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Siebentes Buch.


Erstes Capitel.
Verhängnisse der Zukunft.


Die Fastnacht war kaum vorüber, als das mildeste Thauwetter eintrat und den langen harten Winter brach. Laue Westwinde und Regengüsse lösten die Massen Schnees, die über einander lagerten. Fluß und Bäche traten aus; aber die Noth oder Angst ging rasch vorüber, und als die Märzsonne zuletzt aus den zerstreuten Wolken hervorkam, fiel sie auf lachende Wintersaaten. Bald regte es sich in den Feldern, man fing an, die Gärten auszustellen, und Luft und Wolken ließen sich zu einem günstigen Frühjahr an.

Aber noch andere Erwartungen schienen zu treiben und aufzugrünen. Eine unbestimmte Unruhe, ahnungsvoller, geistiger als das Frühjahr sie gewöhnlich für unsere Pulse mit sich bringt, ging durch ganz Deutschland. Wunderbare Gerüchte liefen um, und so ängstlich oder unglaublich sie zuerst herbeikamen, so muthig setzten sie sich bald zu einer öffentlichen Meinung fest. Gar wenige im Volk mochten sich von Dem, um was es galt, eine bestimmte Vorstellung machen; doch Allen drängte sich ein dunkles Gefühl aus, daß ein großer Umschlag des Zustandes in Deutschland bevorstehe. Alles erregte die Gemüther und spannte die Erwartung. Der Frühling, der sich so ruhig und regelmäßig entwickelte, bot diese so seltene Gunst vergebens zu frohathmendem Genuß an: die Menschen waren, auf Begebenheiten gerichtet; die Saaten schienen geborgen, man erwartete Ereignisse, und machte sich auf das Außerordentliche gefaßt, das hinter jeder träumenden Nacht hervorbrechen konnte.

Nur Diejenigen, die um Alles keine Aenderung der Dinge wünschten, wollten hinter dieser dumpfen Regung, hinter diesem – wie sie es nannten – rumeur sourde nichts als die Geschäftigkeit der sich immer mehr verzweigenden geheimen Gesellschaften erkennen, nur bestrebt, durch ausgestreute Gerüchte die Geister zu erbittern, die Gemüther zu verhetzen und so die öffentliche Meinung zu Beförderung thörichter Aufstände zu stimmen.

 

Um diese Zeit, bald nach Mittfasten, versammelte sich eines heitern Nachmittags in einem Eckhause der winkeligen Dorotheengasse der untern Stadt ein halbes Dutzend junger Frauen bei einer Freundin, die vor kurzem ihr erstes Wochenbett glücklich bestanden hatte. Unter dem Schein eines gewöhnlichen Gratulationskaffees versteckte sich eine politische Vorbereitung.

Es waren nämlich lauter Frauen untergeordneter Beamten, – vorsichtiger junger Hessen, die mit ihren Titeln und Emolumenten in der neuen Jerôme'schen Verfassung aufgrünten, und bei einer Umwendung des politischen Bodens von Westfalen entwurzelt zu werden fürchteten. In dieser Besorgniß blieben ihnen die vergnügten Blicke jener ältern casseler Herren nicht unbemerkt, die schon unter dem Kurfürsten ansehnliche Posten innegehabt hatten, und denen man eine geheime Verbindung mit dem alten Herrn selbst unter ihrer Jerôme'schen blauen, weißgeränderten Cocarde zutrauen durfte. Sie erkannten darin eine Bestätigung des dunkeln Gerüchts von der bevorstehenden Rückkehr des Kurfürsten, an die man im Volke mit schweigsamer Zuversicht glaubte. Kaum Einzelne von leicht erregbarem Gemüth liehen in vertrautem Kreise ihrer guten Erwartung ein leises Wort, und nur ein armer Schneider, dessen Verstand mit seiner Nadel stumpf geworden war, ließ es sich nicht nehmen, so oft er von der Polizei auch eingesteckt wurde, immer wieder laut auf offener Straße die Rückkehr des Kurfürsten zu prophezeien. Für diesen, wenn auch glaublichen, doch jetzt noch bedenklichen Fall wollten die jungen Männer sich insgeheim gefaßt halten und eine Anhänglichkeit an den alten Regenten durch ein unzweifelhaftes Anhängsel öffentlich an den Tag legen. Dies freilich nur zur rechten Zeit und mit kluger Vorsicht, daher sie ihre Vorkehrungen den jungen Frauen überließen, die sich eben bei der Freundin versammelten.

