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Sechzehntes Kapitel.

Eine Rache Mongérand's.

Leonie ließ ihren Sohn von der Amme zurückkommen; der kleine Felix zählt erst siebzehn Monate, Leonie findet jedoch Oekonomie und Vergnügen darin, ihn bei sich zu haben. All ihre Zeit theilt sie zwischen der Sorge für ihr Hauswesen, ihren Kindern und der Stickerei, die sie für eine Modehändlerin fertigt; wenn sie zwischen ihren beiden Kindern arbeitet, fühlt sie sich nicht unglücklich, ein Wort von ihrem Mädchen, ein Blick von ihrem Knaben machen sie alle Thorheiten ihres Gatten und die schwankende Lage, in die er sie gebracht, vergessen.

Karl ergibt sich nicht eben so leicht darein, wenn er zu Hause ist; eines Morgens, als er seine Frau arbeiten sieht, ruft er aus: »Das bringt mich zur Verzweiflung, daß ich Dich für Andere arbeiten sehe! ... Du solltest reich, ... glücklich sein! ... – Ich beklage mich nicht, mein Freund, besonders wenn Du bei uns bleibst. – Ja, aber ich, ich kann es nicht ruhig mit ansehen ... es schmerzt mich! ... Und dann, wenn man denkt, daß ich daran Schuld bin! ... das heißt! die Umstände ... denn ich hatte immer die Absicht, gute Geschäfte zu machen! Meine Mutter ist böse gegen mich! ... ich wage nicht mehr, zu ihr zu gehen ... – Da hast Du Unrecht, Karl, Du mußt zu ihr gehen ... nicht, sie um etwas zu bitten, sondern Dich zu entschuldigen ... – Ja, ich werde mich dazu entschließen müssen! ... Seit vierzehn Tagen weiß ich nicht, was aus Mongérand geworden ist? ... ohne Zweifel meint er, ich sei wegen des für ihn bezahlten Geldes böse auf ihn und darum weicht er mir aus! ... er hat Unrecht! ... ich bin nicht der Mann, ihm Vorwürfe zu machen, er machte schlechte Spekulationen, das ist ein Unglück! ... – Möchtest Du ihn nicht mehr treffen, so würde ich diesen Verlust noch als ein Glück betrachten! – Und der Rozat, der mich besuchen sollte ... – Mein einziger Wunsch ist, daß er nicht kommt! ... Dieser Mensch ist nie Dein Freund gewesen. – Warum sagst Du das? ... Du kannst keine Antwort geben ... bloßes Vorurtheil und damit Punktum! – Aber Karl, was brauchst Du diese Leute da? ... genügt Dir denn die Gesellschaft Deiner Frau, Deiner Kinder nicht? sieh Deinen Sohn! der Dir so sehr gleicht! einige Worte stammelt! sieh Deine Laura, die erst vier und ein halbes Jahr zählt und schon so verständig, so artig ist, und ihrer Mutter gerne helfen, ihr an die Hand gehen möchte!«

»Ja ... das ist sehr schön,« erwidert Karl, seine Tochter küssend; dann macht er ein paar Gänge durch das Zimmer und legt sich unter das Fenster, um das ihn befallende Gähnen zu verbergen. »Wiewohl diese Wohnung nicht mehr die Eleganz unserer früheren hat,« fährt Leonie fort, »würde ich mich doch schnell eingewöhnen, Karl, wenn Du Dir mit uns darin zu gefallen schienest! – Sagte ich Dir, ich gefalle mir nicht darin? ... doch ich gehe aus ... man muß sich wohl ein wenig rühren ... etwas zu thun suchen ... und dann greift es mich an, wenn ich Dich arbeiten sehe! ... es thut mir weh! ... ich bedarf einiger Zerstreuung.«

Karls Kummer ist jedoch nie von langer Dauer; hatte er einmal die Schwelle seiner Wohnung hinter sich, so verschwanden seine Erinnerungen, und traf er auf Jemanden, der ihm eine Lustpartie vorschlug, so nahm er's an und war der fröhlichste Geselle; Niemand, der ihn so spielen, singen, lachen und trinken sah, hätte gedacht, daß er sein ganzes Vermögen verschwendet habe und daß seine Frau arbeite, damit seine Kinder keinen Mangel leiden. Und doch sind Männer wie Karl nicht selten, man findet sie in Restaurants und Kaffeehäusern: diese Leute thun nichts, als umherschlendern, sich belustigen, oder gut essen und trinken; zu Hause bei ihnen arbeitet man, friert man, und manchmal fehlt es am täglichen Brod.

