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Zwanzigstes Kapitel.

Der Verlobungsball.

Karl schlägt den Weg nach der Straße Saint-Louis ein, Violine und Bogen, in Ermanglung eines Futterals, unter dem linken Arm; die ganze Länge des Weges wiederholt er sich: »Nach der ersten Figur kommt ein Eté ... dann ein Poule ... dann ... O! ich werde mich wohl aller Figuren erinnern; es handelt sich nur darum, mir die zu diesen Figuren gehörigen Contretanze zurückzurufen. Meiner Treu, um so schlimmer! ... ich spiele auf gut Glück! Uebrigens denke ich, daß man bei Herrn Tigré, einem ehemaligen Rauhhändler, nicht weiter davon verstehen wird, als ich. Als Schlußstück spiele ich ihnen: En avant, Fanfan la Tulipe! diese Melodie habe ich am besten los ... Aha! da ist die bezeichnete Hausnummer ... ein Hofthor ... Lampen auf den beiden Ecksteinen ... hier muß es sein ... Und ich, ich gehe auf den Ball, um für fünfzehn Franken Musik zu machen ... während ich ehemals ... Ach! meine Mutter hat wohl gethan, daß sie starb! ... hätte sie das vernommen ... es würde ihr zu viel Kummer gemacht haben! ... Schurke von Mongérand! ... Und er entlehnte Geld von ihr in meinem Namen, so lange ich krank war! Wenn ich ihn sähe, wollte ich ihn nach Verdienst behandeln ... Wohlan ... treten wir ein! ... Ich werde an meine armen Kinder denken ... das gibt mir Muth zum Spielen!«

Karl geht durch das Hofthor ein und ruft dem Pförtner zu: »Herr Tigré? –Im zweiten Stock links. Es ist überdies beleuchtet.«

Auf sein Klingeln vor der Thüre des zweiten Stocks erscheint ein Bedienter mit wichtiger, geschäftiger Miene, welcher ihn einläßt und, seine Violine gewahr werdend, ausruft: »Ah! Sie sind der Musiker, der bei meinem Freunde Bertrand wohnt, nicht wahr? – Richtig. – Ah! gut, sehr gut! Ich habe Sie bestellt ... habe mit Bertrand den Preis ausgemacht ... Sie wissen ... fünfzehn Franken ... – Ja, ja, ich weiß. – Und seien Sie ruhig, ich werde für Sie sorgen ... zu trinken gebe ich Ihnen, so viel Sie wollen ... dürfen sich nicht geniren, wenn Sie Durst haben ... Sollen reinen Wein bekommen ... Habt das lieber, ihr Herren, als Zuckerwasser!«

Ein Mann von etwa fünfzig Jahren, nicht einmal vier und einen halben Fuß groß, mit blonder Perrücke, schwarzem Backenbart, dicken Waden und einem Glasauge kommt mit den Worten aus dem Salon: »Wer hat geklingelt, Braillard? Ist's mein Schwiegersohn? – Nein, Herr, es ist die Musik. – Ah! gut! die Musik, sehr gut; wir werden sogleich tanzen; meine Tochter brennt vor Begierde, zu tanzen. Kommen Sie, Herr Musikus.«

Herr Tigré führt Karl in einen Salon von geringer Größe, in welchem schon mehr als dreißig Personen aufgeschichtet sind. Beim Anblick der steifen, schwerfälligen Gestalten, der geschmacklosen Aufzüge, sieht Karl auf der Stelle, daß er es mit keinen Besuchern Tolbecque's, Collinet's, Mufard's zu thun hat; das beruhigt ihn; er hofft, man werde keine neuen Contretänze von ihm verlangen, was ihn sehr in Verlegenheit setzen würde.

»Die Musik ist da ... Man wird tanzen!« ruft Herr Tigré, in den Salon tretend.

