Klabund
Roman eines jungen Mannes
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XXIV

Eines Abends klopfte es an den Fenstern seines Parterrezimmers in der Kaulbachstraße. Josua schloß auf und ein schlanker Knabe stand vor ihm im dunklen Korridor. Er ließ ihn ins Zimmer treten: es war Ruth. In schwarzseidenem Pagenkostüm, mit Kniehosen und Frack. Ihr rotblondes Haar, ihre blauen Augen, in denen vom Widerschein des Lampenschirmes ein rosa Schimmer lag, kreuzten sich funkelnd mit dem Schwarz des Kostüms.

Er war bewegt.

Sie sorgt für immer neue Sensationen, obgleich sie es mir gegenüber vielleicht gar nicht nötig hätte. Dazu sind wir zu sehr – verschwistert. Aber sie ist ein richtiger Knabe. Auch in ihren Bewegungen. Laut sagte er:

»Du darfst dich nicht wundern, wenn ich mich zur Abwechslung einmal in einen Jungen verliebe.«

Er küßte sie. Ihre Lippen hatten etwas knabenhaft Herbes.

Am Abend trafen sich Josua, Klaus, der Maler Michael Kolk, der jetzt ebenfalls in München lebte, Herr Dr. Bodenlos, Privatdozent für Literaturgeschichte an der Universität, und eine junge Holländerin namens Rina im »Bunten Vogel«. Sie setzten eine Bowle an: alten Burgunder und Sekt, und feierten den Abschied Rinas, die nach Holland zurückkehrte. Rina bezahlte. Sie hatte ihr Klavier verkauft. An einen alten Rentier. Wobei nicht ganz sicher war, ob sie nicht etwa etwas anderes mitverkauft hatte.

Da sie das Geld vergessen hatte, fuhr sie im Auto in ihre Wohnung, welches zu holen. Klaus durfte sie begleiten. Ihm floß vor Entzücken Speichel aus der Mundhöhle. Sein Bocksgesicht zerrte und zuckte wie im Veitstanz auf und nieder.

»Kommen Sie am Freitag zur Abschiedsfeier meines Seminars ins Excelsior? Es gibt eine herrliche Ananasbowle!« wandte sich Dr. Bodenlos an Josua.

»Verbindlichen Dank. Natürlich gern. Aber ich darf doch meinen Kammerdiener mitbringen?«

»Wie Sie wollen«, lachte Dr. Bodenlos. »Ich habe nichts dagegen. Warum sollten Sie Ihren Kammerdiener nicht mitbringen?«

Es war aber vor kurzem eine kleine Novelle Josuas unter dem Pseudonym Klumpatsch im Simplizissimus erschienen, worin ein Graf und sein Kammerdiener eine gewisse Rolle spielten. Der Kammerdiener entpuppte sich als ein schönes Mädchen, das dem Grafen aus Liebe in Manneskleidern dienend folgte. Die Geschichte hatte in München gewisses Aufsehen erregt und man riet und forschte nach dem Verfasser.

Inzwischen war Rina zurückgekommen. Sie tanzte wie eine Mänade durchs Lokal, hielt einen Dolch in erhobener Hand und behauptete, nur vermöge dieses Mordinstrumentes habe sie Klaus im Auto von sich abwehren können. Hinter ihr her hinkte Klaus und schielte stolz nach links und rechts.

Alles lachte.

Dann hielt Rina plötzlich eine Laute in der Hand und begann ein holländisches Lied zu singen.

Windmühlen drehten sich schwerfällig, ein frischer Wind wehte über die Zuidersee, Kähne trieben in stillen Kanälen und in schweren Holzpantinen klapperten reinliche Holländerinnen über das holprige Pflaster kleiner Seestädte, während Männer in dicken blauen Pluderhosen, die Pfeife im Maul, ihnen großäugig auf den Nacken sahen.

Am Freitag fuhr Josua gegen elf Uhr im Auto vorm Excelsior vor. Er hatte sich von Kolk einen Smoking gepumpt und trug eine Gardenie im Knopfloch. Auch rasiert war er. Er schickte den Portier und ließ bei Dr. Bodenlos anfragen, ob man bereit und würdig sei, den Grafen Emmeran (so hieß der Graf in Josuas Geschichte) und seinen Kammerdiener zu empfangen.