Mongérand hatte mit seinen Freunden die Ueberreste seines Waarenvorraths vollends ausgetrunken; täglich wurde der ehemalige Husar, je mehr er sich dem Trunke ergab, auch händelsüchtiger, gröber und ungebührlicher; er verlor die wenigen guten Manieren, die er beim Austritt aus dem Regiment noch besaß; jetzt war es nicht mehr der barsche und kurz abgebrochene Ton, welchen man einem Soldaten verzeiht, es war das pöbelhafte, schamlose Wesen jener Menschen, die sich über alle Schicklichkeit, über allen Anstand hinwegsetzen und ein Recht zu haben vermeinen, den Personen, die dieses noch achten, ins Gesicht zu lachen.

Nachdem er eines Tages in einer Winkelkneipe drei Gläser Branntwein hintereinander hinabgestürzt hatte, schlägt er sich an die Stirn, drückt den schon etwas abgenützten Hut tief in die Augen und begibt sich zu dem Unterkäufer Boursinet, den er mit Abziehen von Mustern beschäftigt findet.

»Boursinet, mein Freund,« redet Mongérand ihn an, indem er sich gleich einer Flasche bemächtigt und sie auf einen Zug leert, »ich habe keinen Sou mehr ... ich bin auf dem Trockenen ... – Und mein Muster ... Muster ... – Von Deinem Muster ist jetzt keine Rede ... höre mich an! – Es war Malaga ... Malaga ... – Er roch verteufelt nach Kandis ... Höre, Boursinetchen, ich weiß nicht, wie es kam, allein meine Waare ging zum Teufel, ohne daß mir irgend ein Gewinn blieb. – Es war Malaga ... Malaga ...« jammert Boursinet; sich am Kinn kratzend. –»Ah! Donnerwetter! willst Du mich anhören? ... Du mußt mir andere Weine verschaffen, denn Karl hat diese da bezahlt und ich will's ihm mit dem Gewinn an den zweiten ersetzen. – Sehr leicht, allein ... dazu braucht's eine Sicherheitsleistung ... Sicherheitsleistung. – Wie, alter Schwätzer! ... Du willst wieder eine Sicherheit ... habe ich Dir meine ersten Wechsel nicht richtig bezahlt? – Nicht Sie ... nicht Sie ... – Ich oder ein Anderer, die Hauptsache ist, daß man sie bezahlt hat, und wenn Karl wieder für mich endossirte ... – Man möchte ihn nicht mehr, er ist ausgezogen ... ausgezogen ... ist genirt, hat einen Theil seines Hausgeräths verkauft ... – Was beweist das? ... allem Anschein nach hatte er zu viel! O! warte, ich habe meinen Mann, wenn der nicht für mich gut steht, breche ich ihn entzwei. Das ist ein reicher Kauz und Du kannst Dich nach ihm erkundigen. Warte, ich verschlucke noch ein Muster von Deinem Malaga, und will dann sehen, ob der schöne Blondkopf würdig ist, mein Freund zu sein ... Ueberdies habe ich ihm schon lange eine Erklärung abzufordern, das Alles nehme ich nun zusammen.«

Mongérand läßt eine zweite Flasche verschwinden, drückt seinen Hut in die gehörige Form, geht fort und läßt Boursinet, sich verzweiflungsvoll an der Nase kratzend, allein.

Nach Rozat's Behausung schlägt Mongérand den Weg ein; bald ist er dort; ohne auf die Frage des Pförtners, wohin er gehe, zu antworten, steigt er die Treppe hinauf. Hier findet er August, wie er, auf dem Treppengeländer reitend, herabrutscht. Im Vorbeigehen gibt er ihm einen Klapps auf den Hintern, worüber der Knabe eine ganze Stunde lang heult, tritt hierauf durch die offenstehende Vorthüre in Rozat's Wohnung ein, geht durch die Vorzimmer in den Speisesaal; lautes Reden zweier sich streitenden Personen benachrichtigt ihn, daß Jemand im Salon ist; er erkennt Herrn und Madame Rozat an der Stimme, bleibt stehen und horcht, ehe er die Thüre öffnet.

»Das mag ich nicht länger ertragen ... mir sogar das Nothwendige verweigern ... das muß ein Ende nehmen. – Die Rechnungen für Ihre Fetzen werde ich nicht bezahlen ... ein Hut für vierzig Franken, wie niederträchtig! Lassen Sie mich in Ruhe, Madame, bringen Sie mich nicht zur Wuth! – Ich kümmere mich viel um Ihre Wuth! wenn Sie mich anrühren, schreie ich nach der Wache!«

»Nun, nun! was gibt's denn? sind aus den Turteltauben Habichte geworden?« sagt Mongérand, plötzlich die Thüre des Salons öffnend, worin Madame Rozat mit flammenden Augen, unordentlichen Haaren umherging, während ihr Mann voll Zorn ein Stückchen Papier in der Hand zerknitterte.

