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Zweites Capitel.
Ein Besuch und ein Ausflug.


Dieser Einklang der Herzen, diese gesteigerte Empfindung konnte sich nicht lange auf ihrer reinen Höhe erhalten, ohne – wie alle Stimmungen der Seele – zu Betrachtungen zu führen.

Lina ward sich bald bewußt, daß sie nun ihrem Ludwig das zarte Wohlwollen, das sie für Hermann empfand, ehrlich eingestanden habe. Durch die liebevolle Ausnahme ihres Bekenntnisses fühlte sie sich gegen ihre frühern Zweifel gewissermaßen gerechtfertigt und in ihrer Zuneigung befestigt. Sie durfte ihren Schleiermacher'schen Freund haben und behalten. Ja, daß sie mit ihrem Herzen und für ihr Herz gegen ihren Ludwig Recht behalten, gab ihr unvermerkt einen gewissen weiblichen Stolz. Hermann war ihr noch theuerer geworden, und sie überlegte, was sie – das Räthsel des bedenklichen Briefes beiseite gesetzt – für den Freund zu thun habe.

Sie entschloß sich nach einigen Tagen der Ueberlegung, Cecile doch zu besuchen. Ob eine weibliche Neubegierde dabei war, steht dahin; aber sie hoffte, an Ort und Stelle, wo der Brief aufgenommen worden, vielleicht auch Einiges zu seinem nähern Verständniß zu entdecken.

Sorgfältig, aber nach ihrem Geschmack einfach gekleidet, ging sie zur Mittagszeit nach dem Justizpalast und ließ sich bei Mademoiselle Cecile melden. Der Bediente kündigte sie aber seiner Anweisung gemäß stillschweigend bei der Ministerin an.

Madame Simeon ward etwas betroffen. Sie wußte wol durch Cecile von der Absicht der schönen Frau, zu Besuch zu kommen, und erklärte sich diesen Gang aus dem Verhältniß, das sie, nach ihrem Geschmack, zwischen Lina und dem Doctor voraussetzte. Dies war es aber nicht, was sie so befangen machte. Allein Cecile hatte ihren Brief vermißt, und konnte nach allem Nachsuchen und Nachsinnen nicht über den Gedanken hinauskommen, Hermann müsse ihn entwendet haben. Sie und die vertraute Tante schwebten in der ängstlichen Unruhe, und in dieser Ungewißheit sollte sie den Besuch empfangen. Sie bedachte nicht, daß eine Frau wie Lina unmöglich gekommen sein konnte, jenes Billet auszufechten. Aber sie war gewandt genug, der schönen Frau mit einer Art entgegenzutreten, die diese noch immer für höflich nehmen durfte, mit der sie sich aber nichts vergeben hatte, falls sie sich etwa hinter ihre Würde zurückziehen müßte.

Sie wollen zu meiner Nichte, Madame, sagte sie, aber Cecile ist seit gestern abgereist, und –

Nach Frankreich, Madame? fiel Lina so rasch und mit so unverkennbarer Zufriedenheit ein, daß Frau von Simeon, die eine vergnügte Eifersucht darin erblickte, nicht ohne schalkhaftes Lächeln erwiderte:

Das nicht. Es wäre mir auch leid, das liebe Mädchen zu verlieren. Nein, nur nach Pyrmont. Meine Tochter ist seit dem Frühjahr leidend; Doctor Zadig hat ihr das Eisenwasser von Pyrmont verordnet. Ich konnte sie nicht begleiten, und so hat es Cecile gethan. Sie wird bedauern, um Ihren Besuch zu kommen, Madame. Ich habe mir erlaubt, diese Seltenheit mir zuzuwenden, obgleich Ihre Artigkeit mir nicht zugedacht war.

Lina erwiderte mit einigen höflichen Worten, entschuldigte ihre bisherige Zurückhaltung auf die freundlichen Einladungen der Frau Ministerin, und bedauerte die Abwesenheit der Mademoiselle Cecile, von der ihr Doctor Teutleben soviel Liebenswürdiges erzählt habe.

Wirklich? Hat er das? fragte Madame Simeon mit schlauen Blicken. Wir waren den letzten Abend ein wenig ungehalten über ihn. Ist er nicht etwas verstimmt zu Ihnen gekommen, etwas – nun wie soll ich sagen –? Nicht?

Gar nicht, Madame! antwortete Lina. Wir hatten ihm zum Abschied einige Freunde eingeladen und wurden den Abend noch recht lustig.

