Klabund
Roman eines jungen Mannes
Klabund

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XXIII

Intermezzo

Zimmer bei Josua.

Klaus: »Die erste Bedingung zur Kritik ist zweifellos Liebe zum Kunstwerk.« (Er schmiert sich ein Brot mit Butter und packt mit bloßen Händen eine Zervelatwurst, die er ungeschickt anschneidet: sie fällt auf den Boden. Bückt sich hastig.) »Verdammt, verdammt.«

Josua: »Ich habe heute meine melancholische Stunde. Ich komme nicht zum Klaren.«

Klaus: »Alles ist Dunst – wenn man will.«

Josua: »Du verstehst mich falsch. Es ist ein Schleier um mich gebreitet, ganz dünne, ganz zarte silberne Maschen, und ich sehe etwas – und ich weiß es nicht, es schimmert – ich möchte einmal klar sehen.«

Klaus: »Vielleicht, wenn du noch mehr Absinth trinkst.«

Josua: »Oben am Kopf möchte ich mich packen und daran reißen. Es ist etwas um mich herum.« (Stöhnend:) »Mein Gott!«

Ruth: »Du bist seltsam die letzten Tage.«

Klaus (milde): »Er ist Lyriker.«

Ruth: »Ich finde seine Gedichte langweilig. Wenn er nicht mehr könnte ...«

Klaus: »Natürlich – Physik des Weibes.«

Josua: »Astronomie des Mannes.«

Ruth: »Siehst du – ich bin sein Stern.«

Klaus: »Der Polarstern.«

Josua: »Die Waage.«

Klaus: »Mein Gott, ist das trivial, einem ewig zu widersprechen. Hast du meine Kritik in der Münchener Post gelesen?«

Ruth: »Warum schreibst du eigentlich für sozialdemokratische Zeitungen? Wenn man sich einen Ulster für fünfundsechzig Mark leisten kann!«

Klaus: »Meine Kritik über Strunkels modernes Mysterium ›Die Erstgeburt‹? Er hat es vorgestern im Fränkischen Hof vorgelesen zur Rechtfertigung des Werkes gegen das Zensurverbot. Diese Rechtfertigung scheint mir schlecht gelungen.« (Er schneidet von der Zervelatwurst.) »Was allerdings die Zensur Anstößiges fand, ist mir unfaßlich. Es wird kaum jemand einfallen, die im Sinne der Zensur blutschänderischen Szenen des zweiten Aktes anders als symbolisch zu deuten.«

Josua: »Das ist ja das Ekelhafte! Daran krankt ja die Gegenwart! Am Symbolischen! Symbole!«

Ruth: »Ich finde sie so nett. Man spielt mit Kugeln und weiß, was man hat. Die Sterne fallen nicht herab. – Leider!«

Josua: »Surrogat! Alles Surrogate. Die Menschen, schlechte Imitationen ihrer selbst. Wenn sie doch einmal zum Sein kommen könnten, und sei es zum Gemeinsten, Niederträchtigsten – aber seht ihr denn nicht, daß sie – fliegen? Die blöden Menschen! Sie meinen die Fliegekunst eben entdeckt zu haben. Aber wir fliegen seit Ewigkeiten. Nie kommen wir zum festen Boden. Und wenn man sich hinausstürzt aus dem Ballon – hinab will man, hinab. Es geht nicht ... Die Luft trägt einen. Oh, wir Engel.«

Ruth (seufzt): »Reden wir von etwas anderem.«

Klaus: »Genau so spricht Strunkels Urmensch: Reden wir von etwas anderem. Wie ein Kommerzienrat. Nein, reden wir überhaupt erst einmal von dem einen: Wieviel hast du noch, Josua?«

