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Zehntes Kapitel.

Rückkehr Mongérands.

»Wo ist der verdammte Schlingel Karl! daß ich ihn sehe, ihn küsse!« ruft ein großer Herr mit sonnverbranntem Gesicht, der eines Tags sehr ungezwungen in Leoniens Schreibstube trat.

»Mein Mann ist ausgegangen, mein Herr, aber ... – Ach! Sie sind seine Frau, schöne Dame; in der That, ich erinnere mich, daß man sagte, er sei verheirathet, und auch ich habe mich verheirathet, seit ich Karl nicht mehr sah; vor einem Jahre beging ich diese Dummheit, und nun sind's zehn Monate, daß ich's übergenug habe; aber Gott sei Dank, es ist aus: ich habe den gordischen Knoten entzwei gehauen! meine Frau mag thun, was ihr beliebt, mir gleich! ich mache mich wieder zum Junggesellen: wir haben uns mit dem Versprechen, einander nie wieder zu sehen, getrennt; wir hatten beide genug. Es freut mich, Madame, die Bekanntschaft der Gemahlin meines Collegienfreundes zu machen. Karl hat mit Ihnen gewiß oft von mir gesprochen? – Ihr Name, mein Herr? – Ach ja! richtig, den hätte ich Ihnen zuerst sagen sollen: Mongérand, Emil Mongérand, Karls Schulkamerad, dann Husarenunteroffizier, dann Modehändler, dann verheirathet, dann ... ich weiß nicht, was noch mehr ... aber stets treuer und ergebener Freund, woran Karl hoffentlich nie zweifelte.«

»Ihr Name ist mir nicht unbekannt, mein Herr, ich erinnere mich wirklich, daß mein Mann denselben öfters nannte. – Ha! sapperlott, wenn er mich vergessen hätte, wäre er ein elender Chinese! aber er ist ein guter Kerl, ich kenne ihn, unfähig, seine Freunde zu vergessen; Sie sagen also, er sei ausgegangen; wo ist er? – Er sollte auf die Börse gehen, vielleicht ist er aber in dem Café de la Rotonde, oder in dem an der Straßenecke eingetreten. – O! dann finde ich ihn, ich kenne alle Café's. Jetzt gehe ich, ihn aufzusuchen, Madame, sage Ihnen aber nicht Lebewohl, denn ich hoffe, das Vergnügen des Wiedersehens zu haben. – Mein Herr, die Freunde meines Mannes sind mir stets willkommen. – Zweifle nicht daran, Madame; Ihr Diener.«

Schon ist Mongérand weit, und Leonie setzt sich wieder an ihr Schreibpult, bei sich selbst sprechend: Ach! mein Gott! was ist das für ein neuer Freund Karls, welcher freie Ton, welche seltsame Art, sich auszudrücken durch Fluchen bei jedem Satze. Herr Bringuet ist ein alter Soldat, doch flucht er darum nicht. Indessen ist das Gesicht dieses Mongérand ziemlich offenherzig, und seiner Wachstubenmanieren ungeachtet würde ich ihn immer noch dem Herrn Rozat vorziehen, der mich mit seinen Complimenten und seinem Händedrücken zu langweilen anfängt.«

Im Laufe des Tages kommt Karl nach Hause, ohne Mongérand gesehen zu haben, seine Frau setzt ihn von dem erhaltenen Besuch in Kenntniß.

