickte. Aus dem untern Saale öffneten sich dann rechts und links zwei Galerien. In jener befand man sich zwischen lauter Spiegelwänden, die, von den Armleuchtern gelber Säulen überstrahlt, die bewegten Menschen und die haftende Ausschmückung – Alles und Alles ins Unendliche vervielfältigten.

Die Galerie links stellte, jener lichtströmenden entgegen, einen durch bunte Lampen halbdunkel gehaltenen Laubgang vor, von blühenden Gewächsen durchduftet. Hier schien es auf die Einkehr traulicher Empfindungen, wie dort auf den Erguß lauten Entzückens abgesehen.

Beide Gänge führten nach einem mysteriösen Rondel mit Arabesken und Verzierungen aus geschliffenem Glas auf dunkelm Grunde. Ein transparent erleuchteter Tempel der Natur war vorgestellt, aus großen Blumenvasen auf Piedestalen von würzigen Düften durchhaucht.

Hier ließ sich der Grundgedanke des Festes errathen: es galt eine Doppelfeier, einmal der Genesung durch unterirdische Kräfte, die die Natur in ihren Heilquellen bietet, und sodann der Freude an den Genüssen, die sie uns in ihren sonnigen Erntegaben spendet. Beides zu veranschaulichen, bewegten sich hier zwei Züge. Von der einen Seite erschien Aesculap, der langbärtige Gott der Gesundheit, den schlangenumwundenen Stab in der Rechten und von zweien seiner Töchter begleitet, von Hygiäa und Panacea, die in Schalen und Gefäßen ihre Heil- und Wundertränke trugen. Von der andern Seite stellten sich Schnitter und Schnitterinnen mit dem Erntekranz um ihre Garben und Obstkörbe dar.

Und als sollte man sich mit Dank für das Eine wie für das Andere zu noch höhern, göttlich wirksamen Wesen erheben, so führte von da ein enger Bogengang sanft über grünen Fußteppich stufenauf zu einem Feentempel – einem Salon, von Licht und Duft durchzaubert, und mit Gewächsen ausgeschmückt, durch deren hochgewölbte blühende Zweige ein künstlicher Sternenhimmel schimmerte. Grüne, niedere Sitze boten sich auf Rasenteppichen dar, zwischen Blumenvasen, die durch Rosengewinde verbunden waren. Oben stand die Statue der Minerva, mit Lorberen bekränzt, rechts und links Apollo und Bacchus; am entgegengesetzten Ende die Göttin Cythere in einer mit Rosen eingefaßten Nische, vor einem großen Spiegel, der Alles in zauberische Ferne verlängerte.

So war man wieder in die Nähe des obern Tanzsaales gelangt, aus dem man eben die allgemeine Bewillkommnung der Majestäten vernahm – den Gruß der Trompeten und Pauken und das allgemeine vive le Roi, vive la Reine!

Beide ließen sich auf erhöhten Sitzen nieder. Jerôme hatte von seinen Adjutanten nur den Obersten, Prinzen von Hessen-Philippsthal bei sich, Katharina war von der Prinzessin Hohenlohe-Kirchberg und von ihrer Oberhofmeisterin begleitet; König und Königin nicht in Phantasieanzug. Jerôme trug die gewöhnliche weiße Gardeuniform mit Orange, worin er sich am besten zu gefallen schien. Die Königin hatte ein goldgesticktes Spitzenkleid mit einer Schleppe von Kaschemir, durchaus mit Blumenzweigen gewirkt, über dem Ganzen ein goldenes Netz von Stickerei, welche die Blumen und Blätter einfaßte und um den schweren, goldgewirkten Schleppenbesatz lief.

Der Hofmarschall traf jetzt auf des Königs Wunsch die Anordnung, daß die ganze Gesellschaft, einzeln, paarweise oder in Gruppen, wie ihr Costüm es mit sich brachte, vom untern Saal heraus an den Majestäten vorüberwandelte. Der Hofmarschall selbst, als Wirth, hielt sich neben Jerôme's Stuhle, um auf Verlangen die am Hof unbekannten Personen zu nennen oder ein räthselhaftes Costüm zu erklären. Auch wurden einzelne Personen zur Vorstellung befohlen.