Josua: »Zehn Mark und drei Fünfpfennigmarken.«

Ruth: »Wir gehen tanzen heute abend, ja?«

Klaus: »Verdammt, verdammt!«

Josua: »Reiche mir mal die Rumflasche.«

Klaus: »Da – aber tu erst den Lutschpfropfen 'rauf.«

Ruth: »Vorgestern und gestern hast du mich versetzt, weißt du das, Josua?«

Josua: »Ich dich versetzt? Ich wollte, ich könnte es, ich würde dich in den Mond versetzen.«

Klaus: »Josua, wie oft soll ich dir noch sagen – du sollst nicht lyrisch produzieren, wenn du nichts dafür bekommst. Das ist Verschwendung!«

Ruth: »Wenn es dir Vergnügen macht, mich zu versetzen, meinetwegen auch in den Mond, dann tue es immerhin, glaube aber ja nicht, daß ich so dumm bin und warte. Die Zeiten sind vorbei« (stampft mit dem Fuß), »ich hasse die Unpünktlichkeit.«

Klaus: »An anderen. Hast du übrigens schon Abendbrot gegessen?« (Er schneidet an der Zervelatwurst.)

Ruth: »Danke, mir ist der Hunger längst vergangen.«

Klaus (streicht ihr über die Brust): »Sieh da!? Das kommt wohl vom Fasten?«

Josua: »Die Erde ist nur deshalb so rund, weil sie sich vor Lachen gekrümmt hat, als der erste Mensch auf ihr herumtaperte.«

Klaus: »Die Erde ist deshalb so geschwollen, weil sie stolz darauf ist, uns Menschen zu beherbergen.«

Ruth (leise zu Josua): »Darf ich – du?«

Josua (küßt sie): »Du sollst!«

(Ruth hat sich blitzschnell ihrer Kleider entledigt und beginnt zu tanzen.)

Klaus: »Oho – lassen wir die Zervelatwurst« (er hält das Messer in der Hand und starrt auf Ruth).

(Ruth tanzt.)

Josua: »Jetzt ... jetzt ... ich entgleite, ich bin nicht mehr ... Linien zucken ... Farben schnellen ... Brüste rollen dumpf durch die Nacht ... Zerbrecht mich ... Zerpreßt mich ... Tod ... Oh, wenn ich sterben könnte ... Oh, wenn ich nicht unsterblich wäre.«

(Ruth hält erschöpft inne.)

»Verflucht ... Lüge, alles Lüge, ich hab' getanzt, nicht sie ... Ich bin noch da ... Ich schwang mich, mich verzehrte es ... Du Lügnerin.«

(Ruth kauert frierend am Boden. Er tritt sie mit den Füßen.)

Klaus: »Oho ... Sie tanzte – aber sie hob mich auf ihre Arme und schaukelte mich in der Wiege ihrer Begierden.«

(Ruth liegt stumm am Boden. Josua tritt wieder nach ihr.)

Klaus: »Sieh dich vor! Lump!« (Er stößt mit dem Messer nach ihm.)

Josua (weicht aus, entwindet ihm das Messer): »Nicht so voreilig, Freund.« (Stößt ihn zu Boden, daß er wimmernd neben der Nacktheit Ruths niedersinkt.)

Josua: »Sieh ... sieh doch das triumphierende Schauspiel ... sieh beide am Boden: Schönheit und Heuchelei, wimmernd aneinandergedrängt ... Bin ich nicht die personifizierte Kunst? Möchtest wohl huren, Hund?« (Gibt Klaus einen Fußtritt.) »Laß es nicht zu. Spritz deinen Samen auf die Erde, Schwächling. Ist schon verpestet genug. Vielleicht daß wir auf seinen Dunstwolken ein wenig höher schweben. Oder wenn ich euch beide tötete? Leise das Messer in eure Bäuche senkte. Dir aber kitzle ich damit die Scham, Kind, daß du geil nach dem Tode dich windest.«

Ruth (springt auf): »Laß mich leben ... laß uns leben ... komm ... in meinen Schoß.«

Josua: »Von wannen ich kam.«

Klaus (fällt in Ohnmacht).


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