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Einundzwanzigstes Kapitel.

Großmüthige Lügen.

Mit der Hoffnung glücklichen Erwachens war Leonie eingeschlafen. Sie dachte, ihr Mann werde durch diese erste Hülfe, die er seiner Familie zu bieten im Begriff stehe, aufgemuntert, nicht mehr in beschämender Unthätigkeit leben wollen. Sie schmeichelte sich, er werde ihr in Erziehung ihrer Kinder beistehen, und diese Hoffnung hatte ihr einen friedlicheren Schlummer bereitet.

Vor sechs Uhr erwachte sie indeß wieder; Karl ist noch nicht zurück. Sie wundert sich über die lange Dauer des Balls. Es ist Tag und schon gehen die Arbeiter an ihr Geschäft. Noch macht sich Leonie keine Sorge und Angst, doch ist ihr Herz beengt: sie öffnet die Thüre, um Karl bälder zu hören, wenn er die Treppe heraufkommt ... Niemand erscheint noch. Endlich läßt sich eine Stimme vernehmen; sie kommt von unten; es spricht Jemand sehr laut im Hof. Es ist nicht Karls Stimme; allein Leonie, verwundert, daß ein Anderer, als ihr Mann so früh in das Haus komme, geht leise ein Stockwerk hinab, dann ein weiteres; es kommt ihr vor, als spräche man von ihrem Gatten; endlich gelangt sie zur Loge des Pförtners.

Braillard ist's, der Diener des Herrn Tigré, welcher, weil seine Herrschaft nicht ins Bett gehen wollte, die ganze Nacht gewacht, und sich bei Anbruch des Tages beeifert hatte, seinem Freunde Bertrand die Vorfälle der Nacht zu erzählen.

»Wie, ist's möglich!« sagte der Portier, »eine solche Geschichte hat sich zugetragen! Ja, ich bin sicher, das kommt noch weiter als vor das Zuchtpolizeigericht! ... Eine Frau heirathen wollen, wenn man schon im Unvermögen einer andern ist; ich glaube, das nennt man Polygram! – Richtig, der Bräutigam war ein Polygram! das schrie auch die ganze Familie, indem man zu meinem Herrn sagte, er solle ihn vor den Tribunalen verfolgen! Ach, mein armer Braillard, welche Verwirrung mußte das bei euch verursachen! – Wir sind Alle krank davon ... Fräulein Flora war am schlimmsten, denn sie betete diesen Falschen an! ... diesen Polygram von Mongérand! ... sie war närrisch in ihn verliebt.«

»Mongérand!« spricht Leonie bebend bei sich selbst; »mein Gott! Mongérand sagt er!«

»Durch diese Geschichte muß euer Ball traurig ausgefallen sein. – Nun, Anfangs ging es recht gut ... die ganze Familie tanzte! Der Lyoner Herr, der diesen Mongérand kannte, kam erst sehr spät. – Und wäret ihr mit dem Geiger aus diesem Hause, den ich euch zuschickte, zufrieden? – Ah! weil gerade von dem Geiger die Rede ist! ... ich habe Dir noch nicht Alles erzählt! ... der ist, wie es scheint, auch ein sauberer Bursche! Stell Dir vor, er kannte den Andern! ... war der Mitschuldige unseres Heirathers. – Bah! wahrhaftig? – Ja, Bertrand, sie waren im Einverständniß! der Andere nannte ihn La Valeur. So daß, als man ihn zur Thüre Hinaustreiben wollte, Dein Lumpenkerl von einem Musiker Mongérand zu Hülfe kam; sie haben dem Herrn Cäsar, dem Oheim des Fräuleins, die Nase zerschlagen. O! Du kannst Dir wohl denken, daß man sie nun nicht mehr schonte; sie wurden tüchtig durchgewalkt! halbtodt auf der Straße gelassen!«

Ein Jammerschrei unterbrach hier Braillards Erzählung; Leonie war es, welche bewußtlos vor der Loge des Pförtners niedersank.

»Ach! mein Gott!« sagte Bertrand, als er Leonien erkannte, »die Frau des Musikanten ... sie hat Dich vielleicht gehört! ... die arme Frau!«

Ehe der Pförtner und Braillard Hülfe zu holen sich entschlossen, hatte Justin seine Nachbarin gefaßt und sie in seinen Armen aufgerichtet; er hatte sie aus ihrem Zimmer gehen hören und war ihr einige Augenblicke nachher gefolgt. Er wendet Alles an, Leonie wieder ins Leben zurückzurufen; sie hört ihn nicht; erschreckende Blässe ist über ihr Gesicht ausgegossen.

