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Achtzehntes Kapitel.

Ein Arbeiter.

Leonie hatte sich sehr verwundert, als sie beim Erwachen ihren Gatten nicht an ihrer Seite sah; Karl, der sehr spät nach Hause zu kommen pflegte, war nicht gewohnt, früh aufzustehen. Anfangs fürchtete sie, ihr Mann möchte seit dem vorigen Tage gar nicht heimgekommen sein; die kleine Laura beruhigte sie jedoch mit den Worten: »O! ich habe den Papa diesen Morgen gesehen; er küßte mich und das hat mich aufgeweckt ... – Er küßte Dich diesen Morgen? – Ja, Mama ... und dann empfahl er mir, kein Geräusch zu machen, so lange Du schliefest ... – Und er sagte Dir nicht, wohin er so früh ging? ... – Nein ... Allein er wird nicht lange ausbleiben; denn er soll mir und meinem Bruder ein Milchbrod zum Frühstück bringen.«

Leonie denkt, ihr Gatte werde wieder irgend ein Rendezvous mit Mongérand haben, oder sei er vielleicht in der endlichen Hoffnung, eine Stelle zu erhalten, ausgegangen; sie kleidet inzwischen ihre Kinder an; man verschiebt den Augenblick des Frühstücks in der Erwartung, Karl werde zurückkommen; allein die Zeit vergeht, ohne den Familienvater in den Kreis der Seinigen zurückzuführen.

Der kleine, zwei Jahre alte Felix ruft, er habe Hunger; Laura hingegen will noch auf das ihr vom Vater versprochene Milchbrod warten.

»O! das ist ganz vergeblich, liebe Tochter,« sagt Leonie seufzend! »Dein Vater hat sein Versprechen vergessen ... zähle nicht mehr darauf ... Frühstücke, mit Deinem Bruder, liebe Laura, und warte nicht länger.«

Man frühstückte trauriger, als gewöhnlich; heute zum erstenmal ist Karl nicht bei diesem ersten Frühmahle gegenwärtig. Leonie fühlt eine unbeschreibliche Beklemmung und Laura wiederholt von Zeit zu Zeit: »Böser Papa! ... der uns nicht bringt, um was ich ihn gebeten habe ... wenn er heimkommt, küsse ich ihn nicht ... nicht wahr, Mama? ... – O doch! ... doch, meine Tochter! ... man muß ihn immer gleich sehr lieben! ... man darf's nicht machen, wie er!«

Leonie nimmt wieder ihre Arbeit zur Hand und seht sich an ihren gewohnten Platz beim Fenster, wiewohl sie sehr selten nach dem blickt, was auswärts vorgeht. Wenn sie sonst beim Arbeiten ihre Kinder um sich her spielen sah, das Geplauder ihrer kleinen Laura hörte, dann fand sie die Zeit in der Regel nicht lang; heute aber erscheinen ihr die Stunden wie Ewigkeiten, denn sie. verflossen, ohne ihr den Gatten zuzuführen. Obgleich sie an seine Abwesenheit gewöhnt ist, hat sie doch ihre sonstige Ergebung nicht; Karl ist so frühe ausgegangen, daß es ihr außerordentlich dünkt; aufs Neue befragt sie ihre Tochter, sie will wissen, ob ihr Vater besser gekleidet gewesen sei, ob er trauriger oder freudiger geschienen habe; Laura weiß nur zu wiederholen: »Er hat mich viel geküßt und fürchtete, Du möchtest aufwachen ...«

»Er fürchtete, ich möchte aufwachen! ...« sprach Leonie, welche ein neuer Schrecken erfaßte, bei sich selbst. »Mein Gott! ... warum so viele Furcht! ... sollte abermals ... Er war gestern mit Mongérand! ... Ha! ... ich zittere ... und er kommt nicht zurück!«

Der Morgen verging, es schlagt drei Uhr und Karl ist in seinem Hause nicht wieder erschienen. Nun vermag Leonie nicht mehr zu arbeiten, sie hält es nicht mehr an ihrem Platze aus. Gäbe es einen Thürhüter im Hause, wäre sie schon längst hinabgegangen, um ihn auszufragen; so aber ist keiner da und Leonie schwatzt nicht viel mit den übrigen Hausbewohnern; sie weiß nicht einmal, wer unter und neben ihr wohnt. Nur eine einzige Person im Hause kennt sie oder trifft sie wenigstens öfter als andere auf der Treppe; dies ist ein junger Mensch, der höchstens achtzehn Jahre zu zählen scheint und ein kleines Mansardenstübchen bewohnt, dessen Fenster demjenigen, woran sie zu arbeiten pflegt, beinahe gegenüber ist.

Dieser Jüngling heißt Justin: ist zweiundzwanzig Jahre alt; allein seine Stimme ist so sanft, seine Physiognomie so unschuldig, sein ganzes Wesen so schüchtern, daß man ihm höchstens achtzehn Jahre geben würde. Greift höflich, gefällig, dienstfertig gegen Jedermann und der Ton, mit welchem er mit einem Frauenzimmer spricht, möchte für viele unserer Salonstutzer beschämend sein; und doch ist Justin nur ein Arbeiter, ein Schreiner: freilich hat er nie Laternen zusammengeworfen, Aufläufe vergrößert und sich in Politik gemischt, das ist nicht sein Geschmack; er zieht es vor, zu arbeiten, sich in seinem Handwerk zu vervollkommnen, gewandter, geschickter zu werden, Geld zu verdienen, um seine Mutter und seine Schwestern zu unterstützen. Mehrere seiner Kameraden machten sich zuweilen über ihn lustig; einige gingen sogar so weit, daß sie ihm sagten: »Du mengst Dich nicht in die Begebenheiten des Tages, Du lebst ganz als Dunkelmann!«

