Klabund
Roman eines jungen Mannes
Klabund

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XXVII

Josua schwenkte ein Telegramm in der Hand: Arizona. Paß, sowie hundert Dollar zur Landung erforderlich. Geld folgt, Käti. »Hast du schon das Geld?« fragte Kolk.

»Hier«, schrie Josua.

Kolk winkte ein Auto. »Torggelstube.«

»Was meinst du? Haute-Sauterne?« Josua war durchaus einverstanden.

»Krebssuppe – Forelle – Lendenstück garniert – französisches Masthuhn – Ananas.« Josua stellte das Menü zusammen. Währenddessen trank Kolk in großen Zügen und kreischte in regelmäßigen Zwischenräumen vor Vergnügen rhythmisch auf.

»Ich habe sofort die dringendsten Schulden bezahlt. Ich fahre natürlich nicht nach Amerika. Vielleicht aber an die See. Schwimmen muß ich, schwimmen. Wie eine Möve schaukeln.«

Kolk: »Möchtest du nicht Käte heiraten? Klaus und ich werden Brautführer.«

»Wir machen eine Autotour.«

»Aber nicht allein!«

Sie bummelten die Kaufinger- und Bayerstraße entlang. Dann durch die Anlagen der Sonnenstraße.

»Ein holder Abend«, sagte Josua und trat neben zwei elegant gekleidete, kokett lächelnde Damen.

Kolk schnaufte.

Die Mädchen stießen sich in die Hüften und lachten.

»Wir laden Sie zu einer Fahrt im Auto ein«, sagte Josua.

»Im Geschlossenen«, sagte Kolk.

»Na, sonst schon gar net«, lachte die Jüngere.

Am Sendlingertorplatz schliefen Dutzende von Autos. Der Chauffeur mußte eins wecken und die Verschläge hochklappen.

Josua schrie: »Eine Viertelstunde, ganz gleich, wohin ...«

Wie zwei Hofkutschen rollten die beiden Wagen hintereinander durch die Straßen.

»Wie heißt du?« fragte Josua. »Wally«, stöhnte sie.

Auf den Lederpolstern lagen ihre Leiber, sinnlos Geist geworden.

»Oh Gott,« flüsterte Wally, »daß bloß der Chauffeur sich nicht umdreht. Ich glaube, meine Bluse ist geplatzt.«

...Die Autos hielten vor dem Café Imperial.

»Ich gehe nach Hause«, sagte Kolk. »Ich bin müde.«

»Ich müßte nach Holland fahren«, sagte Josua. »Rina hat ein Kind von mir bekommen. Ich will sie sprechen. Es ist tot. Jetzt liebt sie mich gewiß nicht mehr. Jede Frau haßt den Mann, von dem sie ein Kind hat.«

Josua fuhr mit den beiden Mädchen in den Simplizissimus.

Es waren Salzburgerinnen. Die Kleine sprach ein entzückendes Weana Deutsch mit ungarischen Brocken.

Der Besitzer des Simplizissimus trat auf Josua zu.

»Herr Doktor, was haben Sie da für zwei reizende junge Mädel. Könnte man die nicht irgendwie ausbilden lassen fürs Lokal hier? Fragen's doch mal.«

Er war immer auf junge hübsche Kräfte für sein Lokal aus. Die er meist nur in seinem Schlafzimmer ... und dann sehr leise ... auftreten ließ.

– Auf der Straße tanzten sie zu dreien One-Step.

»I hob di scho in Salzburg g'sehn«, sagte Elly zu Josua.

Wally warf eifersüchtig die Lippen auf.

»Warst a mal d'rüben?«

»Gewiß«, sagte Josua »und in Hellbrunn«.

»Seitdem trag i dei Bild in meinem Herzen«, sagte Elly.

Ihn überwältigte der Duft des schwarzen Haares und das Zittern der schlanken Finger an seinen Schultern. Er bog Ellys Kopf mit dem seinen zurück und biß ihr lechzend in die Lippen.

Im Bunten Vogel hieß er Wally sich niedersetzen.

»Wir gehen einen Moment an die frische Luft«, sagte Elly. Sie liefen im Laufschritt zur nächsten Autohaltestelle am Elisabethplatz.

Am Schwabinger Krankenhaus rasten sie vorbei.

Elly hatte ihre Lippen spitz wie einen Trichter geformt und die Lust rann in stummen Strömen.

Sie lag ganz in seinem Munde.

Ihre Schenkel waren zart.

»Froschschenkel ...« stellte sich Josua vor, »esse ich sehr gern, in brauner Butter gebacken.«

Als sie wieder in den Bunten Vogel zurückkehrten, machte Wally ein bitterböses Gesicht. Sie hatte inzwischen drei Cognak getrunken und sah aus schmalen Lidern gehässig zu Josua, der mit der Miene eines blasierten römischen Triumphators auf der Holzbank thronte.

»Der Herr möchte doch mit seiner Familie am Stammtisch Platz nehmen«, meldete die Kellnerin.

