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Fünfzehntes Kapitel

Eine Hochzeit in der Weinlese von Burgund. Es gibt in Paris wirklich eine Speise- und Weinwirthschaft aux Vendanges de Bourgogne (zur Weinlese von Burgund) betitelt, die von mittleren und geringeren Klassen oft zu Hochzeiten benützt wird. Anm. d Uebers.

»Ah! Rozat hat Dir nichts geliehen, weil er sich Heloisens wegen in Schulden gesteckt hat!« rief Mongérand eines Morgens auf einem Spaziergang mit seinem Freunde längs dem Kanal; siehst Du, Karl, diese Antwort kommt mir wie eine schlecht ersonnene Lüge vor! – Warum? – Weil ich weiß, daß Rozat nicht lange in Heloisens Gunst stand; ich werde es aber aufklären; das erste Mal, wo ich Aschenbrödel wieder treffe, spreche ich mit ihr: sie hat mir meinen Ring zurückgegeben, ich bin ihr nicht mehr böse. Aber Donnerwetter! hat Rozat Dich belogen, so will ich ihm dann sein Theil geben; ich bin nicht händelsüchtig und liebe den Frieden, aber ich mag keinen Gauner und Egoisten, der nichts für seine Freunde thut, zum Gesellschafter! Ich zum Beispiel habe bald keinen Sou mehr, aber ich bin sicher, daß Du mir leihen wirst, sobald ich nichts mehr habe. – Wohl gedacht! Dank der Erbschaft von dem Oheim meiner Frau und dem uns noch Gebliebenen, wir haben noch Zeit vor uns. – O! glaube nicht, daß ich auf Deine Kosten leben wolle! das ist nicht meine Art! ich habe Pläne, um Geld zu verdienen; es gelüstet mich, einen Wein- oder Branntweinhandel anzufangen ... auf diesen Handelszweig verstehe ich mich ziemlich gut; und ist mein Geschäft einmal im Gang, mache ich Dich zum Theilhaber an demselben! ... d. h. wenn es Dir einleuchtet. – O ja ... wenn man nur Geld dabei gewinnt! – Beim Teufel! Wein und Brandwein findet immer Abnehmer ... Sieh', wir wollen in der Weinlese von Burgund zu Mittag essen, dorthin habe ich einen Weinunterkäufer bestellt, welcher mir Muster überbringen soll, da werden wir über das Alles sprechen ... – Leonie nahm mir das Versprechen ab, bald nach Hause zu kommen. – Das wirst Du auch ... wir haben noch Zeit! – Mein Töchterchen hat den Keuchhusten, und ... – Ha, ha, ha! ... verfluchter Ofenhocker! geh! ha, ha, ha! er fürchtet sich, in der Stadt zu speisen, weil sein Töchterchen den Keuchhusten hat! – Du verstehst nicht, Mongérand; meine Frau wird gleich unruhig, wenn ihr Mädchen krank ist, und sie wünscht, ich solle zu Hause sein, um ... – Um der Kleinen Arznei einzugeben ... He? Ha, ha, ha! ... Vorwärts, komm doch, Gebrechlicher! bring Du Deinem Töchterchen Mandel mit, das bekommt ihr besser, als Thee und Tränke.«

Karl läßt sich, seiner Gewohnheit gemäß, überreden und begleitet Mongérand in die Weinlese von Burgund. Die Herren begeben sich in ein Kabinet, das mit dem Garten gleichläuft und von wo man den großen Salon mit den Glasthüren erblickt, der sich damals zu ebener Erde befand.

Es war ein Samstag und an diesem Tage ist immer wenigstens eine Hochzeit bei jedem Restaurant, welcher große Salons in seinem Hause hat. Der Samstag ist in Paris der Lieblingstag zur Knüpfung ehelicher Bande, und man erräth den Grund davon leicht: dem Neuvermählten, in der Hoffnung, sich in seiner Hochzeitnacht etwas anstrengen zu müssen, ist es lieb, wenn er den andern Tag nicht zu arbeiten braucht. Ist er ein Schreibereiverwandter, ein Handlungscommis, ein Handwerker oder Arbeiter u. s. w., so läßt nur der Sonntag ihm völlige Freiheit; darum wählt man den Samstag vorzugsweise zur Hochzeit, und demzufolge sollten sich in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag am meisten, man weiß schon was, nehmen und genommen werden; wenigstens liebe ich, es zu glauben!

Es war also eine Hochzeit in der Weinlese von Burgund! sie fand in dem großen, auf den Garten gehenden Salon mit den Glasthüren statt (der Herr des Etablissements hatte sein Restaurant noch nicht auf die moderne Art herrichten lassen, wie wir ihn heutzutage sehen). Die Hochzeit hinderte die Bedienung der Kabinette keineswegs, weil der Chef dieses Hauses sich darauf versteht, und die Kellner überall bei der Hand sind, wo man ihrer bedarf; es ist hier nicht wie bei jenen kleinen Traiteurs, welche den Kopf verlieren, wenn sie drei Gesellschaften anrücken sehen.

Der Weinunterkäufer läßt die beiden Freunde nicht lange warten: er ist ein kleiner, runder, völlig rother Mann, dessen Gesicht mit Finnen ganz besäet ist, der beständig zweimal das Nämliche wiederholt und sich stets entweder Nase, Ohr, Schenkel oder Hinterbacken kratzt, wodurch er seiner Nachbarschaft kein großes Vertrauen einflößt.

