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Sechstes Buch.


Erstes Capitel.
Eine geheime Post.


Ludwig hatte seinen Ueberzug nach Homberg aus leidenschaftlicher Aufregung, aber auch um des erledigten Amtes willen sehr beschleunigt. Er nahm mit Lina einen vorläufigen Aufenthalt auf seiner benachbarten Besitzung, um von hier aus die Einrichtung der Stadtwohnung zu besorgen. Das Gerichtslocal mit Schreibstube und den Bureaukosten wurden verfassungsmäßig von den Gemeinden gestellt, die zum Canton gehörten, während die Gehalte des Friedensrichters und des Gerichtsschreibers auf den Besoldungsetat der Staatskasse kamen.

Hermann hatte das abziehende Paar auf einige Tage begleitet und seine frühere Stube wieder bezogen. Aber wie verändert gegen früher war alles Andere, – seine eigene und die Lage der Freunde! Und mit welch' andern Empfindungen, als in den letzten Maitagen, kehrte er diesmal nach Cassel zurück! Zwischen jetzt und damals lag der ganze Reichthum einer doppelten Freundschaft, die sich einen lieben Sommer hindurch, gleich einer gefüllten Blume duftend und glänzend, entfaltet hatte. Er fühlte den ganzen Gewinn, darum aber auch das ganze Leid einer dauernden Trennung, wenn auch nur durch eine Entfernung von acht Stunden!

Es war bei seinem Scheiden eine fleißige Correspondenz verabredet worden, und sollte mit dem geheimen Verkehr gehen, der seit kurzem zwischen den zerstreuten Lenkern des Hessenbundes eingerichtet war. Ein Viktualienhandel nach der Residenz deckte diese gefährliche Post; Schubkärrner und Träger waren die Boten, die oft mit ihren franzosenfeindlichen Briefschaften selbst vor dem Hause eines französischen marchand des comestibles hielten. In geheimen Behältern versteckten sich die Papiere und hielten sich selbst vor den diensteifrigsten Gendarmen und verkapptesten Polizeispionen sicher.

Als Hermann zum ersten mal an Lina zu schreiben sich eines späten Abends niedersetzte, stieg ihm so plötzlich und lebhaft eine Erinnerung auf, daß sie den Eindruck einer Erscheinung auf seine Seele machte. Es kam ihm vor, als schwebe Lina durch das Zimmer, wie damals, wo sie ihm die Commode einräumte und den Tapetenschrank anrühmte, der gegen Staub schließe. Hinter jener Tapetenthür, die eben offen stand, war auch das Schattenbild verschwunden. Es war ein Nu innerer Anschauung; aber eine ahnungsvolle Unendlichkeit schien aus diesem Nu zu quellen, wie zuweilen von einer tief unterirdischen Zuckung ein heißer Sprudel zu Tage kommt, und in seinem Innern rief es: Du liebst Lina!

Er stand erschrocken auf und trat sehr bewegt ans Fenster.

Ach! welche schlafengehende Ruhe eines glücklichen Sommers webte im nebeligen Thal, und bettete sich auf den mondhellen Hügeln! Auch die Nachbarschaft und die nahe Restauration war ungewöhnlich still. Nur auf einer der nachbarlichen Altane ward das Violoncello eines vor kurzem dort eingezogenen deutschen Musikers vom Orchester gestimmt. Die herrliche Mondscheinnacht schien ihn zur Melodie des Goethe'schen Liedes zu locken:

Füllest wieder Busch und Thal
Still mit Nebelglanz.

Die Melodie dieser singenden Saiten rief all' die süßen Empfindungen wach, die in den Worten jenes Gedichts schlummern, bis sein Blick wieder ins Zimmer und auf die rein und ruhig flammenden zwei Kerzen fiel, bei denen er schreiben wollte.

Er faßte sich in dem feierlichen Vorsatze, seine Liebe zu hüten, sie mit keinem Worte zu verrathen, um sie nicht zu entweihen, und selbst schon das innige Glück nicht zu zerstören, das in dieser Empfindung für ihn lag, so lange sie ein seliges Geheimniß blieb. Denn es stand ihm lebhaft vor, wie heiter und hingebend schwesterlich Lina mit ihm zu verkehren sich gewöhnt hatte; dies wollte er sich um keinen Preis verderben. Lina mochte seine Liebe, wenn er sie laut werden ließ, theilen oder verwerfen: das ruhig beglückende Verhältniß konnte nicht fortdauern, und seiner Hut entlassen gewann das Bekenntniß eine leidenschaftliche Macht, die sein Herz in unberechenbare Kämpfe und Frevel zu reißen drohte. Nein, schon dies bloße Bekenntniß wäre ein Unrecht, das den Frieden Lina's stören und ihn selbst für immer der vertrauenden Freundschaft Ludwig's unwerth machen würde.