Allein Justin kümmert sich weder um ihre Vorwürfe, noch um ihre Spöttereien, und trotz seines sanften Stimmchens hat er eben so viel und vielleicht mehr Muth, als die lautesten Schreier, er antwortet dann auf solchen Vorhalt: »Ich suche Belehrung; ich lese die Werke, welche meinen Verstand, meine Beurtheilungskraft erleuchten können; von dieser Lektüre bleibt mir immer etwas; habe ich neue Kenntnisse erworben, so finde ich mich glücklich; solches lern' ich indeß erst nach vollbrachter Arbeit, denn vor Allem muß ich meine Mutter ernähren, mich anständig kleiden, ohne daß ich dabei Jemanden zur Last falle oder etwas borge: ihr, die ihr eure Arbeit vernachlässigt, um euch mit Politik zu beschäftigen, seid ihr darum glücklicher, zufriedener? ... Wenn ich euch den ganzen Tag lachen und singen sehe, so könnte es mich verführen; doch weit entfernt! ... seit ihr diese Sucht habt, seid ihr beständig übler Laune! ... beständig in einem Zustand des Zorns und der Aufregung! ... immer Unglück vorhersehend! das ganze Jahr hindurch fließt ihr über von Galle, und täglich suchet ihr das noch Andern mitzutheilen! ... Welch trauriges Dasein! ... und dadurch glaubt ihr mich anlocken zu können? ... nein, wahrhaftig nicht! ... Gott bewahre mich, das ganze Jahr hindurch übler Laune zu sein! ...«

Deßhalb blieb Justin, der selten mit seinen Kameraden ging, häufig in seinem Stübchen. Indem er so, an seinem Fenster sitzend, las, halte er seine Nachbarin ein Stockwerk unter ihm erblickt, jene junge Frau, welche unablässig arbeitete, und nur aufhörte, um ihre Kinder zu liebkosen. Obgleich Kummer und Leiden das frische ihrer Gesichtsfarbe abgestreift und Furchen in ihre Wangen gegraben hatten, so war Leonie doch immer hübsch, und dann lag in ihrem Gesicht etwas Sanftes, Wohlanständiges, Schwermüthiges, das sogleich für sie einnahm. Es war nicht jene aufgeweckte Miene einer Grisette, welche an Andern beim Herausgehen aus einem Salon, wo eine anständige Haltung vorgeschrieben ist, gefällt; für einen an öfteren Umgang mit Grisetten gewöhnten Arbeiter stand sie um so höher; und wiewohl Leoniens Anzug so einfach war, als der jener Frauenzimmer, so lag doch ein großer Unterschied in der Art, wie sie ihn trug, und dieser Unterschied war es, welcher Justin entzüchte, bezauberte.

Er konnte Leonie ganz nach Belieben betrachten; denn bei der Arbeit schlug die junge Frau nur die Augen auf, um sie auf ihre Kinder zu richten; den jungen Arbeiter, der von dem Fenster seiner Mansarde aus sie zuweilen ganze Stunden lang betrachtete, der sein Buch darüber vergaß, sogar vergaß, daß man ihn bei seiner Mutter erwartete, den sah sie nicht. So harrte Justin, folgte jeder Bewegung Leoniens und seufzte; er wagte sich nicht zu gestehen, daß er in seine Nachbarin verliebt sei, und doch war er nicht unerfahren genug, daß er nicht verstanden hätte, was im Grunde seines Herzens vorging. Wenn er aber Liebe zu der jungen Frau fühlte, so war dies eine völlig reine, durch keine strafbare Hoffnung entheiligte Liebe; beinahe jene Liebe eines jungen sittsamen Mädchens, welches ihr Sehnen darauf beschränkt, den Geliebten zu sehen, und in ihren Träumen sein Bild mit allen Reizen, allen Tugenden schmückt. Eine solche Liebe ist selten bei einem jungen Manne von zweiundzwanzig Jahren; besitzt man ein kostbares seltenes Gut, so bewahrt man es sorgfältig, und so bewahrte auch Justin seine Liebe im Grunde seines Herzens.

Was ihn wunderte, war, daß der Gatte seiner schönen Nachbarin beinahe seine ganze Zeit fern von seiner Frau zubrachte, daß er ihn auch an ihrer Seite kalt bleiben sah und derselbe weder liebenswürdig, noch verliebt schien; denn zuweilen hinter einem großen Vorhang sitzend, sah Justin sie noch, wenn er auch nicht für beobachtend gelten wollte; er begriff nicht, daß Karl beinahe gleichgültig die Liebkosungen derjenigen hinnahm, in deren Betrachtung er selbst ganze Stunden versunken blieb.

Seit Justin Leonie zur Nachbarin hatte, ging er noch weniger aus; kaum hatte er seine Arbeit beendigt, so eilte er in sein Stübchen zurück, das er nicht mehr gegen das schönste Gemach vertauscht hätte. Er wies alle ihm vorgeschlagene Lustpartien von sich, ging nicht mehr spazieren und sprach bei sich selbst: »Sie geht nie aus; ihr Gatte führt sie weder ins Schauspiel, noch ins Freie, auch ich kann wohl zu Hause bleiben.« Es kam ihm fast vor, als leiste er ihr Gesellschaft.

Justin wagte nicht, mit ihr zu sprechen und doch hätte er so gerne eine Gelegenheit finden mögen, ihr einen Dienst zu erzeigen, ihr etwas brauchbar zu sein, nur um ein Wort, einen Blick von ihr zu erlangen, um ihr nicht gänzlich unbekannt zu bleiben; nicht einmal der Gedanke, ihr den Eindruck, den sie auf ihn hervorgebracht, bemerklich zu machen, stieg in ihm auf; und doch sagte er, wenn er nach stundenlanger, stiller Betrachtung sich vom Fenster zurückzog, trauernd zu sich selbst: »Und bliebe ich ein ganzes Jahr hier, würde sie mir keine Aufmerksamkeit schenken! ...«

Hörte er aber seine Nachbarin die Thüre öffnen und die Treppe Herabkommen, irgend einen Einkauf zu besorgen, da öffnete er seine Thüre und lauschte auf der Hausflur, ob er die Nachbarin nicht zurückkommen höre. So wie er von unten herauf den Schall ihrer Tritte vernahm, ging er ebenfalls hinab, damit er das Vergnügen habe, ihr zu begegnen: »Ich werde sie ganz in der Nähe sehen, vielleicht wird ihr Kleid das meinige berühren ... Ach! wie glücklich werde ich sein! ...« sagte er dann zu sich. Und zitternd ging er hinab, das Herz schlug ihm bei der Hoffnung an solches Glück; so wie er aber nahe zu Leonien kam, ward der arme Junge so bewegt, daß er die Augen niederschlug, sich zur Seite hart an die Wand stellte und Leonie ging vorüber, ohne daß er nur wußte, ob sie ihn angesehen habe.