Josua drehte sich um. Der Fabeldichter Petzold und der Maler Tscherteng prosteten ihm aus einem Glas Türkenblut zu.

»Also geh'n wir nüber. Wally wird hoffentlich wieder gut werden.«

Sie setzten sich in bunter Reihe. Elly neben Petzold, der wie ein schmalziger Faun sie sofort mit heimlichen Blicken beleckte. Tscherteng saß sympathisch in seine Blondheit zusammengesunken und dachte an seine letzte Tigerjagd in Afrika. Er konnte sich so etwas leisten, denn er war durch verwandtschaftliche Bande einer der größten Maschinenfabriken Deutschlands und Amerikas verknüpft.

Im Lokal erhob sich das Lied vom Schwalangscher.

Am Stammtisch drückte und küßte man sich wechselseitig. Josua fühlte sich als Herr der Situation. Er hatte sie beide gehabt. Die Katzen wußten das und schnoben zu seinen Füßen. Wally hätte vielleicht lieber gepfaucht. Josua sah sie nach der Affaire mit Elly wieder mit neugierigen Augen an.

Man trank alles mögliche: Türkenblut, Wiskysoda, Kaffee, Samos.

Die Polizeistunde drohte.

Petzold lud die Gesellschaft in seine Wohnung. Die Mädchen wollten nicht. Josua stand unbeteiligt daneben.

Petzold drängte: schmeichlerisch, schleimig.

»Meinetwegen«, sagte Wally.

In Petzolds Wohnung warf sich Josua auf die breite, mit Fellen belegte Chaiselongue.

Tscherteng stand verträumt, blond und frisch in der Mitte des Zimmers.

Petzold und Elly waren draußen irgendwo verschwunden.

Josua dachte, »er wird sie haben ... oder so ... es ist mir gleichgültig«. Er war auf einmal so müde. Zwei Katzen sprangen zu ihm auf die Polster.

Endlich erschienen Elly und Petzold.

»Welch reizendes Geschöpf! Ich habe sie aber hergenommen«, wieherte Petzold.

»Ein widerlicher Hund«, dachte Josua.

Elly saß madonnenstill da. »Er prahlt nur«, dachte Josua, als er sie ansah.

Jetzt krochen alle vier aufs Sofa.

Ringelten sich über- und nebeneinander wie Regenwürmer.

Josua sprang auf. Stand mit dem Rücken gegen sie. Roller, der Kater, hockte mit gekrümmtem Rücken auf seinen Schultern.

Küsse tönten und unterdrücktes Gelächter.

Auf dem Teppich onanierte die weibliche Katze.

Klagende Laute.

Josua beobachtete sie. Sie erinnerte ihn an Fräulein Doktor.

Josua blickte mit Schöpferaugen auf das Getümmel.

»Mit Großvateraugen«, lachte Elly. »Großvater«, lachte sie. Plötzlich löste sich Wally, gelangweilt, von dem dicken Petzold und stand mitten im Zimmer. Petzold und der nunmehr heftig bewegte Tscherteng stürzten sich auf Elly und nestelten ihr an Bluse und Rock herum. Sie war auf einmal rotbraun wie eine Kokosnuß, mit Runzeln im Gesicht und wehrte sich heftig.

»Nicht doch.«

Es gelang Petzold und Tscherteng, ihr Rock und Bluse auszuziehen.

Ihre Brüste blickten mit ängstlichen Augen erschreckt ins Zimmer.

Wally blinzelte, ein wenig angeekelt.

Josua wandte sich um. Als er die Anekdote überblickte, erwachte der Zuhälterinstinkt in ihm. Seine Blicke wurden fest, seine Stirn wuchs hoch und seine Stimme schlug hart ein:

»Elly – zieh dich auf der Stelle an ...«

Petzold und Tscherteng hielten verblüfft in ihren Manipulationen inne.

Elly hatte Furcht vor ihm. Sie weinte leise.

»Ich kann doch net, sie nehmen's mir alles weg.«

»Zieh dich an«, schrie Josua, »sonst haue ich euch beiden eins in die Fresse.«

Petzold und Tscherteng begriffen nichts. Tscherteng fragte Josua:

»Was haben Sie? Stehen Ihnen die Mädchen irgendwie nah?«

Petzold blökte: »Eifersucht.« Er verhehlte seine Enttäuschung schlecht, denn Elly gehorchte Josua und zog sich an.

»Wir müssen gehen«, sagte Wally.

Petzold versuchte, Elly ins Haus zurückzuziehen, als sie schon auf der Straße standen.

Josua begleitete die beiden Mädchen nach Hause. In ihre Pension in der Bayerstraße.

Er hängte sich an ihre Arme und war glücklich.

Zum Abschied küßte er beiden die Hand. Zärtlich. Dankbar.

Ich werde aber Tscherteng und Petzold einen kurzen Brief schreiben und sie über die Motive meiner Handlungsweise aufklären. Sie sind dumm. Sie begreifen so etwas nicht.


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