Mit diesem Gelöbniß setzte er sich und schrieb:

»Welche Gottheit soll ich zum Beginn unsers Briefwechsels anrufen, liebe, prächtige Lina? Es hat mich zuerst traurig gestimmt, zu bedenken, daß das ganze, schöne, lebendige Glück, das ich bisher im Umgang mit dir und Ludwig genossen, fortan unter Couvert verkehrt und, ich weiß nicht mit welcher Hoffnung besiegelt, hin- und herschleicht. Und wenn dann wirklich eine Hoffnung das Siegel wäre, – bliebe es nicht auch eine schlimme Vorbedeutung, daß es erst jedesmal gebrochen werden muß, um Das zu erfahren, was dann nur unter vernichteter Hoffnung hervortritt, – gerade all' das Liebe, was so unter dem Butterfäßchen unsers Schubkärrners, in der Kiste für Hülsenfrüchte, oder im Häckerling der Hühnereier hin- und wiederwandert?

»So sind es auch nicht die Meilen allein, Herzens-Lina, die uns trennen, – freilich nicht so rasch zu durchmessen, wie die abschüssige Gasse vom Steinweg bis an die Fuldabrücke: nein, viel trauriger ist es, daß ich jetzt mittels einer Gänsefeder, die aus dem Tintenfasse schöpft, mit dir rede, statt sonst ich mit der Zunge schrieb, unmittelbar ins Herz getaucht.

»Aber – fort mit allen Klagen, Lina-Schwester! Ich habe mir zwei Wachskerzen angeschafft, bei denen ich stets an dich schreiben will, um mich an der ruhigen Lichtflamme, die sich von reinem Blumenwerk der Bienchen nährt, zu erbauen, und mein Herz zu beschämen, wenn es flackern will und dunsten wie ein Talglicht. Auch kommt mir bei meiner heutigen Stimmung das Licht des Vollmonds zugut, das von Homberg her über den Wald in mein Thal hineinfällt. – »Jeden Nachklang fühlt mein Herz froh- und trüber Zeit«, und mich beseligt, fern von euch, aber im Gedanken an dich – »was von Menschen nicht gewußt oder nicht bedacht, durch das Labyrinth der Brust wandelt in der Nacht«.

»Aber – laß mich vom Alten los und zu Neuigkeiten kommen!

»Der König reist morgen nach Erfurt und hat allerlei Gnaden hinterlassen. Er hat meinen verehrten Minister für seine Person und ehelichen Nachkommen in den Grafenstand erhoben, und ich habe der liebenswürdigen neuen Gräfin heut die Hand geküßt. Ihr lieber Blick fiel aber noch mit der alten, nicht hochgeborenen Freundlichkeit auf mich, und wärmte noch in der alten Nähe des edeln Frauenherzens. Jerôme mag gerade bei der nahen Abreise, die Geld kostet, recht lebhaft empfunden haben, was ein solcher Mann werth ist, der ein in Holland durchgefallenes Anlehn im Lande selbst zu Stande bringt. Denn zu Stand wird es kommen, und schnell. Sein Project, das in der Ausführung liegt, findet Beifall, und man wird sich lebhaft betheiligen. Es ist ein glücklicher Griff, der ihn selbst zum Grafen macht.

»Um aber durch diese Auszeichnung die französische Partei nicht vor den Kopf zu stoßen, ist auch der ehemalige Marinecapitän Meyronnet, als Großmarschall des Palastes, zum Grafen Wellingerode erhoben worden. Graf Booch ist Großceremonienmeister geworden. Man glaubt, es sei ihm und der Dame d'Atours damit ein Wink gegeben, daß Jerôme zwischen sich und der Frau Gräfin etwas mehr – Ceremonien in Absicht habe. Auch sollen die falschen Wochen, die sie gehabt hat, eigentlich nur eine falsche Hoffnung gewesen sein.