Einmal indeß kam Leonie von einem Spaziergang mit ihren Kindern heim; auf dem Rückweg hatte sie Felix, der noch nicht viel gehen konnte, getragen; ihren Sohn auf dem einen Arme, ihrer Tochter die Hand des andern reichend, stieg die junge Mutter die Treppe herauf. Die Müdigkeit zwang sie, nach jedem Stockwerk Halt zu machen, Schweißtropfen rannen ihr von der Stirne, als Justin, von der Arbeit nach Hause kommend, zu ihr trat. An diesem Tage hatte er mehr Muth, er nahm Felix von dem Arm seiner Mutter, indem er ausrief: »Erlauben Sie mir, Madame, Ihnen eine kleine Mühe zu ersparen!« Leicht war das Kind bis vor seine Thüre getragen, er aber machte sich davon, ohne den Dank der Mutter abzuwarten. Von diesem Tage an grüßte ihn Leonie verbindlich, so oft sie ihm begegnete.

In dem Augenblicke, wo Leonie auf Karl wartet, wo sie sich quält und härmt, auf den geringsten Laut horcht, ob es nicht ihr zurückkommender Gatte sei, lassen sich Tritte auf der Treppe vernehmen, sie kommen näher, nun sind sie ganz nahe ... »Ah! er ist's!« ruft Leonie uni öffnet schnell die Thüre, welche auf den Hausgang führt ... da erblickt sie Justin.

Wie niedergedonnert bleibt Leonie stehen, ein tiefer Seufzer entsteigt ihrer Brust, während ihre Lippen murmeln: »Er ist es nicht!«

Auch die Kinder sind herbeigesprungen und traurig wiederholen sie: »Nein, das ist nicht Papa!«

Justin bemerkte Leoniens Kummer, ihre Unruhe; der Wunsch, ihr nützlich zu werden, macht ihn weniger schüchtern, er wagt zu sprechen:

Was haben Sie, Madame? Sie scheinen unruhig? ... wäre Ihrem Herrn Gemahl etwas zugestoßen ...«

»Nein ... nein, mein Herr, ich hoffe wenigstens, allein er ging heute so früh aus ... und ohne mit mir zu sprechen ... Haben Sie ihn diesen Morgen nicht auf der Treppe getroffen, mein Herr?«

»Nein, Madame! – Ohne Zweifel thue ich Unrecht, daß ich mich quäle; häufig kommt er erst sehr spät Abends nach Hause ... – O! ja, denn Sie sind beinahe immer allein ...«

Justin erröthet, nachdem er diese Worte gesprochen, er fürchtet, etwas Unschickliches gesagt zu haben. Der junge Mann beeiferte sich fortzufahren: »Wenn Sie wüßten, Madame, in welcher Richtung Ihr Gatte etwa sein kann ... würde ich eilen ... Erkundigung einziehen ... dann zurückkommen und Ihnen Nachricht bringen ... ich wäre so glücklich, wenn ich Ihnen in etwas dienen könnte ...«

»Ach! ich danke Ihnen, mein Herr, allein ich weiß nichts; ... wo er sich befindet, ist mir stets unbekannt ... Er sollte sehr bald zurückkommen, nach dem, was er zu meiner Tochter sagte ... aber er wird einen Freund getroffen haben, der ihn mitnahm ... ich danke Ihnen, mein Herr. Kommen wir herein, meine Kinder!«

Leonie verbeugte sich vor Justin und schloß ihre Thüre wieder zu; der junge Arbeiter blieb auf der Hausflur stehen, beglückt, mit Leonien gesprochen zu haben, und hoch niedergeschlagen,, daß er sie traurig sieht und ihr die Ruhe nicht wieder geben kann. Er geht mit sich selbst zu Rathe, was er thun könne; wo sollte er sich aber nach dem Ersehnten erkundigen, da seine Frau selbst nicht weiß, wo er ist ... Indeß geht er die Treppe wieder hinab; auf der Straße angelangt, schreitet er auf und ab, bald hierhin, bald dorthin, zwar ohne sich weit von seiner Wohnung zu entfernen, doch in der Hoffnung, den Gatten seiner Nachbarin zu erspähen, die Blicke weithin sendend.

Eine Stunde etwa mag er's so treiben, als sich eine Menschenmasse heranwälzt, die etwas, das er noch nicht unterscheiden kann, umgibt; den Gesuchten findet er nicht darunter; der Knäul macht jedoch vor dem Eingang seines Hauses Halt, nun kehrt Justin um, drängt sich durch die versammelten Leute, deren Augen Mitleiden ausdrücken; er erblickt eine Tragbahre, auf welcher ein Verwundeter besinnungslos ausgestreckt liegt; er erkennt den Unglücklichen, es ist Leoniens Gatte.

»O mein Gott! ... sollte er todt sein? ... und seine arme Frau harrt seiner! ...« sagt Justin, indem er einen Schrei der Verzweiflung ausstößt.

