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Drittes Kapitel.

Rozat's Hauswesen.

Mongérand, der sehr groß ist, langt dergestalt aus, daß er seinen Freund beinahe zu fortwährenden Sprüngen nöthigt, damit derselbe nicht zurückbleibt. Karl Darville ging nur mit Widerstreben zu ihrem ehemaligen Kameraden; er dachte immer, daß man bei seiner Mutter auf ihn warte, und das ärgerte ihn; auf der andern Seite war er für die ihm von Mongérand bezeugte Freundschaft empfänglich, und es wäre ihm leid gewesen, dessen Entgegenkommen unerwidert lassen zu müssen; dazu gesellte sich noch die Eigenliebe des jungen Mannes, der sich nicht den Anschein geben mochte, als bedürfte er der Erlaubniß seiner Eltern, um zu thun, was er wollte. Einfältige Eigenliebe das! nur liederliche Bursche verspotten junge Leute, die ihren Eltern folgsam sind; weit weniger Dummheiten beginge man im Laufe seines Lebens, wenn man die Mutter stets um Erlaubniß fragen könnte.

Zur Straße St. Florentin war's nicht weit, man langt bei Julius Rozat an, der mit seiner Frau und seinem Kinde, einem Knaben von drei bis vier Jahren, bei Tische sitzt.

Herr Rozat, der einige Jahre älter sein mag als seine beiden Schulfreunde, ist groß, blondhaarig, hat Locken, langes, blasses Gesicht, auf welchem jedoch beinahe fortwährend ein Lächeln steht, das auf Tücke hindeutet und einer Frage ziemlich ähnlich sieht; er hat tiefliegende Augen, ein honigsüßes Stimmlein, einen Ton erzwungener Gutmüthigkeit; so ist der ehemalige Kamerad dieser Herrn.

Seine Frau ist jung, etwas bleich, eingefallene Wangen, im Ganzen hübsch, wiewohl von wenig angenehmem Wesen. Dies Ehepaar war also bei Tische, wie Mongérand, ohne dem Dienstmädchen zum Anmelden Zeit zu lassen, Karl hinter sich her ziehend, ins Zimmer tritt; denn der letztere, nicht gewohnt, so militärisch zu Werke zu gehen, zögerte, sich bei Unbekannten zum erstenmale vorzustellen, besonders im Augenblicke der Mittagstafel.

»Da bin ich! nicht wahr, ein wenig spät? ah! ich habe unterwegs einen Rekruten angeworben und bring' ihn euch mit. Ha so! willst Du vorwärts kommen, Karl? er läßt sich bei den Haaren herbeiziehen, als ob er ein altes Weib umarmen sollte.«

Der Herr und die Frau vom Hause sind sogleich aufgestanden. Letztere begrüßt Karl – bietet ihm einen Stuhl, während Herr Rozat ausruft: »Wahrhaftig, Mongérand, Du bist sehr liebenswürdig, man erwartet Dich Punkt vier Uhr. So war's ausgemacht, weil meine Frau ins Theater gehen will, und Du weißt, ich bin gewohnt, zu thun, was ihr Freude machen kann. Jetzt ist's halb sechs Uhr. Mein Herr, haben Sie doch die Güte, Platz zu nehmen.«

»Ach! Du glaubst, Rozat, man könne in Paris gehen wie man wolle; ich finde jeden Augenblick etwas, das mich aufhält. Uebrigens habt ihr nicht gewartet und habt wohl gethan.«

»Meine Frau war dessen bedürftig und mein Kleiner auch: ich fürchtete, zu langes Warten möchte ihnen schädlich sein. Du hast noch nicht zu Mittag gegessen? – Nein, gewiß nicht. – Manette, bring das weggenommene Couvert wieder ... – Einen Augenblick! einen Augenblick! Betrachte doch zuerst die Person, die ich Dir mitgebracht. Erkennst Du den guten Jungen da nicht mehr?«

Herr Rozat sieht Karl, mit dem er noch nichts gesprochen hatte, aufmerksam an, und begnügt sich, ihn zu begrüßen.