»Ah! da ist Herr Boursinet,« ruft Mongérand, dem kleinen rothen Mann in die Hand schlagend; »gut, er ist pünktlich!«

»Guten Tag, meine Herren ... ich grüße Sie ... ich bringe Muster ... Muster ...!«

Und Herr Boursinet langt vier Schoppenbouteillen aus der Tasche, welche er auf den Tisch stellt.

»Gut, Herr Boursinet! beim Nachtisch wollen wir es kosten ... zuerst müssen wir sehen, ob hier Wein und Küche gut ist?«

»Es scheint mir,« bemerkt Boursinet, sich an der Nase kratzend, »man sollte lieber vorher kosten ... vorher kosten ... – Und warum? – Weil, nachdem wir gespeist und andere Weine getrunken haben, Sie weniger die Qualität schätzen können ... die Qualität schätzen können ... – Lassen Sie mich doch, alter Makler! mein Geschmack ist immer vortrefflich! ... zuerst wollen wir zu Mittag essen ... O! o! ... es scheint, wir werden während des Essens Musik zu hören bekommen! es ist eine Hochzeit hier ... ohne Zweifel können wir die Braut sehen! ... – Ist sie hübsch? ... ist sie hübsch? ... – Weiß ich das?«

Die Herren lassen sich ein gutes Mahl auftragen; Mongérands Grundsatz ist, man dürfe erst dann sparen, wenn man es nicht mehr anders machen könne. Anfangs spricht man von Geschäften; Boursinet will durchaus Weine anbringen und versichert Mongérand, er werde ihm zu vortrefflichen Spekulationen verhelfen, weil er ihm die Waaren unter dem gewöhnlichen Preis verschaffe.

Die ganze Zeit über, daß Mongérand dem Makler zuhört, blickt er in den Garten, wo sich die Hochzeitgäste ergehen; auf einmal fängt er an zu schreien: »Alle diese Weiber da sind so häßlich, daß es einem Angst macht! ... wo hat man alle diese Plaudertaschen zusammengefischt; die machen sich den Rang in der Häßlichkeit streitig!«

»Es scheint mir indeß,« versetzte Herr Boursinet, sich am Beine kratzend, »daß ich da so eben eine gesehen habe, die gar nicht übel ist.«

»Schweigt doch, alter Mäkler; hoffentlich verstehen Sie sich auf die Weine besser, als auf die Weiber, sonst kaufte ich Ihre Flüssigkeit nicht. Laßt uns Ihre Muster kosten ... es sind feine Weine, habt Ihr mir gesagt?«

»O! sehr fein ... sehr fein ... altes Gewächs ... altes Gewächs ... – Wie sagtet Ihr? – Ich sagte altes Gewächs. – Ah! gut ... ich hatte etwas Anderes verstanden ... kosten wir ... Bist Du dabei, Karl ... verdammter Nikodemus, der nicht mit Freunden speisen wollte, weil seine Tochter den Keuchhusten hat! – Du siehst wohl, daß ich gekommen bin ... – Ich hätte auch sehen mögen, daß Du nicht gekommen wärest! ... Dann hätte ich Dich tüchtig durchgeprügelt ... d. h. nein, ich hätte Dich nicht geprügelt, weil ich Achtung vor Dir habe! ... Sehen wir 'mal diesen Wein ... was ist es für eine Sorte? ... – Beaune Qualität ... Beaune ... erste ... – Gut, ich verstehe ... Er ist sehr gut, nicht wahr, Karl? – Vortrefflich. – Ich nehme Ihren Beaune. – Ich kann Ihnen sechs Fässer davon überlassen ... davon überlassen ... – Ich nehme alle sechs. Gehen wir zu einem andern Muster! ... Ihre Muster sind sehr klein! ...«

Die vier Schoppenbouteillen sind geleert, Mongérand findet sie köstlich, er kauft, was Boursinet ihm anbietet; wahrend er im Zug ist, würde er die ganze Niederlage auskaufen. Die Pariser Weinniederlage oder Weinhalle ist eine der größten Anstalten dieser Art in der Welt; sie bildet eine eigene Stadt in der Stadt mit Straßen, Plätzen u. s. w., die nach den darin aufbewahrten Weinen benannt sind; z. B. Burgunderstraße etc., es stehen in derselben oft über 400.000 Fässer, die Weine in Flaschen ungerechnet. Anm. d. Uebers. Diese Herren, welche schon sehr viel gegessen und getrunken haben, werden durch die Muster nun berauscht. Karl flucht beinahe eben so viel, als sein Freund, Boursinet kratzt sich, als wollte er sich die Nase ausreißen, und Mongérand, der immer ein Auge auf den Garten hat, ruft bei jedem Frauenzimmer von der Hochzeit, das in seinen Gesichtskreis kommt: »Pfui, das häßliche Thier! ... wollen Sie sich fortmachen!« Glücklicherweise haben die Personen, denen dies Compliment gilt, ihn noch nicht verstanden, oder nicht gedacht, daß es sie angehe.

Um sich den Rest zu geben, verlangt Mongérand Champagner; er fragt den sie bedienenden Kellner, wer die Brautleute seien.