So? In der That? Ich dachte, weil er so plötzlich, so – gewissermaßen heimlich fortgeeilt war, gegen meine Verabredung. Ich hatte ihn noch gebeten, mit Cecile in den Salon zu kommen, und versprach mir für meine kleine langweilige Gesellschaft einen artigen Spaß. Cecile hatte ihn nämlich auf ihr Zimmer rufen lassen; sie war in einem Pagenanzug, und wollte, glaub' ich, eine kleine Rolle mit ihm verabreden. O Sie glauben nicht, Madame, welche artigen Talente meine Nichte besitzt, und wie charmant sie in verschiedenen Rollen einen vertrauten Kreis rühren und manchmal auch äffen kann. Hat Ihnen der Doctor nicht gesagt, warum er uns so plötzlich fortgelaufen ist, was ihn etwa –?

Kein Wort, Madame! Er kam heiter, wie gesagt, aber schon etwas spät; die übrigen Gäste waren schon alle da, und das allgemeine Gespräch zog ihn gleich mit sich fort. Er konnte mir nur ganz flüchtig bemerken, daß er mich bei Mademoiselle Cecile angekündigt habe. Den nächsten Morgen ist er abgereist.

Lina brachte dies ziemlich zerstreut vor. Die behutsame, tastende Weise der Ministerin und der erwähnte Pagenanzug, dessen auch in dem Briefe gedacht war, beschäftigten ihre Ueberlegung. Madame Simeon bemerkte es jedoch nicht. Auch sie hatte noch eine hintere Reihe von Gedanken, mit denen sie sich wegen des verschwundenen Briefes beruhigte. Und da sie Marinville erwartete, so machte sie auch, als Lina sich zum Fortgehen erhob, keine Umstände, sie länger aufzuhalten.

 

Wirklich war der Erwartete so nahe, daß ihm Frau Lina auf der Treppe begegnete. Er blieb mit ehrerbietiger Begrüßung stehen, und redete sie an, indem er es beklagte, um einige Augenblicke zu spät zu kommen. – Bei Madame Simeon hätte ich Sie festgehalten, sagte er. Und wissen Sie, daß ich das Zaubermittel dafür besitze? Ich hätte Ihnen erzählt, wie sehr Se. Majestät der König Herrn Ludwig Heister schätzt, – seine Kenntniß der Verhältnisse, seine Gewandtheit in Geschäften, seinen klaren Vortrag, sein feines Urtheil. Ich sehe der ersten Gelegenheit entgegen, wo wir Ihren Herrn Gemahl befördern können. Nicht wahr, davon hätte ich mit Ihnen plaudern dürfen? Und zu meiner Unterhaltung mit der Ministerin hätten Sie uns nach Ihrem Adieu den interessantesten Gegenstand hinterlassen – an der Bewunderung, die wir bereits aus der Ferne für soviel Schönheit und Liebenswürdigkeit gefaßt haben.

Lina war an diesen Ton einer mehr oder weniger feinen Schmeichelei nicht gewöhnt, und in entsprechender Weise zu erwidern nicht geübt. Dies noch weniger vor einem Manne, gegen den sie voraus eingenommen war, und der nun durch seine angenehme Persönlichkeit sie mit ihrer vorgefaßten Meinung in Verlegenheit setzte. Dagegen war ihr von Natur eine graziöse Art verliehen, mit ablehnender Geberde ungläubig zu lächeln. Und so entzog sie sich auch jetzt mit der freundlichen Bemerkung, er werde von der Frau Ministerin bereits erwartet.

Unterwegs hing sie der Betrachtung nach, wieviel mächtiger doch, als der Ruf eines Menschen, die lebendige Gegenwart seiner Persönlichkeit wirke. Sie hielt auch mit dieser Bemerkung gegen Ludwig nicht zurück, als sie ihm ihren Besuch und die Begegnung auf der Treppe erzählte. Ich kann mir denken, sagte sie, daß der auffallende Abstich der liebenswürdigen Erscheinung eines Mannes mit der übeln Nachrede, worin er steht, ihm sogar noch zum Vortheil ausschlagen kann.

O ja, meinte Ludwig: wie eine dunkle Unterlage den Glanz eines durchsichtigen Gegenstandes erhöht.

Auch noch anders, fuhr sie fort; denn solche Menschen von zweideutigem Ruf sind eben wenig durchsichtig. Nein, ich glaube, daß gerade die edelste Regung des menschlichen Herzens solchem Contrast zugut kommt, indem bei persönlicher Liebenswürdigkeit unser gutes Herz einen lebhaften Zweifel gegen das üble Vorurtheil der oft neidischen Welt faßt, und seinen bisherigen Glauben daran durch innigeres Vertrauen auszugleichen sich gedrungen fühlt.