»Ei, mein Gott, ja jetzt hab' ich's. Es ist unser Pensionsfreund, Karl Darville! – Er selbst, mein Herr! – Ah! mein Herr, es freut mich unendlich, Sie wieder zu sehen.«

»Wollt ihr euch über mich lustig machen mit eurem Herr,« fiel Mongérand ein, indem er sie Behufs einer Umarmung so gegeneinander stieß, daß sie beinahe den Tisch umgeworfen hätten. »Sollen Schulkameraden, gute Kerls wie wir, mit solchem Ceremoniel mit einander sprechen? man umarmt sich, duzt sich, das kommt ganz von selbst.«

Der Aufforderung des Militärs ungeachtet, beschränkt sich das Wiedererkennen zwischen Karl Darville und Herrn Rozat auf einen Händedruck; das Duzen erfolgte nicht daraus.

»Meiner Treu, Sie haben sich nicht verändert, und wenn Sie mir nicht so ganz unerwartet gekommen wären, hätte ich Sie auf den ersten Blick erkannt. – Auch Sie sind mir derselbe,« erwidert Karl. – »O! ich, ich bin indeß älter als Sie; um vier Jahre, glaube ich.«

»Gleichviel, wir sind alle drei recht hübsch,« sagte Mongérand, sich zu Tische setzend; »nicht wahr, Madame Rozat, die drei Freunde sind nicht übel?«

Madame Rozat antwortet nur durch ein Kopfnicken und Lächeln, aber das Lächeln stand nicht gut zu ihren rothgeweinten Augen.

»Schnell, Manette, noch ein Couvert; mein alter Kamerad wird so gütig sein, unser frugales Mahl ohne Umstände anzunehmen. Wir werden vielleicht etwas enge sitzen, aber seiner Freunde wegen genirt man sich gern. Wir haben schon Suppe und Rindfleisch gegessen, doch es muß noch warm sein, nicht wahr, meine Liebe?«

»Ja, ich hatte gesagt, man soll's zum Feuer stellen?«

»Ich fühle mich sehr geschmeichelt durch Ihre Einladung,« sagt Karl, »aber es ist mir unmöglich, sie anzunehmen. – Warum denn? – Mongérand weiß, daß ich bei meiner Mutter erwartet werde, und sogar schon längst dort sein sollte. – Ach! das thut mir leid ... also kein zweites Couvert, Manette!«

Herr Rozat dringt nicht in ihn, und Madame hatte ihrem Dienstmädchen schon durch Zeichen bedeutet, daß das Couvert überflüssig sei, als Mongérand, der sich am Tische festgesetzt hatte, seinen Teller an den des Knaben stößt und ruft: »Gib nur her. Mädchen, gib nur das zweite Couvert her, setz' es neben das meinige, es ist noch Platz; höre nicht auf Karl, Rozat! ich sage Dir, er ißt mit uns ... und wir wollen lachen; Madame Rozat verbietet das Lachen nicht. Sieh, Karl, Deine Mutter hatte Dich zum Essen eingeladen, wahrscheinlich speisest Du aber oft mit Deiner Mutter. – Ja, beinahe alle Sonntage. – Aha! ihr hört's! er gesteht, er esse alle Sonntage dort, und ein einziges Mal, daß er sich mit zwei alten Kameraden wieder zusammenfindet, mit zwei Freunden, die er seit beinahe acht Jahren nicht mehr gesehen hat, wollte er ihnen nicht ein Familienessen zum Opfer bringen? Wie unterhaltend ist zudem so ein Familienessen ! Lieber wollte ich allein auf meinem Zimmer mit einer Kreuzersemmel mein Mahl halten! – Mongérand, nicht daß es mir nicht sehr in eurer Gesellschaft gefiele, aber ich sagte Dir, meine Mutter habe heute Gesellschaft. – Ach ja, es gibt etwas Besonderes, etwas Extra. Man wird einen Zwiebelkuchen gemacht haben, und Du liebst das ...«

»Ha! ha! ha!« lachte Rozat höhnisch, »Mongérand, was Du da sagst, ist sehr boshaft, Du möchtest unsern alten Kameraden als ein Leckermaul hinstellen!«

Karl ist unschlüssig, er sieht nach seiner Uhr: halb sechs Uhr vorüber; schon lange muß man bei seiner Mutter zu Tische sein, und vielleicht wartet man nicht mehr auf ihn. Er läßt sich durch Mongérands Bitten hinreißen und setzt sich neben ihn, was der Madame Rozat kein sehr großes Vergnügen zu machen scheint, doch ruft sie ihrem Dienstmädchen zu: »Trage die Suppe wieder auf!«

