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Zweites Kapitel

Eine Artigkeit.

Der Husarenunteroffizier nahm unsern jungen Mann, den er im Omnibus wieder gefunden, unter dem Arm und zog ihn mit schnellen Schritten nach einem Café, welches die Ecke der Straße Saint-Honoré bildete.

»Der brave Karl ... Sieh, ich versichere Dich, es macht mir viele Freude, Dich wieder zu sehen ... Du weißt, ich bin offenherzig: wenn ich die Leute nicht liebe, mache ich ihnen kein freundliches Gesicht; aber für Dich hegte ich immer Freundschaft.«

»Bin's überzeugt und glaube mir, auch mich freut's ebenso, wieder einmal einen alten Schulkameraden zu treffen. Aber wohin führst Du mich denn da?«

»Zum Henker, ins Café: wir werden einander doch hoffentlich nicht augenblicklich verlassen? wir trinken ein Glas Punsch zur Feier dieses Zusammentreffens.«

»Mein Freund! ich habe sehr wenig Zeit, man wartet meiner mit dem Essen bei meiner Mutter, in der Straße Verte. Man speist frühe bei ihr, und ich habe mich schon etwas verspätet.«

»Nun, so verspätest Du Dich noch mehr! Beim Teufel! auch ich habe Geschäfte, bin erwartet! allein man soll warten, und damit Punktum; ich lache darüber! Ueberdies wirst Du um ein Glas Punsch zu trinken die Erlaubniß Deiner Mutter nicht bedürfen; mir scheint, Du wärest groß genug, um jetzt allein gehen zu können. – O! gewiß, ich thue, was mir beliebt, aber ...– Ach! so geh doch und sei kein Kind mehr! und wenn man Dir eine Artigkeit erweisen will, so laufe nicht davon, als ob man Dich fressen wollte.«

Man war vor dem Café. Mongérand öffnet, und Karl tritt ein, um seinen Freund nicht vor den Kopf zu stoßen; er weiß, derselbe wäre fähig, böse zu werden, wenn er das angebotene Glas Punsch nicht annähme. Es gibt viele solche Leute in der Welt: bieten sie einem etwas an, so darf man's nicht ausschlagen, bei Vermeidung, sie sehr übler Laune und sogar ernstlich böse zu machen. Ihr kommt vom Frühstück, habt weder Durst noch Hunger; oft bekommt's euch auch übel, wenn ihr zwischen euern Mahlzeiten sonst noch etwas genießt, doch das ist gleich; habt ihr das Unglück, einem dieser Individuen zu begegnen, so wird es euch nicht loslassen: »Wir wollen etwas zu uns nehmen. – Danke, habe so eben gefrühstückt, bedarf nichts. – O! schöner Grund! Auch ich habe gefrühstückt, doch ein Glas Glühwein schadet nie etwas. – Verzeihen Sie; Morgens bringt's mich aus meiner Ordnung! – Ha! Sie machen mich lachen. Kommen Sie doch! – Ich kann nicht. – Vorwärts, kommen Sie doch! was sollen denn diese Umstände heißen?«

Und man treibt euch, ob ihr gut oder übel wollet, in ein Café, und setzt euch Punsch, Bier oder Liqueur vor. Glücklich noch, wenn man euch nicht zwingt, eine Cotelette zu essen! Ihr habt zwei Stunden von eurer Zeit verloren, eure Rendezvous versäumt und seid den ganzen Tag unwohl, weil ihr eine von jenen Personen getroffen habt, welche mit aller Gewalt regaliren wollen, und euch damit eine Artigkeit erwiesen oder sich sehr liebenswürdig gegen euch gezeigt zu haben meinen. Gott behüte und bewahre dich, lieber Leser, vor solchen Freunden; oder mache es wenigstens wie ich, schlage es bestimmt, fest aus; gehe von ihnen, wenn sie die Thüre eines Café aufmachen. Zwar werden sie dich nicht für einen guten Kerl gelten lassen; man wird dich sogar mit verschiedenen Ehrentiteln traktiren, als: »Zieraffe, Original, Bär, ungeselliger Mensch;« allein du befindest dich besser dabei, und das ist die Hauptsache.