»Mongérand in Paris ... ha! das freut mich, ist ein so guter Junge; warum hast Du ihn nicht zum Essen geladen? – Ich wußte ja nicht, ob ich durfte! dieser Herr hat einen so ungezwungenen Ton, eine so freie Art des Ausdrucks. – Ah! so bist Du augenblicklich erschreckt; Mongérand ist ein wackerer Junge, überdies ein Kamerad aus dem Collegium? – Was macht das? mein Freund! es kann täglich vorkommen, daß ein Mensch, der in der Pension unser Freund war, ein sehr schlechtes Subjekt in der Gesellschaft wird, und daß wir mit ihm studirt haben, ist kein Zwang zu späterem Umgang mit ihm. – Ah! Du machst's wie meine Mutter, willst mir Moral predigen; wer hat Dir gesagt, Mongérand sei ein schlechtes Subjekt? meinst Du, weil er im Gespräch zuweilen flucht? – Nein, aber er hat seine Frau verlassen ... – Um nach Paris zu kommen? – Nein, völlig verlassen, wie er sagt. – So höre doch, wenn seine Frau ihn unglücklich machte. Bei Ehehändeln kann man nie wissen, wer Unrecht hat. Es ist mir ärgerlich, daß Du ihm nicht sagtest, er solle zum Essen kommen, gerade heute, wo ich Vanflouck eingeladen.«

»Herr Vanflouck kommt zum Essen?« versetzt Leonie mit einer Bewegung des Unwillens. – »Ja, ist Dir das auch zuwider? – Ich kann nicht sagen, daß es mich freut, einen Mann beim Essen zu haben, welcher den ganzen Abend bei Tische bleibt. – Du bist nicht gehalten, ihm fortwährend Gesellschaft zu leisten, wenn nur ich bleibe. – Ja, und dann bekommt es Dir übel ... es gewöhnt Dich ans Trinken. – Ha! Leonie, Du scheinst mich für ein Kind anzusehen, das sich nicht zu benehmen weiß, am Ende werde ich das überdrüssig.«

Leonie spricht nichts mehr, die Stunde des Mittagessens kommt, Vanflouck erscheint, auf zehn Schritte nach Branntwein und Liqueur riechend und sich das Gesicht abwischend, wobei er sagt: »Mit dem Brüssler habe ich so eben köstliches Bier getrunken, dann ließen wir uns Cognac geben, um das Bier zuzudecken, hierauf Wermuthessenz, um Alles zuzudecken.«

Im Augenblick, wo man sich zu Tische sehen will, hört man die Thüren ungestüm aufreißen; Mongérand tritt in den Speisesaal und fliegt Karl an den Hals.

»Ach! ich wußte wohl, daß ich Dich am Ende finden würde, – Du bist's, lieber Mongérand; freut mich sehr, daß Du wieder zurückkamst: wirst Du mit uns essen? – Beim Henker! fragt man so etwas? – Ich zankte mit meiner Frau, daß sie Dich nicht einlud. – Braucht's bei mir eine Einladung ... hat man bei einem alten Kameraden nicht immer sein Couvert? Aber Sakerment, ich habe Dich wenigstens in zwanzig Cafés aufgesucht, unter anderen auch in dem, wo wir den Streit hatten, Du weißt ... – Ja, ja! – Damals fand ich Dich nicht mehr, um Dich mit mir zu schlagen.«

»Sich zu schlagen!« ruft Leonie entsetzt. »Wie, mein Mann sollte sich schlagen? – Ja; o! ein kleiner Zwist, eine Lapperei mit Gelbschnäbeln, wiewohl ich eine Kugel in den Leib erhielt; mehr als sechs Wochen hütete ich das Bett und Du hast mich nicht besucht. – Ich wußte Deine Adresse nicht ... sonst ... – Das dachte ich mir nachher, und darum bin ich Dir nicht böse gewesen. Nun bin ich aber wieder in Paris zurück, das ich nicht mehr verlassen will, und hoffentlich werden wir einander öfter sehen.«

Herr Vanflouck betrachtet Mongérand mit einem gewissen Staunen, er scheint verwundert, daß Jemand in seiner Gegenwart so lange spricht, gereizt, daß Mongérand noch gar nicht that, als ob er ihn bemerkt hätte; dieser aber setzte sich zwischen Karl und seiner Frau zu Tische und fuhr während des Essens in seinem Redeflusse fort.