Ein Murmeln der Zufriedenheit antwortet auf diese Verkündigung. Eine sehr große Dame tritt, zwischen den Beinen der Gesellschaft hindurchblickend, vor; Madame Tigré ist es, die ihren Gatten aufsucht; sie sagt zu ihm: »Wo wollen Sie die Musik aufstellen, Herr Tigré? ... es ist nicht leicht, einen Platz zu finden ... wir haben so viele Leute! ... Und mein Schwiegersohn ist noch nicht da! ... Flora ist sehr ärgerlich darüber; sie schmollt beträchtlich! – Sie soll tanzen, das wird ihr Geduld geben ... Meine Herren und Damen, ein wenig Platz für die Musik, wenn's gefällig ist.«

In einer Ecke des Salons macht man endlich ein Winkelchen ausfindig. Braillard, der seinem Herrn folgte, scheint Alles thun zu wollen; er rückt die Stühle, schiebt die Lehnsessel von ihrem Platze, schraubt die Lampen höher und sagt zu Karl: »Wollen Sie ein Notenpult? – Nein, nicht nöthig, ich spiele auswendig. – Sie spielen auswendig, Teufel!«

Damit wendet sich Braillard um, zieht Herrn Tigré an seinem Kleid und raunt ihm ins Ohr: »Der Musikus spielt auswendig! ... Sagen Sie 'mal, Herr, da hat uns Bertrand einen famosen Künstler verschafft!«

»Braillard, geht doch und bereitet Zuckerwasser!« ruft Madame Tigré mit gebieterischer Miene.

»Ja, Madame.« Ehe er jedoch ins Vorzimmer zurückkehrt, geht er wieder zu Karl und flüstert ihm zu: »Wenn Sie Durst haben, so geniren Sie sich nicht, ich werde für Sie sorgen ... reinen Wein!«

Inmitten der Menge bemerkt Karl ein kleines, schlecht gewachsenes, gelbes, mit Sommerflecken über und über besäetes Frauenzimmer, deren Nase man vergebens zwischen zwei ungeheuren Backen sucht, welch letztere bei dem Punkt, wo sie sich am nächsten stehen, allem Andern mehr gleich sehen, als einem Gesicht. Dieses Frauenzimmer geht unablässig im Salon hin und wieder, blickt ins Vorzimmer und ruft einmal über das andere: »Mein Gott, er kommt nicht! ... Was macht er denn?« Dies ist Flora Tigré, die Tochter des Hauses, deren Verlobung man feiert.

Ein schon bejahrter Herr, an dem Alles, vom Kopf bis zu den Füßen, spitzig ist, dessen Nase und Kinn die ganze Gesellschaft stechen zu wollen scheinen, nähert sich Fräulein Flora mit den Worten: »Werde ich das Vergnügen haben, die erste Tour mit Ihnen zu tanzen, meine Nichte?« – »Lieber Onkel Cäsar, Sie sind sehr artig; ich habe schon zwei meiner Vettern abgewiesen, weil ich die erste mit meinem Zukünftigen zu tanzen gedachte, da er aber noch nicht erschienen ist, werde ich mit Ihnen tanzen. – Nun, so will ich meine Handschuhe anziehen.«

Damit zieht Onkel Cäsar eichelfarbene Handschuhe aus der Tasche, in welche er seine langen, krummen Finger hineinzuzwingen versucht. Karl läßt die Saiten der Violine erklingen; alsbald zeigt sich ein Ausdruck der Heiterkeit auf allen Gesichtern; es scheint, diese Leute hören zum erstenmal in ihrem Leben eine Violine. Jeder wendet sich lächelnd nach dem Musiker um, welcher zwei oder drei Akkorde hören läßt.

Man stellt sich auf; Karl spielt auf gut Glück die Contretänze, die ihm gerade beifallen. Was die Figuren betrifft, so haspeln die Tänzer solche nach allen Melodien ab. Die erste Quadrille geht ziemlich gut vorüber, während der zweiten macht ein junger Mann die Bemerkung: »Die Figur, wenn's gefällig ist!« – »Nach Belieben,« antwortet Karl. – »Nach Belieben ... ei, ich kenne sie nicht! – Nach Belieben, das ist der Cavalier allein!« ruft Onkel Cäsar, welcher diese Figur sehr liebt.