»Gehen Sie, Herr Bertrand, holen Sie einen Arzt, Hülfe,« ruft Justin aus, »beeilen Sie sich, ich trage sie unterdessen in ihr Zimmer zurück! – Aber, mein Herr! ... weil ... wenn ... – Ich bezahle Ihre Bemühung ... zahle die Aerzte ... stehe für Alles ... Aber so gehen Sie doch!«

Der Thürhüter entschließt sich, er geht: Justin kehrt, Leonie in den Armen haltend, in den fünften Stock zurück, trägt sie in ihr Zimmer auf ihr Bett; noch immer ist sie in demselben Zustande, Justin weiß nicht, was er machen soll, er verzweifelt, weint, denn er glaubt, Leonie werde sterben. Er wirft sich vor ihr auf die Kniee, er nimmt ihre starren Hände, um sie in den seinigen zu erwärmen. »Ach! sterben Sie nicht, Madame, stotterte er, sterben Sie nicht! der Himmel wird nicht erlauben, daß Sie fortwährend unglücklich sind.«

Nur ein feines Stimmchen gibt Justin Antwort, es ist die des kleinen, so eben erwachten Felix, welcher ächzt und zu trinken begehrt; eine lebhafte Röthe färbt die Wangen des Kindes, dessen Athemholen kurz und unterdrückt ist. Justin weiß nicht, was er ihm geben soll, er läuft von dem Kinde zur Mutter, öffnet die Schränke, sucht Zucker, will Feuer anzünden, es gelingt ihm nicht, und er geräth außer sich. Endlich kommt der Pförtner mit dem Arzt herbei. Der Doktor läßt Leonien zur Ader; sie kommt wieder zu sich, aber nur um in ein entsetzliches Delirium zu verfallen; sie ruft ihren Mann, glaubt ihn ermordet zu sehen, und klagt Mongérand der Schuld aller ihrer Leiden an. Der Arzt erklärt, daß man bei ihr wachen müsse, so lange dieser Zustand daure, und Justin schwört, sie nicht zu verlassen. Hierauf untersucht der Arzt den kleinen Felix, er findet starkes Fieber bei ihm und schreibt seine Rezepte; inzwischen war Justin in seinem Zimmer gewesen und drückte dem Arzt beim Zurückkommen ein Goldstück in die Hand, indem er ihn beschwor, Leonien zu retten. Dieser beruhigte ihn, verspricht der Kranken alle Sorgfalt zu widmen, und legt im Weggehen das Goldstück, welches Justin ihn anzunehmen genöthigt hatte, flüchtig wieder auf den Stuhl; der Pförtner, dem Justin Geld gegeben, trug die Rezepte in die Apotheke. Jetzt ist Justin genöthigt, die inzwischen erwachte Laura zu trösten, welche bitterlich weint, weil ihre Mutter sie nicht erkennt.

»Beruhigen Sie sich, liebe Kleine,« sagt Justin, »Ihre Mutter wird nicht immer so grausenvolle Zornreden haben; unsere Sorgfalt, die des Arztes, werden ihr die Gesundheit wieder geben! Weinen Sie nicht mehr, denn Sie würden sich ebenfalls krank machen und könnten Ihre Mama nicht mehr pflegen.«

Dieser Grund leuchtete Laura ein, sie trocknete ihre Thränen. »Das ist wahr, Herr Justin!« murmelte sie, »ich darf mich nicht kindisch zeigen! ... Nur bei Nacht werde ich noch weinen! ... wenn Mama schläft ... Aber wo ist denn mein Papa?«

Justin weiß nicht, was er antworten soll, als Jemand in die Mansarde tritt. Es ist Karl, der jetzt erst aus dem Wirthshause, wo er mit Mongérand die Nacht zugebracht hat, nach Hause kommt, und dessen Augen, kleiner als gewöhnlich, nicht verkünden, daß Mäßigkeit in dieser Nacht seine Begleiterin gewesen.

Mit dem Fidelbogen in der Hand ist er ins Zimmer getreten; verwundert bleibt er stehen, wie er Justin am Bette sitzend und die kleine Laura neben ihm weinend erblickt. »Was gibt es denn?« ruft er mit einer Stimme, die er imposant machen möchte.

Justin steht auf, führt ihn zum Bett, zeigt ihm seine Frau, welche irre Blicke um sich her wirft, und spricht dann: »Sie hielt Sie für todt! ... ermordet! ... Seit gestern kamen Sie nicht nach Hause! ... Sehen Sie, mein Herr, in welchem Zustand Sie Ihre Frau und Ihren Kleinen wieder finden!«

Karl betrachtet seine Frau, seinen Sohn; eine plötzliche Veränderung geht in allen seinen Gesichtszügen vor; er fährt mit der Hand über die Stirne, indem er murmelt: »Leonie! ... meine Gattin! ... sie hört mich nicht mehr! ... Verfluchte Nacht!! ... Ja! ich bin ein Unglückseliger! ... ein Elender! ... Adieu, adieu, Laura!«

»Wo wollen Sie hin, mein Herr? – Mich in den Kanal stürzen, das ist das Beste, was ich jetzt thun kann! – Sich das Leben nehmen! ... Ha! mein Herr! darin liegt also Ihr ganzer Muth! ... Nachdem Sie Frau und Kinder in diese traurige Lage gebracht, wollen Sie dieselben verlassen, statt sich Mühe zu geben, sie glücklicher zu machen! ... Nein, mein Herr, nein, so darf sich ein Ehrenmann ... ein Familienvater nicht aufführen! ... Wird Ihr Tod Ihren Kindern Brod geben?«

