Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Was geschah?

Der Dintenkleckse seiner Nichte, Karls falscher Additionen überdrüssig, hatte Herr Formerey den Verbindungstag unserer jungen Leute nicht hinausgeschoben; zudem konnte der Negociant, ein strenger Beobachter seines Worts, nicht die Absicht haben, demselben in einer so wichtigen Angelegenheit untreu zu werden. Er hatte indeß mehrmals, wenn er Karl mit seinem Handel bekannt zu machen suchte, geseufzt und die Brauen zusammengezogen, und dabei gesprochen: der junge Mann hat's nicht weit gebracht! ... er kann den Gang der Geschäfte nach nicht auffassen. Doch er hat guten Willen, bei fortwährendem Eifer wird das Uebrige schon kommen. Warum hat aber auch sein Vater, ein Kaufmann wie ich, seinen Sohn bis ins achtzehnte Jahr im Collegium gelassen, statt ihn mit fünfzehn Jahren nach Haus zu nehmen und vor seine Bücher zu setzen, da er weder einen Arzt noch einen Advokaten aus ihm machen wollte? ... Das ist jetzt aber die Manier der Eltern! ein junger Mensch soll seine Klassen durchlaufen, seine Rhetorik und Humaniora loshaben. Zu was nützt der ganze Quark? ... der Geist kann nicht eingelernt werden; wer, um einen ordentlichen Brief zu schreiben, Lektionen im Geschmack, in der Eleganz nöthig hat, sich die Vorlesungen seiner Lehrer wieder ins Gedächtniß rufen muß, wird nie zu schreiben verstehen und stets ein Dummkopf bleiben, wenn er auch gleich seine Rhetorik und seine Humaniora absolvirt hat. Hätte man den jungen Menschen mit sechzehn Jahren vor ein Conto corrente gesetzt, so verstände er vollkommen, wie man eine Rechnung abschließt und eine Bilanz zieht; dafür hat er in der Welt das unnütze, im College ihm beigebrachte Zeug vergessen und muß jetzt das Nützliche, das er nicht versteht, lernen! Dumme Erziehungsmethode!

Und aufs Neue revidirte Herr Formerey Karls Arbeit und seufzte abermals; allein er setzte alle Verstöße des jungen Mannes auf Rechnung der Liebe, und schmeichelte sich, er werde, einmal verheirathet, weniger zerstreut sein: ein Raisonnement, das allen Regeln der Wahrscheinlichkeit gemäß war.

Die Verlobung ging vor sich. Schön durch ihre Reize, ihre Liebe, ihre Schamhaftigkeit und ihren Putz, ward Leonie noch durch den jungfräulichen Myrthenkranz, den zu tragen sie würdig war, geschmückt. Trunken von Liebe und Glück, konnte Karl nicht müde werden, seine Frau zu betrachten; voll Feuer sprach er den Schwur aus, sie glücklich zu machen und zu beschützen. Hierauf begaben sich sämmtliche Hochzeitgäste in den Cadran-Bleu, wo Hochzeitfest und Ball abgehalten werden sollten.

Eine zahlreiche Gesellschaft war für diesen großen Tag zusammenberufen worden. Man sah Herrn und Madame Benjoin, Base Bringuet und ihren Gatten, die Nachbarn Dupré, Herrn Boudinette, nebst einer Menge sonstiger Freunde und Bekannten. Herrn Clinette hatte man indeß nicht gebeten, weil man wußte, daß er nicht ohne seinen Hund ausging und man den Tanz Medors Kunststücken vorzog.

Das Mahl war heiter ... wie ein Hochzeitmahl sein kann, wenn die Brautleute nicht der Handwerksklasse angehören; das heißt, man hatte wenig gelacht, nicht zu viel gegessen und gar nicht gesungen. Herr Benjoin spielte Spinett auf dem Tische, nur um die Elasticität seiner Finger zu erhalten; Boudinette ließ einige seit zwanzig Jahren wohlbekannte Witze los; Madame Bringuet sprach von ihrem Major, ihrem Oberst, und ihr Mann rühmte die Kohlköpfe des Nordens.

Abends jedoch ward Alles von den melodischen Klängen des Orchesters elektrisirt. Süße Wirkungen der Musik, welche sonst ernsten und trübsinnigen Leuten das Verlangen mittheilt, zu hüpfen und ihre Beine im Takt zu bewegen. Die ehrbarste, sogar die sprödeste und gezierteste Dame widersteht dem Ritornell beim Contretanz nicht; sie vergibt ihre Hand und stürzt sich auf den Tummelplatz, um sich so anmuthig und graziös als möglich zu schaukeln. Wohl gemerkt: nicht immer die lebhaftesten, leichtsinnigsten Damen sind es, welche sich beim Tanz am beweglichsten zeigen; diese machen zuweilen nur abgemessene, kaum bemerkbare Schritte, während Personen, die man immer nur ernst und in ehrbarer Haltung einherschreiten sah, hier am meisten hüpfen und sich der Freude aus vollem Herzen hingeben ... Glückliche Leibesübung, die Gram und Sorgen verscheucht ... wenigstens für so lange, als die Quadrille währt; wie konnten sich Leute finden, bösartig genug, um dich zu verbieten? feierte man nicht zu allen Zeiten glückliche Begebenheiten durch Tanzen, und von David, der nur angethan mit einem Hemd von Linnen (ein Kostüm, das wir beim Ball noch nicht adoptirt haben) vor der Bundeslade tanzte, bis herab zur Prophetin Maria, Aarons Schwester, welche zur Feier hes Uebergangs über das rothe Meer mit einem Tambourin zu tanzen anfing; von den heiligen Tänzen der Perser, Egypter und der alten Griechen an bis heute wurden alle großen Begebenheiten und glorreichen Siege durch festliche Tänze gefeiert. Was wäre ein Fest, bei dem man nicht tanzte? Gott selbst sagt, wie er seinem Volke das Ende seiner Gefangenschaft verspricht: »Ich werde dir deine Cimbeln wiedergeben, Jungfrau von Israel, und du wirst wieder tanzen in deinen fröhlichen Versammlungen.«