Es läßt sich denken, daß man von Seite der Eingeladenen nichts gespart hatte, um in auffallendem Staat oder ausgezeichnetem Costüm sich hervorzuthun. Alle Völker der Erde, alle Gottheiten des Olymps und alle Berühmtheiten alter oder neuer Geschichte hatten dazu herhalten müssen. An das Nächste hatte man nicht gedacht, vielleicht schon weil man nicht hoch zu achten pflegt, was nicht weit her ist, oder weil man es nicht für prunkhaft genug hielt. Desto mehr stachen jetzt Ludwig und Lina in ihrem einfachen, aber höchst kleidsamen altdeutschen Anzug hervor. Und in der That hatte besonders Lina in Gestalt und von Angesicht wol noch in keinem Anzuge vortheilhafter ausgesehen. Die Königin selbst kam noch ihrem Gemahle mit dem Wink an Boucheporn, das Paar aufzuhalten, zuvor. Auch erkannte Jerôme jetzt erst die schöne Frau, auf die er es den Abend abgesehen. Während Ludwig der Königin Aufschluß über den Anzug gab, war Jerôme aufgestanden, Lina genauer zu betrachten. Er konnte dem Reize nicht widerstehen, sie am Arm zu fassen, um sie der Königin von allen Seiten zu zeigen.

Nach dieser Vorführung begannen die Tänze mit der Polonaise, an der auch die Majestäten Antheil nahmen, indem der Hofmarschall mit der Königin voraus die schwebenden Paare durch alle glänzenden Räume führte.

Ludwig und Lina hielten sich von nun an etwas zurück. Es wurde ihnen um so leichter, als Alles sich nach der Umgebung der Majestäten drängte, die Bekannten nur flüchtiger Begrüßung Stand hielten, und manche Vornehme dem Paare die Auszeichnung, die es erfahren hatte, durch hochmüthiges Uebersehen entgelten ließen. Sie entschlossen sich, das Fest früh zu verlassen, zumal die anfangs so auffallenden Erscheinungen bald anfingen, durch Wiederholung zu ermüden. Inzwischen nahmen sie in einem stillen Eckchen des Feentempels Platz, und ließen sich etwas von den ausgesuchten Erfrischungen gefallen, die umher geboten wurden. Bald zog sich auch die Königin aus dem Getümmel des Tanzsaales hier in diese Stille zurück, und versammelte um sich her einen kleinen Kreis von Damen, der sich in vertrauter Unterhaltung abschloß.

Als endlich unser Paar überlegte, in welcher Richtung sie am unbemerktesten sich entfernen könnten, kam der Hofmarschall umherspähend herbeigeeilt.

Ah! rief er, als er Beide erblickte, find' ich Sie endlich? Kommen Sie, schöne Frau! Der König wünscht mit einer althessischen Braut einen deutschen Walzer zu tanzen.

Er reichte mit artiger Geschäftigkeit nach ihrer Hand, die Lina zögernd mit einem fragenden Blick auf Ludwig hingab.

Eine hohe Gnade, Lina! sagte Ludwig mit ermunterndem Wink, und folgte den Vorauseilenden in den obern Tanzsaal.

Jerôme, gewöhnlich schon etwas schwankenden Gangs, walzte schlecht; aber Lina verstand es, ihn im Tact und Umschwung zu halten, sodaß er sich, vielleicht zum ersten mal, in diesem deutschen Tanze gefiel, und sie sehr vergnügt seine Maitresse, seine Meisterin im Walzen nannte.

Ah, ich begreife! sagte er. Sie bringen in dem reizenden Anzuge auch die Kraft und Anmuth jener liebenswürdigen Damen der alten Zeit mit. Wie glücklich müssen die Männer gewesen sein, die von solchen Frauen Liebe empfingen. Sie sollten ihrem König auch davon etwas überliefern, Sie, herrliche Frau! Sollten mich lehren, in der schönsten Tochter meines Volks mein Volk zu lieben!

Aus solchen Aeußerungen läßt sich schließen, wohin Jerôme das Gespräch lenkte, als er nach beendigtem Tanze Lina auf einen entfernten Sitz nöthigte, und sich vertraulich neben ihr niederließ. Alles zog sich, der Hofsitte gemäß, aus der Nähe des Königs zurück. Und wenn schon diese Bewegung die junge bürgerliche Frau sehr bestürzte, so konnte man ihr bald genug die Seelenangst ansehen, in die sie durch Jerôme's Unterhaltung versetzt wurde. Denn die Blicke der Entferntstehenden verriethen, daß man mit den Augen zu vernehmen suchte, was man den Ohren hatte versagen müssen.

Ludwig, der ihr den Kampf und die Unsicherheit ihres Benehmens zwischen weiblicher Entrüstung und gesellschaftlicher Rücksicht ansah, zog sich langsam zurück, aus Besorgniß, sie möchte, wenn sie seiner ansichtig würde, vollends alle Haltung verlieren. Eine Angst überkam ihn, als er bemerkte, wie sie bald mit dem Stuhl leise vom König abrückte, bald ihm mit einer barschen, sich überhebenden Kopfbewegung erwiderte. Er mochte ahnen, was jeden Augenblick Auffallendes geschehen könnte, und – – was in diesem Augenblicke wirklich geschah.