»Ha! Vivat!« jubelt Mongérand, Karl auf die Kniee tätschelnd; »nun, ich sehe, Du bist immer noch ein guter Kerl wie im Collegium! Erinnerst Du Dich noch, Rozat, daß Karl diesen Beinamen hatte? – Ja, ja, ich erinnere mich. – Manette, Du bringst auch das Rindfleisch noch einmal. – O! ich danke, Madame, darauf sehe ich nicht; ich bin der Meinung, man sollte dieses Gericht ganz weglassen, das ist Teufelszeug. Nicht wahr, Du verlangst's auch nicht mehr, Karl?«

»Aber, meine Herren,« sagte die Herrin des Hauses, »ich muß Ihnen bemerklich machen, daß Sie kein großes Essen erhalten werden, darauf war ich nicht gefaßt, daß wir unserer Fünfe sein werden; da wir ins Theater wollen, mochte ich mich nicht viel mit der Küche beschäftigen, und meine Magd ist so linkisch ... ein Braten und Gemüse ist Alles, was Sie noch dazu bekommen.«

»Köstlich, Madame, immer genug. Ist es ein Militär anders gewöhnt? Haben Sie etwa Selzerwasser? – Nein, wir trinken keins. – Schade, da kann man doppelt so viel essen. Rücke doch ein wenig, Coco; wie alt ist der kleine Knirps? – Bald vier Jahre. – Er ist stark ... hat eine abscheuliche Nase ... vielleicht verwächst es sich. Wer schenkt zu trinken ein?«

Rozat schenkt ein, indem er seinen Gästen zulächelt, während seine Frau, wahrscheinlich mißvergnügt über die Behauptung, daß ihr Sohn eine abscheuliche Nase habe, Manetten wiederholt, sie solle das Rindfleisch wieder auftragen, da sie den Herren durchaus davon vorlegen will.

»Wahrhaftig,« ruft Mongérand, das Rindfleisch zurückschiebend, »man mag sagen, was man will, es geht doch nichts über Schulfreunde, das ist eine beständige aufrichtige Freundschaft; das ganze Leben hindurch sieht man einander stets mit Vergnügen wieder.«

»Ja, gewiß,« sagt Rozat, den Kalbsbraten in äußerst dünne Scheibchen zerschneidend; »ja, die Schulfreundschaft, o! die ist herrlich ; und was ist aus dem kleinen Saint-Alfort, der zu gleicher Zeit mit Dir ins Militär trat, geworden? – Nicht viel! er war nicht zu einem guten Soldaten geschaffen ... ein Geck, ein Eingebildeter. – O! er kennt sich nicht vor Stolz, sprach nur von seinen Eroberungen, von den Weibern, die er verführt. Der arme Teufel; ich glaube, seine Liste war nicht groß; er war häßlich, einfältig langweilig. – Und kommst Du noch immer mit Desmoulins zusammen, den ich manchmal mit Dir spazieren gehen sah ? – Nein, Gott sei Dank! bildet er sich nicht ein, er sei ein Schriftsteller, weil er einige Viertels- oder Fünftels-Vaudevilles gemacht hat? – Ah! man hat Stücke von ihm gespielt! – Du bist sehr gütig, das Stücke zu nennen ... zusammengestoppeltes, altes, elendes Zeug! – So, so, und läßt denn Du nichts aufführen? – Ei, mein Gott! nicht, daß man mich nicht mit Bitten bestürmte! alle Direktoren sagten mir: geben Sie uns doch Etwas, es soll augenblicklich gespielt werden. Wenn ich Zeit habe, will ich ihnen etwas zusenden. Aber der Desmoulins führt nur seine Stücke und deren Wiederaufführungen im Mund; ich ließ ihm zwei oder dreimal sagen, ich sei ausgegangen, und dem Himmel sei Dank, wir sehen ihn nicht mehr.«

»Und was ist aus Bonneval geworden?« fragte Karl; »der war ein sehr liebenswürdiger Junge. – Ja liebenswürdig, bei Tische, aber recht dumm, recht unbeholfen in Geschäften. Seine Eltern hatten ihm einiges Vermögen hinterlassen, er brachte Alles durch, verschwendete und verspielte es. Unter uns, ich glaube, er lief den Dirnen nach.«