»Wahrhaftig, das weiß ich nicht, Herr ...; ich glaube indeß, ek ist ein Geflügelhändler ... – Geh, sag ihm von mir: seine Frau erinnere mich an das Lied von der Mutter Camus ... Sieh, Boursinet hier, mein Mäkler ... der gewiß recht häßlich ist, stellte, ich wette darauf, mit einer Haube auf dem Kopf, die schönste Frau von der Hochzeit da drüben vor ...«

»Ei! Sie glauben da zu spassen,« fiel Boursinet ein, »ich habe mich mehrmals als Frau verkleidet, mehrmals als Frau verkleidet. – Das geschah doch, um als Vogelscheuche zu dienen? Gleichviel, laßt uns trinken ... und so bin ich nun im Weinhandel. – Ja, im Wein ... im Wein. – Ja so, mein Boursinetchen, es waltet nur noch ein geringer Anstand ob ... der, daß ich keinen Sou habe, meine Einkäufe zu bezahlen. – Man wird sich arrangiren ... sich arrangiren ... das läßt sich hören. – Sie geben gute Billete ... gute Billete. – O! gerne ... ich gebe Ihnen so viel Sie wollen! ... – Endossirt durch einen Freund. – Man braucht noch einen Freund ... nun gut! da ist Karl, der wird's endossiren.«

»Ja, gewiß!« spricht Karl, der bereits doppelt sieht, »ich endossire was Du willst. – Gut ... man erkundigt sich ... erkundigt sich ... – Was soll das heißen, erkundigt sich ... wisse, alter Boursinet, unsere Unterschrift ist Goldes werth ... ich rathe Dir, öfters so gute zu bekommen ... das wird besser für Dich sein, als an Deiner Nase zu kratzen. – Nicht meinetwegen spreche ich ... ich bin nur Makler ... nur Makler ... doch ich denke, es wird sich machen ... wird sich machen. – Nun, so laßt uns trinken und anstoßen auf das Gelingen meines Unternehmens ... es freut mich, daß ich nun in den Weinen bin.«

Während diese Herren ihren Champagner trinken, ist die Nacht schon längst hereingebrochen und die Hochzeitsfestlichkeiten haben dem Balle Platz gemacht; man hört Musik; durch die Glasscheiben sieht man die Tänzer sich tummeln. Plötzlich schlägt Mongérand auf den Tisch und spricht:

»Ich wette, daß ich auf der Hochzeit des Lerchenhändlers tanze. – Und ich auch!« ruft Karl ... – »Ich wette, nein,« versetzte Boursinet, »Sie sind nicht eingeladen ... nicht eingeladen. – Haben wir eine Einladung nöthig ... Ihr sollt sehen, alter Boursinet. – Ach! ja von außen ... von außen ... ich blicke durch die Scheiben ... die Scheiben ... – Und wir, Karl, vorwärts, den Kopf in die Höhe, wichtige Miene und den Fuß angezogen.«

Mongérand und Karl gehen aus dem Kabinet, geben einander den Arm, um mehr Haltung zu gewinnen und sich gegenseitig zu unterstützen; sie nehmen ihre Richtung nach dem Tanzsalon, von Herrn Boursinet gefolgt, der sich jedoch wohl hütet, einzutreten.

Der Contretanz war so eben zu Ende; die Männer spielten die Artigen, die Galanten; die Frauen lachten und neckten ihre Tänzer, und das Alles bei Staub, Hitze und einem sehr unzweifelhaften Weingeruch. In diesem Augenblicke treten Mongérand und Karl Arm in Arm, den Hut auf den Ohren sitzend, in stolzer Haltung ein, der Eine roth, wie ein Krebs, der Andere blaß wie der Tod, beide aber mit der unverschämtesten Miene von der Welt; sie beginnen damit, den Saal der Länge und Breite nach zu durchmessen und den Frauen steif ins Gesicht zu sehen.

»Wer sind diese Herren da?« fragt der Bräutigam einen Vetter, »sind es Verwandte meiner Frau? Warte, ich will den Schwiegervater fragen.«

Der Schwiegervater erklärt, die Herren seien ihm unbekannt; die Eltern, Verwandte, Freunde, kurz alle Hochzeitsgäste treten flüsternd zusammen; auch die Frauen befragen sich untereinander.

»Gewiß,« sagt der Bräutigam, »da Niemand diese Herren kennt, so sind es Unbekannte. – Er hat Recht. – Er hat Recht. – Ich glaube daher, daß man sie fragen muß, warum sie hier hereingekommen sind, und sie bitten, fortzugehen ... – Ja ...ja.«

»Ich nehme es über mich, mit ihnen zu reden, mein Tochtermann,« versetzt der Schwiegervater, welcher einen so steifen und hohen Vatermörder trägt, der ihm die beiden Ohren in die Höhe drückt, daß seine Physiognomie etwas von einem Widder hat. »Die Herren scheinen mir ein wenig getrunken zu haben ... – Ja ... ja, sie haben getrunken. – Man muß suchen, ihnen auf sanfte Art Vernunft beizubringen ... Wollen Sie darauf nicht hören, so werfen wir sie zur Thüre hinaus.«

Seinen Kragen, auf die Gefahr, seine Ohren abzuschlitzen, noch höher ziehend, tritt der Schwiegerpapa vor. Er bleibt vor Mongérand stehen, welcher Karl anstößt, und beide Herren fangen an, dem Schwiegervater ins Gesicht zu lachen. Dieser nimmt es schon sehr übel, daß man bei seinem Anblick lacht, und er spricht mit näselndem Tone:

»Meine Herren, ich bin der Schwiegervater des Bräutigams; ich komme in seinem Namen und im Namen der ganzen Gesellschaft, Sie zu fragen, wie Sie hier hereingekommen sind zu dieser Hochzeit, welche eine bürgerliche und Privathochzeit ist.«

»Ho, ho! ein prächtiger Kerl der Schwiegerpapa! er sieht aus, als käme er aus einem Bockshorn heraus ... Und dieser Vatermörder ... Karl ... sieh doch einmal diesen Vatermörder ... ich glaube, er ist von Kartenpapier! ...«

Damit brechen die Herren in ein noch schallenderes Gelächter aus. Nun wendet sich der Schwiegervater um zu seinem Tochtermann und anderen Verwandten, welche mit dem Ruf hervortreten: »Diese beiden Menschen da sind toll und voll besoffen. – Zur Thüre hinaus, zur Thüre hinaus!« wiederholen mehrere. Hochzeitsgäste.

