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Neuntes Capitel.
Wintervergnügungen.


Solche Betrachtungen, mit soviel Innigkeit ausgesprochen, hinterließen bei Hermann einen andauernden Eindruck, ja vielleicht eine lähmende Nachwirkung. Sie kamen aus dem Munde eines Mannes, den er so hoch hielt, und verriethen gerade aus einem sonst so ängstlichen Munde – als ob ihre Wahrheit Alles überwinden müßte – eine unwiderstehliche Macht der Ueberzeugung. Ueberdies sprachen sie bei Hermann eine Sinnesart an, die überhaupt mehr zur Betrachtung als zur Behandlung des Lebens, mehr zur Reflexion als zur Action neigte.

Einem solchen Sinne widerstrebt natürlich eine zerstörende Thätigkeit noch besonders. Gerade eine solche konnte durch Uebereilung die Besorgniß Müller's rechtfertigen, daß die alte flaue Zeit mit ihren abgenutzten Staatsformen wiederkehren möchte, weil ja dann eine innere, nur innerlich zu Stande kommende Neubildung noch nicht reif geworden wäre. Sollte man sich da nicht lieber bei der Voraussicht beruhigen, daß dies Königreich Westfalen, in sich selbst auseinanderstrebend, beim geringsten Anstoß eines Weltereignisses von selbst zusammenbrechen werde? Wie oft hatte der Freund auch schon diese Ansicht von Andern aussprechen hören! Und wie der Zufall manchmal von der possirlichsten Laune ist, so mußte Hermann gerade heut jenes Schnupftuch von Perkal eingesteckt haben, worauf die Landkarte von Westfalen gedruckt war, und von dem Lina vorausgesagt, es werde sich nicht halten. Und wirklich erschien es auch schon ziemlich ausgewaschen.

Diese heitere Erinnerung zerstreute sein Nachdenken. Und ein lustiger Anblick kam dazu, als er eben über den Ständeplatz nach seiner Wohnung ging. Ein glänzender Jagdzug bewegte sich nämlich von der alten Burg herauf. Es war der König mit Gefolge zu Pferd, die hinauf nach dem Frankfurter Thor ritten, wahrscheinlich ein paar Jagdtage vom Schloß Wabern aus zu halten.

Dem Könige rechts ritt ein stattlicher Herr kraftvollen Aussehens; das gutgebildete Gesicht, von unverkennbarem Gepräge eines katholischen Prälaten, hatte zugleich den Ausdruck jovialer Lebenslust Es war der Fürstbischof von Corvey, Ferdinand Baron von Lüning-Ostwig. Gleich den Jagdoffizieren Jerôme's – wie der Großjägermeister, Graf von Hardenberg, der zur Linken des Königs ritt, wie in zweiter Reihe der Baron Siersdorff, Herr Albert Colignon und Herr von Seebach – trug er, hoch zu Roß, hofmäßiges Jagdcostüm, den Hirschfänger umgeschnallt, gestiefelt und gespornt, und nur durch ein absonderlich geformtes dreieckiges Hütchen ausgezeichnet.

Hermann begriff, daß ein so lebensfroher Prälat sich zum Hof eines jungen, lustigen Königs hingezogen fühlte und öfter einsprach. Er galt denn auch für einen treuen, ehrlichen Anhänger Jerôme's.

Der Freund blickte lange dem glänzenden Zuge nach. Seine Gedanken eilten demselben voraus über Wabern nach Homberg. Dort hatte man ihn bei seinem letzten Besuche zu einer Jagdpartie eingeladen. Er war nie Jagdliebhaber gewesen; aber er hatte jetzt über ein Pferd zu verfügen, und Ludwig besaß zwei vortreffliche Jagdgewehre. Und wie jetzt vor dem Thore die Fanfare lustig erklang, kam eine lebhafte Sehnsucht über ihn, in der sich Jagd und Liebe, Lust und Kampf in wundersamen Phantasien mischten.

 

Der Advent war gekommen; alle Zeichen ließen sich zu einem strengen Winter an, und die trüben Tage, mit Schneewolken umhangen, zogen sich dem Freunde öde und langweilig hin. Sein Geschäft war sehr einfach und ließ ihm manche Zwischenstunde für Lectüre und Studien. Nur die Abendstunden, die er im kleinen vertrauten Kreise der Gräfin Bülow zubrachte – denn in ihren Gemächern versammelte man sich –, galten ihm in seinem dermaligen Zustande für Ziffern, denen gar manche Nullentage nicht nach, sondern vorgesetzt waren, und mithin auch nach der Rechenkunst des Herzens nicht zählten.