Frau Culemann, die glückliche junge Mutter, hatte ihr erstgeborenes Antonchen gewaschen, und ließ es auf der saubern Doppelwindel von Wollen und Leinen, unter welcher der Anfang der aufgerollten Wickelschnur lag, vergnügt zappeln. Sie gab die Aermchen und Bäckchen des lachenden Knäbleins zu betätscheln, und wendete es dann um, damit die Freundinnen auch an Beinchen und Backen sich von dem gesunden Fleisch des kleinen Anton überzeugen konnten. Mit zarten Klappsen auf diesen Theil trug das wackere Bübchen den Beifall, den das Mütterchen für diese Darstellung einerntete.

Da klopfte es bescheiden an die Stubenthür.

Herein!

Und ein hageres, schmächtiges Männchen erschien, spitz von Nase und Kinn, lächelnden Mundes, mit vorliegenden, unruhigen Augen und zierlich gesetzten Füßen. Es hatte einen abgeschabt olivenfarbigen Ueberwurf an, den die Franzosen une redingote rapée de couleur olive genannt hätten.

Der Grüßende trug eine längliche Schachtel unterm Arm und setzte sie auf einen kleinen Tisch, unter welchem er seinen Hut auf den Boden stellte, einen am Rand stark vergriffenen, ehedem schwarzen Filz, der nun ins Röthliche fallend eine verschämte Blödigkeit verrieth, die sich unter dem Tische gut ausnahm.

Der Mann, offenbar ein zurückgekommener Perückenmacher, sprach sehr lebhaft mit einem in Unterwürfigkeit gekleideten Selbstgefühl.

Die Stubenthür wurde jetzt aus Vorsicht verriegelt, und man ging an das Werk.

Es ist Alles fertig bis auf die letzte Umwickelung, sagte der Mann. Haben die geehrten Damen für schwarze Schnur gesorgt?

Ja wol, Herr Poppereh, antwortete eine freundliche Blondine, hier haben wir ein ganzes Stück, von der Frau Chef de Bureauin Sombart für uns Alle angeschafft.

Herr Poppereh nahm das Stück, blickte aber unter dem Aufknüpfen des Bandes die Sprecherin mit schalkhaft lächelnder Miene an, indem er sagte:

Aber, aber, meine liebenswürdige Madame Reutel! Was sagen Sie? Chef de Bureauin? »Chef« ist ja das Hauptwort, und »de Bureau« ist nur die Nebenbezeichnung. Sie müssen, wenn Sie den Titel richtig accomodiren wollen, unmaßgeblich sagen: Chefin de Bureau, oder Bureauchefin. Aber – nichts für ungut! Verzeihen Sie die bescheidene Erinnerung! – – Also diese Sorte haben Sie gewählt? Nun ja, gut! Die Schnur ist recht. Sie wollen Wollen? Ich will sagen, Sie wollen wollene Schnur, kein Floretband nicht?

Mein Mann meint, antwortete die Bureauchefin, es würde dem Kurfürsten als ein Beweis von Sparsamkeit angenehmer in die Augen fallen, wenn die Zöpfe unserer subalternen Männer in Wollenschnur gefaßt wären.

Allerdings, da haben Sie sehr Recht! betheuerte Poppereh. Der Herr waren immer ein absonderlicher Freund vom Einfachen, von einer erübrigenden Oekonomie. Gut also, bon! Nun gilt es die Auswahl der Zöpfe selbst nach Ihrem Geschmack. Sehen Sie, hier haben Sie, was das Herz nur begehren mag!

Er öffnete seine Schachtel und legte Zöpfe verschiedenen Maßes und Haares heraus, – das Nackenhaar zum Anheften oder Umbinden gefaßt, und im Uebrigen fertig gewickelt bis auf das Umlegen der schwarzen Schnur, die Poppereh dem Geschmack und den Auslagen der Damen überlassen hatte.