»Wer hat zu sagen gewagt, zur Thüre hinaus?« schreit Mongérand. – »Wer ist so unverschämt und sagt, wir seien toll und voll gesoffen?« schreit Karl.

»Noch einmal, meine Herren,« nimmt der Bräutigam das Wort, »weßhalb sind Sie hierhergekommen? – Wir sind gekommen, um zu tanzen ... aber nicht mit euern Weibern, die sind gar zu häßlich ...«

Damit will Mongérand eine Kreiswendung machen; im Umdrehen stößt er mit dem Fuß unter die Frackflügel des Schwiegerpapa. Dies ist das Zeichen zur Schlacht. Sämmtliche Männer von der Hochzeit fallen über Karl und Mongérand her; Fußtritte, Fauststöße regnen von allen Seiten auf die beiden Freunde, welche wohl einige zurückgeben, aber nicht stark genug sind, um gegen dreißig Männer mit derben Fäusten zu kämpfen; sie sind im Begriff, erdrückt zu werden, als der Herr des Hauses mit mehreren Kellnern erscheint. Er erkundigte sich nach der Ursache des Streites, und nicht ohne Mühe gelingt es ihm, sich durch das Gewirre Bahn zu machen, indem er zu den Hochzeitsleuten sagt: »Meine Herren ... ich bitte, hören Sie auf ... Sie sehen wohl, daß diese Herren nicht bei Verstand waren; ... lassen Sie mich dieselben wegführen.«

Den Verwandten und Freunden, welche zufrieden gestellt sind, daß die beiden Fremden tüchtig durchgeprügelt sind, ist nichts lieber, als wieder tanzen zu können; sie lassen daher ihre Gegner gerne abziehen. Bei diesen aber ist es nicht derselbe Fall: wüthend über ihre Niederlage, wollen sie sich noch schlagen. Aus Mongérand's Mund quillt Blut. Karl hängen die Augen beinahe aus dem Kopfe heraus; sechs Kellner und der Herr des Hauses sind nöthig, um sie aus dem Salon zu bringen. Endlich ist's gelungen, sie sind im Garten, der Restaurateur läßt die Thüre besetzen und redet den beiden Freunden zu, nach Hause zu gehen.

»Nach Hause gehen,« schreit Mongérand, »nach Hause gehen! nachdem ich von diesen Lumpenkerls geprügelt bin? nein, Donnerwetter, ich gehe nicht, ich erwarte sie hier.«

»Und ich will durch das Fenster wieder hinein!« schreit Karl fortstürzend; nur mit Mühe kann man ihn davon abhalten.

»Meine Herren,« nimmt der Restaurateur wieder das Wort, »ich will keine Auftritte hier; was wollen Sie überdies gegen eine ganze Gesellschaft ausrichten? – Wenn's keine feige Schurken sind, schlagen sie sich einzeln mit uns. – Sie haben aber den Bräutigam und den Schwiegervater beleidigt. – Das ist uns gleich! – Meine Herren Sie müssen sich zurückziehen. – Nein! ich will mich schlagen. – Und ich auch. – Lassen Sie doch diesen Mann ruhig heirathen. – Wir müssen eine Genugthuung haben ... ein Rendezvous ... kurz, ihre Adresse. – Ihre Adresse! Ah! das ist ein anderes; so warten Sie.«

Der Wirth flüstert einem seiner Kellner etwas ins Ohr; dieser entfernt sich und kommt nach einigen Minuten mit einem kleinen Papier wieder, welches er seinem Herrn einhändigt. Der letztere stellt es Mongérand mit den Worten zu: »Da, meine Herren, ist die Adresse des Bräutigams und Schwiegervaters, morgen werden sie zu Hause sein; jetzt sind Sie so gefällig und gehen Sie fort. – Ah! bravo! meinetwegen, so kann es gehen, ruft Mongérand, den Papierstreifen in die Tasche schiebend. Diesen Abend mögen sie tanzen, morgen aber wollen wir wieder anfangen. – Ja, meine Herren, morgen thun Sie, was Ihnen beliebt. Da sind Ihre Hüte ... Guten Abend. – Nun gut, und wo ist denn Boursinet; he, Boursinet! – Dieser Herr ist schon lange fort. – Wie, ohne uns ... Boursinet ... und unsere Karte? – Ist bezahlt, ist bezahlt. Guten Abend, meine Herren.«

Damit schob der Restaurateur Karl und Mongérand vor sich her. Auf diese Art gelangten sie in die Straße, worauf man die Thüre hinter ihnen zuschloß und die beiden Freunde an den Ufern des Kanals stehen ließ.