»Ei, Potz Donnerwetter! meine Herren, es gibt sehr hübsche Dirnen und ... Ach ! Verzeihung, Madame Rozat, ich dachte nicht an Ihre Gegenwart. Uebrigens scherzte ich nur; seien Sie unbesorgt, ich verführe Ihren Gemahl nicht. Er ist ein zu gesetzter, zu geordneter Mann.«

»O! meine Frau ist ruhig; sie weiß überdies, wie sehr ich sie liebe; nicht wahr, mein Hühnchen?«

Bei diesen Worten ergreift Herr Rozat die Hand seiner Frau und küßt sie zärtlich. Diese läßt es geschehen, indem sie nach der Standuhr sieht.

»Wohlan also, meine Herren, auf das Vergnügen des Wiedersehens alter Schulkameraden!« ruft Mongérand, selbst sein Glas füllend.

»O mein Herr! was machen Sie denn da. Sie schenken meinem Sohne zu viel Wein ein. – Bah! warum denn! ein Knabe muß sich ans Weintrinken gewöhnen. – Ich sehe die Nothwendigkeit nicht ein. August, Du wirst hoffentlich den puren Wein nicht trinken. – Lassen Sie ihn doch, er wächst dann schneller. – August, es wird Dir übel machen.«

Das Kind trinkt immer zu, der pure Wein schmeckt ihm. Herr Rozat reicht seinen Braten herum, von welchem Mongérand sogleich drei Scheibchen nimmt, indem er sagt: »Pest, Rozat, Du schneidest es so fein, wie Metallbeschlag, Du erinnerst Dich also noch an die Art, wie wir's in der Pension erhielten? – Ah! je dünner, desto zarter.«

»Ich will eine Essiggurke,« sagte der kleine August dazwischen. »Nein, Du hast schon welche gegessen,« antwortet die Mama.

– »Ich will noch eine.«

»Hier, mein Freund, nimm, da hast Du eine Gurke,« sagt Mongérand, indem er die größte heraussucht und auf den Teller des Kindes legt.«

»Aber, mein Herr, ich versichere Sie, er hatte genug, es ist nicht gut für die Brust und ... – Ach! gehen Sie doch, Madame, wollen Sie Ihren Sohn denn ätzen? Soll er sich vor einer Gurke fürchten? Sein Magen gewöhnt sich daran. Wenn man von Allem ißt, wird man kräftig. Hör', mein Kleiner, willst Du Kalbfleisch?

– Ich will ihm welches geben, mein Herr! – Warum sich derangiren, ich sitze neben ihm, will für ihn sorgen, iß, mein Dicker, iß, und mach' Dir's bequem ... O! mit mir wirst Du gut auskommen!«

Madame Rozat sagt nichts mehr, aber jeden Augenblick sieht sie nach der Uhr. Ihr Mann macht die Honneurs in seinem Hause mit jener kalten, steifen Höflichkeit, welche weder Heiterkeit noch Appetit hervorruft; er scheint seinen Schulkameraden bloß zeigen zu wollen, daß er wohlhabend und sein Hauswesen gut eingerichtet ist; auch ermangelt er nicht, von Zeit zu Zeit dem Dienstmädchen zuzurufen: »Gib mir doch andere Couverts zum Serviren; ich glaube, es kann nicht daran fehlen. Warum hast Du nicht Teller mit goldener Einfassung gebracht? Gib Kelchgläser her, nicht zu Champagner, die mit den geschliffenen Füßen.«

Mongérand ißt und trinkt für viere; er hält den Braten in dem Augenblick zurück, wo Madame ihn abtragen lassen will, um noch zwei Scheibchen zu nehmen, und stopft den Knaben an seiner Seite fortwährend übervoll, ohne Rücksicht auf die Einwendungen der Mutter.