Nun wählen Sie, meine Damen, sagte er: schmächtig oder dick, lang oder kurz, blond, braun, wie's für Ihre Männer paßt. Gewickelt sind sie für die Ewigkeit, obschon sie vielleicht nur provisorisch angesteckt werden, bis das eigene Haar gewachsen ist. Und beim Himmel! sage ich Ihnen, wenn erst die gute hessische Zeit wiederkehrt, werden die Haare erstaunlich schnell wachsen, wie die Zwiebeln bei gutem Wetter.

Jetzt ging nun das Wählen der jungen Frauen an, und es nahm sich höchst drollig aus, wie diese lächerlichen Dinger, mit solchem Ernst und Eifer geprüft, aus einer in die andere Hand gereicht wurden. Es sah aus, als ob eine Jede an dem Zopf für ihren Mann die Wahl eines Mannes selbst mache.

Derweil rollte Poppereh die Schnur auf, wobei ihm aber die Zunge keinen Augenblick stillstand. Indem er das Kind streichelte und mit der Zunge anschnalzte, sagte er:

Aber, meine verehrte Frau Culemann, Sie wickeln noch Ihren charmanten Kleinen? Wissen Sie nicht, daß die Aerzte nicht mehr für das Wickeln sind?

Mein lieber Herr Poppereh, antwortete die Mutter, ohne aufzublicken, indem sie die widerstrebenden Aermchen unter den Umschlag der Doppelwindel strich und die gestrickte Wickelschnur darumschlug, was wissen denn die Aerzte? Das Wickeln kommt ja eben wieder auf, wie ich sehe. Und mein Tonchen ist ein rechtschaffenes Hessenkind, und die braven Hessen, wissen Sie, müssen gewickelt werden.

Und doch, meine hochgeehrte Frau Culemann, bringen Sie keinen eigentlichen Zopf heraus! neckte Poppereh. Denn, wie Sie da nun eben das Windelwerk über die Rosafüßchen Ihres Kindes hinaufschlagen und überwickeln, wird die Figur breit, und Sie bekommen die wahrhaftige Gestalt eines Haarbeutels.

Ganz recht, Herr Poppereh. Das Antonchen repräsentirt so eine gute alte Zeit, lachte sie, und tänzelte das gewickelte Kind. Sie aber errathen doch schwerlich den Unterschied zwischen so einem lebendigen und einem nur sprüchwörtlichen Haarbeutel. Hm, Herr Poppereh?

Sprüchwörtlicher Haarbeutel? erwiderte er, den rechten Fuß graziös vorgesetzt, und den Finger zum Nachdenken an die Nase gelegt. Nein! Sprüchwörtlicher Haarbeutel? Lebendiger? Unterschied? Errathe nicht! Nein, nicht possibel!

O Sie gescheiter Mann! Sie Diplomat! Nun, so will ich's Ihnen verrathen! Von einem Manne pflegt man doch unter Umständen zu sagen, er habe sich einen Haarbeutel angetrunken: das ist der sprüchwörtliche Haarbeutel; da mein Haarbeutel aber trinkt sich selber an. Nun?

Poppereh wollte sich wälzen vor Lachen.

Parole d'Honneur! rief er, ich submittire mich! Ich habe meine Meisterin gefunden. Erlauben Sie, daß ich die wickelnde Hand küsse, meine hochtheure Frau –. Aber, wo soll ich das beliebte in am Titel Ihres Mannes anbringen – des Herrn Commis d'ordre? D'Orderin? Commisin? Es thut's nicht. Nein! Aber, bei dieser guten Vorbedeutung da –

Er streckte einen Zopf feierlich empor.

Bei diesem Zeichen, geehrte Frau, prophezeie ich und titulire Sie pränumerando – Frau »Registratorin«, künftige »Archivarin«. Parole d'Honneur! Ja, glauben Sie mir, es geht nichts über die alten Zöpfe! Parole de Poppereh!

 

Inzwischen hatten die jungen Frauen ihre Zopfwahl gemacht, und hörten dem Sprecher zu, jede ihren ausgewählten Zopf in der Hand, der mit dem Haarbüschel nach oben, wie eine kleine Kerze aussah, zu der die Andacht auf den höher gerötheten Wangen der sechs Wahlschönen brannte.