Vortrefflich, Linchen! rief Ludwig lachend aus. Ich sehe wol, du hast über Marinville tief nachgedacht. Wo hast du denn seinen Brief an Cecile? Beiße mir ja nicht zu tief in die Frucht vom Baum der Erkenntniß, Evastöchterchen! Denn ich gehe noch weiter in der Erklärung des Glücks, das solche – Roués bei euerm Geschlecht machen. Das weibliche Herz scheint nämlich über das bloße gute Vertrauen hinaus zu einem Versuch gedrungen, ob denn in der That hinter soviel Liebenswürdigkeit des Mannes auch – etwas Liederlichkeit stecken könnte.

Da bist du wieder einmal auf deinem westfälischen Capitel, sagte Lina halb empfindlich, halb scherzend, und kam auf den erwähnten Brief zurück. Sie hatte ihn bisher an sich behalten. Eine zarte Empfindung für Hermann trieb sie an, das Papier um so sorgfältiger zu verwahren, als er selbst es so unachtsam preisgegeben hatte. Sie glaubte durch ihren Besuch der Lösung des Räthsels etwas näher gekommen zu sein. Nach der Aeußerung der Dame Simeon hatte Hermann diese Cecile in dem Pagenanzuge getroffen, dessen im Briefe gedacht war.

Vermuthlich macht sie ihre Besuche beim König in solchem Anzug, meinte Ludwig. Soviel läßt sich nicht blos aus dem Briefe vermuthen, sondern es entspricht auch ganz dem lustigen Geschmack und den leichtfertigen Intriguen unsers Hofes. Man erzählt ja auch von der reizenden Hofdame, Gräfin Löwen-Weinstein, daß sie den König in Mannskleidern besuche. Wir haben hier immer Carnevalslaune. Hier sind von allen Enden Deutschlands, ich möchte sagen Europas, Proben der feinen Bildung unserer Zeit ausgestellt, – Frauen, die ihren Gang durchs Leben machen, ohne ernstere und tiefere Beziehungen auf Grundsätze der Sittlichkeit oder auf Zwecke höherer Einsicht, die dagegen für alles Schöne, Gefällige, anmuthige Neigung und Befähigung haben. Leicht, gewandt, zu Schelmerei und Neckerei aufgelegt, zu Rollenspiel, Verkleidungen, Vexationen immer geschickt, finden sie hierin ihre Aufgabe, womit sie ohne Bewußtsein von einem Gesammtzweck menschlichen Daseins von Tag zu Tag lustig hinleben.

Ganz recht, Ludwig! rief Lina. Das stimmt zu Dem, was die Simeon an Cecile rühmte und was unsern Hermann wahrscheinlich so für sie eingenommen hat. An diesem Pagenanzuge mag er aber doch irre geworden sein, besonders als das Briefchen dazu kam, und ich errathe, wie's damit gegangen sein mag. Es ist Dienstag 7 Uhr Abends ausgestellt, und kann mithin gerade, wie er dort war, bei Cecile abgegeben worden sein. Vielleicht welchen Eindruck es auf sie machte, der Hermann's Mistrauen erregte, sodaß er es heimlich entwendete. Mitgetheilt kann sie ihm solche Schmach nicht haben; so sentimental ist wol keine Französin, selbst wenn sie schon gestimmt wäre, reumüthig in ihr Magdalenenhaar zu weinen. Soweit scheint's aber bei Cecile noch nicht gekommen zu sein, da sie ja noch im Pagenanzug abbestellt wurde. Und nun wird mir auch klar, warum Madame Simeon so bezüglich fragte, ob Hermann nicht etwas verstimmt zu uns gekommen sei; Cecile hat wahrscheinlich ihren Brief vermißt und ist hinter Hermann's heimlichem Wegeilen, wie es Frau Simeon nannte, auf dieselbe Vermuthung gekommen, auf der ich jetzt selber bin.

Bei Gott, nicht anders, Lina! fiel Ludwig ein. Hermann hat das Billet rasch eingesteckt, konnte es natürlich auf der nächtlichen Straße nicht lesen, vergaß es während unserer Fröhlichkeit, und da er spät und etwas beduselt nach Hause kam, ließ er es im Rock stecken.

Richtig, lieber Mann, so kam es aus der Tasche – vom raschen Einstecken zusammengedrückt!