»Sie haben Recht, Herr Justin; Sie sind ein wackerer junger Mann! Ich war abermals im Begriff, eine Thorheit zu begehen ... doch ich hätte mich wohl noch umgesehen, ehe ich ins Wasser gesprungen wäre; es war noch Folge meiner Trunkenheit. Ach! ich fange an, mich zu erholen ... Wer konnte meine Frau so Erschrecken? ... Ich bin diese Nacht nicht zurückgekommen! allein der Ball, zu dem ich gegangen war, konnte bis Tag währen! Zwar gab es eine Scene ... man prügelte sich ein wenig ... doch das ist nicht meine Schuld! ... Mongérand nahm mich dann zum Nachtessen mit zu einem Traiteur ... Während des Gesprächs schliefen wir ein: da mich Leonie auf dem Ball glauben mußte, sah ich nichts Unrechtes darin, die Nacht bei Tische zuzubringen. Was mich diesen Morgen beim Nachhausegehen schmerzte, war, daß ich meine Violine, die bei der Schlacht zu Grunde gegangen, nicht mehr besaß, und meiner Frau das Geld, das ich gestern zu verdienen hoffte, nicht bringen konnte.

»Das möge Ihnen keinen Kummer machen, mein Herr; ich habe einige Ersparnisse, die ich meiner Arbeit zu verdanken habe, erlauben Sie mir, alle durch die Krankheit Ihrer Gemahlin und Ihres Sohnes veranlaßten Ausgaben auf mich zu nehmen ... Ihnen zu leihen, was Sie bedürfen; sowie Sie können, geben Sie mir's wieder. – Ich weiß nicht, Herr Justin, wie ich es erkennen soll! ... Ach! diesen Dienst werde ich nie vergessen ... eines Tages hoffe ich vergelten zu können ... – Sprechen wir nicht davon; meine einzige Bitte an Sie, mein Herr, besteht für jetzt darin, daß Sie, wenn Madame ihre Geisteskräfte wieder erlangt hat, ihr von diesem geringen Dienst, den ich Ihnen leiste, nichts sagen, lassen Sie ihr den Glauben, daß Sie durch Ihre Arbeit einiges Geld verdienen, Sie wird vergnügter darüber sein, und mich wird es nicht minder glücklich machen, Sie verbinden zu können.«

Karl drückt Justin die Hand und murmelt: »Sie sind besser gegen mich als alle meine Freunde! Was Mongérand betrifft, so war ich sehr böse auf ihn ... allein er versicherte mich, ich habe sehr Unrecht, ihm zu zürnen. – Nach einigen Worten indeß, welche dem Pförtner und einem bei ihm unten gewesenen Manne entschlüpften ... glaube ich, daß dieser Herr Mongérand Schuld an den Begebenheiten dieser Nacht war ... – Still! wenn meine Frau hörte. – Sie weiß Alles, und das eben hat sie in diesen Zustand versetzt. – Da wird sie gegen Mongérand noch weit aufgebrachter sein ... und er schwur mir, nur um mich zu entschädigen, habe er sich zum Bräutigam von Fräulein Tigré gemacht ... Wenn Sie ihn kennten, ich versichere Sie, man vermag nicht, ihm lange zu zürnen ... er will sich durchaus mit meiner Frau aussöhnen ... darum ist er unten und wartet, bis ich ihm herauf rufe? – Ach! mein Herr, aus Mitleid für Ihre Frau Gemahlin thun Sie das nicht! in diesem Augenblicke ist sie etwas ruhiger, würde sie jedoch die Stimme desjenigen vernehmen, dessen Anblick ihr verhaßt ist, so könnte es ihr bedeutend nachtheilig werden! – Sie glauben? ...«

»Ja, Papa,« fällt die kleine Laura, sich an ihren Vater anschmiegend, ein. »Mama sagte, sie wäre sehr unglücklich, wenn Herr Mongérand wieder hieher käme. – Gut denn! in diesem Fall will ich ihm sagen, er solle fortgehen.«

Karl ist im Begriff aufzustehen, als man die Thüre öffnet und Mongérand den Kopf ins Zimmer streckt, indem er sagt: »Nun, Donnerwetter! Du ließest mich da im Hofe stehen, um die Zeit der Syringenblüte abzuwarten! ... wo ist Deine Frau, daß ich mich mit ihr aussöhne? ... ich lebe gerne mit Jedermann im Frieden.«

Karl geht Mongérand entgegen, wobei er ihm mit Zeichen bedeutet, er solle schweigen, Justin runzelt die Stirne und zieht die Vorhänge des Krankenbettes sorgfältig über einander.