Poppereh fuhr mit vielem Nachdruck fort:

Glauben Sie mir, meine Damen, die alten deutschen Titel werden Sie Alle demnächst besser kleiden. Frau Registrator, Frau Secretarius, Frau Probatorin –! Prächtig! Das französische Wesen schlägt deutschen Frauen nicht gut an, und sie finden sich nicht recht hinein. Da ist z. B. eine gewisse Frau Präfecturräthin. Nun ja, der Titel geht noch an: er ist an seiner hintern Hälfte deutsch! Aber unverbesserlich deutsch ist und bleibt die Frau selbst. Ihre Tochter hat doch den jungen Franzosen Giroust zum Anbeter, und er hat ihr ein kostbares Nähekästchen verehrt, ein sogenanntes Necessaire. Auch die Tochter, die sich des Franzosen wegen mit dem Französischen besaßt, nennt es ihr Necessaire. Die Mutter aber thut's nicht anders, und sagt immer, weil es doch zum Nähen bestimmt ist – Nähzessär. Sehen Sie! Nein, das Französische muß bei uns mit Stumpf und Stiel, in Wort und Werk ausgerottet werden. Lassen Sie nur erst die gute hessische Zeit wiederkehren, wo der Kamm und die Brenneischen dieser pariser Windbeutel uns nicht mehr das Brot vor dem Mund wegnehmen, und deutsche Hände den Zopf wickeln, das Sinnbild unserer Anhänglichkeit! Wie will ich mich freuen, wenn ich demnächst mein Schild mit dem kürfürstlichen Wappen über meiner Hausthür erblicke mit der goldenen Umschrift: »Lorenz Poppereh, kürfürstlich-hessischer Hoffriseur!«

Die Frauen lachten, und Frau Culemann, die sich, ihr Kind zu stillen, mit dem Rücken gegen die Gesellschaft gesetzt hatte, sagte:

Doch wieder Friseur? Haarkräusler müssen Sie setzen.

Haarkräusler! erwiderte Poppereh mit verdrießlich wegwerfendem Ton. Ich muß Ihnen sagen, Madame, ich kann mit »Haarkräusler« durchaus nicht sympathisiren. Lieber noch – Perückenmacher.

Freilich, das ist wenigstens halbdeutsch!

Vergebung, ganz, ganz deutsch! Wir schreiben's nur falsch. Wir müßten's mit weichem B schreiben. Es kommt von berücken; weil wir Haarkünstler – Ha, mein Gott, da haben wir's ja! Haarkünstler werde ich auf das Schild setzen – kurfürstlich-hessischer Haarkünstler. Weil wir, wollte ich sagen, durch unsere Arbeit die Welt über einen verschämten Kahlkopf, über eine geheime Glatze täuschen, also berücken. Daher Perückenmacher! Jetzt werden Sie auch begreifen, meine verehrten Damen, daß die Perückenmacher und die Diplomaten in ihrer verschiedenen Richtung doch von einem Princip ausgehen, gewissermaßen eine Union bilden, worin sogar die geschickten Hände der Einen manchen Kopf der Andern in seinen Blößen zu decken haben.

Unter solchem Schwadroniren hatte Poppereh mit der Umständlichkeit eines Mannes, der bei vieler Lebhaftigkeit wenig zu thun hat, die aufgelöste Schnur durch die Länge des Zimmers ziehen lassen, um für die einzelnen Zöpfe das erfoderliche Wickelstück abzumessen und abzuschneiden. Während er sodann mit zierlich gespreizten Fingern einen Zopf nach dem andern wickelte, kam er vom Hundertsten ins Tausendste zu reden.

Wissen Sie schon, daß die Frau von Gersen ganz geheim auch bereits einen Zopf bei mir bestellt hat? fragte er.

Diese Nachricht schien den Frauen unangenehm.

Was? Auch in der Nähe des Hofes hat man schon unsere guten Gedanken –? rief Frau Reutel.

So ist es, meine Damen! Schon in diesen Kreisen glaubt man an den bevorstehenden Umschlag der Dinge. Freilich hat sie ganz im Vertrauen die Bestellung gemacht.