Ja, Lina! Aus Wuth nach dem Lesen hätte er es schwerlich zusammengeballt und wieder eingesteckt; er hätte es vernichtet, oder zu einem spätern Zweck mit Ueberlegung aufbewahrt. So wären wir denn auf einmal klar!

Wie bin ich nun doch froh, Ludwig, daß ich mich zu dem Besuch überwunden habe! Aber nie soll Hermann das fatale Billet zu sehen bekommen. Ich will ihm – nicht wahr, Ludwig, wir wollen ihm die Beschämung, die Kränkung ersparen, sein Herz einem so unwürdigen Gegenstande hingegeben, sich so getäuscht zu haben?

Nun, Lina, so weit war es vielleicht noch nicht! lächelte Ludwig. Wenn es aber war und dies Volk hatte, wie der Brief vermuthen läßt, Absichten an den Getäuschten: wie können wir ihn sicherer enttäuschen, als durch den Brief, der nirgends einen Zweifel übrig läßt? Denn wenn er den Brief nicht kennt, bleibt zu fürchten, daß er dort wieder anknüpft. Ueberdies, Lina, wenn er ihn wirklich entwendet hat, und wir sollen es ihm nicht für ein Unrecht, für eine Unschicklichkeit anrechnen, so müssen wir es für eine höhere Fügung oder Eingebung gelten lassen, aber auch dazu gebrauchen, – das heißt, ihn zu warnen.

Diese letzte Erinnerung Ludwig's, eben weil sie für ein etwas schwärmerisches Gemüth so schlagend erschien, knüpfte aus den halb entwirrten Fäden des Briefräthsels eine neue Schlinge für Lina's Herz. Es blieb für sie ein stiller Harm, ebenso tief als zart empfunden, daß sie mit dem Briefe dem geliebten Freund eine so beschämende Täuschung aufdecken sollte. Eher hätte sie sich entschließen können, das Papier an Cecile zurückzugeben und sie damit aus Cassel zu vertreiben, oder auf diesem Wege dem lieben Freund zu seiner Rettung das edlere Leid zu bereiten, daß er von einem vermeintlich so liebenswürdigen Geschöpfe verschmäht werde.

 

So gingen die nächsten Tage still vorüber. Von Hermann war ein Bericht an seinen Minister eingelaufen und hatte einen Beischluß für Lina mitgebracht. Sie freute sich an der heitern, witzigen Reisebeschreibung, die der Brief enthielt, noch inniger aber an dem sanften, gerührten Andenken, das sich hindurchzog.

Inzwischen war auch der König mit vertrauter Hofumgebung seit einer Woche im Bade Nenndorf. Er war Tags nach jenem Besuche Lina's bei Madame Simeon dahin abgereist, und Marinville hatte eben damals Abschiedsbesuch gemacht. So oft Lina der freundlichen Mittheilungen gedachte, die ihr der Cabinetssecretär von der günstigen Meinung des Königs für Ludwig und von dessen guten Aussichten im Dienste gemacht hatte, fühlte sie sich gestimmt, dem ihr so arg beschuldigten Manne Vieles zu vergeben. Sie hätte sich – wie man zu sagen pflegt – nicht im Traum einfallen lassen, daß mit solcher unbefangenen Artigkeit ein Netz für sie angeknüpft, eine Versuchung für sie angelegt werden könnte. Sie war daher aufs angenehmste überrascht, als Ludwig eines Mittags zu ganz ungewöhnlicher Stunde, heiter aufgeregt, nach Hause kam und ihr vergnügt zurief:

Willst du mit, Lina? Ich fahre nach Nenndorf.

Du? Nach Nenndorf? fragte sie.

Ja, zu einem mündlichen Vortrag beim König, antwortete er.

Wahrhaftig, Ludwig? erwiderte sie mit stolzer Zufriedenheit. Siehst du, lieber Mann, daß es doch damals nicht blos artig und schmeichelnd von Marinville gemeint war, wie du glaubtest!