»Was gibt's denn hier?« fährt Mongérand fort, »spricht man hier nur durch Pantomimen? – Meine Frau ist sehr krank ... sie hat, wie, weiß ich nicht, die Begebenheiten dieser Nacht erfahren ... sie glaubte mich ermordet ... jetzt hat sie das hitzige Fieber und redet irre ... – Kleinigkeit! ... ich hatte das fünf oder sechs Mal! ... man muß sie schwitzen lassen! – Mein Sohn ... mein kleiner Felix ist gleichfalls krank geworden! ... Alles stürmt auf einmal über mich her! ... – Eine Kinderkrankheit! ... morgen denkt er nicht mehr daran. Mein Freund, wenn man Talent hat, wenn man so fertig auf der Violine ist, wie Du, darf man der Zukunft wegen nicht besorgt sein ... Du hast Dein Vermögen in Deinen Fingern. Stellen Sie sich vor, mein Herr, er spielte heute Nacht die Violine wie ein Türke! ... – Aber ich habe keine Violine mehr, denn Du zerschlugst sie im Handgemenge ... – Das ist wahr! ... Was willst Du? Eine Bewegung des Zorns, sonst hatte ich nichts bei der Hand ... – Du versprachst mir eine andere ... – Ja, ich versprach Dir's ... ich erinnere mich ... aber diese Nacht haben wir den ganzen Rest meines Geldbeutels aufgezehrt ... Seit einiger Zeit lebte ich wie der Vogel im Hanfsamen ... die kleine Pelzhändlerin überhäufte mich mit süßen Geschenken ... und nun will meine Frau in Lyon nicht gestorben sein! ... Das ist niederträchtig von ihr! ...«

Mit diesen Worten greift Mongérand nach einem Stuhl und will sich setzen, als er das Zwanzig-Frankenstück, welches der Arzt zurückgelassen und das noch von Niemand gesehen worden war, unter sich bemerkt.

»Wie willst Du mir eine Violine verschaffen, wenn Du kein Geld mehr hast?« fragt Karl; »und doch habe ich keine andere Hülfsquelle mehr, um etwas zu verdienen ... wir sind gerade in der Jahrszeit der Bälle ... ich würde Beschäftigung gefunden haben.«

»Wer hindert Dich unterdessen selbst eine zu kaufen?« entgegnet Mongerand, das Goldstück zeigend. »Es scheint, daß Du nicht so genirt bist, als Dir zu sagen beliebt, da Goldfüchse in Deinem Zimmer herumspringen.«

Karl ist ganz erstaunt: »Gold! das gehört nicht mein ... ist dieses Stück Ihnen, Herr Justin?«

»Nein, mein Herr,« versetzt der junge Arbeiter, etwas verlegen, »ich weiß nicht, was Sie sagen wollen.«

»Dann wird's aus meiner Tasche gefallen sein,« sagt Mongérand; ein Ueberbleibsel meines Glücks, das ich nicht mehr in meinem Besitz glaubte; es soll mir zum Ankauf einer Geige für Dich dienen ... Komm mit mir, ich kenne einen Musiker von den Funambules, der immer welche zum Verkaufe hat ... es wäre sogar möglich, daß er Dir eine Stelle bei seinem Theater ... im Orchester verschaffte ... das wäre hübsch ... komm ... – Nein, ich weiche nicht von meiner Frau, so lange sie in diesem Zustande ist. – Dann gehe ich allein, diesen Abend hast Du Deine Sache.«

Mongérand schiebt das Goldstück in seine Tasche, gibt Laura einen leichten Schlag auf die Wange, klopft Karl auf die Schulter und entfernt sich mit den Worten: »Ich kaufe Dir einen Stradivarius! ...«

»Herr Karl,« sagt Justin, »wenn Ihnen daran liegt, Ihre Frau der Gesundheit wieder geschenkt zu sehen, so lassen Sie diesen Menschen Ihre Wohnung nie wieder betreten ... Hier ... sehen Sie ... sie ist aufgeregter ... man möchte sagen, die Stimme dieses Herrn Mongérand verdoppele ihr Uebel.«

»Wohlan denn,« sagte Karl traurig, nach seiner Frau blickend, »ich will dem Pförtner sagen, er solle Mongérand nicht mehr herauf lassen ... nachdem er mir jedenfalls die Violine gebracht hat.«

Der Tag verstreicht; Leoniens Zustand ist fortwährend eine gänzliche Ermattung, während welcher sie ihrer Geistesfähigkeiten beraubt scheint; diese Abspannung wird nur durch erschreckende Anfälle von Irrereden unterbrochen. Justin verdoppelt seine Sorgfalt und seinen Eifer; er sorgt für Alles, sieht selbst nach, wessen man bedarf, und findet dabei noch Zeit, Laura zu trösten und den Muth ihres Vaters wieder aufzurichten.

Am Abend übergibt Mongérand dem Pförtner eine Violine, die wohl sechs Franken werth ist. Der dem Herrn Bertrand ertheilte Auftrag war überflüssig: Mongérand hat keine Lust, in ein Haus zu gehen, wo man leise sprechen muß.

Der Arzt kam wieder, und findet den kleinen Felix übler, er fürchtet eine Hirnentzündung, welche das zarte Alter nur schwer erträgt. Er wünschte, seine Wiege möchte nicht in dem gleichen Zimmer mit dem Bett der Mutter stehen, damit das Kind eine gesündere Luft einathme. Justin erbietet sich, den Kleinen in das seinige zu tragen, und der Arzt stimmt diesem Vorhaben bei; man sieht, er leidet dabei, die beiden Kranken an einer so elenden Stätte zu finden.