Während Karl seine zweite Quadrille spielt, setzt sich Herr Tigré neben eine Dame, unfern des Musikers, und dieser hört folgendes Gespräch:

»Mein Vetter, ich bin sehr begierig, die Bekanntschaft Ihres Schwiegersohnes zu machen. – Sie werden ihn sehen, er kann nicht lange mehr ausbleiben ... ich wette, er beschäftigt sich mit irgend einer Galanterie für Flora ... Ein allerliebster Junge; ... von einer Liebenswürdigkeit, einer Heiterkeit ... o! ein Lebemann! schön, hübsch, braun ... ein ehemaliger Militär ... – Decorirt? – Nein ... wäre es jedoch geworden, als er sich gerade vom Dienste zurückzog. – Er war Offizier? – Gewiß ... als er seinen Abschied nahm, war er daran, Oberst zu werden ... er hatte ein Duell mit seinem General ... Oho! er ist ein Mann, den man nicht zu lange anblicken darf! – Es scheint mir jedoch, Vetter, diese Heirath sei sehr schnell abgeschlossen worden, und Sie kennen Ihren künftigen Schwiegersohn nur erst seit ganz kurzer Zeit. – Das ist wahr ... höchstens seit zwei Monaten ... im Theater de la Gaîté machten wir seine Bekanntschaft; ich war mit meiner Gattin und meiner Tochter dort ... in einem Zwischenakte gehe ich hinaus; bis ich zurückkam, hatte sich ein Mann, der Bemerkungen meiner Frau und meiner Tochter ungeachtet, erlaubt, meinen Platz einzunehmen ... ich, ich will meinen Platz ... nichts ... ich schreie ... drohe ... Sie wissen, ich bin nicht sehr geduldig! ... eben wollte ich die Wache herbeiholen, als ein schöner Mann vortritt, und ohne weitere Umstände meinen Streitkopf im Genick packt und unter die nächste Bank wirft. Sie sehen wohl ein, daß ich diesen Dienst zu Herzen nahm. Das Gespräch entspann sich; am Ende des Schauspiels ging der Herr mit uns und bot meiner Gattin den Arm; wir fanden ihn so liebenswürdig, daß wir ihn einluden, uns zu besuchen; den andern Tag war er bei uns; jeden Morgen und Abend kam er wieder. Bald sah ich, daß es meiner Tochter wegen geschah, und Flora ihrerseits sagte zu uns: Meine lieben Eltern, das ist der Mann, den ich mir geträumt hatte ... dieser soll mein Gatte werden, oder ich bleibe ledig. Sie sehen wohl ein, liebe Base, daß ich's nun für angemessen erachtete, der Sache auf den Grund zu gehen; überdies macht Emil (der Taufname meines Schwiegersohns) nicht viel Umschweife. Ich sprach zu ihm: »Mein Freund, Sie scheinen meiner Tochter den Hof zu machen; wir sind rechtschaffene Leute, man muß die Sache zu Ende führen ... Flora ist zu verheirathen, ich gebe ihr sechzigtausend Franken baar und bei unserem Tod wird sie als einzige Tochter unser ganzes übriges Vermögen erhalten; ist Ihnen dies anständig? Er schlug sich an die Stirn, schien sich einen Augenblick zu besinnen, und rief dann aus: Ja, es ist mir ganz anständig! – Ich fragte ihn, was er habe, er erwiderte mit der größten Offenheit: nichts, als Hoffnungen. Ich weiß, ich hätte eine bessere Partie treffen können, aber während dieser Unterredung mit ihrem Liebhaber fiel Flora im Zimmer ihrer Mutter in Krämpfe, daß vier Mann genöthigt waren, sie zu halten. Ueberdies ist Emil von sehr guter Familie, ich habe mich darnach erkundigt. Kurz, Alles war schnell entschieden, abgemacht, und von heute über acht Tage werden wir sie zur Kirche führen. Es ist bereits Alles für diesen Tag bestellt ... ich schmeichle mir, unsere Anzüge sollen vom besten und neuesten Geschmack sein ... es muß Aufsehen erregen ... ich ließ mir die berühmtesten Kaufläden bezeichnen: bei Wetzel bestellte ich mir einen schwarzen Frack und halbanliegende Beinkleider; das Kleid meiner Tochter wird bei Fräulein Palmyra gemacht, ein Bouquet von Orangeblüten bei Rattier; der Hut meiner Gemahlin endlich wird aus dem eleganten Modewaarenmagazin von Fräulein Alerina Larose hervorgehen: wenn man gegen unsere Toilette etwas zu sagen findet, muß man sehr kitzlich sein! ... doch ich glaube, ich höre meinen Schwiegersohn.«