Einige Minuten brauchen sie, um sich gehörig zu sammeln und auszukennen; sie tasten an sich herum, blicken einander an und gehen einige Schritte. Karl'n war ein Flügel seines Kleides vom Leibe gerissen, seine Halsbinde zerfetzt, das Gesicht aufs Uebelste zugerichtet; Mongérand ist ungefähr in demselben Zustande und überdies sein Hut eingeschlagen.

»Das war ein vermaledeiter Abend,« beginnt endlich Mongérand, Karl unter dem Arme fassend, »aber sie sollen's uns entgelten. – Ha! ich bin rasend vor Zorn, daß wir unterlegen sind: – Wollen wir umkehren und sie auf der Stelle packen! – Recht.«

Nun kehren die beiden Freunde wiederum zu der Weinlese von Burgund, klopfen, lärmen und schreien: »Macht uns auf, wir wollen uns lieber sogleich schlagen! macht auf oder kommt heraus!«

Man läßt sie lärmen, antwortet ihnen aber nicht. Müde des vergeblichen Klopfens, stellen sich die Herren endlich zufrieden, gehen fort, brummend: »Für morgen also.«

Es ist Nacht. Längs dem Kanal schritten sie Arm in Arm dahin, indem sie sich Mühe gaben, nicht zu wanken. So laufen sie lange fort, die frische Luft betäubt sie noch mehr. Mongérand glaubt sich auf den Quai's, und statt über die Brücke zu gehen, welche sie in die Straße de Lancey führen würde, bleibt er stehen und sagt: »Einen Augenblick, so kämen wir in die Vorstadt St. Germain, und das ist nicht unser Weg. – Du glaubst ... wie! wir wären also verirrt. – Ei nein ... laß Dich führen ... wir biegen in die Straße St. Denis ein ... rechts.« Während die Herren die Straße des Recollets hinaufgehen, wundern sie sich, daß die Buden schon geschlossen sind. Nach langem Marsche kommen sie an die Barrière du Combat. Wie Karl dieselbe von ferne erblickt, sagt er: »Sonderbar, die Porte St. Denis kommt mir kleiner vor als sonst! – Wahrscheinlich ist's die Porte St. Martin.«

Unter der Laterne der Barrière bleiben sie indeß stehen und sehen in die Höhe.

»Aber die Pest soll mich ersticken! Karl, das ist weder die Porte St. Martin, noch die Porte St. Denis. – Da siehst Du ... Deine Schuld. – Die Schuld Boursinets ... hätte er auf uns gewartet ... sollte er auch verirrt sein ... He! Boursinet!«

»Wo kommen wir da hin, Kamerad?« fragt Karl einen Accisebeamten. – In die Poudrette. – In die Poudrette! das ist hübsch. Wo Teufels sind wir denn? – An der Barrière du Combat. – Nicht möglich! der verfluchte Boursinet ist daran Schuld! und um in die Straße Poissonnière zu kommen ... – Gehen Sie immer da hinab bis zum Kanal und dann über die Brücke. – Danke, Freund. Komm, Mongérand. – Ah! einen Augenblick! ... laß mich, so lange wir noch unter einem Lichte stehen, die Adresse unserer Leute betrachten, mit denen wir uns morgen früh schlagen sollen, denn wir müssen ja doch deßhalb zusammenkommen.«

Mongérand zieht den erhaltenen Papierstreifen aus der Tasche, dreht ihn hin und her und murmelt: »Welche Dummheit, mit Bleistift zu schreiben. Man kann's beinahe nicht mehr lesen. Ah! warte, da hab' ich's ... Pi ... Piche ... Pichardin ... rue des Mauvaises Paroles ... Keine Numero. Wahrscheinlich sind sie bekannt ... wir werden sie schon finden. – Gehen wir diesen Abend hin? – Nein, wir gehen ganz ordentlich nach Haus; morgen aber, Karl, holst Du mich recht frühe ab, und dann wollen wir die Herren Pichardin, Vater und Schwiegersohn, aufwecken.«

Die beiden Freunde führen einander wieder beim Arm, gehen hinab bis zum Kanal, entschließen sich diesmal, die Brücke zu passiren und gelangen auf den Boulevard. Karl wohnt in der Straße Poissonnière; bald ist er in der Nähe seiner Wohnung, und Mongérand verläßt ihn an der Ecke des Boulevard, ihm noch wiederholend: »Morgen früh ... es ist eine Ehrensache ... Ich rechne auf Dich.«

Karl sagt zu und langt vor seiner Thüre an; es scheint, daß der Anblick seiner Wohnung ihn ein wenig zur Besinnung bringt, eilends steigt er die Treppe hinauf, tritt in sein Zimmer und zeigt sich vor seiner Frau, indem er eine lachende Miene affektirt, damit diese nichts ahne. Allein er vergaß die Unordnung seiner Toilette, und Leonie stößt bei seinem Anblick einen Schrei aus.