Beim Anblick Mongérands wirft sich Madame ärgerlich auf ein hinten im Gemach angebrachtes Ruhebett. Rozat schiebt das Papier in seine Tasche und bemüht sich, ein freundliches Gesicht zu machen.

»Ah! Du bist's, Mongérand. – Ja, ich bin's! Mit wem Teufels hattet's denn ihr beide zu thun? – O! es ist nichts; ich wiederholte mit Celine ein Sprüchwort ... ein kleines Lustspiel, das wir in Gesellschaft spielen sollen. – Ah! ihr wiederholtet ein Stück ... wahrscheinlich das Hauswesen des Schuhflickers, nach dem, was ich gehört habe? – Ja,« versetzt Madame mit Ironie, »richtig, das ist's, was wir täglich spielen! – Mein lieber Mongérand, wenn Du mir nichts Wichtiges zu sagen hast, so gestehe ich Dir, in diesem Augenblicke bin ich etwas pressirt ... habe viel zu thun, und ...«

Ohne zu antworten, breitet sich Mongérand in einem Lehnstuhle aus, nimmt seine Cigarre aus dem Mund, spuckt auf den Fußteppich und kreuzt seine mit Koth überzogenen Stiefel übereinander. Rozat, der vor ihm stehen geblieben ist, scheint sehr mißvergnügt über diese Vorspiele, welche keineswegs die Absicht schnellen Abzugs verkündigen.

»Mein lieber Rozat,« sagt Mongérand, die kleingebrannte Cigarre wieder in den Mund schiebend, »Du mußt wohl Zeit haben, mich anzuhören; für seine Freunde sollte das immer der Fall sein. Zudem handelt es sich um eine wichtige Sache.«

»Nun gut, folge mir; gehen wir in mein Kabinet,« versetzt Rozat mit unruhiger Miene.

»Nein, nicht nöthig, wir können hier recht gut plaudern; Deine Frau hindert mich nicht, im Gegentheil ... freut mich ihre Gegenwart sehr ... ich liebe die Damen. – Aber ich ... – Setz Dich doch, ich bitte Dich ... Du magst nicht sitzen; ... nun, wie's beliebt! ... Hier meine Angelegenheit: Gegenwärtig treibe ich den Weinhandel; noch habe ich nicht viel dabei gewonnen, doch das wird kommen; die ersten von mir an Zahlungsstatt für die erhaltenen Waaren ausgestellten Wechsel hat Karl endossirt, sogar bezahlt; sehr gut, Karl ist ein guter Kerl, er hat meine Achtung. Nunmehr brauche ich weitere Waaren und einen andern Endosseur. Mehrmals botest Du mir Deine Dienste an, ich nehme sie in Anspruch; ich werde für etwa zehntausend Franken Billete machen, welche Du zu endossiren so gefällig bist, das versteht sich, nicht wahr? ... Sie haben einen starken Schnupfen, Madame? – Nein, mein Herr, sondern nur ein starker Lachreiz hat mich so eben angegriffen. – O! lachen Sie ... geniren Sie sich nicht ... ich lache auch gern. Nun denn, Rozat, Du stehst da wie ein Oelgötze, hast Du mich nicht verstanden?«

»O freilich, o! ich habe sehr gut verstanden. Aber mein lieber Mongérand, Du weißt sonach nicht, was es heißt, für Jemand gutstehen? – Für die Personen bezahlen, wenn sie der Ansprache nicht Genüge leisten. – Richtig! und mit was hoffst Du zu bezahlen? – Kuriose Frage! wenn ich Mittel hätte, brauchte ich keinen Bürgen. – Und ich bürge nur für die, welche bezahlen. – Ah! auf diese Weise riskirst Du? – Meine Umstände erlauben mir nicht, für Andere zu bezahlen. Ueberdies muß man im Leben für Niemand Bürge sein. – Dein Satz da ist sehr hübsch; nun, so will ich Dir einen andern Vorschlag machen; spreche nicht für mich gut, sondern leihe mir die Summe, die ich brauche; das ist mir eben so lieb. – Wenn ich leihen könnte, könnte ich auch bürgen, allein das ist unmöglich. – Wahrhaftig, Spitzbube! – Mongérand, was bedeutet das ... dieser Ton ... – Ist der meinige; Deinetwegen werde ich ihn nicht ändern: glaubst Du, langer Rollenkopf, ich werde mich mit den Ausflüchten begnügen, welche Du Karl'n gabst, als er Dich um einen Dienst bat? – Mongérand, Du thust Unrecht, wenn Du glaubst, es sei Böswilligkeit; frag nur einmal Celine; sie wird Dir sagen, daß wir in diesem Augenblicke selbst sehr in Verlegenheit sind. – Von Celinen ist jetzt keine Rede, sondern von Aschenbrödel will ich Dir sprechen, oder von Madame Stephano, wenn Dir's lieber ist!«

