Klabund
Roman eines jungen Mannes
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XXXI

Josua lud das schlanke braune Mädchen, welches seit einigen Tagen neben ihm bei der Table d'Hôte saß, ein, falls ihr die allgemeine Liegehalle nicht sympathisch sei, seinen Privatbalkon mitzubenützen.

Er forschte in der Fremdenliste, wie sie sich nannte. Da stand: Señorita Ines Bergheim, Rio de Janeiro.

Sie spricht sehr gut deutsch. Ihr Vater ist ein Deutscher. Eines Abends, als sie nach dem Nachtessen noch draußen lagen und die Venus über Salò emporstieg, ging er plötzlich aus allen Fugen. Er ließ die Stimmung wie eine heiße Welle über sich zusammenschlagen, und ehe er sich versah, lag er über ihr, den Kopf in ihrem Schoß. Er zitterte. Sie starrte über ihn hinweg und sagte ein leises: »Ach Gott, ach Gott ... drüben über der Straße ist ja die Laterne noch hell.«

Am nächsten Tage ließ sie nach der Abendkur versehentlich die Decken bei ihm liegen. Ihr Zimmer grenzte an das seine. Sie rief durch die Wand: »Herr Triebolick ... bitte, bringen Sie mir doch meine Decken ... Ich habe sie vergessen.«

Josua stand in ihrem Zimmer. Ein Geruch von fremden Pflanzen erfüllte den kleinen, heißen Raum. Die Zentralheizung war geöffnet.

Sie sah ihn voll an.

Beide Decken fielen ihm aus der Hand.

Er griff zu, wie man nach einem hingehaltenen Geschenk greift. Mit einer zaghaft seligen Sicherheit: »Man soll nicht im Licht küssen«, sagte er. »Die Dunkelheit macht alle Wünsche verwegener und alle Küsse süßer.«

Sie lächelte, griff rückwärts und knipste das elektrische Licht aus.


»Ich verbrenne.«

»Ich bin Asche.«

»Aber dein Leib leuchtet.«

»Du hältst die Fackel deines Herzens über ihm.«

»Wer wäre gut vor dir?«

»Wer ist selig ohne dich?«

»Wer ist stark vor deiner Schwäche?«

»Simson!«

»Du streichelst meine Träume.«

»Mein Schoß ist süß von der Bitternis meiner Erniedrigung.«

Da hob sie Josua hoch aus den Kissen:

»Nun erhebe ich dich hoch über mich! Weiße Taube! Fliege!«

Schwer atmend lagen sie stumm nebeneinander. Nebenan der Herr auf Nummer sieben hustete plötzlich. Er hustete wie ein Bernhardiner bellt: dunkel und zottig.

Sie mußten beide lachen.

»Um Gottes Willen,« sagte Ines, »wenn dich jemand hört!« Sie stopfte ihm ihr Taschentuch in den Mund.

»Das hilft nichts«, sagte er und fing nun selber an zu husten.

Da schloß sie ihm den Mund mit ihrem Mund.

Wie lange sie lagen, sie wußten es nicht.

Als sich ihre Lippen lösten, brach ein fahles blaues Licht durch den Vorhang.

»Wenn es nur nicht Tag würde,« sagte Ines, »ich habe Angst vor dem Licht.«

»Warum?«

»Weil ich mich schäme.«

»Vor wem?«

»Ich weiß es nicht.«

»Hab doch Vertrauen.«

»Zu wem?«

»Zu dir selbst. Was du tust, kann nicht schlecht sein.«

»Weshalb?«

»Du mußt es glauben.«

»Ich habe schlechte Gedanken.«

»Für freie Menschen gibt es keine schlechten Gedanken, auch keine schlechten Taten.«

»Sondern?«

»Nur Gedanken! Nur Taten! Auch keine guten Gedanken und keine guten Taten. Was sie tun und denken, ist recht und gerecht. Sie haben kein ... Gewissen.«

»Kein Gewissen?«

»Nein, kein Gewissen. Sie empfinden keine Reue. Reue ist für die Feiglinge. Ich kann nichts tun – ohne mich.«

»Ja, so bist du. Aber ich bin eine Frau – und mein Vater ist deutscher Konsul ...«

Er lachte.

Sie lachte und zog seinen Kopf zu sich heran. Im Dunkel tastete sie sich mit ihren Lippen über sein Gesicht zu seinem Munde.


Am nächsten Morgen gingen sie zusammen spazieren, auf steinigen Wegen, durch Gardone di sopra. Ines sah sehr frisch aus. Über einer schmutzigen, verfallenen Mauer hing ein Büschel gelber Mimosen. Sie knickte einen kleinen Zweig ab. »Da,« sagte sie, »ein Stück von Ihnen ... ein Stück Natur.«

»Ja,« sagte er, »es riecht sehr gut. Aber wenn Sie die Nase hineinhalten – bleibt der ganze Blütenstaub an Ihrem Gesicht hängen. Bitte, fragen Sie sich, ob Sie bei Ihrem schönen Teint noch Puder nötig haben ...«


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