Lina erhob sich mit stolzer Miene, und verließ mit flüchtiger Verneigung den König in so auffallender Weise, daß in der zuschauenden Gesellschaft eine murmelnde Verwunderung entstand. Ludwig, erschrocken, eilte ihr entgegen, und indem er sie, an der Hand gefaßt, umkehrte, flüsterte er ihr zu:

Um Gotteswillen, Lina, was machst du? Geh', stelle mich dem König vor!

Dies war einer jener Momente rascher Besonnenheit, deren Lina früher einmal gegen Hermann gedacht hatte, und die – wie sie sagte – etwas augenblicklich Ueberwältigendes für ihre Empfindung hatten. Auch jetzt gab sie diesem Zwang nach, und trat mit den erstickenden Worten:

Mein Mann! vor den König, der bereits auch aufgestanden war und ihnen entgegenkam.

Ah! rief Jerôme, jetzt verstehe ich, Madame! Ich begriff nicht, daß Sie so fortlaufen konnten. Aber Sie holen Ihren Gemahl, und es ist zum Entzücken, wie vortrefflich Sie Ihr Costüm durchführen. Sie zeigen uns eine der ehrsamen Frauen aus jener guten alten Zeit, da sich die Verheirathete auf ihr Haus beschränkte, und nicht einsah, daß eine liebenswürdige Frau von Geist und Anmuth Anspruch hat auf die Huldigung der Welt. Empfangen Sie die meinige, Madame! Und Sie, mein lieber Heister, bringen Sie uns eine so entzückende Frau mehr in die große Gesellschaft! Ich werde Ihnen Gelegenheit dazu geben und Stellung. Bon soir! Genießen Sie den schönen Abend! Boucheporn verdient die Anerkennung seines Geschmacks. Und – setzte er deutsch hinzu – Sie, Madame, muß sein mehr lustig!

Lina hatte wol öfter gehört, daß man diesem Jerôme, bei allem Mangel an gediegener Bildung, doch viel natürlichen Scharfsinn und eine gewisse Wohlredenheit nicht absprechen könne. Der Beweis aber, den sie eben davon empfing, war nichts weniger als gemacht, sie in ihrem Gefühl innerlicher Entwürdigung aufzurichten. Ludwig bemerkte, während Jerôme noch sprach, ihre Blässe, ihr Beben, ihre Anstrengung, und führte sie jetzt rasch durch den Saal nach einem innern Zimmer. Und kaum hatte er diesen stillen Raum erreicht, als Lina zusammenbrach. Er hob sie auf einen Lehnsessel, er blickte umher, was er anfangen sollte. Aus dem Saale war Niemand gefolgt. Ein einzelnes, wunderlich aussehendes Paar zeigte sich, und schon eilte auch die Dame mit ihrem Flacon herbei und bemühte sich um die Erschöpfte.

Ludwig erkannte in ihrem zurückgetretenen Begleiter den Baron von Barral, einen der vielen Kammerherren des Königs. Er, der sich auf einige Aehnlichkeit in seiner Gesichtsbildung und Gestalt mit Voltaire etwas zugut that, wollte wol jetzt auch in dem breitschößigen gestickten Rock und der Allongeperücke den Philosophen von Ferney darstellen. Die Dame, mit der er Hand in Hand gegangen war, nicht mehr jung und nichts weniger als hübsch, schien eine Fremde und stellte eine Schäferin vor, mit Schäferhut und Schüppe, mit Blumen und Bändern phantastisch geschmückt.

Der erste dankbare Blick, den Lina, sich erhebend, auf die vor ihr kniende Unbekannte richtete, fiel auf die rosenfarbene Busenschleife der Schäferin und auf ein flatterndes Band mit den darauf gedruckten Worten: Vive la joie!

In diesem Augenblick erschien auch, von dem erwähnten Voltaire benachrichtigt, die Wirthin, Baronin von Boucheporn, mit einem Diener, der Erfrischungen trug. Sie bedauerte den Unfall der lieben Frau, und überredete sie, etwas zu sich zu nehmen.

Lina that desgleichen, wünschte aber, nach Hause zu kehren.

Für diesen Fall finden Sie unten einen bereiten Wagen, sagte die Baronin, so leid es mir thut, Sie so früh gehen zu sehen.

Sie begleitete Lina nach einem stillen Ausgang auf den Corridor und wünschte ihr eine sanfte Nacht.

Das zeitig bestellte Dienstmädchen wartete wirklich schon unten mit den Mänteln, und ein Wagen stand, wahrscheinlich für dergleichen unvermuthete Vorfälle, angespannt.

Mit diesen Eindrücken verließen unsere Freunde das Fest des Hofmarschalls.



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