»Deine Frau hat Dir ohne Zweifel gesagt, daß ich von der meinigen gegangen bin ... – Ja, Leonie sagte mir ... Wie kommt's aber, erst seit so Kurzem verheirathet? – Ah! mir schien, als wär's seit hundert Jahren! ... erstlich hatte ich Unrecht, mich zu verheirathen ... paßt nicht für mich! ... besonders Unrecht hatte ich aber, diese Frau zu nehmen. Rozat sagte mir vorher: Du wirst's bereuen, à propos, siehst Du Rozat? – Ja, sehr oft. – Auch ein sauberer Patron! er kannte meine Adresse und wußte um meine Krankheit ... es hatte aber keine Gefahr, daß er mich besuchte ... Sprecht mir nicht von Freunden, Madame, sind fast ebenso flatterhaft, wie eine Geliebte! ... nicht um Ihres Gemahls willen sage ich dieses, ich halte ihn für einen bessern Kerl, als die übrigen. – Und da denken Sie richtig, mein Herr,« entgegnete Leonie, an welche Mongérand sich zuletzt richtete.

»Dieser Fisch ist vortrefflich,« fällt Vanflouck ein, bemüht, das Wort wieder an sich zu reißen, und besonders, es zu behalten. »Mit meinem Freund, dem Brüssler, aß ich frische, kleine Sardellen, die köstlich waren; ich glaube, sie kamen von ...«

»Um wieder auf meine Frau zurückzukommen,« fährt Mongérand fort, ohne sich im mindesten um den sprechenden Vanflouck zu bekümmern, »ich gestehe, ich war sehr verliebt in sie; o! sehr verliebt. Eine reizende Brünette, eine störrische Teufelsmiene! starre Augen, das hatte mir den Kopf verrückt; kurz, ich war gefangen. Sie wollte geheirathet sein ... und ich heirathete, hab's aber sehr schnell bereut ... erstlich, wenn man eine Frau drei Monate kennt ... dann gute Nacht mit der Liebe, man kann sie auswendig und es ist immer das Gleiche!«

Leonie vermag eine durch Mongérands Worte verursachte Bewegung des Mißvergnügens nicht zurückhalten, sie rückt ihren Stuhl etwas von ihm weg, während Karl ausruft: »Ah! Mongérand! diese Behauptung ist nicht richtig; seit achtzehn Monaten bin ich geheirathet und liebe meine Frau immer gleich sehr ...«

Leonie dankt Karl durch ein Lächeln, Mongérand erwidert: »Aber, mein Freund, Du verstehst mich nicht. Du liebst Deine Frau fortwährend, weil sie sanft, gut, unterwürfig ist, darum hast Du Freundschaft für sie, herzliche Freundschaft; weiter braucht's nicht, um glücklich zu sein ... Liebe jedoch hast Du keine mehr, weil nach dem Honigmonat nie mehr ein Mann in seine Frau verliebt ist! ...«

»Wahrhaftig, mein Herr,« sagt Leonie, beinahe mit Thränen in den Augen, »ich weiß nicht, warum Sie durchaus wollen, daß mein Mann mich nicht mehr liebe!«

»Meine liebe, kleine Dame, ich finde es ganz in der Ordnung, daß er liebt, wie ein guter Freund, ein guter Gatte seine Frau lieben kann, und ließe er's hieran fehlen, wäre ich im Gegentheil der erste, ihn zu tadeln; nur sprechen Sie mir nicht von Liebe, das ist Kinderei, Larifari! Man liebt eine Geliebte, man betet sie an, ist in sie vernarrt! nun gut, und was ist die Folge davon? sie gehört uns; nach einigen Wochen wird man ihrer überdrüssig, fängt Händel aus dem Stegreif an, um mit ihr zu brechen. Zu unserer Frau hingegen kommen wir immer wieder, wenn sie sich ganz ihrem Hauswesen widmet und uns nicht quält, und ist sie, wie sich's gebührt, so führt man sie manchmal spazieren. Sie sehen, gute Freundschaft taugt mehr als Liebe.«

