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Roman eines jungen Mannes
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XVIII

Unruhige Träume plagten Josua.

Zuerst sah er zwei gepanzerte Knaben in Riesengestalt am Himmel aufsteigen und gegeneinander kämpfen. Der eine ähnelte ihm, der andere in seinen mädchenartigen Gebärden: Ruth. Auf dem Schilde, das jeder trug, las man je eine Inschrift. Auf dem seinen in grüner Schrift: Regnavi, auf dem des ändern mit roter Schrift auf schwarzem Grunde: Regnabo.

Anfangs kämpfte er mit Glück, dann gab er sich eine Blöße und sank getroffen zu Boden. Der andere schlug sein Visier zurück – und es erschien das Haupt Ruths ... fleischlos ... ein lächelnder Totenkopf.

Plötzlich rutschte er durch eine lange Röhre, viele Meilen lang – und landete auf einem Omnibus. Er war der einzige Fahrgast und fuhr durch eine große, dunkle, nur von trüben Gasfunzeln erhellte Stadt. Kein Mensch zeigte sich in den Gassen.

Er endete auf einer Lichtung im Walde, sprang ab und war ein kleines Kind, das sehnsüchtig nach der Schloßmauer blickte, die ferne durch die Büsche schimmerte. Hinter ihm stand ein Zigeunerwagen. Rauch stieg in schlanker Säule zwischen den Bäumen auf. Ein paar schmutzige Kerle spielten Karten. Neben ihm stand plötzlich ein schwarzgelocktes Mädchen, er stieß sie aber zurück, daß sie weinend zu Boden fiel.

Darauf sagte die Frau im Wagen mit unendlich süßer Stimme zu ihm, sodass es ihm deuchte, es müsse wohl seine Mutter sein: »Aber Sie sollten so etwas nicht tun.«

Er sah sich erstaunt um.

Er wurde wieder zum großen schlanken Mann.

Jenes Mädchen von vorhin lief, nur mit einem dünnen Netzhemd bekleidet, durch das die starken Brüste und die merkwürdig roten Haare ihrer Scham flimmerten, und einen Korb an der Hand, schnell an ihm vorbei.

Er griff nach dem Korb. Sie schüttelte den Kopf. Boshaft, aber traurig.

Als sie mitten auf dem Platz bei der Linde angelangt war, sprengte ein Offizier mit zwei Pferden herbei. Er hob sie auf den Fuchs, der Rappe wieherte. Es war ein hölzerner Rappe, ganz aus Holz. Im Nu waren sie davon. Nur ein dünner silberner Kettenring lag am Boden. In seinem Rund sproß ein Gewächs wie ein Schachtelhalm, der Ring umspannte den Schaft und eine blaue Blume brach singend hervor.

Ein Botaniker sagte: »Es ist seltsam, daß dieser Baum Blumen trägt. Er ist doch erst ein Jahr alt! Er hat doch erst einen Ring ...«

Josua fühlte, wie sich seine Kehle spiralenförmig zusammendrehte. Er wollte schreien. Jemand packte seine Hände und jene süße Frauenstimme sagte in Cis-Moll:

»Wach auf– an deinem Bett steht ein Räuber.«

Schweißgebadet wachte Josua auf. Tastete nach den Streichhölzern. Steckte Licht an.

Vor seinem Bett stand ein junger Mann in Schlosserkleidung, Lodenschurz, mit funkelnden russigen Augen. Er schwang einen Hammer in der Hand.

Es hat keinen Zweck, nach dem Revolver zu greifen, er schlägt sonst zu, dachte Josua blitzschnell.

Laut sagte er, schlug die linke Hand um das Kopfkissen und blickte ihn ruhig an:

»Bitte treten Sie doch näher.«

Der Einbrecher, durch diesen Empfang verblüfft, durch das Licht geblendet und durch die suggestive Kraft der Aufforderung behext, trat näher. Alle finstere Entschlossenheit war von ihm gewichen und er stand jetzt da wie ein Bürodiener vor seinem Landrat.

»Was wollen Sie – bitte, möchten Sie nicht Platz nehmen?« Josua wies auf den Stuhl am Fußende seines Bettes. »Die Kleider können Sie runterschmeißen.«

Der Einbrecher setzte sich.