»Ach, mein Gott! was ist Dir denn zugestoßen? – Mir? nichts! – Was hast Du denn? – Ich habe mit Mongérand gespeist, das ist Alles. – O! ich dachte wohl, daß Du bei dem seiest. Aber es ist Dir gewiß etwas zugestoßen. Dein Kleid ist ganz zerrissen. – Bah! sieh, das hatte ich nicht einmal bemerkt; wahrscheinlich bin ich hängen geblieben, – Deine Halsbinde ist in Fetzen und Dein Gesicht ... Ach! Karl, Du hast Dich geschlagen! – Das heißt, man hat uns geschlagen! – O mein Gott! mein Gott! was ist denn geschehen? – Schrei nicht so laut, Du weckst Deine Tochter auf ... guten Abend, Laura ... Hat sie diesen Abend viel gehustet? – Ei! was kümmert Dich das? Du hast nicht an uns gedacht! – O! doch, und der Beweis ist, daß ich Bisquit von Rheims für euch beide in die Tasche gesteckt habe ... Ah! ... es scheint, das ist in der Tasche, die ich verloren habe ... – Karl, ich beschwöre Dich ... erzähle mir, was Dir zugestoßen ist ... komm, setze Dich ... ruhe aus ... So ist's recht ... willst Du etwas zu Dir nehmen ... Zuckerwasser ... – Ja, ich möchte wohl ... denn ich bin etwas angegriffen.«

Leonie, welche den Zustand ihres Gatten nun recht ins Auge faßt, beschäftigt sich zuerst mit der Sorge für seine Gesundheit und fürchtet, ihn zu ärgern. Während ihm seine Frau Zuckerwasser bereitet, setzt sich Karl zum Bette seiner Tochter, küßt die kleine Laura, welche ausruft: »O! Papa ... Du riechst ... warte doch ... wie wenn unsere Magd Fische kocht ... – Du meinst ... ich habe indeß keine gegessen. – Papa, Mama hat Nachrichten vom lieb Brüderchen erhalten ... es befindet sich wohl ... und ist sehr hübsch. – Ah! desto besser, meine Tochter ... Ah! er ist sehr hübsch ... Du bist ein Liebesengel ... Du ... Was soll ich Dir morgen kaufen? ... sprich ... – Was Du willst, Papa ... eine recht große Puppe. – Gut ... sei ruhig.«

Leonie kommt zurück, reicht ihrem Gatten das Verlangte, ergreift hierauf seine beiden Hände und beginnt: »Jetzt, Karl, sag mir doch, warum hast Du Dich geschlagen? – Warum ... ja ... das ist gekommen ... Ach! ja, ich erinnere mich ... Bei dem Traiteur, wo wir speisten, war eine Hochzeit ... Mongérand und ich sahen dem Tanze zu ... die Bauernlümmel wollten uns zur Thüre hinauswerfen ... Du siehst wohl, daß wir uns das nicht gefallen lassen konnten ... Ich weiß nicht, was wir zu ihnen sagten ... allein sie fielen Alle über uns her ... Alle! ... welche Niederträchtigkeit ... da gingen wir fort ... aber morgen ... o! morgen, werden wir den Bräutigam und seinen Schwiegervater wieder finden ... Mongérand hat ihre Adresse, ich werde ihn abholen und ... – Großer Gott, was sagst Du, Karl! ... Du hättest Lust, Dich morgen wieder zu schlagen ... – Gewiß ... – Ach! mein Freund, Du bedenkst nicht, was Du da sprichst ... diesen entsetzlichen Gedanken hegst Du nicht ... Dich zu schlagen ... und was haben Dir jene Leute gethan, daß Du ihr Vergnügen störtest? ... Du warst ... ein wenig betrunken, Mongérand ohne Zweifel viel; wer sagt Dir, daß ihr es nicht waret, die Unrecht hatten? – Gleichviel, sie haben uns geschlagen ... und die Ehre fordert, daß wir Genugthuung nehmen. – Die Ehre ... Ach! Karl, Ihr mißbraucht dieses Wort ... eure Ehre bestand darin, daß ihr keine Händel suchtet mit Leuten, die euch gewiß nichts sagten. Und wer sind diese Personen ... gegen wen wollt ihr euch schlagen? ... Ihr kennt sie vielleicht gar nicht ... – Nein ... doch ... ich glaube, es sind Geflügelverkäufer ... – Und mit solchen Leuten wollt, ihr euch messen? ... – Wisse, Frau, ein Mann ist so viel werth als ein anderer ... – Ein Mann ist so viel werth als ein anderer? ... O! nein ... dieser Grundsatz ist falsch! ... ein Schurke ist nicht so viel werth als ein ehrlicher Mann! ... ein Raufbold ... ein Mensch, der, auf seine Geschicklichkeit gestützt, seinen Nebenmenschen reizt und herausfordert, ist nicht so viel werth als ein guter Familienvater, dessen Existenz die seiner Kinder sichert. – Karl ... denke nicht mehr an diese Sache ... die, welche Dich mißhandelten, haben es ohne Zweifel schon vergessen ... Nicht wahr, Karl, Du schlägst Dich morgen nicht? ... – O! doch ... ich muß ... Mongérand erwartet mich sehr früh ... – Du mußt? ... und wenn Du fällst, sollen also deine Frau und Kinder vor Jammer sterben? Ich bitte Dich kniefällig, mein Freund, denke nicht mehr daran, Dich zu schlagen ... Laura, bitt' auch Du Deinen Vater! beschwöre ihn, sich morgen nicht zu schlagen.«

Leonie ist vor ihrem Gatten, dessen eine Hand sie zwischen den ihrigen hält und mit ihren Thränen benetzt, auf die Kniee gesunken. Die kleine Laura setzt sich in ihrem Bette und spricht mit gefalteten Händen, wie bei ihrem Abendgebet: »Papa, ich bitte Dich, schlage Dich morgen nicht, Du siehst wohl, es würde Mama Kummer machen.«

Karl ist bewegt, mit der Hand vor den Augen sagt er: »Nun gut ... morgen wollen wir sehen, ... zuerst laßt mich ins Bett ... schlaf, Töchterchen.«