Gemessen schritt er die Treppe empor. Ruth im Pagenkostüm folgte dienend mit stillen folgsamen Augen, Josuas Mantel über dem Arm. Wie ein Knabe. Sie war ganz Knabe. Wie ein Diener. Sie war ganz Diener.

Oben vor dem Saale zögerte sie ein wenig. Sie warf den Mantel der Garderobefrau zu. Da öffnete sich die Saaltüre und Rina stürzte heraus. »Komm,« sagte sie, »warum hast du Furcht?« Sie nahm Ruth auf beide Arme und trug sie in den Saal. »Platz,« schrie Rina, »Platz für den Grafen Emmeran und seinen Kammerdiener.«

Klaus hielt gerade, auf einem Tische stehend, eine wohlstilisierte Rede auf Dr. Bodenlos. Er mußte sie unvermutet rasch abbrechen, obgleich er sich gern noch weiter reden gehört hätte, und schleunigst das Hoch ausbringen. Gerade als das letzte Hoch verklungen war, betrat der Page den Schauplatz und es schien, als gelte ihm das dreifache Hoch. Jeder hatte diese Empfindung.

Bodenlos war doch ein wenig pikiert, obgleich er es sich nicht anmerken ließ. Wenn dieser Unfug Josuas, sein stadtbekanntes Verhältnis in eine Veranstaltung der Universität mitzubringen, dem Unterrichtsministerium bekannt würde, wäre seine ohnehin erschütterte Stellung als Privatdozent nicht gerade befestigt. Aber liebenswürdig mit den Allüren eines Tenors begrüßte er den Pagen: »Seien Sie willkommen, Fräulein.«

Der Page kam in eine Ecke zwischen Rina, Kolk und Klaus zu sitzen. Josua unterhielt sich seitwärts mit dem Korrespondenten des Tageblattes.

»Sie haben eine sehr hübsche Geschichte neulich im Simplizissimus veröffentlicht«, sagte Modenthal. »Machen Sie mir nichts vor, Sie sind der Klumpatsch. Ich weiß es. Habe so meine Quellen, tja, tja. Möchten Sie mir nicht einmal etwas für das Feuilleton unseres Blattes oder für unsere Wochenbeilage übergeben?«

»Ich habe jetzt keine Zeit mehr, zu schreiben«, sagte Josua und winkte dem Pagen mit dem Bowlenglas.

»Was haben Sie denn zu tun?«

»Nichts«, lachte er.

»In der Novelle ist übrigens eine recht starke Stelle«, fuhr Modenthal fort und tat, als lehne er sich gönnerhaft im Klubsessel zurück. Es war aber kein Klubsessel da, nur ein Rohrstuhl. »Meinen Sie nicht, daß die Staatsanwaltschaft schon ein Auge auf Sie geworfen hat?«

»Gewiß«, sagte Josua. »Es ist gegen mich Anklage erhoben wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften. § 184.«

Modenthal suchte in der Tasche nervös nach einem Bleistift.

»Wenn Sie gestatten, übergeb' ich die Meldung meinem Blatte. Es ist immerhin auch eine Reklame für Sie.«

»Bitte schön«, sagte Josua.

»Wissen Sie ...«

»Triebolick,« rief Dr. Bodenlos, »darf ich Sie meiner ältesten Schülerin –«

»Aber pfui! Doktor! Älteste Schülerin!«

»Also darf ich Sie meiner besten Schülerin, Fräulein Dr. Mäuschen vorstellen. Sie hat kürzlich ihren Doktor summa cum laude erledigt. Über Brentano, Gockel, Hinkel und Gackeleia. Kolossal reich«, flüsterte er Josua leise ins Ohr.

»Sehr erfreut«, sagte Josua.

»Ich glaube, wir kennen uns schon«, quetschte sich ein fetter, sinnlicher Mund auseinander, und zwei große, kurzsichtige Kuhaugen glühten ihn vertraulich an.

»Nicht, daß ich wüßte, gnädiges Fräulein.«

»Ja ... das muß aber unser Geheimnis bleiben, Herr Triebolick.«

»Was ... das ist ja schön«, kreischte Bodenlos im Air eines Bühnenbonvivant. »Jetzt kennt ihr euch fünf Minuten und habt schon Geheimnisse.«

»Denken Sie nur mal nach, Herr Triebolick.« Ihre Augen zwickten ihn boshaft. »Grünwald ...«

Josua erschrak. Um Gottes Willen, das war ja die dicke Quellennymphe von der Sonnenwendfeier im Isartal, die er im Dunkeln (aber es war schon sehr dunkel, entschuldigte er sich) seufzend unter einem Baume liegen sah – dieses Luder.