Nein, Lina, es war wenigstens damals ernst und ehrlich gemeint. Er ist kurz darauf zu meinem Minister gekommen, ihm zu sagen, daß er in sehr pressanten Angelegenheiten mich gehörig instruirt nach Nenndorf abordnen möchte, um dem Könige mündliche Erläuterung zu geben, falls ihm die schriftlichen Berichte noch Bedenken übrig ließen. Bei der Entfernung des Bades ist nämlich das Hin- und Herschreiben etwas umständlich. Simeon hat mir das in seinem ehrlichen Vertrauen mitgetheilt, als eben jetzt ein solcher Anlaß eingetreten ist. Außer einigen dringenden Geschäftsfragen liegt die Rede des Staatsraths Müller vor, womit der Reichstag in des Königs Abwesenheit geschlossen werden soll. Ueberdies hat der Minister ein Anliegen seines humanen und loyalen Herzens beigefügt. Der Reichstagsabgeordnete Häberlin liegt nämlich auf dem Tode – ein ausgezeichneter Mann von großem Ruf, Professor der Rechte in Helmstädt, berühmt durch seine Schriften, durch öffentliche Geschäfte und durch seine Thätigkeit bei der Reichsdeputation zu Rastadt. Simeon, stets darauf bedacht, seinen leichtsinnigen König vor der Welt in ein günstiges Licht zu stellen, trägt jetzt im voraus darauf an, einen um die deutsche Wissenschaft so verdienten Mann dadurch zu ehren, daß im Falle seines Todes der Witwe desselben, ohne ihr Ansuchen, sofort eine Pension von 1800 Francs bewilligt und eine Staatsunterstützung für das Fortkommen ihrer Kinder zugesagt werde. Der wackere Häberlin ist erst 52 Jahre alt.

Mußt du denn heut noch fort? fragte Lina.

Ja, in ein paar Stunden, denk' ich, und komme deswegen her, damit du dich darnach einrichtest; denn ich hoffe, du entschließest dich mitzugehen. Nenndorf, das ganze schöne Weserthal, ist dir neu, und auf dem Rückwege nehmen wir Pyrmont mit.

 

Für Lina war dies Anerbieten zuerst überraschend. Wenn Ludwig ihr auch nicht leicht ein Vergnügen versagte und nicht selten gestimmt war, ihr einen oder den andern Wunsch aus eigenem Antrieb nahe zu legen, so nahm doch seine Artigkeit nicht leicht eine Richtung, die in die Nähe des Hofes oder zur Verbindung mit der höhern Gesellschaft führte. Denn Ludwig war nicht ohne Eifersucht – man möchte sagen: des Verstandes. Wenn es auch sein Herz nicht beunruhigte, daß Lina ein zärtliches Wohlwollen für einen ihm selbst lieben Freund von zuverlässiger Gesinnung empfand und bekannte, so würde doch jede Bewerbung eines lüsternen Mannes um ihre Gunst, jede Annäherung roher oder raffinirter Leichtfertigkeit als Misachtung ihrer Frauenwürde und als persönliche Beleidigung ihn heftig erregt, und unter Umständen zum Aeußersten geführt haben. Doch an alles Dies dachte er auch jetzt nicht. Es war ja auf keinen Badeaufenthalt, auf keinen Verkehr mit der Gesellschaft abgesehen. Ueberdies kam Mehres zusammen, was ihn heiter und liebenswürdig stimmte. Er fühlte sich in Folge der ärztlichen Behandlung wohler, und durch den ehrenvollen Auftrag in seinem Ehrgeiz befriedigt. Ueberdies hatte die vertrauliche Scene des Einverständnisses mit Lina die gute Nachwirkung, daß er sich zu liebevoller und artiger Bethätigung gegen sie lebhafter gedrungen fühlte.

Lina erkannte diese Stimmung mit inniger Rührung. Sie nahm Ludwig's Vorschlag mit Freude, ja mit einem kindlichen Jubel auf. Daß der Gedanke an Pyrmont und an Cecile, die sie dort zu finden glaubte, auch in Betracht kam, läßt sich denken; doch war ihr Entschluß auch ohne dies gefaßt.

Gut denn! rief Ludwig aus. So mache dich gleich daran, Wäsche und Kleider zusammenzutragen, und zu packen, was wir auf ein paar Tage brauchen. Ich mache mich im Ministerium fertig und bestelle den Wagen. Es wird ein guter Hofwagen mit Extrapost gegeben. Wir essen dann so früh du's anrichten kannst, und fahren noch bis Karlshafen, wo wir übernachten. Der schöne Sommerabend, der frische Morgen, dort im reizenden Winkel zwischen der Weser und der Diemel, sollen uns recht wohl thun und erquicken. Die schroffen Berge werden dir gefallen, die theils grün, theils felsennackt den anmuthigen Ort einfassen. Dann der prächtige Strom, und wenn wir über die schöne Brücke auf die bremer Straße gelangen, von hoch herab das weite, herrliche Thal – o du wirst dich recht freuen, Lina! Wir wollen dieser paar Sommertage recht froh werden. Und wenn Hermann zurückkommt und mit dem Rheinstrome prahlt, kannst du doch auch mit einem respectabeln deutschen Fluß – mit der Weser großthun!



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