Die Wiege des Knäbchens ist von Justin in seine Wohnung getragen; um jedoch bei dem Kinde zu wachen, muß er sich von der Mutter entfernen. Zwar ist Leoniens Gatte gegenwärtig und doch kostet es Justin viele Ueberwindung; endlich bedenkt er, daß er, über das Kind wachend, der armen Mutter dennoch nützlich sei, und nimmt sich vor, sich die Nacht hindurch mehr als einmal nach ihrem Zustand zu erkundigen.

Wie lang ist sie, diese Nacht des Wachens und der bangen Besorgniß; nur mit Mühe konnte man Laura zum Niederlegen bringen; auch sie wollte bei ihrer Mutter wachen, immer noch in der Hoffnung, ein Wort, einen Blick von ihr zu erlangen, von ihr erkannt zu werden. Die Nacht bringt keine Veränderung bei Leonien hervor, während der Zustand ihres Sohnes beängstigender wird. Die Hirnentzündung ist ausgebrochen, und mit dem Erscheinen der Morgenröthe ging Justin, den Arzt zu holen; dieser verschwendet alle Hülfsmittel seiner Kunst an das Kind, scheint jedoch wenig Hoffnung darauf zu bauen. »Arme Mutter,« sagte er, »vielleicht ist's ein Glück, daß sie nichts von dem sieht, was um sie her vorgeht.«

Karl wiegt sich beständig in Hoffnungen, er kann nicht glauben, daß sein Kind in Gefahr schwebe. Da ihm beifiel, daß einer von seinen Kaffeehausfreunden Zähne auszog und die Arzneikunde ausübte, so will er diesen sprechen, ihm den Zustand seiner Frau und seines Sohnes schildern und seine Meinung einholen; gegen Abend geht er aus, läßt Laura bei ihrer Mutter zurück, und Justin, der sich zwischen ihn und seinem Sohne theilt.

Zwei Stunden sind seit Karls Weggang verflossen, der kleine Felix befindet sich übler; Justin verzweifelt; er möchte Jemand bei sich haben; wen kann man aber in diesem Hause rufen? Der Pförtner will seine Loge nicht verlassen und Madame Rozat erklärte, sie trete niemals bei kranken Leuten ein.

»Dieses Kind befindet sich sehr schlecht,« spricht Justin bei sich, »vielleicht wird eine Krisis eintreten? wäre vielleicht eine mir unbekannte Hülfe möglich? ... Doch in der Straße wohnt ein Apotheker ... holen wir ihn ... ich bitte ihn so inständig, daß er schon darein willigt, mich zu begleiten.«

Der junge Arbeiter geht aus seinem Zimmer in das Karls. Laura befindet sich bei ihrer Mutter, welche seit dem Morgen ruhiger ist und endlich sich einem Schlafe zu überlassen scheint. Justin winkt der Kleinen zu sich her.

»Ihr Bruder ist schlimmer, meine arme Laura; ich will nach Jemand sehen und ihn herführen ... können Sie einige Augenblicke bei ihm bleiben? – O! ja, Herr Justin, denn bei Mama geht's besser; ich glaube, sie schläft ... Gerne will ich meines Bruders warten ... und ihm eine Geschichte erzählen ... zu seiner Unterhaltung. – Ach! er wird Sie nicht verstehen, liebes Kind, doch ich will mich beeilen ... kommen Sie!«

Laura tritt in Justins Gemach, setzt sich neben die Wiege ihres Bruders, dessen Fieberhitze sie erschreckt. »Was muß man ihm geben?« fragt sie. – »Er will nichts nehmen ... wachen Sie nur über ihn ... – Ja, mein Herr, und dann will ich den lieben Gott bitten, daß er meinem Bruder und Mama die Gesundheit wieder schenkt. – Ja, bitten Sie ihn, arme Kleine! ... wessen Gebete sollte er denn erhören, wenn er für die eines Kindes taub bliebe! ...«

Eiligst geht Justin die Treppe hinab und begibt sich zum nächsten Apotheker; allein der Herr ist abwesend, und die Gehülfen können nicht ausgehen, überdies würden sie ohne Beistimmung eines Arztes nichts zu verordnen wagen. Justin läuft zu mehreren andern, bis er einen zum Mitgehen bewegt; allein die Zeit verstreicht, ehe man bereit ist, zu folgen; endlich bricht man auf. An der Thüre seiner Wohnung trifft Justin auf Karl, der ebenfalls nach Hause kam, ohne den Freund, den er um Rath fragen wollte, getroffen zu haben. Eilfertig geht man hinauf; als man in Justins Wohnung tritt, kommt die kleine Laura ihnen behutsam entgegen und sagt mit leiser Stimme: »Macht kein Geräusch! mein Bruder rührt sich gar nicht mehr. Auch er ist eingeschlafen.«

Karl eilt zu dem Bette seines Kindes; Justins Befürchtungen waren gegründet, der kleine Felix war nicht mehr.