»Ei nein, nein, Donnerwetter, er ist nicht todt!« antwortet Mongérand, der neben den Trägern steht und mit allen Neugierigen perorirt! »allein er ist nicht viel besser ... Doch sagte ein Wundarzt dort unten, er werde vielleicht wieder aufkommen ... Uebrigens habe ich ihn gerächt, wenn er stirbt! sein Gegner erhielt auch eine Spalte in den rechten Lungenflügel. Vorwärts, Kinder ... der Mann da muß hinaufgeschafft werden ... und zwar nicht weiter als in den vierten Stock ... mit Erlaubnis! ...«

»Ach, meine Herren! einen Augenblick, ich bitte ... Und seine Frau ... seine arme Frau! ... ich will sie zuerst vorbereiten, sonst würde sie sterben! ... – Wie Ihnen beliebt, Kleiner; überdies können Sie wohl denken, daß man den Mann nicht wie einen Ballen Baumwolle hinaufspedirt, da braucht's Vorsicht und Zeit.«

Justin ist schon auf der Treppe, eilfertig stiegt er hinan, klopft an Leoniens Thüre; diese öffnet abermals in der Meinung, es sei ihr Gatte. Aber Justin's blasses und entstelltes Gesicht macht sie starr vor Entsetzen; sie liest ein Unglück in seinen Augen. »Was gibt es ... Ich bitte Sie, mein Herr, was haben Sie mir mitzutheilen?« brachte sie bebend hervor; und Justin weiß nicht, wie er antworten soll, er fürchtet sich, zu sprechen, er stottert: »Madame ... Ihr Gatte ... – Mein Gatte ... nun denn ... Sie haben ihn gesehen? – Ja ... Madame ... – Es ist ihm etwas zugestoßen ... ich lese es in Ihren Augen ... – Erschrecken Sie nicht, Madame ... Ihr Gatte hat sich, wie es scheint, duellirt ... – Duellirt ... meine Ahnungen haben mich also nicht getäuscht! – Er ist verwundet ... allein er wird gesund werden ... o! er wird geheilt werden ... – Aber wo ist er ... Ach, mein Herr! führen Sie mich zu ihm. – Man bringt ihn ... hier ist er, Madame!«

Wirklich langte auch der traurige Zug an. Beim Anblick ihres Gatten, der ohne Bewußtsein und in erschreckender Blässe daliegt, vermag Leonie den auf sie einstürmenden Gefühlen nicht zu widerstehen, sie schreit laut auf, ihre Augen schließen sich, sie sinkt in Justin's Arme, der sie in ihr Zimmer zurück trägt, wo Laura, als sie Vater und Mutter in diesem Zustande sieht, jämmerlich weint.

Inmitten dieser Scene des Jammers läßt Mongérand, welcher stets dieselbe Kaltblütigkeit bewahrt, seinen Freund in ein Bett bringen, während sich Justin bemüht, Leonie wieder ins Leben zu rufen.

»O! die Frau macht mir keine Sorge!« sagt Mongérand, »eine Frau weint und dann trocknen die Thränen wieder ... an den Mann muß man jetzt denken! He, ihr Andern, ich habe euch reichlich belohnt! ... geht, holt einen Wundarzt ... und Sie, junger Mann, schicken Sie uns eine Krankenwärterin! ... eine Nachbarin ... eine Pförtnerin! ... Wie, Donnerwetter! gibt's kein Weib in diesem Hause! ... Doch nein, in der That, bleiben Sie, ich suche selbst eine Wärterin! ... und komme dann nicht wieder! ... denn ich bin sicher, Karls Frau ist böse auf mich! ... Und doch bin ich keineswegs daran Schuld! ... Ihr Mann hat zwar wegen Themiren eine Ohrfeige erhalten, allein das konnte ich nicht voraussehen! ... Um sechs Uhr ungefähr ward er verwundet, wenn man ihn nicht bälder herbrachte, so ist die Ursache, daß ich ihn zuerst in eine Herberge tragen ließ, wo er die erste Hülfe empfing; und dann war es nicht leicht, Träger zu finden! ... doch die junge Frau schlagt die Augen wieder auf! ... ich gehe durch und will Leute schicken! ... Ha! Schuft von einem Raffineur! ... er hat seine Portion bekommen!«

Mongérand ist fort; Leonie schlägt die Augen wieder auf, sie ordnet ihre Gedanken, hierauf eilt sie zu ihrem Manne, den sie mit Küssen und Thränen bedeckt, wobei sie ausruft: »Er hört mich nicht! ... sie haben ihn umgebracht!«

»Nein, Madame, er liegt nur in Ohnmacht,« versetzte Justin, »eine natürliche Folge des Transports! Ich eile, einen Wundarzt zu holen! – O! ja ... den besten ... den geschicktesten! ... bringen Sie ihn gleich mit! – Auf der Stelle! Doch ich gehe ... Sie können nicht allein bleiben! alle Männer sind fort, mein Gott sie handelten nur für Geld! o! ich weiß! ja!« Justin stürzt hinaus; er pocht im nächsten Stock weiter unten, an allen Thüren des Hauses; überall sagt er: »Ich bitte, gehen Sie in den vierten Stock hinauf zu einer Dame, deren Gatte verwundet ist!« Nicht überall ist man mitleidig, und es gibt Nachbarinnen, welche ihre Thüren wieder verschließen und zu Haufe bleiben, allein es gibt auch andere, welche dieser Bitte Folge leisten und sich zu Leonie begeben, der sie ihre Sorgfalt angedeihen lassen, während Justin einen Wundarzt holt.

Bald kommt der junge Arbeiter mit einem Manne der Kunst zurück; Karl erlangte sein Bewußtsein wieder, er erkennt Frau und Kinder, zum Sprechen hat er aber noch keine Kraft. Der Chirurg untersucht die Wunde, findet sie bedenklich und erklärt, er könne noch nichts über deren Zustand aussprechen; nachdem er seine Anordnungen getroffen, will er sich entfernen; Leonie wirft sich ihm zu Füßen und ruft: »Mein Herr, kommen Sie diesen Abend wieder! ... alle Tage, alle Stunden, wenn es sein muß! Ach, mein Herr, geben Sie mir meinen Gatten wieder! kein Opfer soll mir für eine so große Wohlthat zu schwer sein!«

Der Wundarzt hebt sie auf, beruhigt sie und entfernt sich mit dem Versprechen, eifrig bei ihrem Gatten zu sein. Nun gehen auch die Damen vom Hause; Justin allein bleibt, er bemüht sich, Laura zu trösten, welche weint, wie sie ihren Vater krank sieht; Felix ist noch in dem glücklichern Alter, wo das Unglück seine Schläge versetzt, ohne uns zu betrüben.