Ein chinesischer Lehrsatz sagt: »Einen Fürsten kann man nach dem Zustand des Tanzes unter seiner Regierung beurtheilen.« Wie viele Beispiele kommen diesem Lehrsätze zu Hülfe! Unter Heinrich IV., der, wie man sagt, selbst berühmt in den Tricotets war, tanzte man viel. Beim Tanze erholte sich der Bearner von den Mühseligkeiten des Kriegs. Unter seiner Regierung ward eine große Zahl von Balleten aufgeführt, und der ernste Sully wirkte bei all diesen Festen als Akteur mit, die der König ohne den Antheil seines Ministers nicht erheiternd gefunden hätte.

Unter Ludwig XIII., traurigen Andenkens, tanzte man wenig, und die Ballete waren nur Schnurren, Karikaturen von schlechtem Geschmack: le ballet de maître Galimatias, pour le grand bal de la douairière de Billsbabaut et de son Fanfan de Sotteville, hieß eine der Tanzlustbarkeiten unter Ludwig XIII. Damals wollte man sich betäuben, sich zwingen, lustig zu sein, aber die Herrschaft des Tanzes war zu Ende.

Unter Ludwig XIV. gewann er seine frühere Anmuth und Herrschaft wieder; die Epoche, wo dieser König selbst in Balleten auftrat, war nicht die minder glückliche seiner Regierung. Laßt uns also tanzen, weil es uns Freude macht; laßt uns tanzen, weil diese Leibesübung zugleich heilsam für die Gesundheit ist; tanzen laßt uns aber insbesondere, wenn es uns von der Langweile retten kann, politische Kannengießereien anhören zu müssen!

Bei Karls und Leoniens Hochzeit ward viel getanzt; die Braut kam nicht aus dem Tanzsaale, denn die Braut muß von allen Tänzern der Gesellschaft engagirt werden; das ist in der Ordnung, wiewohl es nicht immer ein Vergnügen ist. Gleich einem jungen Mann hatte sich Herr Benjoin seine Tour vorbehalten; mit seinen Fingern accompagnirte er das Orchester; mehr als einmal irrte seine Frau in den Figuren des Contretanzes, wahrscheinlich dachte sie gerade an ihre Seidenraupen. Herr Boudinette trat auf die niedlichen Füßchen, die den seinigen zu nahekamen, und an einigen Garnituren blieb er hängen; diese kleinen Unfälle jedoch ausgenommen, war der Ball äußerst heiter vorübergegangen; und Herr Formerey hatte, als er Karl so voll Eifer beim Tanze sah, mehr als einmal bei sich selbst gesprochen: wäre der Springinsfeld eben so fertig in der doppelten Buchhaltung, würde er drei Commis aufwiegen.

Er war zu Ende dieser festliche Tag, dieser Tag der Epoche in unserem Leben! denn Alles endigt, aber nicht Alles erneut sich wieder, man mag sagen, was man will. Karl hatte eine Gattin, die er liebte, von der er zärtlich geliebt ward, in seinen Armen, und gewiß, den Tag nach seiner Hochzeit war er nicht an dem Conte corrente gesessen.

Herr Formerey hatte, als gewissenhafter Beobachter seines Worts, die Neuvermählten in sein ihnen abgetretenes Handlungshaus eingesetzt und war acht Tage nach der Hochzeit auf sein kleines Landgut in der Champagne abgereist, wo er seine Tage in Ruhe zu beschließen, und das er nur hie und da zum Zweck einer kleinen Belustigungsreise nach der Hauptstadt zu verlassen gedachte. Vor seiner Abreise hatte der gute Onkel noch Madame Darville beauftragt, über seine Kinder zu wachen, und Leonien Arbeitsamkeit und Eifer bei Einleitung ihres Mannes in die Handlungsgeschäfte empfohlen.

Allein Leonie stand unter dem Einfluß der Liebe; sie verehrte ihren Mann, machte sich's zur Aufgabe, ihm zu gefallen und in allen Dingen angenehm zu sein, und Karl fand es besser, der Liebe zu pflegen, als im Hauptbuch zu blättern. Wie einem Manne widerstehen, den man liebt, wenn er uns küßt, mit uns schäkert und uns liebkost? Leonie meinte, eine Frau sei ihrem Manne völlige Unterwürfigkeit schuldig, auch ließ sie sich mit der besten Miene von der Welt liebkosen. Hie und da versuchte sie's freilich, von Arbeit, Kasse und Rechnungen zu sprechen! Karl schloß sie dann in seine Arme und sagte: »Wir haben noch Zeit! ... ich küsse Dich lieber! – Aber, mein Freund, diese Rechnung hier hat Eile. – Nun, so komm, wir wollen sie miteinander machen.«

Damit nahm Karl seine Frau auf die Kniee, – nicht das beste Mittel, gut zu rechnen, ein Mittel, das nothwendigerweise Zerstreuungen, hierauf noch Anderes herbeiführte, so daß nicht Leonie es war, die Karl'n belehrte, sondern daß er es über sich nahm, seine Frau zu unterrichten: ein Vergnügen, das nicht allen Ehemännern zu Theil wird.

Lassen wir einige Zeit verstreichen, und Liebkosungen wie Zerstreuungen werden minder häufig sein. Schade übrigens!


 << zurück weiter >>