Leonie antwortet nichts, Vanflouck beeilt sich, diesen Augenblick zu benützen, wo Mongérand eine Pause macht: »Daß ich dieses Café entdeckt, wo es so vortreffliches Bier gibt ... etwas ziemlich Seltenes in Paris ... ist mir sehr lieb. Freilich bin ich während meines jedesmaligen Aufenthalts in Paris so ziemlich gewohnt ...«

»Ich habe also meine Frau verlassen,« nimmt Mongérand seine Erzählung wieder auf, indem er Vanflouck neuerdings das Wort abschneidet. »Ich hätte sie indeß auf einen guten Weg bringen mögen; gleich in den ersten Tagen unserer Ehe hatte ich ihr bedeutet, daß ich beständig Herr meines Willens sein, gehen, kommen wolle, ohne je Rechenschaft darüber abzulegen; denn Alles kommt auf den Anfang an; zeigt man sich da nicht fest, ist man verloren!«

»Es scheint übrigens, daß es Ihnen nicht gelang, mein Herr,« sagt Leonie etwas ironisch.

»Was kann man da machen, Madame, Alles hat seine Ausnahme! Es gibt Frauen, welche nicht einsehen wollen, was billig, vernünftig ist, kurz, was sein muß. Meiner Treu, sagte ich zu der meinigen: trennen wir uns; Sie haben Ihren Handel, der im Gange ist, ich habe mein Geld, guten Abend, und so bin ich nun hier.«

»Was gedenkst Du in Paris zu thun? – O! wir werden sehen: Du weißt, mir ist eine Erbschaft zugefallen, mir eilt's nicht, ich habe Geld ... werde mich besinnen ... inzwischen laß uns trinken auf die Freude des Wiedersehens.«

Karl und Mongérand stoßen an. Vanflouck hält nicht mit, er trinkt allein und spricht dann: »Ihr Bordeaux war das letzte Mal besser, wie mir scheint? – Ist übrigens der nämliche. – Dann liegt's am Pfropf.«

Endlich entschließt sich Mongérand zu essen, und dem dicken Flamänder gelingt's, das Wort zu erhaschen. Doch wendet er sich beständig an Karl. Leonie spricht nichts, sinnend sitzt sie, und ihre Gedanken bringen die Heiterkeit nicht auf ihr Gesicht.

Der Kaffee wird herumgereicht. Leonie erhebt sich bald und geht in den Salon, ihren Mann zwischen seinen beiden Freunden zurücklassend, welche geneigt scheinen, einander im Aufstehen von der Tafel auspassen zu wollen.

Nicht lange, so hat's Mongérand satt, den Herrn Vanflouck sprechen zu hören und trinken zu sehen; er steht daher mit den Worten auf: »Wollen wir nicht frische Luft schöpfen, etwas trinken ... eine Cigarre rauchen?«

»Sogleich,« erwidert Karl, der nicht aufzustehen wagt, weil Vanflouck eine Hand auf seinen Arm gelegt hat und ihm unter fortwährendem Sprechen sagen zu wollen scheint: Sie müssen hier bleiben.

Mongérand sucht Leonie auf: »Ha! was ist denn das für ein dicker Klotz, der mit uns speiste und sich an Karl anklammert, um ihn am Weggehen zu verhindern?«

»Ein Freund meines Mannes,« entgegnet Leonie düster. – »Ein Freund! Tausend Schwerenoth! wo Teufels hat er sich einen solchen Freund ausgesucht; dieser Mensch sieht aus wie ein Kalb, nach dem Kaffee fängt er wieder an zu trinken. – So geschwind wird er die Tafel nicht verlassen; gewöhnlich bringt er den ganzen Abend dabei hin. – Ha! so mag er allein sitzen bleiben, Karl'n soll er aber sicherlich nicht hinhalten; er muß sich ohnedies bei diesem Herrn nicht besonders unterhalten. – Karl ist so sehr gewöhnt den Willen seiner Freunde zu thun! – Ja! es ist wahr, er ist ein guter Kerl; das ist aber kein Grund, dumm zu sein. Warten Sie, ich will ihn von seinem Vanflouck losmachen.«