»Kellner, Punsch!« rief Mongérand, sich Karl Darville gegenüber an einen Tisch setzend. Mittlerweile entspinnt sich das Gespräch: »Du bist also jetzt beim Militär? – Ja, mein Freund, noch bin ich's, aber nicht mehr lange. Gegenwärtig befinde ich mich in Urlaub zu Paris, doch möchte ich meinen völligen Abschied; ich habe am Soldatenleben genug. Mit dem neunzehnten Jahre trat ich ein, weil ich sogleich Oberst zu werden wähnte, aber das geht nicht so hitzig! Nach sieben Jahren nicht weiter als Unteroffizier zu sein, das langweilt mich. Zudem schlägt man sich nicht, ich aber bin Soldat geworden, um mich zu schlagen. Freilich habe ich mich mehr als zwanzigmal mit meinen Kameraden geschlagen, welche Händel mit mir anfingen, doch das ist nicht dasselbe. Da geht's gleich auf die Wachtstube oder in den Arrest; ich stehe dafür, von den sieben Jahren habe ich gewiß die Hälfte im Gefängniß zugebracht. Auch mache ich ihnen seit einiger Zeit so viele Streiche, daß man mir meinen Abschied sicherlich nicht verweigern wird. Kürzlich habe ich geerbt, so ein vierzigtausend Franken, von einem Oheim väterlicher Seite, meinem letzten Anverwandten. Damit kann man sich lustig machen, umherschlendern oder etwas treiben ... und im Frieden leben, denn Du weißt, ich liebe den Frieden, verabscheue die Händel. Nun! Kellner, Sakerment, wo bleibt der Punsch, läßt man uns nur so sitzen?«

»Hier, hier, mein Herr! – Nur schnell, ich warte nicht gerne. Und Du, Karl, erzähle mir, was Du getrieben hast, seit ich Dich aus dem Gesichte verlor; denn ich will annehmen, daß Du nicht beständig unter den Unterröcken Deiner Mutter bliebst, daß Du Abenteuer, Liebschaften hattest ... ein Mann muß doch wohl Mann sein. – O! ich habe mich belustigt, aber keine sehr pikante Abenteuer gehabt. Mein Vater, der, wie Du weißt, Großhandel mit Seidewaaren trieb, ist vor fünf Jahren gestorben; nun wollte sich meine Mutter von den Geschäften zurückziehen, und mich fand man noch zu jung, um sie fortzuführen. Jetzt denkt man daran, mich zu etabliren; bald bin ich sechsundzwanzig Jahre alt, und werde wahrscheinlich wieder ein Handlungshaus übernehmen, weil man einmal etwas beginnen muß.– Meiner Treu, ich sehe gar nicht ein, warum man sich mit Arbeiten plagen sollte, wenn man Geld hat ... Trink' doch! – Danke, habe so eben getrunken. – Gleichviel, trink' immer zu! wir nehmen dann eine andere Bowle. – O nein! das würde mich berauschen. – Ha! ha! mach' doch keine Weiberfrazzen. Kellner! eine andere Bowle, und stärker als diese. Ihr zuckert den Punsch zu sehr, das ist Damenpunsch. Pfui! ich liebe ihn etwas derb. Sieh, Karl, ich bin Dein Freund, bin's immer gewesen, denn Du bist ein guter Kerl. In der Anstalt machtest Du nie den Angeber, gingst nie durch, wenn es Hiebe setzte oder auszutheilen gab; gut! jetzt bist Du ein Mann, willst Dich etabliren; wenn ich Dir einen Rath ertheilen darf, so ist's der, nimm ein reiches Weib, denn die Liebe, die kennen wir, die ist gut für einen halben Tag; aber das Vermögen ist die Hauptsache. – Man kann ein reiches Weib nehmen und sie lieben. – Meinetwegen! liebe Deine Frau, darin sehe ich gerade nichts Nachtheiliges. Höre, ich werde Dir nie schlechten Rath geben, dazu bin ich unfähig; aber sei Herr in Deinem Hause! Geh, komm, thu, was Dir beliebt, und lege über Nichts Rechenschaft ab; hast Du's einmal auf diesem Fuß angefangen, so wird Dein Hauswesen ganz allein fortgehen. Auf Deine Gesundheit! Sieh, wahrscheinlich verheirathe ich mich auch, sowie ich die Uniform an den Nagel gehängt habe; und gewiß, ich werde meine Frau glücklich machen, weil ich Grundsätze besitze: aber sie muß ganz nach meinem Willen leben ... Was gaffst Du denn so nach Deiner Uhr? – Mein Freund, ich sehe, es ist bald fünf Uhr und ich muß ... – Ei! was geht's uns an, ob es vier oder fünf Uhr ist? Bist Du nicht Dein eigener Herr, sprich? – Freilich; aber ... – Nun, also bleibe ruhig. Auch ich bin mein eigener Herr, werde es aber noch mehr sein, wenn ich wieder im Civilstand bin. Das möchte ich doch wohl sehen, daß Du mich jetzt schon verließest! Deinetwegen habe ich die kleine Nachbarin vom Omnibus aufgegeben. Du weißt die, die immer die Augen niederschlug; sie war fest, wie eine Eichel, davon hab' ich mich überzeugt. – Aber sie sah ehrbar aus. – Gut, was weiter? ist das nicht ein Grund mehr, um fest zu sein? auch mag ich nur ehrbare Frauenzimmer leiden. Und Du, Spitzbube, Du lagst beinahe unter Deiner ebenso hübschen Nachbarin vergraben, und hattest, so viel ich sehen konnte, Deine Hände auch nicht in der Tasche. – O! ich schwöre Dir, ich war ganz ruhig; der enge Raum zwang mich, sie ein wenig zu geniren, aber ich hätte mir nicht erlaubt ... – O! o! nicht erlaubt! ... spiel' doch nicht den Blöden! Auf Deine Gesundheit, Karl! – Wahrhaftig, man erwartet mich bei meiner Mutter; die Stunde der Mittagstafel ist vorüber, und sie ließ mich versprechen, heute gewiß nicht zu fehlen. Ich glaube, sie hat Gesellschaft. – Wenn man Gäste hat, ißt man immer später. Wenn Du auch die Suppe und das Rindfleisch versäumst, was ist's dann für ein großes Unglück! bin ich nicht ein Stückchen Ochsensfleisch werth? Mich erwartet man bei Rozat. Nun, zum Henker! Du kennst ja Rozat? er ist auch ein alter Schulfreund. Erinnerst Du Dich an Julius Rozat? ein großer Blondkopf, mit fadem Gesicht, etwas duckmäuserig. Ich prügelte mich deßhalb mehr als einmal mit ihm; er keifte immer mit den Andern.