Ein Gemurmel, eine plötzliche Bewegung in der Versammlung waren in der That durch die Ankunft des Zukünftigen veranlaßt. Fräulein Tigré, mitten im Tanze, endigt ihre Figur nicht, sie ruft aus: »Ah! da ist er, da ist er, ich höre ihn! ...« Damit geht sie einem großen schwarzgekleideten Herrn entgegen, welcher eben, zwei große Blumensträuße in der Hand, in den Salon tritt; er lächelt Jedem mit der unbefangensten Miene zu, fängt damit an, daß er Floren, welche er beinahe mit den Augen verschlingt, die Hand küßt, ihr einen Blumenstrauß reicht; einen andern bietet er Madame Tigré, dem Papa klopft er auf die Schulter, grüßt die ganze Familie, umarmt die Tanten und Basen und befindet sich am Ende dieser ganzen Bewegung vor Karl, welcher, Mongérand erkennend, bestürzt dasteht.

Als die Umarmungen und Vorstellungen zu Ende sind, heißt es: »Nun laßt uns tanzen ... an den Platz! ... – Mein Schwiegersohn, Emil Mongérand, wird mit Flora tanzen! ...« ruft Herr Tigré; »Base Cloutaut, wir wollen ihre Gegenpartie machen.«

Allein Karl steht noch immer unbeweglich; er blickt Mongérand an und rührt seinen Bogen nicht.

»Vorwärts doch, Musik! ...« schreien mehrere Tänzer. In diesem Augenblicke erkennt Mongérand Karl, dessen Augen auf ihn geheftet sind; er erräth sogleich den Grund des hartnäckigen Schweigens der Violine; ohne verlegen zu scheinen, eilt er auf Karl zu, faßt seine Hand und schüttelt sie gewaltig, indem er ausruft: »Ei! ich irre mich nicht, das ist mein wackerer La Valeur ... !«

»Wie? Sie kennen unsern Violinspieler? ...« sagt Herr Tigré, während die Gesellschaft erstaunt bald auf den Schwiegersohn, bald auf den Musiker blickt.

»Ob ich ihn kenne!« versetzt Mongérand, »das will ich meinen! er ist einer meiner ehemaligen Husaren ... ein Tapferer ... der mir zweimal das Leben gerettet ... Ah, Donnerwetter! ... es freut mich, ihn hier wiederzusehen ... Der arme La Valeur! ... sein Kriegsname ...«

»Ah einer seiner alten Husaren!« sagt Madame Tigré, »dann ist's begreiflich! ...«

Inzwischen winkt Mongérand Karl sehr bedeutungsvoll mit den Augen und murmelt ihm verstohlen zwischen den Zähnen zu: »Schweig! ... schwatze besonders kein dummes Zeug! – Mongérand, Du bist ein Schurke! ... ein niederträchtiger Kerl! – Halt doch Dein Maul! – Bei meiner Mutter hast Du unter meinem Namen Geld geborgt! – Um Dir Alles wiederzugeben, bin ich hier ... – Du kannst dieses Frauenzimmer nicht ehelichen, denn Du bist verheirathet. – Was macht Dir das? ... das sind meine Sachen ... meine Frau muß todt sein ... ich stelle mir vor, ich sei Wittwer ... Nun, mach uns Musik ... Aber ... – Still! ... Wie viel sollst Du erhalten? – Fünfzehn Franken.– Ich mache, daß Du sechsunddreißig bekommst. – Aber ich kann nicht zugeben ...«

Mongérand hört auf, leise mit Karl zu sprechen, entfernt sich von ihm mit den Worten: »Wohlan, mein Tapferer! es freut mich, daß sich Deine Familie wohl befindet; spiel' uns einen von den hübschen Contretänzen, mit denen Du uns in den Garnisonen ergötztest! ... Stellen wir uns auf, meine göttliche Flora!«

Hiemit stellt sich Mongérand mit seiner Zukünftigen dem Herrn Tigré und der Base Cloutaut gegenüber; die Tänzer erwarteten nur noch das Signal der Violine, um loszubrechen. Nachdem Karl noch etwas gezaudert, ergreift er endlich sein Instrument wieder und spielt Mongérand auf.

»Sehr gut! wie ein Engel die Musik!« ruft Mongérand jeden Augenblick.