Mongérand kehrt in das Speisezimmer zurück, und ohne abzuwarten, bis Vanflouck seine Erklärung beendigt hat, wie er den Salmen gerne esse, ruft er aus: »He Karl! ich möchte eine Partie Billard spielen. Du wirst hoffentlich einen Freund, den Du seit beinahe zwei Jahren nicht mehr gesehen, nicht den ganzen Abend warten lassen? Ueberdies muß es Dich verdammt langweilen, so ewige Zeit bei Tische zu bleiben. Der Herr kann hier schlafen, wenn's ihm Freude macht; das ist aber kein Grund, auch die Andern einzuschläfern.«

Karl benützt die Gelegenheit und steht auf; Vanflouck wird purpurroth vor Zorn und schreit: »Ich weiß nicht, mein Herr, aus welcher Veranlassung Sie mich auf diese Art anfahren? ... wenn wir bei Tische bleiben, so gefiel es uns allem Anschein nach! und nie habe ich gesehen, daß man den Herrn des Hauses zum Ausgehen nöthigte, wenn er noch im Begriff ist, zu Mittag zu essen! – Ho! ho! lieber Herr! im Begriff zu Mittag zu essen, das ist herrlich! hoffentlich haben Sie zu Mittag gegessen und reichlich! ich begreife sogar nicht, wo Sie Alles hinschieben konnten, was Sie verschlangen.«

»Wie, mein Herr! was ich verschlang? – Das soll kein Vorwurf von mir sein! Sie befinden sich wohl, damit Punktum. Aber ich sage, wir wollen an die freie Luft; Sie sind lange genug bei Tische. – Wenn ich mich jedoch hier wohl befinde, mein Herr, wenn ich mit Herrn Darville von Geschäften spreche! – Sie sprechen eben so gut auswärts. – Was soll das heißen? auswärts! ... allein ich ... – Ha! zum Henker, Sie langweilen mich auch! Komm mit mir, Karl, weil ich es will, und wenn Sie's nicht zufrieden sind, so haben Sie's mit mir zu thun, verstehen Sie, Herr Vanflouck! nun wollen wir schweigen, denn ich kann kein Geschrei leiden und liebe den Frieden! Donnerwetter!«

Karl thut sein Möglichstes, um die Eintracht zwischen seinen beiden Gästen wieder herzustellen; er versucht Mongérand zu beruhigen, schenkt dem Flamänder zu trinken ein; aber der Eine ist bereits erhitzt, und der Andere erstickt beinahe vor Zorn. Wie Karl bemerkt, daß diese Herrn nicht sich zu verständigen geneigt sind, entschließt er sich, Mongérand, welcher ihn schon bei einem Arme hält und nach der Thüre zieht, nachzugeben. Er geht, indem er Vanflouck noch zuruft: »Wir spielen eine Partie Billard, kommen Sie doch mit uns; Mongérand hatte nicht die Absicht, Sie zu beleidigen ... kommen Sie, wir trinken Punsch.«

Vanflouck gibt keine Antwort und folgt den beiden Herren nicht; nachdem er noch ein Glas Bordeaux getrunken, verläßt er die Tafel und begibt sich zu Leonien; dieser war der stattgefundene Streit nicht unlieb, weil sie hoffte, er werde ihr einen dieser Herren vom Halse schaffen.

»Haben Sie verstanden, Madame, was sich der Herr mir zu sagen erlaubte?« schrie Vanflouck, auf Leonien zutretend.