Ein Schmerzenslaut entfährt der armen Laura bei der Aeußerung, ihr Bruder sei gestorben; Justin nimmt und preßt sie in seine Arme, indem er zu ihr sagt: »Liebes Kind, aus Mitleid für Ihre Mutter, mäßigen Sie Ihren Schmerz, hüten Sie sich wohl, ihr zu sagen, daß ihr Bruder nicht mehr ist; denn alsdann würde auch sie sterben. Und Sie, Herr Karl, kommen Sie ... entfernen Sie sich von diesem, Ihr Herz zerfleischenden Schauspiel ... Kommen Sie zu Ihrer Gattin, die Ihnen bleibt; bemühen wir uns, wenigstens ihr das Leben zu erhalten, und verhehlen wir ihr insbesondere das Unglück, das sie so eben betroffen hat!«

Von Schmerz gebeugt, läßt sich Karl, ohne ein Wort zu sprechen, von Justin fortführen. Den Kopf in seinen Händen bergend, setzt er sich vor Leoniens Bett. Der kleinen Laura flüstert Justin leise zu: Gehen Sie zu Ihrem Vater, küssen Sie ihn ... verlassen Sie ihn nicht mehr, Ihre Liebkosungen mögen ihn erinnern, daß er noch nicht Alles verlor.«

Nachdem Justin dem armen Kleinen alle Sorgfalt hatte angedeihen lassen, befaßt er sich auch noch mit den traurigen, durch seinen Tod veranlaßten Einzelnheiten. Als Belohnung seiner Bemühungen bittet der junge Arbeiter den Himmel um Leoniens Rettung; der stärkende Schlummer, in den sie verfallen ist, scheint dem Arzt von guter Vorbedeutung; er ist der Ansicht, mit dem Erwachen werde auch ihr Bewußtsein wiedergekehrt sein.

»Und was werden wir antworten,« sagte Karl, »wenn sie uns nach ihrem Sohne fragt?«

»Wir sagen, der Arzt, welcher Madame behandelt, habe gefunden, daß ihr Sohn sich in üblen Umständen befinde, und gerathen, ihn die Landluft einathmen zu lassen ... ich aber hätte eine Tante, welche vier Stunden von hier in Gagny wohne, zu dieser nun, wo man seiner sorgsam warte, hätte ich ihn gebracht. Ohne Zweifel muß Ihre Frau eines Tages die traurige Wahrheit vernehmen, doch warten wir wenigstens, bis sie hinlängliche Kräfte zur Ertragung ihres Unglücks erlangt hat; ich bin der Meinung, man dürfe sich nie beeilen, dasjenige mitzutheilen, was Kummer verursachen müsse! wir ziehen den Arzt mit ins Spiel, damit er uns nicht Lügen straft. Billigen Sie das von mir Ausgedachte, mein Herr?«

»Ja,« entgegnete Karl, »verbergen wir ihr den Tod ihres Sohnes, so gut wir können! ... Laura, Du hast wohl verstanden, mein Töchterchen ... man sagt, Dein Bruder sei auf dem Lande! ... Herr Justin habe ihn dahin gebracht.«

»O! ja, Papa! ... sei unbesorgt, ich werde nichts sagen, was Mama nachtheilig sein könnte!«

Acht Stunden nach diesem Gespräch erwacht Leonie aus dem langen Schlummer, der das verzehrende Fieber von ihr nahm. Unruhig liefen ihre Augen im Zimmer umher und fielen auf ihren Mann und ihre Tochter, und das Lächeln erscheint wieder auf ihren Lippen, sie streckt ihnen die Arme entgegen; Mann und Tochter eilen, sie zu umarmen.

»Ach! nicht wahr, ich bin sehr krank gewesen?« murmelte sie mit schwacher Stimme: »ich glaubte Dich ermordet, Karl! ... das war ein Traum.«

»Wenigstens eine von dem Dummkopf von Portier ganz entstellte Geschichte! ... Es gab wohl einen Streit ... der mich aber nichts anging! ... Du siehst, ich bin unverletzt! ...«

»Ah! Du bist's, liebe Laura! ... und Herr Justin ist auch da! ... – Ja, seit Du krank bist, ist er nicht von uns gewichen, hat keinen Augenblick Ruhe genossen ... – Der gute junge Mann! ... von ihm wundert's mich nicht! ... Aber mein Felix? ... wo ist denn mein Sohn? Ich fühlte doch, daß mir etwas fehlte!«

»Meine liebe Leonie,« nimmt Karl das Wort, indem er sich bemüht, nicht bewegt zu erscheinen, »ich hoffe, Du wirst mein Thun billigen: unser Sohn war etwas leidend, der Arzt behauptete, er bedürfe der Landluft; Herr Justin hat eine Tante in Gagny, er erbot sich, ihr unser Kind anzuvertrauen und ...«

»O mein Kind! ... Ihr habt mir meinen Sohn genommen? ...« rief Leonie voll Schmerz aus.

»Madame,« fiel Justin ein, »bedenken Sie, daß es zur Wiedererlangung seiner Gesundheit geschah ... – Sind Sie aber sicher, daß man seiner pflegt? ... wird man ihn bei Ihrer Tante lieben? – Ja, Madame, ich gebe Ihnen mein Wort! ... – Ist es weit? – Vier Stunden von hier. – Sie besuchen ihn oft, um mir Nachricht von ihm zu bringen? ... – Ja, Madame! ...