»Er spielt uns sehr oft Fanfan la Tulipe!« sagt ein junger Tänzer neben dem Bräutigam. »Das Schöne kann man nicht zu oft spielen, mein Herr, und ich kenne keine passendere Melodie zum Tanzen, als diese!«

Mongérand sagt das mit so bestimmter Miene, daß man seine Meinung theilt. Nach beendigtem Contretanz führt er Flora an ihren Sitz zurück, wobei er ihre Taille etwas weit unten mit seinen Händen umfängt und drückt, was ein wenig frei erscheinen möchte, wenn Mongérand die Familie Tigré nicht völlig verblendet hätte. Der ehemalige Pelzhändler geht zu allen seinen Verwandten und sagt zu ihnen der Reihe nach: »Nun denn! wie findet Ihr meinen Schwiegersohn? ... he! ... nicht wahr, er ist liebenswürdig? ... er hat freien Anstand, die Gewohnheiten der großen Welt! ... das sieht man auf der Stelle! ...«

Mama Tigré sagt ihrerseits das Nämliche, sie stützt sich besonders auf das Physische. Ihr zufolge ist ihr Schwiegersohn der schönste Mann von Paris; und so viel ist gewiß, daß Madame Tigré, an den Wuchs ihres Gatten gewöhnt, Mongérand für einen Patagonier nehmen könnte.

Verwandte und Bekannte antworten, wie immer bei solcher Gelegenheit, indem sie in noch größere Lobeserhebungen des zukünftigen Schwiegersohns ausbrechen; ein einziges, neben Flora sitzendes Frauenzimmer erlaubt sich gegen diese die Bemerkung: »Dein Bräutigam riecht stark nach der Pfeife! – Das muß sein!« entgegnete Fräulein Tigré, mit zornigem Blick auf das junge Mädchen, und diese schlägt die Augen nieder und stottert: »Ah! das wußte ich nicht! ...«

Nach dem Contretanz kommt Braillard, nimmt Karl bei dem Arm, zieht ihn nach dem Vorzimmer hinaus vor einen Tisch, auf welchen er ihm ein bis zum Rande mit Wein gefülltes Glas stellt. »Trinken Sie das! ... wenn da Wasser drunter ist, will ich nicht Braillard heißen! ... ich weiß es gewiß, ich fülle ihn in Flaschen!«

Während Karl sich erfrischt, kommt auch Mongérand ins Vorzimmer; wie er Braillard bei Karl stehen sieht, sagt er zu diesem: »Man erwartet Euch im Salon! ... mein Schwiegervater sucht Euch!« Braillard verbeugt sich und läuft eilfertig in den Salon. Jetzt kann Mongérand mit Karl schwatzen. »Wahrhaftig, mein armer Karl, Dich hier zu treffen, dachte ich nicht! ... – Ich glaub's! ... Du siehst, so weit ist's mit mir gekommen, daß ich Violine zum Tanzen spielen muß. – Wenn man's mit so vieler Anmuth thut wie Du, ist man sehr glücklich! – Doch, Mongérand, ich begreife Dich nicht! ... wie wagst Du es, Dich vor diesen guten Leuten zu zeigen, um ihre Tochter zu heirathen? – Was willst Du? Anfänglich dachte ich an nichts, als recht oft bei Vater Tigré zu schmausen; plötzlich wird die kleine Pelzhändlerin zum Tollwerden in mich verliebt! ... der Vater bietet mir seine Tochter an ... nebst sechzigtausend Franken! ... die ganze Familie lag zu meinen Füßen! ... ich hatte nicht die Kraft, Nein zu sagen. – Du durftest nur sagen, daß Du verheirathet seist! – Bin nicht so dumm! ... – Aber Du kannst das Mädchen nicht heirathen ... – Mittlerweile schmeichelt man mir, behandelt mich artig, liebkost mich und ich lasse mir's wohl sein; man leiht mir sogar Geld! ... der Schwiegervater, dem ich zu verstehen gab, daß ich in der Klemme sei, bot mir seine Börse an! ... der ehrenwerthe Schwiegervater! ... er gleicht ein wenig einem Leopard, nicht wahr? – Wenn aber Jemand in die Versammlung käme, der Dich kennte und sagte ... – Bah! ich verheiratete mich in Lyon! alle diese braven Anverwandten sind nie über Saint-Cloud hinausgekommen! – Aber ... – Still! ... genug geschwätzt ... Flora sucht mich!«