»Mein Herr ... ja, ich glaubte zu verstehen ... so ein kleiner Zank. – Aber, Madame, wahrhaftig, nie sah man etwas Aehnliches! Wie? ich speise bei meinem Freund ... und ein Herr, den ich noch nirgends getroffen, erlaubt sich, mich anzufahren, es schlecht zu finden, daß ich bei Tische sitzen bleibe und mit Ihrem Gemahl spreche ... Außerordentlich! ... werde eine üble Verdauung davon haben ... wollen Sie mir gefälligst ein Glas Zuckerwasser geben. – Ja, mein Herr.«

Vanflouck trinkt sein Zuckerwasser, indem er noch immer Ausrufungen hören läßt: »Ich gestehe, ich kann mich gar nicht fassen ... und Herr Darville gibt diesem Menschen nach, geht mit ihm aus! – Meiner Meinung nach das beste Mittel, Ihrem Streit ein Ende zu machen. – Sie haben Recht; vielleicht gab er aus Vorsicht nach, und ich weiß ihm Dank. Dieser Herr aber! so bei andern Leuten zu verfahren, wie ein von der Kette Gelassener! ... Wer ist denn dieser Mensch, Madame? – Ein alter Schulkamerad meines Mannes. – Ah! der garstige Mensch! Wird er Sie wohl öfters besuchen? – Sehr wahrscheinlich, mein Herr; mein Mann sagte zu ihm, sein Couvert sei immer bei uns gedeckt. – Desto schlimmer! ... thut mir Leid für Sie, Madame ... wird Ihre übrigen Bekannten vertreiben; was mich betrifft, so erkläre ich Ihnen, daß ich mich nie wieder mit diesem Menschen zusammen finden möchte, indem sonst leicht etwas Unangenehmes daraus entstehen könnte. Ich schätze Ihren Herrn Gemahl sehr; aber, so lange er diesen Händelsüchtigen in seinem Hause empfangt, werde ich nicht bei ihm essen! Ich rathe Ihnen sehr, Herrn Darville zum Bruch mit ihm aufzufordern. – Mein Mann liebt ihn bedeutend, mein Herr, und würde es nicht zum Besten aufnehmen, wenn man sich üble Nachreden über ihn erlaubte. – Alsdann, Madame, wird's mich verscheuchen, doch ... ich habe die Ehre, Sie zu grüßen.«

Damit trollt sich Herr Vanflouck von hinnen, wiederholt ausrufend: »Ah! der garstige Mensch! ah! so etwas ist mir noch nie vorgekommen!«

Leonie wäre es lieb, den Herrn Vanflouck los zu sein, nur thut's ihr leid, der Ankunft Mongérands, dessen Manieren und insbesondere dessen Reden ihr sehr mißfielen, diesen Dienst danken zu müssen. Mit Schrecken sieht die junge Frau, welche Innigkeit zwischen Mongérand und ihrem Manne herrscht, und jetzt, wo sich Karl mehr als je seinen Handelsangelegenheiten widmen sollte, fürchtet sie, dieser Freund, der sich in Paris festsetzen will, möchte ihn aufs Neue von seinen Geschäften abziehen.

»Wäre nur wenigstens meine Tochter größer, hätte ich sie bei mir!« spricht Leonie bei sich selbst, mit einem düstern Blick auf den Stundenzeiger ihrer Uhr, »dann käme die Zeit mir minder lange vor! ich wäre nicht mehr allein, hätte eine Gesellschaft, eine Gefährtin; denn meine Tochter soll meine Freundin werden ... und vielleicht würde die Gegenwart seines Kindes meinen Mann ans Haus fesseln; ja! hätte ich meine Tochter, so wäre ich weit glücklicher, hätte ich sie da ... bei mir ... doch meine Laura ist erst neun Monate alt! ... wie lange muß ich noch allein harren! ...«

Sie seufzt; düstere Gedanken mischen sich, all ihren Bemühungen zum Trotz, in ihre Träume zukünftigen Glücks. Es schlägt elf Uhr und Karl kommt nicht wieder; über diese Stunde pflegt er gewöhnlich nicht auszubleiben. Leonie, gewohnt, auf ihren Gatten zu warten, setzt sich zum Kamin und zählt jede Minute: »Wahrscheinlich hält ihn sein Freund zurück,« spricht sie bei sich selbst, »ihr erstes Wiedersehen. Ich will hoffen, daß ihn dieser Mongérand nicht immer so lange behält.«