Nicht lange, so ruft Karl, welcher die häufigen Blicke der Madame Rozat nach der Standuhr und ihre üble Laune bemerkt: »Aber, Madame wünscht ins Theater zu gehen. Wir müssen uns beeilen, die Tafel zu verlassen.« »Es ist wahr, mein Herr,« erwidert Madame Rozat, »mein Mann versprach mir, mich ins Vaudeville zu führen; ich bin schon sehr lange nicht mehr dort gewesen, und ...«

»Wie kann man das Schauspiel lieben?« fällt Mongérand ein; »ich halt's nicht drei Stunden aus, an der nämlichen Stelle eingeschlossen zu sein; und am Sonntag ist es so voll, daß man erstickt; zudem verhindert der eingefallene Regen am Spazierengehen; es ist schon halb sieben Uhr, da bekommen Sie keinen Platz mehr.«

»Mongérand hat Recht,« sagt Rozat, »ich glaube, liebe Freundin, es wird weit besser sein, die Partie auf einen andern Tag zu verlegen; ehe wir im Theater ankämen, wäre es sieben Uhr, Du würdest nicht gut placirt, und Du weißt, ich habe keine Freude, wenn Dir's fehlt.«

»Ja! ich weiß, Sie sind sehr gefällig!« erwidert Madame ärgerlich; »ich freute mich längst auf das Vaudeville, und da ist nun abermals meine Hoffnung getäuscht!«

»Nun, Gute, sei artig! Du machst diese Herren glauben, Du seiest böse. Nun, man küsse mich ... sogleich.«

Und Herr Rozat beugt sich gegen seine Frau, welche ihrem Gemahl die Wange hinhält, als ob sie ihren Gästen Käs anböte.

»Ich hatte Dir's ja gesagt, Karl,« schreit Mongérand, »das ist ein allerliebstes Pärchen, die Rozat! ein paar Turteltauben ... immer verliebt, immer liebkosend; das gibt Lust zum Heirathen, und weil Du Dich etabliren willst, so rathe ich Dir, sie zum Muster zu nehmen. Hier, Kleiner, hast Du Kirschen. – Er hat schon erhalten, mein Herr! – Gut, gut, so drücken diese die andern hinunter; schluck nur immer, mein Dicker, und da hast Du Biscuit, laß Dich nicht stören und sprich nichts!«

»Ah! Sie wollen sich vermählen, Herr Karl?« fragt Rozat lächelnd.

»In einiger Zeit; meine Mutter wünscht es. – Sie haben ohne Zweifel schon gewählt? sind vielleicht sehr verliebt? – Nein, ich versichere Sie, noch ziehe ich keine vor; ich kenne sehr liebenswürdige Frauenzimmer, bin aber noch nicht entschlossen. – Heirathe Thaler, Karl, das ist besser als die schönsten Augen; mit Thalern kann man überdies alle möglichen Augen bekommen. Ich sage das nur im Spaß, Madame Rozat, um Sie in Harnisch zu bringen, denn Niemand hat mehr Gefühl für die Süßigkeiten der ehelichen Liebe als ich.«

»Wenn das auch nicht wäre, mein Herr, würde es mich keineswegs beleidigen,« entgegnete die Herrin des Hauses trocken.

Der Nachtisch wird aufgetragen, Madame Rozat spricht kein Wort mehr, ihr Gemahl macht sich viel mit einer Platte von chinesischem Porzellan zu schaffen, auf welcher die Kelchgläser herbeigebracht werden; er thut sein Möglichstes, damit seine Gäste die Schönheit der Platte bewundern. Karl läßt sich von Mongérand einschenken, welcher hantirt, als ob er zu Hause wäre, und die Unterhaltung zu beleben sucht; da er jedoch sieht, daß man nicht wärmer wird, und sein Wirth auf das Ausleeren sämmtlicher Flaschen nicht erpicht zu sein scheint, so steht er, sobald Kaffee und Liqueur getrunken sind, von seinem Sitze auf und beginnt: »Wie wär's, meine Herren, wenn wir eine kleine Billardpartie machten? ich glaube, das wäre nicht unangenehm. Rozat ist stark darin, aber auch ich spiele gut! Und Du, Karl? – Ich spiele nicht gerade schlecht. – Beim Teufel! ich bin begierig, Deine Kunst zu sehen. Aber, meine Herren, drei Partien, nicht weiter. Madame, das verspreche ich Ihnen und schicke Ihnen Ihren Gemahl in einer halben Stunde wieder.«

»O ! mein Herr, Sie können ihn behalten, so lange Sie mögen! – Ah! da sagen Sie nicht, was Sie denken, Madame; nun denn, meine Herren, ist mein Vorschlag angenommen?«