Leonie bemüht sich, ihren Muth wieder zu beleben; sie fühlt, daß sie desselben mehr als je bedürfe; neben dem Bette nimmt sie ihren Platz, und hier, die Augen auf den Verwundeten geheftet, auf jede seiner Bewegungen lauernd, gibt sie sich selbst das Versprechen, ihn keine Minute aus dem Gesicht zu verlieren, bis sein Leben außer Gefahr sei.

Justin ist immer noch da, sie bemerkt es nicht; er nähert sich ihr und sagt schüchtern: »Ich will eine Wärterin holen, nicht wahr, Madame? denn Sie können nicht immer hier bleiben, um bei Ihrem Gatten zu wachen! – O! doch! doch! ich will immer hier bleiben! – Aber, Madame, Sie würden sich ums Leben bringen! und was würde aus den armen Kindern, wenn Sie nicht mehr wären! Ach, Madame, aus Mitleid für diese! ... schonen Sie Ihre Kräfte! erlauben Sie mir wenigstens, Sie abzulösen! bleiben Sie den Tag hier an diesem Bett, bei Nacht werde ich wachen! Ich bin jung! stark, mir würde es nicht im mindesten nachtheilig sein, während es Sie gleichfalls krank machte! Sie, die sich durch Arbeiten schon so sehr anstrengen! Madame, ich erbitte es mir als eine Gnade, weisen Sie mich nicht ab!«

Mit gefalteten Händen flehte er Leonie an; diese schlägt ihr thränenvolles Auge zu ihm auf, reicht ihm die Hand und murmelt: »Mein Gott, wie gütig sind Sie, Herr! ich hatte noch nicht daran gedacht, Ihnen zu danken! Ach! ich weiß nicht, wodurch wir so viele Theilnahme verdient haben! Wenn mir aber mein Kummer noch nicht erlaubte, Ihnen meine ganze Dankbarkeit zu bezeigen, so glauben Sie mir, daß ich darum nicht weniger tief fühle, was Sie schon für uns gethan. – Dankbarkeit! ... ach! Madame, ich bin nur zu glücklich, wenn ich Ihnen nützlich sein kann! Wenn Sie wüßten, was ich Alles empfinde! was ... ich ...«

Justin findet keine Worte mehr, er verwirrt sich, schweigt, senkt ganz beschämt die Augen, ohne daß er's wagt, die ihm dargebotene Hand zu berühren, die an sein Herz zu drücken er doch brennt. In diesem Augenblicke pocht man stark an die Thüre, Justin öffnet; eine Frau von etwa fünfzig Jahren, lang, dürr, gelb, in rundem Häubchen und Hauskleid, tritt mit den Worten ein: »Ist hier ein Kranker und erwartet man hier eine Wärterin? ein großer, schöner, brauner Herr schickt mich her! ... und er trieb mich an, er drängte mich! ... nicht einmal so viel Zeit ließ er mir, um eine andere Haube aufzusetzen! ich sagte bei mir: das ist ein sehr eiliger Herr da!«

Leonie hörte die Wärterin an und schien nachzudenken; Justin würde Alles in der Welt geben, wenn sie dieselbe fortschickte und ihm erlaubte, die Nächte bei dem Verwundeten zuzubringen. Leonie hält jedoch nicht für schicklich, die Anerbietungen des jungen Arbeiters anzunehmen; sie denkt, er müsse, nachdem er einen großen Theil des Tages hindurch gearbeitet habe, bei Nacht der Ruhe bedürfen; und obgleich sie entschlossen ist, ebenfalls bei ihrem Gatten zu wachen, so lange er in Gefahr schwebt, so fühlt sie doch, daß sie Jemand brauchender ihr beistände; darum erwidert sie der Wärterin: »Ja, Madame, hier bedarf man Ihrer!«

Traurig läßt Justin den Kopf auf die Brust herabsinken; Leonie tritt ihm näher und dankt ihm mit jenem Ausdruck, der so schnell zum Herzen dringt.

»So vielen Dank verdiene ich nicht, Madame,« antwortet Justins; »wenn sie aber irgend etwas brauchen! ... und wäre es am Ende von Paris ... und wäre es mitten in der Nacht! so bin ich bei der Hand, Madame; hier im Dachstübchen! ... haben Sie die Güte, dies nicht zu vergessen!« Mit diesen Worten entfernte er sich.

Madame Tripet (der Name der Krankenwärterin) ist schon mit ihrer Einrichtung im Zimmer beschäftigt; sie sieht, wohin man jede Tasse, jedes Gefäß stellt, rückt und schiebt Alles hin und her, geht, kommt, und wirft dabei einen Blick auf ihren Kranken; dann rückt sie das Kopfkissen zurecht, zieht den Vorhang auf, legt etwas auf das Bett; kurz sie ist gleich einem Soldaten, der in eine neue Kaserne kommt und sich mit allen Oertlichkeiten bekannt machen will. Die Kinder blicken scheu, als wäre sie das Pelzmännchen, nach Madame Tripet, wie sie hin und wieder, da- und dorthin geht; selbst bei Leonien erregt es ein unheimliches Gefühl, dieses fremde Gesicht um sich zu haben, und in der That, es gibt nichts Langweiligeres, Unerträglicheres, als wenn man einen Unbekannten in seinem eigenen Hause Alles durcheinanderwühlen und sich zum Herrn aufwerfen sieht. Doch würde Leonie, in der Hoffnung, ihr Gatte werde besser gepflegt werden, noch ganz andere Widerwärtigkeiten erdulden.

Madame Tripet verrichtet gewissenhaft ihr Amt; sie verbindet sogar viel Eigenliebe damit, allein sie ermüdet, erdrückt durch lauter Sorgfalt, und da sie sich für gelehrter hält als die Aerzte, darf man nichts von dem abweisen, was sie verordnet. Nicht zufrieden, sich mit ihrem Kranken zu befassen, will sich Madame Tripet, wenn sie in einem Hause ist, auch um die Gesundheitsumstände sämmtlicher, dem Hause Angehörigen bekümmern, selbst wenn sie sich wohl befinden.