Der Zitherspieler von der bayerischen Bauerntheatertruppe D'Schlierseer, die im Theatersaal des Excelsior gastierten, tauchte soeben nach Schluß der Vorstellung auf. Er brachte seine Zither mit und mußte einen Walzer spielen. Kolk tanzte mit dem Pagen.

Fräulein Doktor hielt sich ein Lorgnon vor die Augen und sagte: »Ein netter kleiner Kerl.«

Josua ballte die Hand in der Tasche. Auf einmal, aller Sorgen um den kurulischen Sessel der ordentlichen Professur nicht achtend, tanzte Dr. Bodenlos mit Rina. Sie tanzten draußen auf dem Korridor. Einige hatten, dem Protest des Oberkellners zum Trotz, die Teppiche beiseite gerollt. Aus einem Nebensaal starrten entgeisterte Gesichter. Dort feierte der katholische Männerbund sein dreiundsechzigstes Stiftungsfest.

Galant verbeugte sich Josua vor Fräulein Doktor: »Darf ich um den Walzer bitten – schöne Nymphe?«

 

Es stellte sich heraus, daß auch Fräulein Doktor in der Kaulbachstraße wohnte. Und zwar zur Aftermiete bei der berühmten italienisch-deutschen Dichterin Gioconda Brumm, welche in klugen, schönen und umfangreichen Büchern die Renaissance und das deutsche Mittelalter romanhaft verarbeitete.

»Wir nehmen zusammen ein Auto«, sagte Fräulein Doktor.

»Meinetwegen«, sagte Josua und winkte dem Pagen.

Josua saß auf dem Rücksitz. Die beiden Frauen ihm gegenüber.

»Sie haben ein hübsches Kostüm, Fräulein«, meinte Fräulein Doktor, mit freundlichem Augenaufschlag.

»Es ist sehr hübsch, aber es würde nicht jedem stehen«, sagte der Page und ließ einen gedankenvollen Blick über den dicken Fleischhaufen neben sich gleiten.

»Sie haben recht«, sagte Fräulein Doktor und biß die Zähne aufeinander. »Mir zum Beispiel steht eher ein Kostüm wie Kleopatra.«

»Wer aber möchte dann die Schlange an Ihrem Busen sein?« sagte Ruth.

Zum Glück hielt der Wagen vor Fräulein Doktors Wohnung. Sie hatte keine Zeit mehr, eine spitze Antwort zu finden, die ihrer Eifersucht genügt hätte. Sie reichte Josua, der stumpf vornüber geneigt dasaß, die Hand und sagte: »Besuchen Sie mich doch bitte mal zum Tee. Vielleicht interessiert es sie auch, Frau Brumm kennenzulernen. Sie hat entzückende Liebesgedichte gemacht. Wie war doch gleich Ihre Adresse?«

Josua nannte sie.

»Gute Nacht.«

Kaum hatte der Wagen angeruckt, lagen Josua und Ruth Mund an Mund.

Fräulein Doktor trat nur in den Garten hinein. Dann machte sie kehrt. Er wohnt also kaum zehn Minuten von hier in derselben Straße. 0 Gott! Sie fühlte ihr Herz nervös klopfen. Jetzt geht das freche Aas, der kleine Page, mit ihm ins Bett ...

Sie hielt es nicht aus, es war töricht, es war zwecklos, es tat ihr bloß weh: aber sie ging die zehn Minuten bis vor Josuas Wohnung. Im Parterre war Licht. Sie trat leise heran. Wenn er jetzt das Fenster aufrisse. Eine Vorhangspalte ließ den Blick ins Zimmer frei. Da stand der Page nackt im roten Schein der Lampe und ließ die rosablonden Haare über die Schultern rollen. Josua war nicht zu sehen.

Sie taumelte vom Fenster zurück und taumelte im Zickzack nach Hause. Ein Schutzmann, der ein betrunkenes Frauenzimmer vor sich zu haben glaubte, lief ihr drohend nach.


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