Mehr wünscht Leonie nicht, als ihren Gatten sich zur Ruhe legen zu sehen, bald schließen sich auch seine Augen; Leonie legt sich gleichfalls nieder, kann jedoch keine Minute des Schlummers genießen; die Furcht, ihr Mann möchte sich am andern Morgen schlagen, hält sie die ganze Nacht hindurch wach, sie bittet den Himmel, er möchte Karl lange schlafen lassen, damit die Stunde seines Stelldicheins vor seinem Erwachen vorübergehe. Sobald der Tag graut, erhebt sie sich leise von ihrem Lager, zieht sorgfältig die Vorhänge zusammen und verbietet ihrem Dienstmädchen den Eintritt, damit kein Geräusch in seinem Schlafzimmer entstehe, dann setzt sie sich in eine Ecke, aufmerksam, regungslos, bei der mindesten Bewegung ihres Gatten erzitternd, den Blick auf die Standuhr geheftet und leichter athmend, je mehr der Stundenzeiger vorrückt. Der Himmel erbarmt sich ihres Kummers; erst nach neun Uhr erwacht Karl. Er sucht seine Gedanken zu sammeln, blickt im Zimmer umher, doch plötzlich ruft er aus: »Ach! mein Gott! .... heute frühe ... erwartete mich Mongérand ... Wie viel Uhr ist's denn? – Halb elf Uhr, antwortet Leonie, sich vor die Uhr stellend. – So spät! ... wär's möglich ... wie ...« Leonie holt ihre Tochter aus ihrem Bett und trägt sie eiligst zu Karl, indem sie sagt: »Mein Freund, küsse Deine Tochter ... da ... leg' sie neben Dich ... liebst Du sie denn nicht mehr?«

Karl küßt Frau und Kind. In diesem Augenblicke wird die Klingel mit Heftigkeit angezogen, Leonie erbleicht und zittert, Karl horcht in gespannter Erwartung: Mongérand erscheint ... Leonie wandelt eine Todesschwäche an.

»Keinen Knopf von einem Pichardin!« schreit Mongérand bei seinem Eintritt. »Ich habe die ganze Straße des Mauvaises Paroles durchstreift ... sie haben uns eine falsche Adresse gegeben! ... diese Lumpenkerls verstehen sich auf nichts, als mit der Faust zu schlagen! Hierauf ging ich zum Traiteur und forderte eine Erklärung ... der versicherte mich, daß er sie eben so wenig kenne, als wir und nicht wiedersehen werde. Demnach hast Du wohl daran gethan, Dich in Deinem Bette zu dehnen.«

»O mein Gott! wie danke ich Dir!« sagte Leonie zum Himmel blickend, »mein Mann wird sich nicht schlagen! ... – Nein! mein Frauchen, nein ... Seien Sie überdies unbesorgt! ... wenn Karl bei mir ist, dürfen Sie immer ruhig sein ... ich bin nicht streitsüchtig und liebe den Frieden! ... – Können Sie das sagen, mein Herr! ... da Sie diesen Morgen mit meinem Gatten ein Stelldichein genommen haben, um diese unselige Geschichte weiter zu verfolgen? ... – Hören Sie doch, es gibt Ausnahmsfälle! ... mir wurde der Hut eingeschlagen! ... und wenn ich je den Schwiegervater oder den Tochtermann wieder finde ... doch genug! ... sprechen wir nicht mehr davon. Karl, ich will Dich abholen, um zu Boursinet zu gehen. Es handelt sich um ein gutes Geschäft, Madame Darville; ich fange den Weinhandel an ... und den Branntweinhandel; Karl hält mit ... so gewinnen wir Geld wie Heu.«

»Ja,« fällt Karl ein, »und vielleicht kann ich in Kurzem ein Cabriolet nehmen ... He ... was sagst Du dazu, Leonie?«

»Nichts, mein Freund, ich habe keinen andern Ehrgeiz, als meine Kinder gut erziehen, gut ausstatten zu können. – Gut denn! ich aber habe Ehrgeiz! ... ich will, daß Du immer mit der höchsten Eleganz gekleidet sein sollst ... Seit einiger Zeit vernachlässigst Du Deinen Putz zu sehr ... – Wenn ich Dir nur gefalle,« versetzte Leonie seufzend, »ist das nicht genug? – Ja, aber Du sollst auch glänzen ... man soll, wenn man Dich anblickt, sagen: diese Dame hier trägt sich nach dem neuesten Geschmack!«

»Er hat Recht,« sagt Mongérand; »hat man eine sanfte Frau, welche nicht immer schreit, und uns unsern Willen läßt, so darf man ihr nichts verweigern ... Ach! hätte ich ein sanfte Frau gehabt, würde ich sie mit Geschenken erdrückt haben! ...«

Inzwischen hat sich Karl angekleidet und schickt sich an, seinem Freund zu folgen ... Im Augenblick ihres Weggehens läuft ihnen Leonie nach und sagt noch zitternd zu Mongérand: »Nicht wahr, Sie nehmen ihn nicht fort, sich zu schlagen?«

»Ach nein, mein Frauchen! ... seien Sie ruhig ... das ist aus! ... nur wenn wir der Hochzeit begegnen, geben wir ihr einen Tritt und damit Punktum ... – Ach, mein Herr! ... – Fürchte nichts,« versetzt Karl, »wir werden ihr nicht begegnen.«

Mongérand ist entschlossen, den Weinhandel zu unternehmen, weil er sich für einen Kenner in diesem Handelszweige hält und, an seinem letzten Thaler nagend, die Nothwendigkeit fühlt, weitere zu verdienen. Der Makler Boursinet verschafft ihm gegen von Karl endossirte Wechsel für zehntausend Franken Waaren; man hat Vertrauen in Darville's Unterschrift, weil man weiß, daß er noch Ressourcen hat, und ehe er sich vom Handel zurückzog, alle seine Schulden bezahlte.