Rozat wird blaß, er zittert, während seine Frau ausruft: »Aschenbrödel! ... Madame Stephano! ... was sind das für Frauenzimmer? – Das ist eine und dieselbe Weibsperson, eine Brünette von lebhafter Gesichtsfarbe und mit sehr ausdrucksvollen Formen. Wir hielten ein gewisses kleines Mahl mit ihr, dem es nicht an Würze fehlte!«

»Ah! welche Abscheulichkeit! welche Niederträchtigkeit! der Herr führt Frauenzimmer zu Gastmahlen und weigert sich, die Rechnung meiner Putzmacherin zu bezahlen!«

»Was Du da thust, Mongérand, ist recht heimtückisch!« sagt Rozat zornig, im Zimmer auf und ab schreitend. »Wenn ich übrigens mit zwei Damen gespeist habe, so hattest doch Du sie mitgebracht; ich kannte sie nicht.«

»Ja, aber Du hast sie heimgeführt, Benjamin! Du fürchtetest so sehr, Aschenbrödel möchte Dir entschlüpfen, daß Du mit ihr und ihrer Cousine noch vor dem Ende der Mahlzeit durchgingst. Ha! tausend Schwerenoth! an diesem Tage mußte man den Lauwasserzapfen sehen, da war er entsetzlich hitzig!«

»Ha! das Ungeheuer von einem Mann! und mich weigert man sich ins Theater zu führen! läßt mich zu Fuß gehen, wenn es regnet!«

Mongérand, höre auf, ich bitte Dich, oder ich ... – Bei Leibe, ich mag nicht aufhören, ich. Ha! Du glaubst, ich lasse mir meine Damen vom Dessert weg entführen und nehme das nur so für einen Spaß! Wenn Du gegen Karl gefällig gewesen wärest, so hätte ich Dir verziehen! aber Du hast tausend Lügen gegen ihn hervorgebracht. Du wagtest ihm zu sagen. Deine Liebe zu Heloisen habe Dich in Schulden gesteckt; Du habest ihretwegen Thorheiten begangen! Allein ich habe sie gesprochen und weiß, was daran ist! Nur zweimal führtest Du sie ins Theater, und zwar in verdeckte Logen, weil das wohlfeiler ist als die Baignoirs. – In die verdeckte Loge!« schrie Madame Rozat dazwischen. »Ah! mein Herr, Sie gehen mit Frauenzimmern in die kleinen verdeckten Logen! welche Unanständigkeit! – An Geschenken hast Du ihr nur ein elendes Riechfläschchen von Opal gegeben, auf dessen Beschlag man keine Vergoldung mehr sieht. – Ein Riechfläschchen von Opal!« fährt Madame Rozat fort; »ja, dann ist's das meinige, ich bin sicher, es ist das meinige ... von hier ist's verschwunden, und der Herr behauptete, August habe es beim Spielen verloren! Mich berauben, um seinen Maitressen Geschenke zu machen! wie schändlich!«

»Sie wissen nicht, was Sie sagen, Madame!« schreit Rozat, zitternd vor Zorn. »Ich habe Ihnen nichts genommen! Und Sie, mein Herr, gehen Sie aus meinem Zimmer und haben Sie nicht die Unverschämtheit, sich je wieder hier blicken zu lassen!«

»Ah! höre, lieber Engel, spielen wir nicht den Eisenfresser, sonst breche ich Alles hier zusammen. Ich will gerade fortgehen, weil ich gesagt habe, was ich sagen wollte; komm mir jedoch in Zukunft nicht mehr in den Weg, sonst möchte es leicht sein, daß ich nicht bei Worten mit Dir stehen bliebe; Du verstehst mich? ich bin ganz gelassen ... liebe den Frieden, aber schlechte Witze nehme ich übel. Leb wohl, Rozat! Madame, ich bringe Ihnen meine Huldigungen dar. Jetzt, Turteltauben, könnt Ihr in euren Scenen aus dem Hauswesen des Schuhflickers wieder fortfahren!«

Mit diesen Worten entfernt sich Mongérand, Rozat in dem Augenblicke verlassend, wo er in seinem Zorn eine Porzellantasse zerbricht, während seine Frau ihr Schnupftuch zu Fetzen reißt.


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