Am Abend kam der Wundarzt wieder; er ertheilt der Wärterin seine Befehle, diese aber schüttelt den Kopf und scheint sagen zu wollen: »Ich weiß besser, was man zu thun hat!« Leonie sucht in den Augen des Chirurgen, zu lesen, ob sie fürchten oder hoffen darf.

»Ich kann Sie noch nicht völlig beruhigen,« sagt der Doktor, »die Wunde ist sehr bedeutend! ... Ehe wir einen Ausspruch thun, wollen wir noch zuvor warten! ...«

»Dieser Mensch da kommt mir wie ein Esel vor!« sagt die Wärterin, nachdem der Chirurg fort ist; »soll man sich nicht stets über den Zustand eines Kranken aussprechen! ... Doch das mag Sie nicht beunruhigen! ... ich bin da, ich! ... und ich wiege zehn Aerzte auf! ... Ich brachte Kinder wieder zum Leben, die bereits todt waren! ... eines davon hatte innerliche und äußerliche Convulsionen! ... diese faßten es vom Bibus bis zur Haarwurzel! ... – Aber mein Mann, Madame! ... – Ich nahm's in meine Arme, setzte es ans Fenster, und pitsch, patsch! ... ich drehte es um, wie ein kleines Paket! ... und der Arzt behauptete, das Kind habe keine Convulsionen! ... –Mein Mann, Madame! ... – Ihr Mann hat sich, wie es scheint, geschlagen! ... und warum hat er sich geschlagen? – Ach! das weiß ich nicht! ... – Bah! ... er hatte es Ihnen nicht gesagt! ... Hm! ohne Zweifel eines Frauenzimmers wegen! ... – Hat Ihnen Herr Mongérand nicht davon gesprochen? – Wer ist der Mongérand? – Die Person, welche Sie holte! – Ah! der schöne Braune! ... er fluchte wie ein Fuhrmann! er scheint ein liederlicher Geselle! ... ich kenne ihn nicht, er trat bei mir ein, schreiend wie besessen! er sagte mir: beeilen Sie sich! ... Ich beeilte mich; und wahrlich, ein wenig später hätte er mich nicht gefunden, denn ich begegnete unterwegs einer Dame, welche mich für ihr Fräulein holen wollte, die mit ihrem Dritten in den Wochen liegt; ich sagte: Thut mir äußerst leid, allein ich bin nicht frei! ... – aber mein Mann, Madame! ... glauben Sie, er werde genesen? – Warum nicht! ... wird man nicht immer genesen, wenn man gut verpflegt wird? ... und ich darf sagen, darauf verstehe ich mich; allein nicht die geringste Unvorsichtigkeit darf man sich erlauben ... nichts ohne meine Zustimmung, sonst stehe ich nicht mehr für meinen Kranken!«

Leonie spricht nichts mehr; sie legt ihre Kinder schlafen und setzt sich neben das Lager ihres Gatten; sie erklärt, daß sie die Nacht an dieser Stelle zubringen wolle, was die Wärterin sehr ärgert, weil sie meint, das heiße in ihre Befugnisse eingreifen; allein Leonie, entschlossen, in diesem Punkte nicht nachzugeben, läßt sie schwatzen, und bleibt bei ihrem Gatten; nachdem Madame Tripet hierauf lange zwischen den Zähnen gemurmelt, nimmt sie sich vor, einzuschlafen, zur Strafe für Leonie, die sich erlaubt, für sie zu wachen.

Zwölf Tage lang ist Karls Zustand höchst bedrohlich; zweimal täglich besucht ihn der Wundarzt. Noch hat Leonie keine Stunde Ruhe genossen: sie wollte nicht vom Bette ihres Gatten weichen, obgleich der Chirurg mehrmals zu ihr sagte: »Sie sind nicht vernünftig, Madame, Sie richten Ihre Gesundheit zu Grunde, Sie bedürfen des Schlafes! – Ach! mein Herr, versetzte dann die junge Frau: so lange mein Gatte in Gefahr ist, kann ich nicht schlafen! ... Sie sehen daher wohl, daß es unnöthig ist, mich niederzulegen! ...«

Leoniens Handlungsweise macht der Madame Tripet unsäglich viel Aerger, daher sie beständig wiederholt: »wenn Madame sich zur Krankenwärterin aufwerfen will, so sehe ich gar nicht ein, warum sie mich kommen ließ; ich glaube indeß, daß ich mein Geschäft verstehe!«

Und zum Beweis, daß sie ihr Geschäft versteht, wirft sie in der bescheidenen kleinen Haushaltung Alles durcheinander; man findet keinen Platz mehr zum Sitzen, keine leere Kanne mehr. In drei Wasserkesseln kocht Madame Tripet ein und denselben Trank; in allen Gläsern schmiert sie Syrup herum, in alle Tassen bringt sie Zucker; unaufhörlich ist sie in Bewegung und thut keinen Schritt, ohne wenigstens zwei Kaffeekannen in der Hand zu haben; sie stößt die Kinder herum, wenn sie sich auf ihrem Wege befinden; zu der kleinen Laura sagt sie: »Geh doch! Schildkröte! ... weg da! ... und zum kleinen Felix; wenn ich Deine Mutter wäre, würdest Du oft die Ruthe bekommen!«

Die Kinder flüchten sich dann zu ihrer Mutter; Laura fragt, ob Madame Tripet bald fortgehen werde. Leonie tröstet ihre Kinder und sagt, sie möchten Geduld haben, bis ihr Vater außer Gefahr sei.