Flora trat wirklich ins Vorzimmer, sie eilt auf Mongérand zu, indem sie ihm mit einer Stimme zuruft, welche sie für kindlich hält: »Was treiben Sie denn hier, statt im Salon zu sein? – Ich sorge für meinen alten Husaren ... reiche ihm Erfrischung! ... Beim Regiment war er ein Tapferer, den ich wie mein Pferd liebte. – Aber ich langweile mich da drinnen ohne Sie! – Ah! sapperlott, Sie sind zu artig! – Und dann hätte ich große Lust, ein wenig zu walzen. – Wir werden viel walzen, mein Schätzchen, ich walze wie ein Bär. – Ach! sehen Sie, da ist die Tochter meiner Tante Clodomir, welche besser zu walzen behauptet, als ich! – Wir werfen sie beim Walzen zur Erde, wenn es Ihnen Vergnügen macht! – Nein! aber ich will länger drehen, als sie! Nicht wahr, Sie werden mich nicht fallen lassen, wenn mir schwindlig wird? – Eher fiele ich mit Ihnen! – Wie finden Sie meine Familie? – Prächtig! – Man findet auch Sie sehr liebenswürdig! – Dies ist gewöhnlich der Eindruck, den ich hervorbringe! – Ah! lassen Sie uns walzen! – Wohlan! La Valeur, komm, alter Kamerad! Du spielst uns einen rechten Walzer auf! ... schmiere ein paar Loth Kolophonium auf Deinen Bogen, damit es besser klingt.«

Mongérand kehrt in den Salon zurück, Flora in den Armen haltend, als wenn er bereits walzte. Karl ist sehr in Verlegenheit! er kann keinen Walzer; indeß stellt sich der Zukünftige bereits mit seiner Verlobten dar, sie gehen im Schritt und Mongérand ruft: »Platz! ... Platz! ...« als wenn er einen Wettlauf beginnen wollte. Drei Paare schicken sich zur Nachahmung an; man wartet nur noch auf die Violine; Karl thut, als stimme er, aber er kommt damit nicht zu Ende, und inzwischen läuft Papa Tigré zu all seinen Verwandten und sagt: »Sie werden sehen, wie mein Schwiegersohn mit Flora walzt! ... sie sind im Stande und halten gar nicht mehr an!«

Die Violine ist noch immer am Stimmen; die Walzlustigen werden ungeduldig; Mongérand macht schreckliche Augen auf Karl, wobei er ihm zuruft: »Ei, La Valeur: geht's diesen Abend so fort? willst Du eine Guitarre aus Deiner Violine machen?«

Karl entschließt sich endlich, da er nichts Besseres auffindet, ein Tra la la zu spielen. Die Tänzer fangen an, haben jedoch viele Mühe, im Takt zu bleiben, weil Karls Tra la la nicht in drei Tempo's geht. Mongérand ist geschickter, er macht auf der Stelle einen Hopswalzer daraus und läßt Flora an den übrigen, unterwegs stecken gebliebenen Tänzern vorüberspringen.

»Wissen Sie keinen andern Walzer, mein Herr?« fragt einer der Tänzer, zu Karl gewendet; dieser antwortet nur dadurch, daß er sein Tra la la etwas stärker spielt. Mongérand hält indeß nicht an, er führt Flora durch die Lüfte dahin, kaum vermag das Auge ihnen zu folgen, und Herr Tigré ruft aus: »Sie sehen wohl, daß diese Melodie gut ist ... und daß mein Schwiegersohn sie vorzüglich tanzt ... Ach! mein Gott, wie sie drehen! es ist schauderhaft.«

Fräulein Flora hatte bereits drei Aufsteckkämmchen verloren, die ganze eine Seite ihres Haarputzes war aufgelöst und wallte über ihre Schultern herab; dennoch verlangte sie nicht anzuhalten, sondern stotterte: »meine Ba ... se ... Clodo ... mir ... muß wüthend ... sein! ...« und Mongérand begnügte sich damit, seine Wendungen zu machen, indem er an alle auf seinem Wege Befindliche Fußtritte austheilte: »Tra Tra Tra ... la la la ... Ah! sapperlott, wie gut das geht!«