»Mir selbst ist ein Strich durch die Rechnung geschehen. Der Minister hatte mich zum Inspecteur des économats vorgeschlagen Nicht wahr, das klingt nach etwas oder schallt sogar? Unter économat versteht man die Verwaltung der Güter und Einkünfte von Bisthümern, Abteien, Prioreien, Beneficien in katholischen Ländern. Gesetzlich soll nämlich bei uns in bestimmten Terminen während zehn Jahre die Summe von 500,000 Francs aus jenen Revenuen der katholischen Landestheile Westfalens in die Schuldentilgungskasse fließen. Zur deshalbigen Ueberwachung der Administration jener Güter und Gefälle ist eine Generaldirection bestellt, deren Generalsecretär zugleich zur Inspection der Kirchenstiftungen im Fulda- und Werra-Departement verwendet wird. In den übrigen Departements versehen die Domänendirectoren diese Geschäfte nebenher. Ich würde mir auf diesem Posten ein Pferd gehalten haben, das mich dann auch außer meinen Geschäftsreisen zuweilen nach Homberg, oder auch über Homberg zu meinem Geschäft gebracht hätte. Mein Minister mag diese Gunst im Sinne gehabt haben; wenigstens lächelte er sehr bezüglich dabei, als er seinen Vorschlag mit mir besprach.

»Aber, dieser Bercagny war mein Unglück! Man hatte mich versichert, er trüge mir nichts mehr nach, und er handelte vielleicht auch nicht gerade gegen mich, sondern nur im Interesse seiner französischen Partei. Er war nämlich zu der Cabinetssitzung mitzugezogen, in welcher der Minister auch meine Anstellung antrug. Da brachte er rasch einen Franzosen in Vorschlag, der auch als Katholik geeigneter für diese Geschäfte sei. Herr von Bülow, schon aus Grundsatz gegen die Anstellung von Franzosen in seinem Departement, wußte zwar den empfohlenen Monsieur Berault beiseite zu schieben, fand dafür aber auch räthlich, mit seinem Candidaten auf bessere Gelegenheit zurückzuhalten. Als er mich darüber heiter gefaßt sah, theilte er mir vertraulich mit, wie es mit Bercagny's Widerspruch gekommen sei. Herr von Bülow, wegen seiner Standeserhöhung von der französischen Partei noch übler angesehen, hatte es in einer der letzten Staatsrathssitzungen vollends mit derselben verschüttet. Es wurde nämlich ein Decret zur Hebung der Posteinnahmen berathen. Bülow war gegen Erhöhung besonders der Briefportosätze, und sah sich dadurch im Widerspruche mit dem Generalpostdirector Pothau. Dieser, ein Alltagsmensch und ohne tiefere Einsichten selbst im Postwesen, ist aber ein Schwager des Grafen Fürstenstein, Le Camus, und ein geschmeidiger Intrigant. Er wurde heftig in Vertheidigung seiner Sätze, und Jerôme, vielleicht schon gegen Bülow ein wenig aufgehetzt, fragte endlich ziemlich lebhaft: Reden Sie deutlich, Herr Minister, sind Sie gegen die Administration der Post oder nur gegen den Administrator? – Gegen Beide, Sire! Sie taugen Beide nichts, antwortete Bülow mit lächelnder Unbefangenheit gegen Pothau.

»Hiermit hatte er freilich dem Kalb der französischen Partei ins Auge geschlagen, und über dies Kalb – ist mein Gaul crepirt!

»Wenn dir, liebe Lina, solche casseler Anekdötchen nicht gefallen, so denke, sie seien für Ludwig allein mitgetheilt. Ihn interessiren sie.

»Schließlich sage ihm, über das Nähere wegen Steins Brief hätten wir noch keine Mittheilungen aus Berlin.«

 

Als am andern Morgen Hermann aufs Bureau kam, erfuhr er, daß der König noch nicht nach Erfurt, sondern nur nach Vach gereist sei, um den dort vorüberkommenden Kaiser zu begrüßen.

Wirklich kam Jerôme nach einigen Tagen zurück, und man erfuhr jetzt, daß er den kaiserlichen Bruder empfangen und auf das Schloß des Prinzen von Hessen-Philippsthal gebracht habe.

Hier war ein Detachement der Grenadiergarde im Schloßhof aufgestellt gewesen. Napoleon hatte sie einige Uebungen machen lassen und, mit der Ausführung sehr zufrieden, sich um acht Uhr Abends zum Mittagessen gesetzt, an dem auch der Prinz von Hessen-Philippsthal, freilich der Wirth des Hauses, Theil zu nehmen die Ehre hatte. Darauf war der Kaiser, von Jerôme drei Stunden Wegs begleitet, weiter gen Erfurt geeilt.

Erst am 3. October reiste denn auch der König und die Königin von Napoleonshöhe mit glänzendem Gefolge dahin ab.



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