Justin erkundigte sich jeden Morgen und jeden Abend nach Karls Befinden, und fragte, ob er Leonien nicht irgend einen Dienst leisten könne. Bei Justins Erscheinen brechen die Kinder in ein Freudengeschrei aus und laufen zu ihm hin. Er ist bereits ihr Freund; er spricht nicht wie Madame Tripet mit ihnen, sondern küßt und liebkost sie, und bringt ihnen öfters Kuchen. Leonie wagt nicht, dem jungen Arbeiter zu verbieten, daß er ihren Kindern Leckereien bringe, aus Furcht, ihn zu kränken; er sieht so zufrieden aus, wenn Laura und ihr Bruder vergnügt sind; und die junge Mutter selbst ist so glücklich durch die ihren Kindern zu Theil gewordene Freude!«

Mehrmals erkundigte man sich nach Karls Gesundheit von Seiten Mongérands, der keine Lust hat, sich selbst zu zeigen. Bald schickt er einen Aufwärter aus einer Weinschenke, bald einen Commissionär mit dem Auftrag, sich seine Commission bezahlen zu lassen; ein andermal kommt ein halb Besoffener, der wie wüthend klopft, mit Schreien in die Stube tritt und einen Knoblauch- und Branntweingeruch verbreitet, der das Wasser aus den Augen treibt. Alle diese Botschaften werden von Leonien sehr kalt aufgenommen, und niemals unterläßt sie, Mongérand sagen zu lassen, daß ihr Mann keine Besuche annehmen könne.

Endlich bessert sich der Zustand des Kranken und der Arzt haftet für seine Wiederherstellung. Leonie vergißt alle Mühe, alle Leiden, als sie vernimmt, daß sie nichts mehr für das Aufkommen ihres Gatten zu befürchten habe; sie küßt ihre Kinder und würde in ihrer Freude sogar Madame Tripet küssen; allein die Wärterin, ohne Zweifel um diesen Ausbruch des Glücks zu mäßigen, beeilt sich, nach dem Abgang des Arztes zu sagen: »Ihr Gatte kann genesen! ... ich sage nicht nein! ... aber noch ist er's nicht! es können Zufälle eintreten ... Rückfälle sich zeigen ... o! er ist noch nicht außer Gefahr! ... Ich wartete einem Kinde ab, welches der Arzt auch für geheilt erklärte! ... ich, ich war gewiß, daß es noch innerliche Convulsionen hatte; das schloß ich aus seinem Meconium; darum gab ich ihm Aether und Münze ein, und in acht Tagen war das Kind todt.«

Leonie hört nicht auf Madame Tripet, dem Arzt glaubt sie lieber und hat Recht; täglich bessert sich Karls Zustand. Nun denkt Leonie daran, zu Madame Darville zu schicken; so lange ihr Mann in Gefahr geschwebt hatte, wollte sie die Mutter durch diese Benachrichtigung nicht betrüben; jetzt fürchtet sie nicht mehr, ihr sagen zu lassen, sie möchte ihren Sohn besuchen, und sie denkt, der Anblick seiner Mutter werde Karls völlige Genesung nur beschleunigen können.

Zur Besorgung dieses Auftrags bei Madame Darville wendet sich Leonie an Justin. Entzückt, seiner Nachbarin einen Dienst leisten zu können, wird sich der junge Arbeiter seiner Botschaft mit aller nöthigen Schonung entledigen. Mit dem Versprechen schleuniger Besorgung geht er; es währt auch in der That nicht lange, bis er wieder zurückkommt, allein sein Gesicht ist traurig und Leonie ruft ans: »Hätten Sie mir abermals ein Unglück zu verkündigen?«

»Die Mutter Ihres Herrn Gemahls ist krank,« erwiderte Justin; »sie erfuhr das Duell ihres Sohnes und seine gefährliche Verwundung ... es hat sich Jemand beeifert, sie davon zu unterrichten; seit dieser Zeit hütet sie das Bett.«

»Arme Dame! und sie entblößte sich beinahe von Allem um unsertwillen! ... jetzt hat sie nichts mehr, als das durchaus Notwendige! ... Mein Gott! wie unglücklich bin ich, daß ich nichts mehr für Andere thun kann ... Ach ... bald werden wir selbst abermals die Wohnung ändern! ... in einer Dachstube werde ich meine Kinder erziehen müssen! ...«

»Was sagen Sie, Madame, Sie gedächten dieses Haus zu verlassen! ... – Ich weiß nicht ... vielleicht ... doch mein Mann ist gerettet, ich muß mich recht glücklich schätzen ... Aber seine Mutter weiß wenigstens, daß er außer Gefahr ist? – Ja, Madame; nach dem, was mir die Pförtnerin ihres Hauses sagte, scheint es, daß die Personen, welche Herr Mongérand zu Ihnen schickte, Befehl hatten, der Madame Darville sofort Nachricht zu geben. – Dieser Mongérand! ... mein Gott! ... ich soll also immer von diesem Menschen sprechen hören!«

Leonie dankt Justin, der sich mit beklemmtem Herzen entfernt, weil die junge Frau vom Verlassen des Hauses sprach. Leonie wünscht sich der Madame Tripet zu entledigen; auch bedenkt sie, daß sie bald den Wundarzt, der ihren Gatten behandelte, werde bezahlen müssen, und sie besitzt nicht mehr das zu diesen Ausgaben nothwendige Geld; noch hat sie aber einige Kostbarkeiten, schöne Kleider, Shawls, die Trümmer ihres früheren Vermögens; sie packt Alles zusammen und entschließt sich, es zu verkaufen. Ohne Bedauern, ohne eine Thräne zu vergießen, beraubt sie sich dieser Gegenstände, welche in den Augen vieler Frauen so großen Werth haben; allein sie sagt sich: »Karl ist gerettet! das Weitere ist unbedeutend in Vergleich mit seinem Dasein.«

Die Wärterin wird bezahlt und verabschiedet. Es scheint, daß man freier athmet in Karls Wohnung, seit Madame Tripet nicht mehr da ist. Die Kinder scheuen sich nicht mehr, zu lachen und zu spielen, Leonie gibt ihrem Manne zu trinken, wenn es ihr gefällt, und Karl kann mit seiner Frau schwatzen, ohne daß man ihn schmäht, weil er spricht. Glücklich! hundertmal glücklich die, welche eine Gattin und Kinder besitzen, die am Tage des Leidens sie mit liebevoller Sorgfalt umgeben!