»Ja, ja! wir können Billard spielen,« sagt Rozat; »zudem regnet es, man kann nicht spazieren gehen, und wenn's unserem Freund Freude macht ... – Ich thue, was man will,« fällt Karl ein ... – »Was man will, ha! daran erkenne ich Dich ... immer ein guter Kerl, der Sakerments-Karl ... Ach! Madame, bitte um Vergebung ... Garnisonsgewohnheiten, werde sie aber ablegen. Auf den Weg, meine Herren!«

»Ich will mitgehen, Papa,« ruft der kleine Knabe, indem er seinem Vater nachläuft. – Aber, August, ich komme augenblicklich wieder. – Ich will fort! es ist Sonntag! ich gehe nie aus! – Willst Du schweigen! was soll das heißen! – Nun, potz Donnerwetter, nehmen wir das Kind, ich übernehme den Buben, gebe auf ihn Acht. Komm mit mir, Kleiner, o! wir vertragen uns recht gut.«

Mongérand nimmt das Kind auf den Arm. Madame Rozat sieht ihren Gemahl an und sagt: »Ich bitte Sie, auch auf Ihren Sohn Acht zu haben. – Ja, ja, meine liebe Freundin, ich bring Dir ihn bald wieder; auf Wiedersehen, meine Gute. Nun, läßt man mich fortgehen, man küßt mich nicht?«

»Durchaus Psyche und Amor,« sagt Mongérand, wie er sieht, daß Rozat seine Frau küßt. »Madame, wir bringen Ihnen unsere Huldigungen dar.«

Karl verneigt sich tief vor der Herrin des Hauses, welche ihre Gäste mit einem sehr kalten Gruße verabschiedet. Die Herren gehen die Treppe hinab. Mongérand führt den kleinen August. An der Hausthüre bemerkt Rozat, daß er sein Schnupftuch vergessen hat; er kehrt um, indem er seinen Freunden sagt: »Gehet ganz langsam voran, ich komme gleich wieder zu euch. – Ueberdies gehen wir nur ins Café an der Ecke,« bemerkte Mongérand.

»Mein Sacktuch ... wo ist denn mein Sacktuch?« spricht Rozat, in den Salon tretend, wo seine Frau am Fenster sitzt.

»Weiß ich das? habe ich unaufhörlich die Augen auf Ihrem Sacktuch?« entgegnet Madame, ohne sich zu rühren.

»Was Sie immer für eine Art haben, unartig und bitter zu antworten! – Ja, Sie dürfen etwas sagen! Ihre Manieren sind so liebenswürdig! ... wenn Niemand da ist! ... – Ich habe ... ich habe ... Wollen Sie mich nicht gar lehren, wie ich mich zu benehmen habe, während ich das Recht hätte, mich zu beklagen? Glauben Sie, Madame, ich hätte nicht bemerkt, mit welcher Kälte und beinahe Unhöflichkeit Sie meine Collegienfreunde behandelt haben? – Hübsche Freunde, die Ihrigen; der Mongérand führt sich auf, als wäre er in einer Kaserne! der Andere, den man nie gesehen hat und der sogleich ein Essen annimmt; und kaum haben sie gegessen, so laufen sie weg, als wären sie in einem Wirthshaus; und ihretwegen hindert man mich, ins Schauspiel zu gehen, läßt mich da den Abend ganz allein zubringen; da heißt's, unterhalte Dich, wie Du kannst! Ha! das ist doch zu stark! ich hoffe, sie werden nicht mehr hier speisen! – Sie werden hier speisen, wenn ich's haben will ... verstehen Sie, Madame ... weil ich Herr bin, zu empfangen und einzuladen nach meinem Gutdünken. – Und ich Herrin, ihnen ein böses Gesicht zu machen. – Unterstehen Sie sich ... dann werden Sie sehen ... – Was werde ich sehen? Sagen Sie's gefälligst! – Kurz, Sie werden sehen ... – O! glauben Sie nicht, mir Furcht einzujagen ... mich zittern zu machen! ich weiß wohl, wenn Sie's wagten, wären Sie im Stande, mich zu schlagen. – Hm ! welche Hölle von einem Haus! – Ja, wenn Sie daheim sind!«

In diesem Augenblicke trat das Dienstmädchen in den Salon; Herr Rozat ergreift sein Sacktuch, das er auf einem Lehnstuhl findet und geht, einige Worte vor sich hinbrummend, davon.


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