Mitternacht geht indessen vorüber. Leonie wird unruhig, sie zittert, es möchte ihrem Manne etwas zugestoßen sein; sie erinnert sich, daß Mongérand sagte, Karl hätte sich einmal schlagen sollen. Sie öffnet das Fenster, blickt in die Straße, lauscht; selten nur schallen noch Schritte von Vorübergehenden, und der röthliche Schein der Straßenlaterne erlaubt keinen sehr weiten Blick.

Weitere drei Viertelstunden verstießen. Es ist kalt, ein Schauer durchrieselt sie, sie bemerkt es nicht, nicht mit sich ist sie beschäftigt, um ihren Mann ist ihr bange; verwundet, sterbend, ermordet stellt sie bereits ihn sich vor.

Endlich vernimmt man Tritte; vor dem Hause hält ein Mann, und Leonie sinkt auf ihren Stuhl am Fenster zurück und murmelt: »Er ist's!«

In der That, Karl ist's. Bald steht er an der Seite seiner Frau, eine Arie vor sich hin summend, nach Punsch und der Pfeife riechend und dunkelroth von Gesichtsfarbe.

Weinend steht Leonie auf und umfängt den Gatten mit ihren Armen: »Ach! ... da bist Du!« ... ruft sie aus.

»Nun ja! da bin ich,« entgegnet Karl mit verwunderter Miene; »was hast Du denn? glaubtest Du, ich sei verloren?«

»Ach, ich glaubte Dich todt, verwundet, was weiß ich? Meine Einbildungskraft gebar die entsetzlichsten Gedanken ... Aber sieh einmal nach der Uhr, bald ein Uhr Morgens; so spät kommst Du mir nach Hause. – Ah! ich wurde aufgehalten. Mongérand traf alte Kameraden von seinem Regiment; wir spielten eine Partie mit den Herren ... Teufel! Du mußt sehr warm haben, um beim offenen Fenster zu bleiben. – Ich wollte sehen, ob ich Dich nicht bemerke oder kommen höre. – So, so, und auf diese Art bekommt man den Schnupfen. – Ach! ich dachte nicht an mich! – Du mußt vernünftiger werden, liebe Freundin. Was Teufel! man kann täglich Bekannte treffen, aufgehalten werden; ich kann nicht jeden Vorschlag abweisen ... Soll ich etwa sagen: Meine Herren, ich kann keine Partie spielen oder kein Glas Punsch trinken, weil meine Frau auf mich wartet und mich zanken könnte? Da würde man mich schön ausspotten. Ein ander Mal leg' Dich zu Bette, das ist weit besser. – So lang Du nicht zu Hause bist, vermag ich nicht zu schlafen! – Doch, doch! Du wirst Dich daran gewöhnen! – Ah! Du hast also im Sinn, künftig nicht mehr vor Mitternacht nach Hause zu kommen? – Das sage ich nicht, zufällig kann's aber geschehen. Nun! jetzt weinst Du; was sollen all diese Dummheiten da? – O! ich sehe zum Voraus, dieser Herr Mongérand wird Dir schlechten Rath ertheilen, Dich von mir entfernen. Er sagt, nach drei Monaten könne man seine Frau nicht mehr lieben; es sei immer das Gleiche! ah! welche abscheuliche Grundsätze! – O nein, nein! glaube das nicht; Mongérand selbst sagt's nur aus Spaß. Nun, weine nicht mehr; Du weißt wohl, daß ich Dich liebe, nur Dich liebe. – Wenn ich Dir aber immer gleich erschiene? ... – Wenn ich Dich aber liebe, ist's nicht genug? – Ach ja! aber ... wenn ... Du ...«

Karls Küsse ersticken die Stimme seiner Frau, welche immer murmelte: »Ach! ... ja ... das Gleiche.«


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