Der Walzer, oder besser gesagt der Hopser, währte noch immer, als ein Herr von reifem Alter in den Salon trat. Herr Tigré geht ihm mit dem Ausrufe entgegen: »Ei! das ist ja mein alter Freund Richard ... sehr liebenswürdig von Dir, daß Du gekommen bist. – Meiner Treu, kaum habe ich mir Zeit zum Ausruhen genommen. Diesen Morgen langte ich von Lyon an, fand Deinen Brief in meinem Hause und hier bin ich. – Der liebe Richard ... Meine Frau, unser Freund Richard, unser alter Lyoner Korrespondent ist da.«

Madame Tigré begrüßt den Neuangekommenen; »Sie verheirathen also Flora? – Ja, mein Freund, die Sache ist abgemacht, entschieden ... von heute über acht Tage ist die große Feierlichkeit. – Wo ist denn die liebe Flora? – Sie walzt mit ihrem Bräutigam ... der schöne braune Mann ... Sieh, da kommen sie vorüber ... Gib auf Deine Füße Acht! ... Seit zwanzig Minuten drehen sie schon!«

Herr Richard betrachtet den Bräutigam, je länger er aber auf ihn blickt, einen um so sonderbareren Ausdruck nehmen seine Züge an.

»Nun denn, wie findest Du meinen Schwiegersohn?« fragt Herr Tigré. – »Ja, ich finde ihn ... ich begreife es nicht ... es ist nicht möglich ... – Wie so, ist's nicht möglich, daß Du ihn findest ... hier ist er ... sieh, wohin ich deute ... – Wie nennst Du ihn? – Emil Mongérand. – Richtig, er ist es! ... – Du kennst ihn? – Ja, gewiß, ich kenne ihn! ... Doch Du scherzest, nicht wahr ... der kann nicht Dein Schwiegersohn sein? – Doch, beim Henker, er ist es ... Warum sollte er es denn nicht sein? – Weil dieser Mensch verheirathet ist. – Verheirathet? – Ja, ja, ganz richtig verheirathet ... Beim Henker! ich weiß etwas davon, ich diente ihm in Lyon, wo er Niemand kannte, als Zeuge, und noch sind es keine acht Tage, daß ich seine Frau wieder gesehen! ... – Ha! welche Schändlichkeit!«

Madame sank auf einen Sessel, welcher auf Tante Clodomir stürzt. Papa Tigré rief in seiner Verzweiflung aus: »Mein Schwiegersohn verheirathet!« und schon gehen diese Worte von Mund zu Mund; die jungen Mädchen blicken einander mit zufriedener Miene an, weil es immer eine große Freude ist, wenn man sich über ein anderes Frauenzimmer lustig machen kann; mit dummer Miene treten die ältern Verwandten zusammen; Madame Tigré wird ohnmächtig, ihr Gatte läuft seiner Tochter und Mongérand nach und ruft ihnen zu: »Haltet! haltet ein mit dem Walzen! ... das ist niederträchtig! ... unerhört! ...«

»Aber mein Vater, da mir nicht schwindlig wird!« ruft Flora hüpfend. – »Geben Sie auf Ihre Füße Acht, Schwiegerpapa!«

Der ehemalige Rauhhändler kann seine Tochter nicht erwischen. Onkel Cäsar jedoch, der so eben vernahm, um was es sich handelt, läuft auf Karl zu und entreißt ihm seine Violine. Dieser kühne Streich macht dem Tanz nothwendigerweise ein Ende.

»Warum denn aufhören?« sagt Mongérand, »wir hätten noch lange fortgemacht.« Der alte Tigré, der vor lauter Zorn kaum sprechen kann, tritt mit seinem Freund Richard vor und sagt zu Mongérand: »Erkennen Sie diesen Herrn?«

Mongérand blickt den Neuangekommenen an, verzerrt sein Gesicht ein wenig, und antwortet alsdann: »Wer ist der Herr?«

»Wie, Herr Mongérand, Sie erkennen Denjenigen nicht, der vor sechs und einem halben Jahre das Vergnügen hatte, Ihnen bei Ihrer Verheirathung in Lyon als Zeuge zu dienen.«

»Verheirathet ... in Lyon! ...« ruft Flora ihrerseits aus. »Was sind das für Fabeln ... ich wette, es sind Bosheiten ... Ich leide nicht, daß man schlecht von meinem Bräutigam spricht! ... Laß hören, Papa, antwortet ... was gibt's denn hier ... man ist ganz bestürzt. – Meine Tochter, der Herr hinterging Dich! er hinterging uns ... Antworten Sie, mein Herr ... sind Sie verheirathet? – Ich verheirathete mich einst, das ist wahr! ... allein ich muß Wittwer sein! – Nein, mein Herr, Sie sind es nicht,« versetzte der alte Richard, »denn erst vor Kurzem habe ich Ihre Frau Gemahlin gesehen, und sie befindet sich sehr wohl! – Das ist nicht wahr, mein Herr! ... oder bin ich der Betrogene, indem man mir schrieb, daß sie todt sei!«

