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Roman eines jungen Mannes
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XXXVIII

Josua stand, vom Schein der mit einem grünen Papierschirm überdeckten Lampe grünlichgrau überstäubt, am Tisch mit dem Rücken gegen einen Spiegelschrank.

Plötzlich begann sein Herz rasend zu klopfen, stockte ruckweise und jagte dann weiter – wild, erleichtert, wie ein Rennpferd, das am letzten Hindernis seinen Jockei abwirft.

Der Spiegelschrank knarrte.

Das ist der Tod, dachte Josua. Er steht mir im Rücken. Wenn ich mich umwende, und in den Spiegel sehe, erkenne ich ihn.

Der Eimer am Waschtisch klirrte.

Das ist der Tod, dachte Josua.

Er schloß die Augen.

Ein weißer Schatten zuckte auf und verkrampfte sich in widerstreitende Gestalten, Prismen, Kugeln, Sterne. Dann erschien der Raum rosa gestreift, dann rotkarriert, wie eine Bauernbettdecke.

Mutter fiel ihm ein. Aus dem Bauernbett quoll wie Daunen gelber Rauch und überzog die Landschaft.

Aus dem Rauch drangen runde blaue Augen, violett umrändert. Kiefern wuchsen aus dem Boden.

Das ist der Tod, dachte Josua. Er hat tausend Augen. Ein Zittern überschlich seinen Körper. Er tastete ein paar Schritte rückwärts und stützte sich am Waschtisch. Sein rechter Arm wurde steif. Seine Finger hölzern. Wem gehört dieser Arm? Das bin ich doch nicht?

Instinktiv führte er ihn ans Herz. Die rasenden Schläge pochten wieder Blut in die Finger.

Draußen an das Fenster klopfte es. Mit dem Spazierstock. Irgend ein weinlauniger Passant, der vorüberschwankte. Es ist der Tod, dachte Josua. Er klopft wie Ruth.

Das Bett knarrte. Der Spiegel glänzte. Im Ofen knisterte das Feuer.

»Ich habe Furcht«, sagte er laut.

Die Worte klangen gar nicht wie aus seinem Munde. Damit habe ich ihn übertrumpft, dachte er. Worte kann er nicht vertragen, der Tod ... das überwindet ihn.

Der Herzschlag beruhigte sich.

Er sah auf die Uhr.

Er sah zur Decke.

Eine Spinne hing an der Decke. Wird sie mir in den Kaffee fallen?

Spinne am Abend.

Heiter und labend.

Er lachte.

Er zog seinen Mantel an.

Ich könnte mich erschießen, wenn ich damit irgend eine Tat täte.

Wenn ich ihn damit überlistete. Aber er ist so stark, er zwingt mir auch den Revolver in die Faust. So leicht mache ich es ihm nicht. Mag er selbst kommen.

Es war ihm, als verbeuge sich hinter seinem Rücken jemand. Der Tod. Aus Hochachtung.

Er setzte den Hut auf. Öffnete die Tür. Im Briefkasten lag ein Brief. Er hatte ihn vorhin übersehen. Er steckte ihn in die Manteltasche, ging noch einmal zurück und blies das Licht aus.

Einen Moment schien es ihm, als läge in der Dunkelheit ein großes wundervoll grünes Auge, wie ein erhabener Türkis. Jetzt ist es kein Rubin mehr. Jetzt ist es ein Türkis.

Er verließ das Haus.

Der Mond strahlte empfindliche Kälte aus.

Josua fröstelte.

Wenn ich mir einen Hund kaufe. Daran habe ich noch gar nicht gedacht, dann brauche ich mich nachts nicht mehr allein im Zimmer zu fürchten. Eine Frau hilft gar nichts. Dann ist man nur noch einsamer. Aber ein Hund: da habe ich etwas Lebendes, etwas, das schnuppert, raschelt, bellt, blickt.

Ein weißer Hund.

Ein Spitz.

Eine Bologneser Hündin.

Eine Hündin. Nina.

Ich hätte mir eine Zigarette anzünden sollen. Im Dunkeln. Feuer lebt immer. Das hätte ihn verblüfft. Jetzt ist's zu spät.

Er klingelte bei Kolk.

Kolk hatte noch Licht.

Er warf ihm den Hausschlüssel herunter.

Josua tappte die vier Treppen, die zu Kolks Atelier führten, im Dunkeln.

»Jetzt habe ich keine Furcht mehr«, sagte er laut.

Einmal blieb er stehen. Es war ihm, als hätte ihm jemand die Hand auf die Schulter gelegt.

»Josua – so spät?« sagte Kolk.

Josua hing seinen Mantel an die Wand. Als er sein von Kolk gemaltes Bild sah, drehte er es lächelnd um.

»Ich will es nicht sehen«, sagte er, »ich will mich nicht mehr sehen. Ich habe Furcht. Ich bin deshalb zu dir gekommen. Ich will die Nacht bei dir schlafen.«

Nun standen sie beide, Arm in Arm, und betrachteten eine der Palmenlandschaften Kolks.

»Ich friere«, sagte Josua. »Ich möchte unter deinen Palmen wandeln.«

»Nicht ungestraft«, lachte Michael.

Josua zitterte.

»Zieh dich nur immer aus und leg dich ins Bett.«

Kolk stellte Josua einen Teller mit Apfelsinen und Datteln und ein Glas Wasser ans Bett und hob die Laute vom Bordbrett.

Josua legte sich nach der Wand um.

Er betrachtete die Wand.

Nun steht eine Wand vor mir, dachte er, die hindert meinen Weg. Durch sie kann ich nicht hindurch.

Josua, träumte er, Josua war ein König in Israel.

Er hatte den Brief mit ins Bett genommen.

Ihn fröstelte.

Nun schmiegte er den Brief unter der Decke an seine Brust.

Wie das wärmt.

Er las ihn nicht. Es stand etwas Gleichgültiges darin. Von irgend einem Mädchen.

Er fühlte den Brief an seiner Brust ruhen wie eine Frau.

Wie das wärmt ... eine Frau ...

Die Lampe warf ein fahles Licht an die Wand.

Sonne stehe still im Tale Gideon ...

Sammle Weizen, Ruth ...

Michael trat zu ihm heran, mit der Laute. Die farbigen Streifen und Bänder fuhren Josua über die Stirn.

»Josua«, sagte Kolk, und dann erzählte er irgend eine Geschichte.

»Josua«, Michael hatte geendet. »Josua –«

Josua schlief.



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