– Und ich selbst darf ihn sehen, ihn küssen, sowie ich wohler bin! Nicht wahr, Karl, mein erster Ausgang soll ein Besuch bei meinem Sohne sein? ...«

Justin wendet den Kopf ab, die kleine Laura stellt sich, als suche sie Etwas, um die hervorbrechenden Thränen zu verbergen. Karl antwortet schnell: »Ja, ja, wenn Du völlig wieder hergestellt bist! ... vorerst mußt Du nur an Deine Gesundheit denken.

– Aber nicht wahr, ihr täuschet mich nicht? ... mein Felix war nicht kränker? – Nein, Madame! ich bitte, beruhigen Sie sich! ...

– Wohlan! da was ihr thatet, zu seinem Besten geschah, so muß ich beistimmen; ich weiß Wohl, daß der arme Kleine hier ... bei einem Kranken nicht sehr gut aufgehoben wäre! ... man darf seine Kinder nicht bloß um seiner selbst willen lieben ... Du weichst nicht von mir, Laura, und dann sprechen wir von Deinem Bruder! ... Ach ! ich fühle mich noch sehr schwach ! ... – Genieße der Ruhe, Leonie, so will's der Arzt ...«

Leonie fügte sich den Wünschen ihres Gatten. Der Arzt kommt; Justin verabredet sich mit ihm, und er billigt die der Kranken vorgebrachte Unwahrheit. Er findet sie besser, erklärt jedoch, daß sie großer Sorgfalt, anhaltender Ruhe bedürfe, und namentlich lange Zeit hindurch an keine Arbeit von ihrer Seite zu denken sei, wenn sie ihre Gesundheit wieder völlig erlangen solle.

Justin folgt dem Doktor auf die Treppe, wo er alles Mögliche thut, ihn zur Annahme der Belohnung für seine Mühe zu bewegen; er kann jedoch nicht dazu gelangen: »Mein lieber Freund,« sagt der Arzt zu ihm, »ich habe meine Gewohnheiten, von denen ich nie abgehe: bei reichen Leuten lasse ich mich sehr gut bezahlen, steige ich aber in eine Dachstube hinauf, so geschieht dies immer gratis; damit gleicht es sich aus.«

Leonie ist sehr in Unruhe, bis sie weiß, wer ihre Bedürfnisse bestreitet. So wie sie einen Augenblick dazu findet, fragt sie ihren Gatten, ob er an dem Tage, wo er die Violine spielte, die ihm zugesagte Belohnung erhalten habe.

»Ja freilich,« versetzt Karl, »und ich habe sogar während Deiner Krankheit weitere, noch einträglichere Gelegenheiten gefunden! ... da unser junger Nachbar hier blieb, um bei Dir zu wachen, habe ich's zur Vermehrung unserer Hülfsmittel angenommen.«

»Ah! desto besser, mein Freund! diese Nachricht nimmt eine Last von mir! ... Ich sagte bei mir selbst: Wie konnte er die durch meine Krankheit verursachten Kosten bestreiten! ich dachte, der junge Mann ... Herr Justin habe Dir vielleicht Geld vorgestreckt, denn ich glaube, er wäre wohl im Stande, uns all das Seinige anzubieten! ... es wäre aber doch hart, diesem armen Jungen zur Last zu fallen ... er ist nur ein Arbeiter und kann gleichfalls nicht reich sein! ... – Ohne Zweifel; da dies jedoch nicht der Fall ist, brauchst Du Dich nicht mehr zu quälen! – Und nicht wahr, Du siehst Mongérànd, der bei der Abendunterhaltung die Ursache eines Streites gewesen war ... nicht mehr? ... Du warst so aufgebracht gegen ihn! ... – O! er bat mich um Verzeihung! ... er wollte Dich sogar sehen ... sich mit Dir aussöhnen ... – Erspare mir seinen Anblick, ich fühle es, es würde mich angreifen! ... Du warst so böse auf ihn! ... auf diese Weise also hältst Du Deine Entschlüsse! ... – Man kann nicht immer böse sein! ... – Geh nicht mehr mit ihm, Karl, er würde Dich von den Geschäften abwendig machen, wenn die Vorsehung so gnädig ist, Dir welche zuzuweisen! ... – Sei doch ruhig: jetzt bin ich bekannt, im Schwung ... ich wäre im Stande, ein Orchester zu leiten.«

Leonie glaubt Alles, was ihr Gatte sagt; sie wünscht sich Glück, daß er mit Hülfe seines schwachen Talents auf der Violine seine Familie erhalten kann.

Karl wünscht wirklich Gelegenheit zur Beschäftigung: seit der Abendgesellschaft bei Herrn Tigré hat aber noch Niemand daran gedacht, ihn zu verwenden, und durch wen könnte er empfohlen werden, da er keine Gesellschaft besucht? Justin geht nur an seine Arbeit und zuweilen zu seiner Mutter, dort könnte er Karls Violine nicht anbringen.