Was aber die Frau für ihren Mann sorgt! rief eine Andere, in ihrem Verdruß sich übereilend. Erst hat sie ihm einen königlich westfälischen Schmuck –

Sie verstummte erröthend. Und Poppereh fiel lachend ein:

O ich verstehe Sie schon, Madamchen. Nun ja, dem königlich Jerôme'schen Schmuck, den Sie meinen, hält nun ein kurhessischer Zopf das Gegengewicht Ha, ha! Das heißt man seinen Mann accomodiren! Aber, fuhr er mit feierlichem Ernste fort, eine frivole Frau ist es! Ja, frivol, sage ich. Denken Sie, was sie mir bei der Bestellung sagte! »Mein guter Mann«, lächelte sie, »gilt in den Augen unserer frommen Hessen nicht für christlich genug; machen Sie ihm einen Zopf, der bis ans Heiligenbein herabreicht.« – – Hier, meine liebenswerthe Chefin de Bureau, haben Sie für Ihren lieben Mann einen Talisman gegen alle Gefahren eines politischen Umschwungs!

Hiermit überreichte Poppereh, mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand gefaßt, den fertigen Zopf, und nahm einen andern vor, indem er weiter sprach:

Indeß, meine Damen, waren jenes nur leichtfertige Worte; es gehen aber bei uns leichtfertige Dinge vor, die noch mehr zu beklagen sind. Komme ich da letzten Sonnabend zu Mademoiselle – – Nein, ich will sie doch nicht nennen! Ihrem Vater selig habe ich alle Perrücken geliefert, und von daher bediene ich auch noch die Tochter bei besondern Gelegenheiten. Sie hat ein admirables Haar, ist überhaupt eine einnehmende Person, halb und halb verlobt mit einem jungen Herrn, der auf eine Stelle wartet, und genießt eines sehr guten Rufs. Denken Sie daher, wie mich Eines überraschen mußte! Während sie sich lesend setzt, daß ich ihr die Locken wickeln soll, sagt sie mir: »Dort, lieber Poppereh, liegen Papierschnitzel!« Ich sehe aber auch ein zierliches französisches Billet daneben, und nehme es an mich, um es hinter ihrem Rücken zu lesen.

Herr Poppereh! rief im Tone verwunderten Vorwurfs Frau Culemann. Schämen Sie sich nicht?

Beste Madame, supponiren Sie keine Unbescheidenheit! betheuerte er. Ich hätte allerdings sagen sollen, um das Billet zu prüfen, ob es auch zu einer Papillote bestimmt sei. Es lautete:

» Si deux Louis et un joli dejeuner Vous peuvent convenir, Mademoiselle – kurz, um es Ihnen deutsch zu sagen: ›Wenn zwei Louisd'or und ein artiges Frühstück Ihnen anstehen, Mademoiselle, so erfreuen Sie mich morgen früh in meiner Gartenwohnung vor dem –‹«

In diesem Augenblick wendet sich Mademoiselle – Soundso nach mir um; rasch drehe ich das Papier zu einem Wickel, und fahre damit in ihre Locken. Aber was sagen Sie? Si deux Louis – ihr Verlobter heißt auch Louis.

Schweigen Sie, Poppereh! gebot Frau Culemann. Was kann ein braves Mädchen gegen einen unverschämten Franzosen?

Wohlgesprochen, liebwerthe Frau Culemann! rief er aus. Das ist es eben! Und es thut mir nichts leid, als daß ich nicht erst noch die Nummer des Gartenhauses – wahrscheinlich vor dem Napoleonshöher Thor – und den Namen des Unverschämten lesen konnte. In Gedanken aber ließ ich mich gegen ihn sehr nachdrücklich aus. Wie, sagte ich ihm, wie können Sie, leichtfertiger, zudringlicher Mensch, sich unterfangen, einer jungen, unbescholtenen Dame, wie Mademoiselle Lademann ist –

Dem plötzlichen Verstummen Poppereh's folgte ein lautes Gelächter der Frauen, das aber nicht wie befriedigte Neubegierde, sondern wie eine Zufriedenheit klang, daß es Niemand Besseres als Mademoiselle Lademann war.

Poppereh aber war so verblüfft und verwirrt, daß er die Schnur verwickelte und den Zopf ganz wieder aufwickeln mußte. Ueberdies klopfte es an die Thür, und Alle griffen zu, die Verhängnisse oder vielmehr Anhängsel der Zukunft in Poppereh's Vorsehungsschachtel zu bergen.



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