»Aha! ja, ich erinnere mich sehr gut. Wie, ihr seid jetzt Freunde? Und in der Pension konntet ihr einander, wie mir's schien, nicht ausstehen. – Was soll man machen? ich bin ihm begegnet, er kam auf mich zu, reichte mir die Hand; Du weißt, ich trage nichts nach; was sind überdies Bubenstreitigkeiten? die bedeuten nichts: er hat mich in sein Haus eingeladen, ich ging hin; er wohnt nur ein paar Schritte von hier in der Straße Saint-Florentin, ist verheirathet, hat ein hübsches Weibchen, die er glücklich zu machen scheint, denn sie herzen und küssen einander immer.– Und was treibt Rozat? – Erstlich weißt Du, er hat Vermögen, wird eine reiche Frau genommen haben ; dann gibt er sich ein wenig mit Geschäften ab; am allermeisten thut er, glaube ich, in der Literatur. – Ah! er ist Dichter, Schriftsteller? – So etwas, wie er mir sagt; er spricht stets von dem, was er macht, habe aber nie etwas von ihm gesehen; allein er behauptet, in seinem Portefeuille befinden sich eine Menge Meisterwerke. Ha! ha! er hat mir indeß Gedichte vorgelesen, die mir gar nicht gefielen. Von den Versen mag ich eigentlich nur lustige Lieder. Du gehst mit mir zu Rozat, es wird ihm Freude machen, wenn er Dich wieder sieht, und dann drei Schulkameraden beisammen, das ist hübsch, da ist man vergnügt. – Heute gehe ich nicht mit, weil man mich bei meiner Mutter erwartet. – Zu Deiner Mutier gehst Du nachher. Potz tausend, Rozat erwartet mich auch zum Essen ; mir fällt sogar ein, daß ich ihm versprechen mußte, früh zu kommen, weil es heute Sonntag ist und wir nachher ins Theater gehen sollten. Komm zu Rozat, wir bleiben nur fünf Minuten dort, und dann begleite ich Dich bis an die Thüre Deiner Mutter; ich hoffe, das ist liebenswürdig und Du hast nichts mehr zu sagen? – Nein, wenn Du mir versprichst ... – Dabei bleibt's, laß uns gehen.«


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