»Ich will Sie totschlagen«, sagte er jetzt und das Wort »totschlagen« ermutigte und erfrischte ihn. »Sie Hund haben meine Braut verführt.«

»So, so, das Fräulein war Ihre Braut, davon hat sie mir nie etwas erzählt«, sagte Josua. »Übrigens war sie nebenbei auch meine Schwester. Wenn Sie mir die Zwischenbemerkung gestatten wollen, es war ein schönes Mädchen, und ich gedenke ihrer noch jetzt mit reger Freude.«

»Ihretwegen hat sie sich ersoffen«, sagte der Bräutigam.

»Ganz recht«, sagte Josua. »Ich hätte ihr diesen Opfermut nicht zugetraut. Ich schätze sie darum nur um so höher. Es gibt heutzutage leider so wenig Mädchen, die sich eines Mannes wegen das Leben nehmen. Die meisten sind von so leichtfertiger Gemütsart, daß sie eine Enttäuschung, die ihr Geliebter ihnen bereitet, gar zu schnell bei einem andern überwinden.«

Der Einbrecher schluchzte. Er barg das Gesicht in den Händen.

»Ich habe Lili geliebt.« Dumpf klatschte der Hammer auf den Bettvorleger.

»Nach zehn Uhr abends ist jeder überflüssige Lärm zu vermeiden«, sagte Josua. »Auch ich habe sie geliebt. Und meinen Sie: deshalb weniger, weil ich ihren Tod – belache, während Sie ihn beweinen?«

»Sie Hund lachen noch«, sagte der Einbrecher und hob den Hammer wieder auf.

»Haben Sie die Güte, den Hammer ruhig liegen zu lassen, sonst fällt er Ihnen noch einmal herunter und die Einwohner beschweren sich wegen nächtlicher Ruhestörung.«

»Sie entgehen mir nicht.«

»Nein – ich habe gar nicht die Absicht. Ich will Ihnen nur einige juristische Belehrungen zukommen lassen. Sie haben bedauerlicherweise verabsäumt, sich vor Ihrem an mir beabsichtigten Mord bei einem Rechtsanwalt nach den für Sie möglichen Folgen zu erkundigen. So etwas sollte auch der Laienverbrecher nie verabsäumen. Wir leben einmal in einer schlechten Zeit, wo der Verbrecher mit übler Mißdeutung seiner Motive zu rechnen hat. Also: wenn Sie mich totschlagen und man faßt Sie, kriegen Sie mindestens zwanzig Jahre Zuchthaus. Und, verlassen Sie sich darauf, die Polizei faßt Sie unbedingt.«

Josua sah den Einbrecher leutselig an.

»Rauchen Sie eine Zigarette?« Josua nahm das Etui vom Nachttisch und bot es dar. Es war ein Geschenk von Lili. Der andere dankte höflich, indem er sich bediente.

»Bitte, machen Sie sich's ganz bequem«, sagte Josua. »Sie sind mein Gast, und Gastfreundschaft zu erfüllen ist heiligste Pflicht. Nicht nur in Korsika.«

»Von dem Unglücksfall (relativ gesprochen Unglück. Für Sie war es ein Glück. Keine Widerrede) sprechen wir nicht mehr. Betrachten Sie mich als das Lili bestimmt gewesene Schicksal. Als den Hammer, den ein anderer schwang. Sie sind doch Schlosser. Sie müssen das doch begreifen? Schicksal kann der dümmste und gemeinste Mann dem Besten und Klügsten gegenüber werden. Wir haben keine Regeln dafür. Gesetze nur für die Folgen. Das Verständigste ist, Sie bleiben die Nacht hier. Sie wohnen doch in der Stadt? Es geht keine Trambahn mehr. Schlafen Sie bei mir auf dem Sofa. Da drüben liegt meine alte Reisedecke, decken Sie sich damit zu. – So, und nun lassen Sie mich in Ruhe. Wenn meine Wirtin morgen früh den Kaffee bringt – ich überhöre es immer - dann bestellen Sie noch eine zweite Portion für sich. Gute Nacht.«

Josua drehte sich nach der Wand und war bald in einen traumlos tiefen Schlaf versunken.

Der Einbrecher tat, wie ihm geheißen. In seinem Kopfe rollte schmerzlich ein Kreisel, den der Schläfer im Bett unbewußt mit der Peitsche antrieb, zu laufen und zu brummen.

Der Einbrecher blies das Licht aus.


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