Leonie befindet sich zwar besser, ist aber noch äußerst schwach; aufstehen kann sie noch nicht und noch weniger arbeiten, was sie am meisten betrübt. Jeden Augenblick, den Justin nicht der Arbeit widmet, bringt er bei ihr zu, und da er sieht, wie sehr sie sich bekümmert, ihrer Familie nicht nützlich sein zu können, ersinnt er jeden Tag irgend eine neue List, sie glauben zu machen, daß ihr Mann viel zu thun habe; wenn er kommt, sagt er zu Karl: »Bei dem Portier hat man nach Ihnen gefragt und eine Adresse hinterlegt, damit Sie mit Ihrer Violine zu einer Abendgesellschaft kommen!« Ein andermal gibt er vor, Jemanden begegnet zu sein, der ihn gebeten habe, ihm einen Musiker für eine Hochzeit oder ein Fest zu verschaffen. Karl, mit ins Geheimniß gezogen, geht alsdann mit seinem Instrument unter dem Arm fort; Leonie ist dann ruhiger, ein wenig Heiterkeit zeigt sich wieder auf ihrem Gesicht, und Justin, der sie von der Last der Erkenntlichkeit befreit, findet sich durch den Strahl der Freude, der aus ihren Augen glänzt, hinlänglich belohnt.

Doch die Abwesenheit ihres Sohnes ist eine große Entbehrung für die arme Mutter; um sich dafür zu entschädigen, daß sie ihn nicht sieht, spricht sie beständig von ihm; sie wünscht nur darum die Wiedererlangung ihrer Kräfte, um bälder auf das Land zu gehen, wo sie ihn glaubt; in allen ihren Hoffnungen, in allen ihren Plänen für die Wiederkehr der schönen Jahreszeit nimmt ihr Sohn eine Stelle ein. Es ist peinlich, wenn man hören muß wie sich Jemand in einem Glücke wieget, von dem man weiß, daß es ihm nie zu Theil werden wird! Justin's und Laura's Herz wird jedesmal zerrissen, wenn sie Leonien von Felix sprechen, und ihre Freude, ihn wiederzusehen, ausdrücken hören; damit Karl seine Frau nicht hört, geht er beinahe jeden Abend aus; vorgeblich, um bei einer Abendgesellschaft Violine zu spielen, in Wirklichkeit aber, um mit Mongérand einen Theil des Geldes zu vergeuden, welches der junge Arbeiter ihm heimlich zusteckt. Während seiner Abwesenheit leistet Justin nach der Rückkunft von seiner Arbeit Laura und ihrer Mutter Gesellschaft; neben dem Bette der in der Genesung Begriffenen sitzend, Laura zuweilen auf seine Arme nehmend, hört er seufzend Leonie von ihrem Sohne sprechen.

»Mein armer Felix! wie sehr wird es mich freuen, ihn wiederzusehen!« sagt Leonie eines Tages, die Hand ihrer Tochter in der ihrigen drückend, »ich fühle an dem Kummer, den mir seine Abwesenheit verursacht, wie theuer er mir ist! ... doch liebe ich Dich darum nicht weniger zärtlich, meine gute Laura! ... aber Du und Dein Bruder, ihr seid mein ganzes Gut, meine ganze Hoffnung für die Zukunft! ... mein Herz trennt euch nicht in meinem Andenken! ... O! nicht wahr, Laura, Du liebst Deinen Bruder auch recht sehr? ... und ich bin sicher, daß Dich seine Abwesenheit eben so sehr langweilt, als ihn? ... he ... antworte doch? ...«

»Ja, Mama ... ich bin traurig, daß ich ihn nicht mehr sehe,« antwortet Laura, sich nach Kräften bemühend, die Thränen, die ihr in den Augen stehen, zurückzuhalten.

»Ei! wie, liebes Kind ... das macht Dich weinen? ... geschieht es aus Kummer, weil Du Deinen Bruder nicht mehr siehst? ... – Ja, Mama, aus Kummer ... – Arme Kleine, küsse mich ... doch wir werden ihn bald wieder sehen ... Herr Justin ... Sie, der Sie so gut ... so gefällig für mich sind ... ach! wenn Sie mir eine große Freude machen wollten! ...«

»Sprechen Sie, Madame, was muß ich thun? ... – Nach Gagny zu Ihrer Tante gehen, meinen Sohn besuchen und mir Nachricht von ihm bringen ... – Ich gehe, Madame ... – Können Sie es morgen thun? ... – Ja, Madame. – Ah! desto besser ... Um welche Stunde fährt der Wagen ab? ... wann werden Sie wieder zurück sein? ... – Ich gehe sehr frühe und werde um vier Uhr zurück sein ... – Ach! Sie werden ihn sehen ... ihn für mich küssen! ... Sie fragen ihn, ob er mich dort nicht vergesse? ... und wiederholen mir seine Worte! ... – Ja, Madame.«

Am andern Tag stellt sich Justin, als reise er nach Gagny; und beim Zurückkommen nach dem Essen muß er Leonie Nachrichten von ihrem Sohne bringen; er sieht sie noch so schwach, so leidend, daß er sich wohl hütet, sie die traurige Wahrheit ahnen zu lassen. Auf diese Weise unterhält man Leoniens Irrthum, und die arme Mutter fährt fort, sich in Täuschungen zu wiegen.


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