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Roman eines jungen Mannes
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XXXIV

Es sollte Josua nicht erspart bleiben, der Frau mit der Ratte zu begegnen. Eines Nachts, als er mit Kolk aus dem Bunten Vogel kam, sah er sie. Sie ging vor ihm, einen bunten Schal um die Schultern mit Fransen daran, wie ihn die Huren Marseilles tragen, wenn sie durch faulige Gassen huschen.

Sie ging mit leisen Schritten im Schatten der Häuser.

Plötzlich blieb sie stehen.

Josua und Kolk schritten an ihr vorbei. Josua blickte ihr ins Gesicht. Es war gelb, faltig, mit zwei spitzen blauen Augen.

Jetzt öffnete sie den zahnlos übelriechenden Mund und pfiff scharf und gellend.

Da lief etwas durch die einsame dunkle Straße entlang: wie ein Hund und doch kein Hund.

Josua war stehen geblieben und sah dem Tiere entgegen. Er fühlte, wie es ihm kalt und kitzlich durchs Rückenmark fuhr.

Ich habe doch nie Furcht gehabt, dachte er. Aber seine Zähne klapperten. Habe ich zu viel Samos getrunken?

Jetzt rauschte das Tier an ihm vorbei – es war eine Ratte, eine zahme Ratte. Ihre Herrin hatte sie einst einem Kloakenarbeiter für zwei Mark abgekauft. Eine heiße Liebe hegte sie für dieses Tier. Wenn es eben im Kot geschnüffelt hatte – sie küßte es auf seine Schnauze. Und die Ratte vergalt ihr ihre Liebe: durch kuriose Kapriolen und piepsende Laute.

Einmal trat in der Dunkelheit einer ihrer Besucher versehentlich auf die Ratte. Die Ratte biß ihn dafür ins Bein. Es gab eine Blutvergiftung und die Polizei machte sich bei ihr bemerkbar. Sie sagte mit unschuldiger Miene, derartiges Ungeziefer verunziere das ganze Haus und verwies den Beamten an den Hauswirt. Allmählich aber gelangte die Ratte zur Berühmtheit und manche gingen nur deshalb zu ihr, um die zahme Ratte zu sehen.

– Jetzt bückte sie sich und zog eine rosa Schnur durch die Öse des Halsbandes, welches die Ratte trug.

Josua trat auf sie zu.

»Ich gebe dir zwanzig Mark – laß mir die Ratte.«

Josua sah das Tier mit bösen Blicken an.

»Ich will nicht«, winselte sie mürrisch.

»Dreißig Mark.«

»Kasperl«, sagte das Weib und klapperte mit ihrem Schlüsselbunde lockend und vertraulich, gen Kolk.

Kolk ekelte sich. Er faßte Josua am Arm.

»Komm.«

»Das Schwein«, sagte Josua.

Unvermutet sagte Michael: »Ich verstehe nicht, mit was für Weibern du immer herumläufst.«

»Wen meinst Du?« Josua horchte.

»Ruth, zum Beispiel.«

»Soll das eine Assoziation auf Schwein sein?« fragte Josua bitter, noch halb im Spott.

»Vielleicht.«

Josua grollte.

»Laß mir Ruth in Ruhe.«

– »Ich liebe sie.«

»Und mich liebst du ebenfalls. Ich will nicht mit einem Weib zusammen geliebt werden. Sie oder ich. Wen wählst du?«

Soll ich ihm nun eins in die Fresse geben, dachte Josua. Er kommt mir immer wieder in die Quere.

Das Weib mit dem Schlüsselbunde und der Ratte räusperte sich.

»Ich gehe mit dem ... Frauenzimmer da«, sagte Josua.

Kolk schüttelte sich.

»Guten Appetit. Adieu.«

Josua ging neben ihr her. Hinter ihnen trippelte pfeifend die Ratte. Er hielt ihre Hand. Sie eilten durch leere Straßen, über verkommene Plätze und verträumte Anlagen, wie zwei Geschwister, Hand in Hand.

Sie klinkte eine klapperige Haustüre in der Zieblandstraße auf, gegenüber dem Kirchhof.

Wie in Salzburg, dachte Josua. Die Gräber brechen auf. Sie ließ ihre elektrische Taschenlampe spielen, über einen muffigen, nie gelüfteten Korridor, in dem Geruch von Speiseresten und schmutzigen Kleidern raunte, stolperten sie ins Zimmer.

Ruth sprach monoton ... wie von ferne her ... mit einer angelernten Stimme:

»Soll ich mich ausziehen?«

Er war erschüttert.

»Ganz und gar. Einmal noch will ich mich über deiner Nacktheit verwundern.«

Sie lachte trocken auf. Wie wenn tote Blätter im Herbstwind rascheln.

Süße Nacktheit ... verwundern.

Er lehnte sich ans Fenster.

Er blickte über die Kirchhofmauer.

Wo ist mein Grab?

Müde trommelte der Regen an die Scheiben.

Dann wandte er sich um.

Da stand sie nackt, ein fahles, verfallenes Fleisch. Schlaff und hilflos hingen ihre Brüste. Die Haut war rissig und zerfurcht. Am linken Schenkel brannte ein Geschwür, wie ein Furunkel, rot, eitergelb umrändert. Am Gesäß blühten Dutzende roter Schwielen, wie bei gewissen Affenarten.

»Komm.«

Ein wenig von der Zärtlichkeit der Vergangenheit klang aus ihrer Stimme.

Sie stiegen ins Bett.

Erst als er über sie kam, erkannte sie ihn.

Sie schluchzte auf.

»Was gibst du mir, Josua?« sagte sie leise.

»Den Rubin!«

»Oh du ...«

Er glaubte, nie so wild geliebt zu haben. Ein rasender Drang nach Zerstörung, trieb ihn in sie hinein.

Sie winselte glückselig – plötzlich spürte er, wie ihre Schenkel kälter und kälter wurden. Die Adern bogen bläulich aus ihrer Stirn.

Sie stirbt! Ich liebe eine Sterbende.

Wie kann ich mich retten?

Ich muß sie erwürgen, sonst halte ich es nicht aus.

Mit beiden Händen umkrampfte er ihren Hals.

Er entband sich jauchzend.

Ließ entspannt los. Lag ruhig atmend auf ihrem toten Leib.

 

Er öffnete den Schrank und entnahm ihm das Pagenkostüm.

An ihrem Halse blinkten die Strangulationsmale.

Er trug sie aus dem Bett, wand ihr einen aus ihrem Hemd gedrehten Strick um den Hals und schlang das andere Ende um den Fensterriegel. Noch einmal küßte er ihren bleichen Mund, der schöner geworden war denn je.

Nur ihre Augen glotzten ihn wie Krötenaugen an.

Er ließ sie aus dem Fenster hängen.

Er ging.

Fände die Polizei seine Spur?

Und wenn – was tut es? Sie würden nur einen Sterbenden finden.

– Josua rannte durch die Straßen. Um fünf Uhr sprang er in den Donysl und aß Weißwürste und trank zwei Maß Bier.

Die Kapelle am Klavier spielte das »Lied an der Weser«. Er gab zehn Pfennig Trinkgeld. Darauf stimmte er die preußische Nationalhymne an, wurde aber von zwei Schenkkellnern an die Luft gesetzt.


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