Zuweilen erhielt er auf den geheimen Wegen des Tugendbundes Briefe von Luise Reichardt aus Halle. Sie erfrischten ihn durch ihren seelenvollen Inhalt und besonders auch durch Beischlüsse aus dem väterlichen Hause, die jetzt mehr Inhalt brachten, als früher auf dem bedenklichen Wege der Post. Was man ihm über Preußen meldete, war nicht gerade besonders erfreulich, aber es sah doch zuweilen ein wenig nach Hoffnung aus.

Die Franzosen hatten endlich Berlin geräumt, und mit der Rückkehr des Königs erwartete man ein aufathmendes Leben und einen Ausblick auf die Zukunft. Ein tief beklagtes Ereigniß war die Entlassung des Ministers von Stein, die der König mit schwerem Herzen gegeben hatte. War es nicht ein neuer Sieg Napoleon's über Preußen? Der Minister hatte an demselben Tage, an welchem Napoleon seinen siegreichen Einzug in Madrid gehalten, heimlich und in geheimer Richtung Königsberg verlassen. Eine Volkserhebung in Preußen stand noch in weitem Feld.

In Cassel füllte das Theater die düstern Abende aus. Das Ballet war Hermann's Vorliebe nicht. Es regte ihn auf, ohne eine edle Erhebung der Seele zu geben; es erweckte ein sinnliches Verlangen, wo er sich lieber mit einer sanften Sehnsucht des Herzens befriedigt hätte. Doch erhoben sich einige Ballete zu wirklich künstlerischer Leistung, wie Le déserteur, La fille mal gardée, und Le Songe d'Ossian.

Etwas Neues für die höhere Gesellschaft und für den Hof brachte ein Herr von Seckendorf auf seiner Kunstreise mit. Er hatte die Stelle eines Kammerdirectors in Gildburghausen niedergelegt, und reiste unter seinem Schriftstellernamen Patrik Peale auf Declamation und Mimik; wobei ihn die bekannte Madame Hendel unterstützte, die zugleich in Draperien machte und in plastischen Darstellungen sich als Madonna zeigte.

Von etwas scharfschmeckendem Abstich mochten die jetzt wieder beliebten parties fines, die kleinen Orgien, im Schloß und in einzelnen Kreisen der höhern Gesellschaft, ausfallen, wovon unter Vertrauten Manches erzählt wurde.

Ein Witz des Majors Rossi auf einem dieser Abende des zweiten Rangs machte viel Glück unter lustigen Männern, und war eine Zeitlang das Stichwort der Chronique scandaleuse. Hermann hörte davon im Lesecabinet der Buchhandlung Thurneisen. Der Hofbanquier Jordis hatte nämlich einen vertrauten Abend gegeben. Einige der Eingeladenen waren so frei gewesen, ohne Vorwissen des Wirths, soviel Ballettänzerinnen als Gäste kamen dahin zu bestellen. Diese fanden sich des schlechten Wetters wegen alle in schwarzen Strümpfen ein, und führten darin auch ihre Tänze auf. Von welcher Art oder Entbehrung das übrige Costüm dieser Bajaderen gewesen war, brauchte nicht erzählt zu werden, um den kecken Witz des Majors zu verstehen, der auf einmal lachend ausgerufen hatte: »Voilà la grosse cavalerie à bottes d'écuyer!«

 

In den weitern Kreisen der Gesellschaft versprach man sich für die stille Adventszeit eine Entschädigung durch die öffentlichen und durch die geschlossenen Lustbarkeiten des Carnevals. Auch beim Grafen Bülow war eines Abends die Rede davon. Es war nämlich nach einer Idee des Königs die Anordnung getroffen worden, daß ein jeder der Minister während des Carnevals einen Maskenball in seinem Hôtel geben sollte, zu dem der Hof das Büffet liefern würde. Diese Maskenbälle wollte der König, der die öffentlichen Maskenbälle im Theater für seine Person allein besuchte, mit der Königin beehren.

Bülow hätte nun gern etwas Apartes gehabt. Er war schon mit seiner Gemahlin zu Rath gegangen, und sie hatten allerlei Gedanken zusammengebracht. Er hielt aber damit zurück, und foderte Hermann und Provençal auf, sich auf etwas Eigenthümliches zu besinnen und ihm mit einer glücklichen Idee an die Hand zu gehen.

Unter allem solchen wichtigen oder nichtigen Treiben kamen die Christfeiertage heran. Nach einem stark gefallenen Schnee war ungewöhnlich strenge Kälte eingetreten.

Hermann hatte schon vorher einen zehntägigen Urlaub genommen, und freute sich, als endlich der 24. December erschien, mit dessen Anbruch er, in Mantel und Mütze gehüllt, die Füße in den mit Stroh umflochtenen Steigbügeln, frisch und fröhlich gen Homberg trabte.



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