Seit Madame Tripet nicht mehr zwischen den beiden Ehegatten steht, hat Leonie ihren Mann schon mehrmals befragt, was den Zweikampf herbeigeführt habe, der ihn beinahe das Leben gekostet. Anfangs antwortete Karl nicht auf diese Fragen, eines Morgens jedoch gestand er seiner Frau, aufs Neue von ihr bestürmt, die Wahrheit.

»Demnach hast Du,« rief Leonie aus, »für eine Maitresse Mongérands beinahe das Leben verloren! ... für eine Frau, die noch einen andern Geliebten hat und die Du verachten mußt! ... und eines solchen Geschöpfes wegen hättest Du Deine Kinder ihres Vaters, mich meines Gatten beraubt!«

»Meine liebe Freundin, ich hatte eine Ohrfeige erhalten; darum schlug ich mich, und nicht dieser Frau wegen. – Diese Beschimpfung wäre Dir nicht geworden, wenn Du nicht in schlechter Gesellschaft gewesen wärest. – Möglich. – Künftig wirst Du wenigstens vernünftiger sein? Wirst Du aufhören, nur den Willen Deiner Freunde zu thun? – O! ich verspreche Dir, daß ich nicht mehr den Bruder von irgend Jemand spiele. – Du wirst nicht mehr mit Mongérand gehen? – Kam er während meiner Krankheit nicht? – Nein, er schickte her. – Und weiß meine Mutter! ... – Ja, Mongérand ließ sich gleichfalls angelegen sein, sie von Deinem Zweikampf in Kenntniß zu setzen, seit dieser Zeit ist sie krank. – Der Schwätzer ... So wie ich ausgehen kann, werde ich meine Mutter besuchen ... unglücklicherweise kehren meine Kräfte nicht schnell wieder. – Der Wundarzt sagte, Deine Wiedergenesung werde langwierig sein, Du müssest Dich sehr schonen ... – Aergerlich! – Langweilst Du Dich denn bei uns? – Nein, aber ... ich möchte etwas treiben. Ich sehe Dich unablässig arbeiten ... Du strengst Dich zu sehr an. – Ich muß Wohl einiges Geld verdienen ... wir haben keines mehr! Deine Krankheit kostete uns viel ... – Das ist betrübend ... doch wenn ich im Stande bin, auszugehen, sollst Du sehen! .... ich werde Geschäfte machen ... Meine arme kleine Laura ... sie hat ein Häubchen, wie Pförtnerskinder, während sie einen eleganten Faltenhut haben sollte. Und Du! ... Du bist angezogen wie eine Näherin! ... o verfluchtes Schicksal ... freilich bin ich auch ein wenig daran Schuld. – Beruhige Dich, mein Freund, genese ... dann wollen wir weiter sehen ... – Du hast Recht ... es ist Thorheit, wenn man sich Kummer macht. Gib mir meine Violine ... daß ich mir die Zeit damit vertreibe.«

Seit Karl in der Genesung begriffen ist, wagt Justin nicht mehr, alle Tage nach ihm zu fragen, allein er hat seinen Platz am Fenster eingenommen und sieht Leonie, welche jetzt, wenn sie den Kopf erhebt, ihn freundschaftlich grüßt, aufs Neue arbeiten. Seufzend spricht er bei sich selbst: »Wenn ich sie nicht mehr sprechen darf, bin ich wenigstens kein Fremder mehr für sie!«

Karl ist wieder völlig hergestellt; er kann ausgehen und hat seine Mutter besucht, welche in der Umarmung ihres Sohnes ihre Kräfte wieder zu erlangen scheint. »Mein lieber Karl,« sagt sie zu ihm, »ich that für Dich, was ich konnte ... diese Krankheit hat Dich in Verlegenheit gebracht ... ich sehe das ein ... ich übergab den Leuten, welche von Seiten Deiner Frau kamen, Alles, worüber ich noch verfügen konnte ... – Wie, meine Mutter ... was wollen Sie sagen? – Ach! Deine Frau hat Dir's vielleicht verheimlicht, um Dich nicht zu betrüben ... allein es ist besser, man wendet sich an seine Mutter, als an Fremde ... nur hatte ich gewünscht, daß Leonie mir nicht so oft Betrunkene zuschickte ... Wahrscheinlich hatte sie keine Wahl und kannte die Treue dieser Leute ... Gerne hätte ich mehr für Euch thun mögen ... Du weißt jedoch, daß ich nichts mehr als meine Leibrenten habe! ...«

Karl begnügt sich, seiner Mutter zu danken, ihr schöne Versprechungen für die Zukunft zu machen. Er ahnt, daß etwas Mongérand'sches hinter dieser Geschichte steckt, und diesmal ist er höchst aufgebracht gegen ihn; allein er hält es für unnöthig, Leonien davon zu unterrichten. Bei seiner Nachhausekunft sieht Karl mit Erstaunen Kleinhändler einen Theil seiner Möbeln forttragen.

»Mein Freund,« sagt Leonie, »wir müssen abermals ausziehen; diese Wohnung ist zu theuer für uns, ich habe eine andere in den ... Mansarden gemiethet ... in einem Hause, das auf den Kanal geht ... Alle unsere Möbeln hätten jedoch nicht Platz, daher habe ich einen Theil verkauft ... und zudem wird uns das eine Zeitlang zum Lebensunterhalt dienen.«

Karl schneidet ein Gesicht, nach einigen Minuten wird er jedoch wieder heiter und ruft aus: »Im Ganzen genommen, werde ich, wenn ich Geld habe, andere und schönere Möbel kaufen; Du hast wohl gethan.«

Einige Tage darauf zieht man aus, um zwei kleine Zimmerchen in einem fünften Stocke in Besitz zu nehmen; bei jeder Ortsveränderung wird Leonie düsterer. Diesmal suchen ihre Augen, ehe sie ihre frühere Wohnung verläßt, Justin an seinem Fenster; sie möchten dem jungen Mann, der ihr während der Krankheit ihres Gatten so viele Anhänglichkeit bewiesen hat, noch danken, sie erblickt ihn jedoch nicht; der junge Arbeiter war zu gleicher Zeit mit den Commissionären, welche Karls Möbeln wegtrugen, ausgegangen.


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