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Roman eines jungen Mannes
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XIX

Sieben Stunden hatte es ununterbrochen geregnet. Man ging auf den Garten- und Landwegen wie in einem schwarzen Hefebrei. Hin und wieder blitzte verdrossen der Mond auf. Wolkenfetzen jagten in lächerlichen, ewig wechselnden Silhouetten windgetrieben am Himmel. Nun hängte sich eine große rechteckige Wolke wie ein Vorhang vor den Mond und es wurde auf Momente blaudunkel.

Wie ein Leichentuch hat sie sich über den Mond gebreitet, dachte Josua. Der Mond ist heute bläulichgelb wie eine Wasserleiche anzusehen. Wahrscheinlich ist er in dem Siebenstundenregen ersoffen.

Josua stand oben auf den Höhen der Weinberge vor dem Hause des Totengräbers und blickte, an das Gitter eines Erbbegräbnisses gelehnt, hinab ins Tal.

Mit Hunderten von blassen Lichtern stach die Stadt wie mit schmalen goldenen Lanzen in den Fluß.

Josua zog an einer verrosteten Klingelschnur.

Die Tür knarrte.

»Es ist gut, daß du zu Hause bist, Jim«, sagte Josua.

»Ich wußte, daß du kommen würdest«, brummte Jim aus seinem braunen Vollbart heraus. Seine kurze Pfeife blieb dabei steif und sicher im Munde stehen. »Es hat in der Zeitung gestanden, daß sie eines jungen Mannes wegen ins Wasser gegangen sei. Da ich nicht in Betracht kam, konntest, den allgemeinen kulturellen Zustand dieser Stadt ins Auge gefaßt, nur du der junge Mann sein.«

»Gott sei Dank,« sagte Josua und warf die angerauchte Zigarette in den Kohlenkasten, »komm.«

Jim nahm die Laterne und ging voran.

Sie schritten die Kastanienallee entlang, bogen bei dem Gedenkstein, der den General Friedrichs des Großen verewigt, in einen Seitenpfad ein und befanden sich vor der Leichenhalle.

Jim klapperte mit seinem Schlüsselbund, die Tür knarrte, Josua trat als erster ein.

Jim stellte die Laterne auf das Steingesims des Fensters und schwieg.

Der Raum atmete eine feuchte muffige Luft.

Das Licht in der Laterne flackerte und dieses Flackern machte den weißen toten Körper, der vor ihnen lag, unruhig und lebendig.

»Frauen sind eigentlich im Tode viel schöner, als wenn sie leben«, sagte Josua. »Sie stellen keine Forderungen mehr an einen und man kann mit ihnen machen, was man will. Die Nixe von Samothrake ist mir deshalb die liebste und schönste Frau auf der Welt, weil sie ganz tot ist und außerdem auch keinen Kopf mehr hat. Aber lassen wir das. Schließlich ist ja auch Lili tot.«

Jim verfolgte mißtrauisch Josuas Gesichtszüge.

»Ich mache dich auf § 250 des Strafgesetzbuches aufmerksam. Wer einen Leichnam zu einem unerlaubten Zwecke mißbraucht, soll mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft werden.«

Josua beugte sich ganz nahe zu Lili herab.

Jim kehrte sich um und betrachtete die Wand.

Josua küßte Lili.

Jim betrachtete noch immer die Wand. Ein Tausendfüßler lief ihm gerade durch den Blick.

»Lili,« sagte Josua, »Lili ...«

Lili rührte sich nicht. Das Licht auf dem Gesims brannte auf einmal still in sich hinein.

»Hast du eine Schere, Jim?« fragte Josua.

»Ich glaube,« Jim wandte sich zurück zu Josua, »aber es ist eine Gartenschere.« – Er hatte sie am Schurz hängen. »Gib sie her.«

Jim gab sie und sah wieder nach dem Tausendfüßler.

Josua neigte sich zum zweiten Male über Lili und schnitt ihr mit der Gartenschere die rosablonden Haare am Schopfe ab.

»Ich habe sie so geliebt.«

»Wen? Lili?«

Jims Wimpern zuckten mißtrauisch nach oben.

»Nein, ihre Haare. Da hast du die Gartenschere wieder, Jim. Das alles wäre nicht nötig gewesen, wenn sie sich hätte rechtzeitig die Haare schneiden oder ... epilieren lassen.«

Dem Totengräber Jim, welcher die höhere Schule nur bis Tertia absolviert hatte, war das Wort epilieren nicht geläufig, er beschloß aber, morgen in die Volksbibliothek zu gehen und im Brockhaus nachzuschlagen.


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