Karl soll einen Antheil an dem Gewinn seines Freundes erhalten; in Erwartung dieses Gewinns kauft er seiner Frau neue Kleider, seinem Töchterchen die schönsten Spielsachen, ohne auf Leoniens Vorstellungen hören zu wollen, welche Mongérand nicht für fähig hält, irgend ein Unternehmen klug durchzuführen. In der That fängt auch Mongérand, nachdem er von Karl noch das Geld zur Miethe eines Magazins für die erstandenen Weine entlehnt hatte, damit an, den Gewinn für mehrere abgesetzte Fässer sogleich zu verschlemmen, hierauf verkauft er an Wirthshausfreunde, welche ihn nicht bezahlen, und führt alle seine Bekannten in sein Magazin, wo der neue Kaufmann und seine Freunde, um sich zu überzeugen, daß die Waare hier nicht verdirbt, vom Morgen bis Abend trinken.

Die Verfallzeit der Wechsel kommt! Mongérand kann nicht bezahlen, man hält sich daher an Karl.

»Du hast also für Mongérand gutgesprochen?« fragt Leonie, als sie ihren Gatten zweitausend Franken auf die Wechselbriefe seines Freundes bezahlen sieht. – »War ich's nicht schuldig? ... hat er mir nicht früher auch geliehen und zwar ohne nur ein Billet zu wollen? ... – Ja ... ich erinnere mich, daß er Dir diesen Dienst leistete, und welchen Kummer es mir damals machte. Diese zwei Billete sind wenigstens die einzigen, welche Du unterzeichnet hast?«

»Es sind noch fünf ... oder sechs ... allein Mongérand wird die übrigen bezahlen ... o! da bin ich ruhig! – Karl, es scheint mir, man sei seinen Kindern mehr schuldig, als seinen Freunden; das hättest Du bedenken sollen, ehe Du die Wechsel endossirtest. – Ich sage Dir, er wird mir's zurückzahlen.«

Doch auch die übrigen Billette werden bei Karl vorgewiesen, denn Mongérand löst sie nicht ein und kann auch keine Vergütung leisten; auf diese Weise zahlt Karl innerhalb acht Monaten zehntausend Franken für den, dessen Bürge er war, ungerechnet das zur Miethe des Magazins vorgestreckte Geld.

»Ich habe diese Wohnung aufgekündigt,« sagt Leonie eines Morgens zu ihrem Gatten. – »Warum denn? ... – Wir haben nur noch etwa tausend Thaler übrig; meinst Du, man könnte damit, wenn man keine Anstellung hat ... ja nicht einmal sich in seinen Ausgaben einzurichten weiß, meinst Du, man könne damit große Sprünge machen? ... Wir können keine Wohnung für siebenhundert Franken mehr brauchen ... ich habe eine für hundert Thaler gemiethet ... das ist noch viel! ... möchten wir lange darin bleiben können! ... – Ach! Leonie ... welcher Einfall! ... dieser Weinhandel ist schlecht ausgefallen, allein Mongérand wird mir eines Tages Alles wieder ersetzen, was er mir schuldet, er ist ein Ehrenmann! – Ich weiß nicht, worin die Ehre jener Leute besteht, welche mit dem Bewußtsein der Unmöglichkeit des Heimzahlens entlehnen, welche sich keinen Genuß des Lebens versagen, während die, die für sie bürgten, Alles entbehren, um für jene bezahlen zu können: Mongérand wird Dir nichts zurückgeben; Deine Mutter kann Dir keine Hülfe mehr leisten, kaum bleibt ihr so viel, daß sie ehrenvoll leben kann. Ich verabschiede unser Dienstmädchen ... wir können sie nicht mehr behalten ... ebenso will ich mich bemühen, Arbeit im Sticken und Feinnähen zu bekommen! – Du für Andere arbeiten! ... ach! ... das werde ich nicht dulden! – Ich aber werde es noch weniger dulden, daß es meinen Kindern an etwas fehlt! ... – Was fehlte ihnen bis jetzt? – Nichts ... doch mir bangt vor der Zukunft! ... habe ich denn keine Ursache, davor zu erzittern? ... – Nein ... nein! ... beruhige Dich, Alles wird besser gehen, als Du glaubst! ... gestern traf ich Rozat, er entschuldigte sich mit Familienangelegenheiten, daß er uns seit lange nicht mehr besuchte ... er sagte mir jedoch, er werde kommen, er habe mir ein vortheilhaftes Anerbieten zu machen. – Wenn Du darauf baust, Karl, so dauerst Du mich, das darf uns indeß am Ausziehen nicht hindern.«

Diesmal hat sich Leonie im Marais in einer bescheidenen Wohnung eingemiethet, welche, obgleich klein, angenehm und sauber ist. Karl verzieht indeß das Gesicht, wie bei seinem Eintritt in die Wohnung, die er jetzt zu verlassen gezwungen ist, und abermals spricht er: »Ich schmeichle mir, wir werden nicht lange hierbleiben!«


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