»Ach! mein Gott! mein Gott!« jammert Flora, »man hatte wohl nöthig, uns das mitzutheilen!«

»Mein Herr!« nimmt Onkel Cäsar, mit entschlossener Miene auf Mongérand zugehend, das Wort, »wissen Sie, daß man nicht auf solche Weise mit einer Familie sein Spiel treibt, die seit dreißig Jahren im Pelzhandel ist, und daß wir könnten ... – Ich weiß! ... ich weiß, daß Sie mich langweilen! ... Lassen Sie sich in den Rauch hängen, sich und Ihre Nichte ... wir heirathen einander nicht mehr, gute Nacht!«

»Man muß ihn von hier fortjagen!« schrien alle junge Vettern, entrüstet über die wenig achtungsvolle Weise, mit welcher Mongérand dem Onkel Cäsar antwortete, während Flora neben ihrer Mutter in Ohnmacht fiel.

»Wer spricht davon, mich fortzujagen,« schreit Mongérand, sich stolz mitten in den Salon stellend, der möge vortreten, er hat es mit mir zu thun ... Karl, komm, stell Dich an meine Linke und laß uns einen ehrenvollen Rückzug bewerkstelligen.«

Seit dem Anfang des Auftritts sucht Karl, voraussehend, daß es ernsthaft werden wird, sich aus dem Staube zu machen, allein er möchte gerne seine Geige wieder haben, welche Onkel Cäsar ihm abgenommen. Plötzlich sieht er sich umringt, durch alle junge Leute der Gesellschaft fortgeschoben, die sich vereinigen, um Mongérand zum Fortgehen zu zwingen. Dieser will Stand halten, die Menge zurücktreiben, er ist genöthigt, der Uebermacht zu weichen: schon befindet er sich, wie Karl, nahe an der Vorderthüre, als der Onkel Cäsar Karl seine Violine mit den Worten hinbietet: »Nehmt! da habt Ihr Eure schlechte Geige.« Doch im Augenblick, wo Karl sie ergreifen will, bemächtigt sich Mongérand derselben und zerschlägt sie dem Herrn Cäsar auf der Nase, wobei er sagt: »Seht, hier ist mein Abschied!«

Diese Handlung bringt die ganze Gesellschaft zur Wuth, nun braucht man keine Schonung mehr, um Karl und Mongérand hinauszutreiben, die man auch auf sehr brutale Weise die Treppe hinuntexerpedirt. Endlich schließt sich die Hausthüre hinter ihnen.

»Donnerwetter! vermaledeite Hochzeit!« schreit Mongérand, »Alles ging so gut ohne das alte Vieh, das ganz besonders aus Lyon eintrifft, um das Fest zu verderben! Und meine Frau lebt noch immer ... Hab' ich doch Unglück! ... Nun denn, Karl ... mein armer Freund ... Du sprichst nichts! Du bist ganz verdutzt! ...«

»Ich kann nicht mehr ... ich bin gerädert ... von Stößen zermalmt! ... – Die Unverschämten ... sie schlugen hart darauf los! ... – Und meine arme Violine! – Ha! wahrlich, die ist gekocht, dem Onkel Cäsar gab ich sie zum Verschlucken! – Ach! mein Gott! ... – Wirst Du nicht jammern wie ein Kind! ... komm mit mir, laß uns zu Nacht essen; noch bleiben mir einige Thaler übrig, die Trümmer dessen, was der Schwiegerpapa mir geliehen, wir wollen uns restauriren, wieder erfrischen, und mit dem Glas in der Hand die gefühlvolle Flora und ihre ehrenwerthe Familie vergessen ... Komm, sag ich Dir ... ich kaufe Dir eine andere Geige, so wie ich einen Blinden treffe ... Vorwärts! ... keine Gedanken! ... auf den Weg!«

Mongérand faßt Karl am Arm, und dieser läßt sich abermals hinreißen.


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